FC Bayern München und das Umdenken bei der Reserve: Krise mit Ansage

Nino Duit
23. September 202208:04
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Beim FC Bayern München steckt nicht nur die Bundesliga-Mannschaft in der Krise. Für die viertklassige Reserve läuft es sogar noch weitaus schlechter. Zurückzuführen sind die Entwicklungen auch auf ein generelles Umdenken.

Auswärtsspiele in Burghausen können ziemlich unangenehme Angelegenheiten sein, das weiß Martin Demichelis aus eigener Spieler-Erfahrung. Im Sommer 2007 entging er bei einem DFB-Pokal-Erstrundenspiel in der Wacker-Arena nur knapp einer Blamage. Der damalige Drittligist zwang den FC Bayern München ins Elfmeterschießen: Demichelis vergab, ehe der heutige Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn zum Auftakt seiner Abschieds-Saison mit zwei Paraden das Weiterkommen sicherte.

15 Jahre später kehrte Demichelis für ein Meisterschaftsspiel in der viertklassigen Regionalliga Bayern in die Wacker-Arena zurück. Nicht als langhaariger Verteidiger des FC Bayern, sondern als Trainer der hauseigenen Reserve. Diesmal gab es kein glimpfliches Entkommen dank Kahn, diesmal verließ er Burghausen geschlagen. Und wie! 0:5!

Tatsächlich war die Blamage aber kein einmaliger Ausrutscher, sondern die Bestätigung einer besorgniserregenden Entwicklung. Von den vergangenen acht Spielen gewann die Reserve lediglich eines. Macht Tabellenplatz neun mit einem Rückstand von zehn Punkten auf Spitzenreiter Würzburger Kickers und Titelfavorit SpVgg Unterhaching. Während die Krise der Bundesliga-Mannschaft des FC Bayern ziemlich überraschend daherkam, waren die Probleme der Zweitvertretung absehbar. Sie sind das Resultat eines generellen Umdenkens.

In der vergangenen Saison galt noch der sofortige Wiederaufstieg in die 3. Liga als vorrangiges Ziel. Verpasst wurde er nur knapp, letztlich stand Platz zwei hinter der SpVgg Bayreuth. Und nun? "Natürlich versuchen wir, Meister zu werden", sagte Demichelis im Sommer zu SPOX und GOAL. "Aber die Priorität ist es, Talente zu entwickeln."

FC Bayern: Der legendäre Regionalliga-Süd-Titel der Amateure 2003/04

FC Bayern München: Die ausgedünnte Reserve

Um den jungen Talenten mehr Einsatzzeiten zu gewährleisten, ließ der FC Bayern die Verträge der erfahrenen Stützen Maximilian Welzmüller (32) und Nicolas Feldhahn (35) auslaufen. Der einzig verbliebene Routinier ist somit Kapitän Timo Kern (32). Aber auch darüber hinaus war der Aderlass im Sommer extrem, selbst für die naturgemäß stets von einer hohen Fluktuation heimgesuchten Zweitvertretung.

Elf der 15 am meisten eingesetzten Spieler der Vorsaison verließen den Klub. Manche fest, manche per Leihe. Gabriel Vidovic wurde beispielsweise bei Vitesse Arnheim geparkt, Torben Rhein bei Austria Lustenau, Bright Arrey-Mbi bei Hannover 96. Generell setzt der FC Bayern an der Schwelle zwischen Nachwuchs- und Profibereich aktuell verstärkt auf Leihgeschäfte, derzeit sind zwölf potenzielle Reserve-Spieler verliehen.

Der Grund: Viele Talente sind in der Regionalliga individuell unterfordert, haben in der Bundesliga-Mannschaft aber gleichzeitig keine Chance auf regelmäßige Einsätze. Bei deutschen Zweitligisten oder Erstligisten in kleineren europäischen Ligen können sie sich besser weiterentwickeln. Als die Reserve in der deutlich anspruchsvolleren 3. Liga spielte, war das noch anders. Da empfahlen sich beispielsweise Jamal Musiala oder Josip Stanisic bei der Zweitvertretung für die Profis.

Die diesjährige Reserve-Mannschaft besteht bis auf wenige Ausnahmen aus Ersatzspielern des Vorjahres, Neuzugängen und dem nachgerückten A-Jugend-Jahrgang. Dieser verfügt jedoch sowohl in der Spitze als auch in der Breite offensichtlich über weniger Qualität als die Vorgänger-Generation, nicht umsonst beendete er die vergangene A-Jugend-Bundesliga-Saison in der Staffel Süd/Südwest auf einem sehr enttäuschenden neunten Platz. Das Finalturnier um die deutsche Meisterschaft war außer Reichweite.

