"Ich bin eben später ins Bett gegangen"

Jochen Tittmar
17. Dezember 201514:51
Jonas Hummels wurde 2007 mit der B-Jugend des FC Bayern München Deutscher Meisterimago
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Jonas Hummels ist der jüngere Bruder von Mats Hummels und spielt seit 2007 für die SpVgg Unterhaching. Im Interview spricht der 25-Jährige über sein enormes Verletzungspech und erklärt, weshalb er sich bei Siegen nicht richtig freuen könnte. Zudem gibt er Einblicke in das Aufwachsen mit seinem Bruder, die ständigen Fragen nach Mats und das Motzki-Image.

SPOX: Herr Hummels, als 17-Jähriger sind Sie im Winter 2007 von der U 19 des FC Bayern in die der SpVgg Unterhaching gewechselt. Weshalb?

Jonas Hummels: Aus Leistungsgründen. In Bayerns A-Jugend wurden damals zwei Jahrgänge zusammengelegt, so dass einige Spieler aussortiert werden mussten. Ich war dann darunter. Ich hatte bei den Bayern zuvor schon zu selten gespielt, um mich weiterentwickeln zu können. Der Wechsel nach Unterhaching war daher folgerichtig und auch alternativlos, da ich zu dem Zeitpunkt in der 11. Klasse war und keine Lust hatte, die Schule und die Stadt zu wechseln.

SPOX: In Unterhaching ging es für Sie von der A2-Jugend Schritt für Schritt nach oben, bis Sie mit 20 Kapitän der ersten Mannschaft in der 3. Liga waren - ohne je ein Drittligaspiel absolviert zu haben.

Hummels: Es war für mich in erster Linie ein tolles Gefühl, wieder wichtig für eine Mannschaft zu sein. So ging es peu a peu weiter, von der U19 über die zweite Mannschaft zu den Profis. Ich war ein Jahr lang bei den Profis im Training mit dabei, kam aber nicht zum Einsatz. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten des Klubs folgte ein großer Umbruch, wir hatten dann eine sehr junge Truppe. Und ich war deren Kapitän.

SPOX: Viele Partien als Kapitän konnten Sie leider nicht bestreiten - im August 2011 rissen Sie sich zum ersten Mal das Kreuzband. Wie haben Sie damals die erste schwere Verletzung in Ihrem Fußballerleben verdaut?

Hummels: Es klingt im Nachhinein irgendwie komisch, aber diese Erfahrung gemacht zu haben, war für mich interessant. Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde, da ich mir zuvor lediglich einen Bänderriss zugezogen hatte und sonst nie verletzt war. Es hieß immer nur: ein Kreuzbandriss bedeute sechs Monate Pause. Mir war aber gar nicht klar, dass ein vollständig gerissenes, vorderes Kreuzband nicht mehr zusammenwachsen würde. Man bekommt stattdessen ein komplett neues Kreuzband als Transplantat in einer großen Operation eingesetzt. Ich lernte neu zu laufen, in den ersten vier Monaten ging erst einmal gar nichts.

SPOX: Und sechs Monate Pause sind's auch nicht geworden.

Hummels: Nein, es hat 13 Monate gedauert. Das Warten auf diesen einen Tag war mental sehr anstrengend, denn zwischen Laufen und Fußballspielen lagen letztlich neun lange Monate. Es dauert einfach. Die traditionellen sechs Monate Ausfallzeit sind in meinen Augen mittlerweile utopisch.

SPOX: Seitdem verfolgt Sie das Verletzungspech, im Juli 2014 folgte der nächste Kreuzbandriss. Die Anzahl Ihrer Pflichtspiele in den letzten fünf Spielzeiten lautet: 4, 1, 14, 20, 4. Wie schwer war das psychisch zu verkraften?

Hummels: Es nervt einfach brutal, wenn man nicht eingreifen und seinen Kollegen nur zuschauen kann. Das Team hat während meiner Pause überraschend auch die Tabellenspitze der 3. Liga erobert. Ich muss ehrlich zugeben, dass es Momente gab, in denen ich mich freute, wenn wir nicht gewonnen haben. Es tat manche Male wirklich weh, wenn du den Jungs beim Jubeln zusiehst und als Außenstehender mit deinen Krücken allein auf der Tribüne hockst - zumindest aus einer rein egoistischen Sicht.

SPOX: Während Ihrer Verletzungspausen tauschte der Verein das eine oder andere Mal den Cheftrainer aus. Obwohl Sie zwischenzeitlich wieder fit waren, kamen Sie nicht zum Zug.

