"Bebeto hatte in Dortmund unterschrieben"

Jochen Tittmar
17. Juli 201315:37
Zwei, die die Transfergeschehnisse der 90er Jahre prägten: Michael Meier (l.) und Uli Hoeneßimago
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Teil 2 der SPOX-Themenwoche "Transfers": Michael Meier ist seit über 30 Jahren im Fußballgeschäft tätig. Der ehemalige Manager von Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln spricht im Interview über verheizte Managerkollegen, den Wandel der Spielerverträge und gibt vier kuriose Beispiele, die belegen, wie facettenreich das Berufsbild des Managers ist.

SPOX: Herr Meier, seit Ihrem Ende als Manager des 1. FC Köln ist es ruhig um Sie geworden. Was machen Sie derzeit?

Michael Meier: Ich arbeite selbständig an einigen Projekten innerhalb und außerhalb des Fußballs. Ich bin unter anderem Partner einer Personalberatungsgesellschaft in Düsseldorf. Die Verbindungen in den Fußball sind natürlich weiterhin am meisten ausgeprägt, denn da bin ich ja nach wie vor zu Hause. Aber auch Personalberatung ist ein Thema, das ich durch das Zusammenstellen von Mannschaften gut kenne. Des Weiteren geht es um Finanzierung und Marketing, speziell für Fußballklubs und Verbände. Mein Schwerpunkt liegt im Moment vor allem im Ausland, wo ich sehr gut vernetzt bin.

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SPOX: Und die Koordination läuft vom heimischen Schreibtisch in Dortmund aus?

Meier: Ja, aber ich nutze natürlich alle modernen Kommunikationsmittel und reisefreudig bin ich auch nach wie vor. Ich bin sozusagen ein Ein-Mann-Betrieb, was für mich zunächst natürlich etwas gewöhnungsbedürftig war, da ich jahrelang ein Backoffice hatte, das mir Dinge wie Terminplanung, Organisation und Korrespondenz abgenommen hat. Aber es hat mir Spaß gemacht, mich in Programme wie Excel oder Power Point hineinzuarbeiten. Vor allem habe ich jetzt verstanden, wie umfangreich und zeitaufwändig die Arbeit meiner Assistentinnen war. Jetzt, wo ich auch das verstanden habe, gibt es mir das Selbstbewusstsein zu sagen, dass ich noch vieles lernen kann (lacht).

SPOX: Sie engagieren sich für die Erarbeitung eines Manager-Zertifikats, dem eine einjährige Ausbildung für die Tätigkeit als Fußballmanager zugrunde liegen soll. Können Sie diesen Ansatz genauer erklären?

Meier: Ich halte eine Grundausbildung zum Manager für ganz wichtig. Da kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. Als ich 1981 beim 1. FC Köln eingestiegen bin, war der Manager-Beruf längst nicht so angesehen und so gewertschätzt innerhalb der Hierarchie eines Vereins, wie das heute der Fall ist. Ich stand erst einmal im Schatten von Präsident Peter Weiand, dem damaligen sporttechnischen Leiter Hannes Löhr und Trainer Rinus Michels. Daher konnte ich mich im Hintergrund in aller Ruhe in diese Materie einarbeiten und trat öffentlich erst in Erscheinung, als alle anderen, wie das beim 1. FC Köln des Öfteren in seiner langen Geschichte passiert ist, den Verein bereits verlassen hatten oder verlassen mussten. Ganz wichtig ist ein Partner oder ein Regulativ auf Augenhöhe. Das hatte ich beispielsweise in Dortmund mit Dr. Gerd Niebaum, mit dem ich jeden Tag stundenlang über den Klub und die Arbeit an sich diskutieren konnte.

SPOX: Dieses Regulativ fehlt Ihnen heutzutage zu oft?

Meier: Ja. Es ist mir aufgefallen, dass dies bei manchen Managern unberücksichtigt bleibt. Man stellt sie ein, weil sie einen guten Namen haben und bereits nachgewiesen haben, dass sie über gewisse Kenntnisse verfügen. Aber man lässt sie dann alleine, ohne ein Regulativ an der Seite, das auch einmal Kontra gibt oder Diskussionen anstößt. Darunter leidet meiner Ansicht nach in einigen Fällen das Berufsbild des Managers. Dieses Coaching, das das Regulativ im Idealfall übernimmt, biete ich zusätzlich zu meiner Personalberatung an.

SPOX: Welches ist der größte Fehler, den man als Manager begehen kann, wenn man nicht viel Erfahrung oder Fachkompetenz besitzt?