Trainer Martin Demichelis liegt mit der Reserve des FC Bayern München in der Regionalliga Bayern aktuell nur auf dem neunten Platz.imago images

FC Bayern: Der Fokus liegt nun auf der Youth League

Zu allem Überfluss muss Demichelis die besten Spieler seiner ohnehin ausgedünnten Mannschaft regelmäßig für die Youth-League-Spiele der U19 abstellen. Bei den vergangenen beiden Regionalliga-Partien fehlten mit Johannes Schenk, Justin Janitzek, David Herold, Angelo Brückner, Lovro Zvonarek, Yusuf Kabadayi und Lucas Copado deshalb sieben nominelle Stammspieler in der Startelf. Nach Einsätzen unter der Woche bei Inter Mailand (2:2) und gegen den FC Barcelona (3:3) sollten sie an den Wochenenden geschont werden.

Vergangene Saison lagen die Prioritäten noch umgekehrt: Als im Oktober 2021 das Regionalliga-Spitzenspiel in Bayreuth mit einem Youth-League-Duell bei Benfica kollidierte, lief die bestmögliche Mannschaft für die Reserve auf und holte ein 1:1. Die U19 verlor in Lissabon unterdessen 0:4, eine von vielen billigend in Kauf genommenen Youth-League-Blamagen. Weil die meisten U19-Spieler bereits im Kader der Reserve standen, trat der FC Bayern in allen Spielen mit einer (teils deutlich) jüngeren Mannschaft als der jeweilige Gegner an. Das Resultat: letzter Gruppenplatz mit einer Tordifferenz von -12. "Für die Bayern hat die Youth League keine Relevanz", beobachtete der damalige U19-Nationaltrainer Hannes Wolf im Gespräch mit SPOX und GOAL.

Nun das Umdenken: Statt auf Sportplätze in Vilzing oder Rain am Lech die Rückkehr in die 3. Liga zu erzwingen, sollen sich die hauseigenen Nachwuchshoffnungen regelmäßig mit europäischen Top-Talenten messen. Konsequent setzt der FC Bayern in der Youth League neuerdings auch auf den erlaubten Einsatz von bis zu fünf älteren Spielern. "Im Vergleich zur vergangenen Saison wollen wir alle Möglichkeiten für die Kaderbenennung ausnützen, die die Altersregeln der UEFA hergeben", sagt Nachwuchs-Leiter Holger Seitz zu SPOX und GOAL. "Unser Fokus liegt auf der persönlichen Weiterentwicklung der Spieler. Dazu gehören in unseren Augen auch wertvolle Erfahrungen in Youth-League-Spielen."

Womöglich spielt aber zumindest im Hinterkopf auch das Prestige eine Rolle. Wie schaut es denn aus, wenn man sich als stolzer Mia-san-mia-Klub im renommiertesten europäischen Nachwuchs-Wettbewerb reihenweise vorführen lässt. Das war nämlich nicht nur in der vergangenen Saison, sondern eigentlich seit Einführung des Wettbewerbs Standard: Bei neun Youth-League-Teilnahmen scheiterte der FC Bayern siebenmal in der Gruppenphase und zweimal im Achtelfinale.

FC Bayern: Die Youth-League-Mischung ist "'ne Challenge"

In der aktuellen Youth-League-Saison holte die aufgepeppte U19 des FC Bayern zwar zwei respektable Remis bei Inter und gegen Barcelona, überzeugte aber nur phasenweise. Überraschend sind die Probleme nicht: U19-Trainer Danny Galm coacht in der Youth League schließlich hauptsächlich Spieler der Reserve, mit denen er im Alltag kaum etwas zu tun hat. Eine zusammengewürfelte Mischung. "Das ist schon 'ne Challenge", sagte Galm, der mit seiner regulären U19 übrigens einen durchwachsenen Start in die A-Jugend-Bundesliga hingelegt hat, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Reserve-Trainer Demichelis verfolgte das 3:3 gegen Barcelona im Stadion am Campus, genau wie auch sein Kollege von den Profis Julian Nagelsmann. Bei einer Pressekonferenz nach seiner Meinung zum Auftritt gefragt, druckste er zunächst herum. Ohne Galms exakten Matchplan zu kennen, sei es schwer, die Leistung der Mannschaft zu beurteilen. "Was sage ich jetzt, dass ich keinen angreife?", fragte Nagelsmann und lachte verlegen. "Ich fand es spannend, es gab viele Tore. Ich hätte mir ein bisschen mehr Druck erhofft. Es war viel Geplänkel, viel Verteidigen in der eigenen Hälfte. Ich glaube, es war gewollt, auf Konter zu spielen."

Als FC Bayern auf Konter spielen? Noch dazu bei einem Heimspiel? Eigentlich nicht der Plan und zwar für keine Mannschaft des deutschen Branchenprimus, wie Demichelis betont: "Alle Trainer des FC Bayern arbeiten nach dem gleichen Prinzip: Wir stehen für dominanten Fußball." Durchweg erfolgreich umgesetzt wird diese Vorgabe aktuell aber in keiner Mannschaft.