Hummels: Ich hatte das Selbstverständnis, dass ich als Kapitän nach meiner ersten Verletzung zurückkomme und alles wieder so ist wie zuvor. Dass es aber mindestens ein halbes Jahr benötigt, um wieder auf dieses Niveau zu kommen, habe ich etwas unterschätzt. Ich war da sehr stürmisch und vielleicht auch ein bisschen übermütig, weil ich eben voller Tatendrang war und dachte, dass ich auf Anhieb wieder die alte Leistung zeigen kann. Da das aber nicht so war, hatte ich es auch einige Zeit lang nicht verdient, in die Startelf zu rutschen.

SPOX: War der zweite Kreuzbandriss, der Sie die gesamte vergangene Saison gekostet hat, der bislang größte Tiefschlag für Sie?

Hummels: Absolut. Ich hatte dieses eine Jahr, in dem nicht so häufig zum Einsatz kam, obwohl ich wieder fit war. Dann kam Christian Ziege zu uns, unter dem ich die letzten Spiele der Saison gespielt hatte und mich auch so gut wie lange nicht mehr fühlte. Mein Ehrgeiz für die neue Spielzeit war riesig - und dann passierte es wieder. Das war schon deutlich schwieriger zu verdauen als beim ersten Mal. Ich bin ja zwischenzeitlich auch älter geworden. SPOX

SPOX: Dann grübelt man, gerade mit dieser Vorerfahrung, noch einmal mehr, oder?

Hummels: Klar. Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich nicht auf Anhieb gewusst hätte, was mich nun die nächsten Monate erwarten würde. Das hat mich mürbe gemacht. Mein Elan in dieser zweiten Reha war insofern etwas geringer, als dass ich mir keine Ziele gesetzt habe, bis wann ich die einzelnen Etappen erreichen möchte.

SPOX: Anfang September 2015 ließen Sie eine Arthroskopie an Ihrem Knie vornehmen, um Narbengewebe in Folge der letzten Kreuzband-OP entfernen zu lassen. Wie kam es zu dieser Entscheidung, die Sie ja auch wieder fast drei Monate außer Gefecht gesetzt hat?

Hummels: Nach dem ersten Kreuzbandriss hatte ich diese OP auch schon, allerdings bereits während der Reha. Ich neige offenbar zur Bildung von Narbengewebe, so dass nach der OP eine Narbe im Gelenk auf den Knorpel drückte und einen Knorpelschaden verursachte. Ich konnte mein Bein nicht mehr vollständig strecken, so dass das Gewebe entfernt werden musste. Ende November habe ich endlich für ein paar Minuten mein Comeback geben können.

SPOX: Wie groß ist denn die Befürchtung, dass es bei der nächsten Verletzung mit dem Profifußball vorbei sein könnte?

Hummels: Gering. Sollte mir aber noch einmal etwas derart Gravierendes passieren, werde ich mir diese Frage sicherlich stellen müssen: würde ich mir das alles noch einmal antun wollen? Keine Ahnung. Ich gebe nicht auf, weil mir das Spiel unglaublich viel Spaß macht. Ich bin mir aber bewusst, dass ich mit 25 bereits zwei Kreuzbandrisse und zwei Knorpelschäden hinter mir habe. Ich hoffe einfach, dass ich noch so lange wie möglich spielen kann.

SPOX: Eine Konstante in Ihrem Leben, die auch während Ihrer Leidensgeschichte an Ihrer Seite war, ist Ihr Bruder Mats Hummels. Welches Verhältnis haben Sie zu ihm?

Hummels: Da sich unsere Eltern scheiden ließen, als wir noch relativ jung waren, hatten wir seit jeher einen sehr engen Draht zueinander. Wir haben schließlich unser ganzes Leben zusammen verbracht. Mein Bruder ist mein Kumpel und ein wichtiger Teil meines Lebens. Je älter man wird, desto geringer wird auch der Unterschied, was gemeinsame Interessen angeht. Wir haben auch denselben Freundeskreis und kennen unsere Jungs von klein auf.

SPOX: Diese Kumpels sollen manches Mal offenbar sehr direkt sein und halten nicht lange mit ihrer Meinung hinter dem Berg. Wie kann man sich das vorstellen?

Hummels: Wie in einem ganz normalen Freundeskreis eben. Wir ziehen uns gegenseitig auf, da ist viel Ironie mit dabei. Bei uns geht es auch öfter mal um diese im Fußball allgegenwärtige Heldenverehrung, die wir alle lächerlich finden.

