Spartak, Dynamo, Torpedo, Lokomotive und ZSKA - fünf große oder einst große Fußballklubs gibt es in der russischen Hauptstadt Moskau. Ihre Geschichten handeln von Hochverrat, Pionierarbeit, dem russischen Pele, Vereinsauflösungen und Dampflokomotiven.
Im Rahmen der Themenwoche 'Fußball in Russland' stellt SPOX Moskaus Vereine in Kurzporträts vor.
Spartak Moskau - Wegen Hochverrats nach Sibirien
"Das Volksteam" nennen sie Spartak Moskau in Russland gerne, denn Spartak ist nicht nur der beliebteste Verein des Landes, sondern geschichtlich betrachtet auch der unabhängigste. Zu Zeiten der Sowjetunion war Spartak die Alternative zu den regierungsnäheren Konkurrenten in Moskau. Spartak zu unterstützen, galt gar als Zeichen einer oppositionellen Gesinnung. Und das lag an Nikolai Starostin und seiner Geschichte.
Gerade einmal 20 war Starostin, als er 1922 an der Gründung von Spartaks Vorgänger-Klub beteiligt war. In einem Moskauer Vorort, dort wo die Arbeiterklasse lebte und arbeitete und nun eben Fußball schaute. Starostin prägte den Klub auf dem Platz als Kapitän und abseits des Platzes als Funktionär. 1936 schlug er den neuen Namen Spartak vor. Warum? Das wurde bis heute nicht endgültig geklärt, aber viel wichtiger: Spartak holte Meistertitel und Pokale.
Trotz der zunehmenden Stalinisierung des Landes beharrte Starostin auf eine unabhängige Ausrichtung seines Klubs. Im Jahr 1942 war sie der Regierung zu unabhängig. Gemeinsam mit seinen drei ebenfalls im Klub aktiven Brüdern wurde Starostin wegen Hochverrats in ein Gefangenenlager nach Sibirien geschickt. Ohne den Urvater litt die sportliche Entwicklung des Klubs, aber so wurde er immerhin zum Mythos.
Nach Stalins Tod kam Starostin frei, 1955 kehrte er nach Moskau zurück und auch zu Spartak. Er übernahm das Präsidentenamt und führte den Klub (abgesehen von kurzen Unterbrechungen) 40 Jahre lang an. Spartak etablierte sich wieder als Spitzenverein, gewann Meistertitel und Pokale. Als Starostin 1996 starb, war der Klub mitten in einer beispiellosen Siegesserie: Neunmal innerhalb von zehn Jahren gewann Spartak nach dem Zerfall der Sowjetunion die Meisterschaft.
Meistertitel: 22 (Herbst 1936, 1938, 1939, 1952, 1953, 1956, 1958, 1962, 1969, 1979, 1987, 1989, 1992, 1993, 1994, 1996, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001, 2017)
Pokalsiege: 13 (1938, 1939, 1946, 1947, 1950, 1958, 1963, 1965, 1971, 1992, 1994, 1998, 2003)
Internationale Erfolge: /
Platzierung 2017/18: 3.
Dynamo Moskau - Auf den Schultern der Engländer
Zu Zeiten der Sowjetunion galt Dynamo stets als Gegenstück zu Spartak. Dem sowjetischen Geheimdienst KGB unterstellt war es der Klub der Machthaber und lange auch das fußballerische Aushängeschild des Landes: Dynamo gewann die Erstaustragung der nationalen Meisterschaft 1936 und brachte später den berühmtesten sowjetischen Fußballer heraus: Lew Jaschin. Dazwischen sorgte Dynamo als erster sowjetischer Klub für internationales Aufsehen.
Im November 1945, kurz nach dem Krieg tourte der Klub durch Großbritannien. Gegen den FC Chelsea und die Glasgow Rangers gelangen Remis, gegen Cardiff City und den FC Arsenal sogar Siege. Es waren aber nicht nur die Ergebnisse, die erstaunten, sondern auch das Zustandekommen. Die Dynamo-Spieler tauschten ihre Positionen fließend und verwirrten ihre Gegner so. "Organisierte Unordnung" wurde diese Herangehensweise bald hochachtungsvoll genannt.