Meier: Da gibt es einige. Das Schlimmste ist eigentlich, wenn jemand nicht zuhören kann oder die Meinung von anderen nicht schätzt, also eine gewisse Beratungsresistenz hat. Man darf sein Selbstbewusstsein, das man sich vielleicht noch aus dem aktiven Sport geholt hat, nicht fehlinterpretieren in die Richtung, man wüsste schon alles. Dazu würde ich auch eine Sorglosigkeit derjenigen nennen, die einen solchen Manager dann einstellen und ihn alleine lassen. Dadurch werden Manager verheizt, weil sie in einem Umfeld arbeiten müssen, in dem vieles vage ist und natürlich auch von einem glücklichen Händchen, aber auch von harter Arbeit abhängt.

SPOX: Liefen bei Ihnen Verhandlungen immer nach demselben Schema ab oder musste man sich auf jeden Fall anders einstellen?

Meier: Man darf nicht den Fehler begehen, nach 15 Jahren Berufserfahrung in Verhandlungen zu gehen und zu denken, man kennt schon alles oder hat schon alles gesehen. Nichts läuft nach dem gleichen Muster ab, jeder Verhandlungspartner ist kreativ in der Gestaltung seiner Verträge. Es gibt zwar Standardverträge, die aber immer wieder ganz individuell ausgestaltet werden müssen.

SPOX: Waren das Gehalt und die Punktprämien immer die schwierigsten Komponenten oder war man sich da oft schneller einig als in vermeintlich kleineren Details?

Meier: Es gab immer Dinge, die neu zu bearbeiten waren. Gerade die Individualverträge, also die Vermarktung des Spielers, erschienen mir oft als kontraproduktiv. Da gab es oft Reibungen und unterschiedliche Interessen. Ich dachte, es müsse bei einem Mannschaftssport doch das Recht des Vereins sein, das Team individuell vermarkten zu dürfen. Ich habe kürzlich mit Günter Netzer gesprochen. Er hat mir gesagt, dass er zu seiner Gladbacher Zeit eine Nebentätigkeit betreiben musste, um auf dasselbe Gehalt zu kommen wie ein Overath oder Beckenbauer. Daher hatte er sich beschwert, dass er als Fußballer seine ganze Kraft dem Verein zur Verfügung stellt und aber dennoch keine Diskothek eröffnen darf.

SPOX: War Netzer also ein Vorreiter in dieser Beziehung?

Meier: Das war er in vielen Dingen sicherlich. Er war und ist ja auch heute ein kreativer Kopf und Vordenker. Aber es war Toni Schumacher, der damals mit Werbeverträgen anfing. Da handelte es sich aber noch um geringe Beträge. Das erste große Geld wurde dann später von den Ausstattern bezahlt. In Dortmund starteten die Nationalspieler dann gewissermaßen den Großangriff auf "adidas", indem sie Verträge mit "Nike" abschlossen. Das waren alles neue Abläufe. Mit der Zeit haben wir als Verein ein Mittel gefunden, um darauf zu reagieren: Wir haben die Nebentätigkeiten als genehmigungspflichtig angesehen und uns erlaubt, uns einen Teil des Kuchens in Form einer Erlösbeteiligung abzuschneiden.

SPOX: Was war früher bei Vertragsverhandlungen üblich, was heute längst unvorstellbar ist?

Meier: Früher fanden noch die berühmten Treffen auf den Autobahnen statt. Insofern sind die Spielerberater und die bequeme Möglichkeit, sie zu kontaktieren, heutzutage ein Segen. Früher bedurfte es schon einer logistischen Leistung, mit einem Spieler Kontakt aufzunehmen, wenn er noch unter Vertrag stand und musste auch bei auslaufenden Verträgen Ablösesummen bezahlen. Deshalb traf man sich geheim an irgendwelchen Orten, die eher ungastlich waren, um nicht entdeckt zu werden. Zuvor bestand die Kunst darin, an die entsprechenden Telefonnummern zu kommen.

Seite 2: Meier über heutige Transfers, kuriose Losverfahren & sein schwierigstes Ding

SPOX: Und worin unterscheiden sich Verträge, die in den 1990er Jahren unterzeichnet wurden, von denen, die nun die Profis unterschreiben?

Meier: Die Art der Bezahlung hat sich geändert. Früher gab es fast keine Garantieverträge. Die deutschen Nationalspieler, die Anfang der 90er in Italien gespielt haben, kamen plötzlich mit dieser "Unart" nach Deutschland, garantierte Nettobeträge zu bekommen. Damals galt allerdings noch das Prinzip, nur nach Leistung zu bezahlen: Grundgehalt, eine gestaffelte Jahresleistungsprämie sowie eine Punktprämie. Irgendwann sind die Verträge in Form von Punkteinsatzprämien umgeändert worden. Heißt: Wenn der Spieler eingesetzt wird und der Verein einen oder drei Punkte holt, dann bekommt er pro Punkt eine Prämie. Er wurde also nicht nur für den bloßen Einsatz bezahlt, sondern erst dann, wenn er eingesetzt wurde und man das Spiel auch nicht verlor. Die garantierten Nettobeträge, die auch in Spanien verbreitet waren, sind aufgrund der Steuerharmonisierung in der EU heute für die Klubs sehr gefährlich. Paris Saint-Germain macht gerade leidvolle Erfahrungen mit der Erhöhung des individuellen Steuersatzes für Besserverdienende.