SPOX: Und der hoch dekorierte Weltmeister sitzt mittendrin.

Hummels: Genau. Aber ob da jetzt ein Weltmeister zwischen uns sitzt, ist uns völlig egal. Über den kann man sich genauso lustig machen wie über diejenigen, die nicht Weltmeister sind. Da kommt es schon mal zu einem derben Spruch nach dem Motto: 'Der Mats ist doch genauso dumm wie ich.' (lacht) Jeder teilt aus, jeder kann einstecken. Das ist alles auf Augenhöhe und gleicht sich alles zwischen uns aus.

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Seite 2: Hummels über täglichen Streit, die Bruder-von-Fragen und das Motzki-Image

SPOX: Wenn Sie mit Ihrem Bruder als Privatpersonen in der Öffentlichkeit auftauchen, kann es sicherlich problematische Situationen geben. Wie froh sind Sie für sich persönlich, nicht überall erkannt und angesprochen zu werden?

Hummels: Darüber bin ich schon erleichtert. Mir würde es nicht gefallen, wenn ich an jedem Ort, an dem ich mich aufhalte, derart für Aufmerksamkeit sorge. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, hält sich das zwar meistens in Grenzen. Es kann aber manchmal auch wirklich unhöflich werden und dann nervt es natürlich schon. Wenn man beispielsweise ungestört essen gehen möchte und dann auch darauf hinweist, dass man heute keine Fotos machen will und es findet kein Gehör, dann ist das problematisch. Mats geht aber erstaunlich souverän damit um. Ich weiß nicht, ob mir das immer so galant gelingen würde.

SPOX: Muss man als Person mit einem solch hohen Bekanntheitsgrad dann hin und wieder auch einmal eine Schutzhaltung annehmen, die vielleicht als Arroganz umgedeutet werden könnte?

Hummels: Mich betrifft das ja nicht, ich werde selten belagert. (lacht) Man sollte einfach höflich bleiben und auch ein Nein akzeptieren können. Man wird doch in den wenigen Fällen Nein sagen dürfen, ohne gleich als arrogant wahrgenommen zu werden? Wenn dann allerdings gleich beleidigt wird, ist es natürlich nicht so schön. Wenn wir mit mehreren unterwegs sind, machen wir uns da aber in der Regel selbst einen Spaß daraus. Dann geht halt eben ein Kumpel von uns zu Mats und fragt auch nach einem Foto.

SPOX: Wie sehr würde es Sie eigentlich stören, wenn wir in diesem Gespräch ausschließlich über Ihren Bruder reden würden?

Hummels: Ich würde nach zehn Minuten gehen. Ich bin ja nicht der Ansprechpartner, um Fragen zu Mats zu beantworten oder seine Leistungen zu kommentieren. Das halte ich schlicht nicht für sinnvoll und wäre mir deshalb zuwider. Ich nehme viele Anfragen nicht wahr, weil es oft eben ausschließlich um ihn gehen soll und es niemandem etwas bringt, wenn ich mich dazu äußere.

SPOX: Greift das auch den eigenen Stolz an, wenn Sie ständig auf Ihren Bruder angesprochen werden?

Hummels: Ob Stolz das richtige Wort ist, weiß ich nicht. Man will als eigenständige Person wahrgenommen werden, das ist ja klar. Wenn es häufig vorkommt, dass man nur als 'der Bruder von' bezeichnet wird, dann nervt es natürlich und stört mich. Andererseits geht das auch irgendwo links rein und rechts wieder raus.

SPOX: Was müsste denn passieren, damit Sie eines Tages deutlich seltener "der Bruder von..." wären?

Hummels: Ich muss wohl die Welt neu erfinden, damit das nie mehr passiert. (lacht) Daran werde ich nichts mehr verändern können, als Fußballer erst Recht nicht. Es ist in Ordnung, dass Mats allgegenwärtig ist. Das kann ja auch ganz witzig sein. Wenn ich im Pokal auf dem Dorf spiele und als der Bruder von Mats angekündigt werde, dann gibt es natürlich auch Leute, die sagen: 'Der kann ja gar nix.' Dafür habe ich auch Verständnis und würde es wohl genauso machen.

SPOX: Wie sah denn eigentlich früher das sportliche Konkurrenzdenken zwischen Ihrem Bruder und Ihnen aus?