"Dynamo ist das beste Team, gegen das ich je gespielt habe", sagte Chelsea-Verteidiger John Harris. Die englischen Fans sahen das ähnlich und trugen die sowjetischen Spieler auf den Schultern vom Platz. Einen Tag nach dem Spiel wurde die Sowjetunion in die FIFA eingeladen. Dynamos Besuch hatte Eindruck in Westeuropa hinterlassen.
1972 schaffte es Dynamo als erster sowjetischer Verein in ein europäisches Endspiel, verlor aber das Finale um den Europapokal der Pokalsieger gegen die Glasgow Rangers. Es war der letzte ganz große internationale Auftritt des Klubs. Zwei Meistertitel holte Dynamo seitdem noch, 2016 stieg man erstmals ab. Als letzter Klub, der immer erstklassig gespielt hatte.
Meistertitel: 11 (Frühling 1936, 1937, 1940, 1945, 1949, 1954, 1955, 1957, 1959, 1963, Frühling 1976)
Pokalsiege: 9 (1937, 1953, 1967, 1970, 1977, 1984, 1995)
Internationale Erfolge: Finalist des Europapokals der Pokalsieger 1972
Platzierung 2017/18: 8.
Torpedo Moskau - Ein Name, zwei Klubs und der russische Pele
Bis 1996 war alles ganz einfach: Da gab es Torpedo Moskau und das war der Verein von Eduard Streltsow, dem vermeintlich besten und gleichzeitig umstrittensten und sagenumwobensten sowjetischen Angreifer aller Zeiten. Auf dem Platz galt Streltsow als "russischer Pele" und abseits als "Trinker, Raucher und Raufbold", wie der Spiegel 1958 titelte.
Vor der WM 1958 wurde dem damals 20-Jährigen der große international Durchbruch zugetraut, doch als das Turnier tatsächlich begann, saß Streltsow in Haft. Man warf ihm eine Vergewaltigung vor. Sieben Jahre lang musste er dafür büßen, im vermeintlich besten Fußballeralter.
1965 kehrte der begnadigte Streltsow auf den Platz zurück - und gewann mit Torpedo sofort die Meisterschaft. Er holte dann noch einen Pokal, wurde zweimal zum sowjetischen Fußballer des Jahres gekürt und beendete seine Karriere. Zehn Jahre später starb Streltsow an Kehlkopfkrebs. Torpedos Stadion wurde nach ihm benannt, aber bald gab es nicht mehr nur das eine Torpedo.
Ab 1996 war das nämlich nicht mehr so einfach, denn der jahrzehntelange Vereinsbesitzer SIL (die sowjetischen Automobilwerke) verkaufte den Klub - und gründete kurz darauf einen neuen: Torpedo-SIL. In der russischen Meisterschaft spielten also zwei Vereine Namens Torpedo, bis der ursprüngliche Klub abstieg. Ein paar Jahre später verkaufte SIL aber auch den neuen Klub, der fortan Torpedo Metallurg und später FK Moskau hieß. Bald ging aber das Geld aus und der Klub löste sich 2010 auf.
Vier Jahre dauerte es dann noch, bis das ursprüngliche Torpedo in die erste Liga zurückkehrte - und gleich wieder abstieg. Aus finanziellen Gründen sogar bis in die Drittklassigkeit, in den Amateurfußball. Dort spielt Torpedo jetzt und zwar im Eduard-Streltsow-Stadion.