Demichelis: Schon nach dem starken Saisonstart unzufrieden

Obwohl seine Reserve mit drei Siegen aus vier Spielen Ergebnis-technisch einen guten Saisonstart hingelegt hatte, war Demichelis schon zum Zeitpunkt des Interviews mit SPOX und GOAL Anfang August mit den dargebotenen Leistungen unzufrieden: "Wir haben bisher zwar gut gepunktet, aber noch nicht so gut gespielt, wie ich mir das vorstelle." Anschließend begann der bis heute andauernde Negativlauf, der auch Demichelis selbst in die Kritik beförderte.

"Für so eine Phase gibt es nie nur einen einzigen Grund", analysiert Seitz nun. "Fakt ist, dass wir zu viele individuelle Fehler machen, die der Gegner fast immer konsequent mit Gegentoren bestraft. Außerdem fehlt uns in der Offensive die Durchschlagskraft oder auch die Konsequenz und Effizienz im Torabschluss, die uns vergangene Saison noch ausgezeichnet hat. So zahlen wir mit unserer sehr jungen und neu formierten Mannschaft reichlich Lehrgeld."

Gerade in der Ermangelung von Führungsspielern wirkt Demichelis' Auswahl unheimlich wankelmütig. Wenn es läuft, dann richtig. Wenn nicht, dann gar nicht. Bestes Beispiel: Eine Woche vor dem 0:5 in Burghausen gelang der einzige Sieg der vergangenen acht Spiele - und zwar ein 6:0 gegen den SV Heimstetten. Mit der identischen Startelf vom Burghausen-Spiel wohlgemerkt.

Lovro Zvonarek spielt beim FC Bayern München sowohl für die Reserve in der Regionalliga, als auch für die U19 in der Youth League.imago images

Sègbè und Zvonarek: So läuft es für die Neuzugänge

Gegen Heimstetten feierte immerhin der wohl kurioseste Spieler des Kaders ein starkes Debüt: Désiré Sègbè traf nach nicht einmal einer Minute zum 1:0 und lieferte später noch einen Assist. In Burghausen vergab er dagegen einen Elfmeter. Die Verpflichtung des 29-jährigen Stürmers aus Benin konterkarierte die neue Routiniers-lose Philosophie der Reserve und dürfte ein reines Entgegenkommen für den Star-Neuzugang der Profi-Mannschaft Sadio Mané sein. Als sein bester Freund soll ihm Sègbè das Einleben in München erleichtern.

Deutlich stimmiger erschien unterdessen die Verpflichtung des 17-jährigen Kroaten Lovro Zvonarek. Der Mittelfeldspieler kam für 1,8 Millionen Euro vom kroatischen Erstligisten Slaven Belupo, wo er zum jüngsten Kapitän im europäischen Profi-Fußball avancierte. Weniger stimmig für seine Entwicklung ist dagegen die Regionalliga. Nach Informationen von SPOX und GOAL sollte Zvonarek wie Vidovic oder Rhein eigentlich zu einem höherklassigen Klub verliehen werden, letztlich blieb er aber doch. Zumindest vorerst.

Bei seinen bisherigen neun Einsätzen mit einem Tor und einem Assist zeigte Zvonarek laut Seitz "durchaus positive Ansätze. Er ist ein spielstarker Mittelfeldspieler mit einer ausgefeilten Technik und dazu wirklich ein prima Junge, der schnell Deutsch gelernt hat und somit auch schnell in der Mannschaft integriert war." Wobei, eigentlich muss man sagen: in die Mannschaften. Zvonarek zählt schließlich zu den Spielern, die sowohl in der Regionalliga-Reserve als auch in der Youth League gefragt sind.

Regionalliga Bayern: Die Tabelle

PlatzKlubSpieleSUNToreDifferenzPunkte
1Würzburger Kickers (A)1282240:122826
2SpVgg Unterhaching1282222:111126
3Wacker Burghausen1265123:131023
4Viktoria Aschaffenburg1263323:18521
51. FC Nürnberg II1262425:131220
6DJK Vilzing (N)1262422:26-420
7TSV Aubstadt1254324:18619
8Türkgücü München (A)1252517:14317
9Bayern München II1244424:22216
10FC Pipinsried1251619:22-316
11TSV Buchbach1244422:26-416
12SpVgg Hankofen-Hailing (N)1244415:19-416
131. FC Schweinfurt 051243521:21015
14SpVgg Ansbach (N)1243517:22-515
15TSV Rain/Lech124178:19-1113
16FV Illertissen1233617:32-1512
17VfB Eichstätt1232718:26-811
18SpVgg Greuther Fürth II123278:17-911
19FC Augsburg II1224619:23-410
20SV Heimstetten1231820:30-1010