Hummels: Es gab keinen Tag, an dem es keinen Streit gab. (lacht) Wir haben neben Fußball auch Tischtennis, Badminton oder Basketball gespielt und aus allem einen Wettkampf gemacht. Derjenige, der gewann, hatte eben nur Glück. Es gab aber nie Missgunst oder Neid zwischen uns, bis heute nicht. Ich sitze nicht zu Hause und ärgere mich, weil Mats einen Titel gewonnen hat und ich nicht.

SPOX: War schon frühzeitig klar, dass es für Sie beide zum Profi reichen wird?

Hummels: Ich hatte früher lange Zeit gar nicht so sehr den Fokus darauf gelegt wie Mats. Mir war das nicht so wichtig, Mats dagegen schon immer. Er war entschlossener und hatte schon frühzeitig das konkrete Ziel, Fußballprofi zu werden. Er hatte auch eine höhere Bereitschaft dazu, Sachen aufzugeben. Klassisches Beispiel: wenn eine Party und nächsten Tag Training war, ist er zu Hause geblieben und ich bin eben später ins Bett gegangen. (lacht) Bei mir kam die Überzeugung, es auch zum Profi schaffen zu können, erst in der A-Jugend von Unterhaching.

SPOX: Immerhin gibt es zumindest keine sportlichen Vergleiche zwischen Ihrem Bruder und Ihnen. SPOX

Hummels: Das stimmt. Den Druck habe ich auch für mich selbst nicht. Ich finde es natürlich cool, was er erreicht hat. Dazu bin ich mit meiner eigenen Karriere ebenfalls zufrieden. Hätte man mich in der Jugend bei Bayern als 16-Jährigen gesehen und gesagt, der würde mal Kapitän einer Drittligamannschaft, dann hätte man denjenigen einweisen müssen.

SPOX: Welche Rolle spielen für Sie die Faktoren Glück und Pech, wenn man den Verlauf der Karrieren von Ihrem Bruder und Ihnen betrachtet?

Hummels: Das existiert für mich nicht, ich kann das nicht greifen. Glück und Pech sind eher nur eine Ausrede. Es bringt mir nichts zu sagen, dass ich viel Verletzungspech hatte. Ich kann ja auch nicht behaupten, was gewesen wäre, wenn ich mich nicht verletzt hätte. Vielleicht hatte ich ja auch grundsätzlich irgendwelche körperliche Schwächen. Das ist mir letztlich alles zu hypothetisch.

SPOX: Ihr Bruder vertritt in der Öffentlichkeit seine Meinung in aller Deutlichkeit. Könnten Sie vor der Presse auch so extrovertiert sein wie er?

Hummels: Mats ist nicht extrovertiert, sondern einfach ehrlich. Leider ist es inzwischen die Regel, dass einem die Worte im Mund umgedreht werden, wenn man einmal etwas Kritisches sagt. Kein Wunder, dass sich dann die meisten zurückhalten oder ständig dieselben Aussagen treffen. Ich habe kürzlich ein gutes Beispiel gesehen, als ein Reporter einen Spieler nach dem Spiel lediglich fragte: 'Und?' Da bekam er letztlich die gleiche Antwort, wie wenn er gefragt hätte, wie die Partie aus Sicht des Spielers gelaufen sei. Dann kam man die Interviews unmittelbar nach Schlusspfiff auch gleich sein lassen.

SPOX: Ihr Bruder sagte kürzlich, die Schwelle zum Skandal sei ziemlich gesunken.

Hummels: Damit hat er auch vollkommen Recht. Ich denke, er wird sich künftig schon seine Gedanken machen, wie er sich öffentlich äußern wird oder ob er sich nicht mehr zurückhält. Es wird ja immer bedauert, dass die Typen im Fußball verloren gehen würden. Wenn aber aus so wenig so viel gemacht wird, dann können die Typen ja gar nicht mehr existieren. Dann wird man Spieler haben, die gleich geschalten sind und keine eigene Meinung äußern.

SPOX: Mats nannte man kürzlich scherzhaft "Motzki". Haben Sie davon auch etwas abbekommen?

Hummels: In mir steckt schon auch ein Motzki, das gebe ich gerne zu. Ich bin vielleicht etwas süffisanter als Mats, dann fällt das möglicherweise weniger auf. In der Whatsapp-Gruppe mit unseren Kumpels wurde kürzlich jedenfalls er und nicht ich als Motzki bezeichnet. (lacht) Ich bin kein Freund von schnellen Beschönigungen und mag Typen, die kein Problem damit haben, unbequeme Dinge offen zu benennen.

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