Meistertitel: 3 (1960, 1965, Herbst 1976)
Pokalsiege: 7 (1949, 1952, 1960, 1968, 1972, 1986, 1993)
Internationale Erfolge: /
Platzierung 2017/18: X. (dritte Liga)
Lokomotive Moskau - Die Dampflok im Schatten des Stadions
Als Lokomotive Moskau 2002 sein renoviertes und runderneuertes Stadion eröffnete, durchlebte der Verein die erfolgreichste Zeit seiner Geschichte. Zweimal innerhalb von nur drei Jahren holte Lokomotive die russische Meisterschaft und trat so erstmals merklich aus dem Schatten der großen Stadtrivalen hervor.
Im Schatten des Stadions stand derweil eine alte Dampflokomotive des Typs L-3516 und steht dort immer noch. Sie symbolisiert die Ursprünge und Hintergründe des Vereins: die sowjetische Staatsbahn. Als der Klub in den 1920er Jahren gegründet wurde, spielten dort die besten Fußballer der Bahn. Bald nahm der Klub auch den Namen Lokomotive an. Passend.
Für Aufsehen sorgte der Klub fortan aber lediglich im nationalen Pokal, den er neunmal gewann. Zweimal kämpfte sich Lokomotive in den 1990er Jahren sogar ins Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger. Dann folgten die zwei Meistertitel - und in der abgelaufenen Saison der dritte. Die Brust der Lokomotive-Trikots ziert mittlerweile das Kürzel RZD. Es ist die Abkürzung der russischen Staatsbahn.
gettyMeistertitel: 3 (2002, 2004, 2018)
Pokalsiege: 9 (1936, 1957, 1996, 1997, 2000, 2001, 2007, 2015, 2017)
Internationale Erfolge: /
Platzierung 2017/18: 1.
ZSKA Moskau - Und dann ließ Stalin den Klub eben auflösen
Bei den Olympischen Spielen 1952 verlor die Sowjetunion bereits im Achtelfinale und zwar gegen den sozialistischen Rivalen Jugoslawien. Das löste einerseits nationales Bestürzen aus und andererseits den stolzen Klub des Verteidigungsministeriums ZSKA Moskau auf. Der Klub hatte das Pech, das er den Großteil der eingesetzten Spieler stellte und sein Trainer Boris Arkadjew auch das Nationalteam betreute. Um die Schmach zu sühnen, ordnete Machthaber Josef Stalin die Auflösung an.
Es war das vorläufige Ende des ältesten der fünf großen Fußballklubs (Gründungsjahr 1911) und erfolgreichsten der Nachkriegszeit. Fünf von sieben Titeln gingen in den Jahren vor der Auflösung an ZSKA. Bald nach Stalins Tod 1953 wurde der Klub neu gegründet, aber das Erfolgsselbstverständnis war verloren. Zwei Meisterschaften und ebenso viele Abstiege erlebte ZSKA in über 50 Jahren, ehe die zweite große Ära anbrach.
Anfang des neuen Jahrhunderts debütierten Torwart Igor Akinfejew sowie die Verteidiger Sergei Ignaschewitsch und die Beresuzki-Brüder Wassili und Alexei. Ihr erstes gemeinsames Jahr endete mit dem UEFA-Cup-Sieg, dem ersten internationalen Titel eines Moskauer Vereins. Bald bildete das Quartett auch die Defensive des russischen Nationalteams.
In den nationalen Wettbewerben holte es mit ZSKA unterdessen Meisterschaften und Pokalsiege, wurde älter, und holten noch mehr Meisterschaften und Pokalsiege. Mittlerweile sind sie alle über 30, teilweise sogar näher an der 40 und spielen immer noch. Es ist das ewige Verteidigungsquartett des Armeeklubs.
gettyMeistertitel: 13 (1946, 1947, 1948, 1950, 1951, 1970, 1991, 2003, 2005, 2006, 2013, 2014, 2016)
Pokalsiege: 12 (1945, 1948, 1951, 1955, 1991, 2002, 2005, 2006, 2008, 2009, 2011, 2013)
Internationale Erfolge: Sieger des UEFA Cups 2005
Platzierung 2017/18: 2.