SPOX: Worüber haben Sie sich in Verhandlungen am meisten geärgert?

Meier: Vor 30 Jahren habe ich mich über die Meinungsfreiheit der Berater gewundert, wenn es darum ging, Spieler zu beurteilen. Ich fand, dass diese Expertise doch eher Trainern oder Scouts zugeordnet werden sollte. Damit einher ging die Frage, ob es rechtens ist, unlizenzierten Beratern für die Vermittlung eines Spielers eine Provision zu zahlen.

SPOX: Was heute gang und gäbe ist...

Meier: Natürlich. Durch das Knowhow, das die Spielerberater für ihre Klientel einbringen, lernt man auch als Manager immer wieder neue Spielarten kennen. Ein Berater will bei den Verhandlungen ja dann auch nicht nur den Transfer bewerkstelligen, sondern auch gleichzeitig die Möglichkeit weiterer Wechsel einläuten - beispielsweise durch eine festgeschriebene Ablösesumme. Anfangs versuchte ich das abzulehnen, da ich der Meinung war, damit auch sofort die Kündigung zu unterschreiben. Nur in wenigen Ausnahmefällen habe ich es später akzeptiert.

SPOX: Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, dass vor allem ausländische Berater nicht immer ganz koscher sind. Provokativ gefragt: Haben Sie schon einmal mit einem Ganoven verhandelt?

Meier: Ich habe in der langen Zeit sicherlich mit dem einen oder anderen etwas zwielichtigen Berater, in wenigen Fällen auch mit Beraterinnen, verhandeln müssen. Mir fällt aber vor allem eine Geschichte aus der Bundesliga ein: In den Anfängen des Beraterdaseins wurde schon einmal ein Spieler verlost.

SPOX: Inwiefern?

Meier: Das war zu Zeiten, als Günter Netzer noch für den HSV und Helmut Grashoff in Gladbach tätig waren, Wolfgang Holzhäuser agierte noch als Ligasekretär. Es gab damals in Frankfurt oft Managermeetings. Einmal hat dann ein Berater einen Spieler des MSV Duisburg - die beiden Namen erwähne ich aber nicht - angeboten. Doch der Berater kannte noch nicht einmal den genauen Namen des Spielers, hatte ihn aber dennoch bereits mehreren Vereinen vorgeschlagen. Irgendeiner unter uns Managern hatte dann die Idee, dem Berater ein Schnippchen zu schlagen und den Spieler zu verlosen. Unter der Prämisse: Wer den Spieler zieht, muss ihn auch nehmen - allerdings ohne Provision.

SPOX: Und wer hat die Verlosung "gewonnen"?

Meier: Der Spieler hätte eigentlich zum VfB Stuttgart gehen müssen. Das ist aber nie realisiert worden, weil er sich kurz zuvor einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Es gab innerhalb der Liga auch einmal ein Frühstückskartell, das beschlossen hatte, mit bestimmten Beratern nicht mehr zu verhandeln - unter anderem mit dem berüchtigten Holger Klemme. Das war sozusagen ein Gentlemen's Agreement unter uns Managern. Durch unsere gegenseitige Solidarität haben wir solche Typen aus dem Bundesliga-Geschäftsbereich raushalten können.

SPOX: Wie stressig war denn immer der 31. August, der letzte Tag der Sommer-Transferperiode?

Meier: Im Normalfall ist das natürlich ein sehr arbeitsreicher Tag, ganz egal, ob man kauft oder verkauft. Es gab aber auch Jahre, in denen man frühzeitig seinen Kader zusammen hatte. Es gab aber immer mal wieder Situationen wie Verletzungen, Formkrisen oder plötzlich wechselwillige Spieler, die die eigene Planung torpediert haben. Jörg Heinrich hat uns in Dortmund damals kurz vor Toresschluss erklärt, dass er unbedingt nach Florenz möchte. Für ihn haben wir zwar 25 Millionen Mark erzielt, aber das musste man natürlich kompensieren und hat den 31.8. nochmal interessanter gemacht als geplant.

SPOX: Welcher war der schwierigste Transfer, den Sie zu bewerkstelligen hatten?

Meier: Jorginhos Wechsel von Flamengo nach Leverkusen. Jorginho hatte eine festgeschriebene Ablösesumme in seinem Vertrag, die mit einer künstlichen Währung versehen war. Das war eine Parallelwährung zur existierenden Nationalwährung Brasiliens. Damit wollte man die Inflationsrate, die damals in diesem Land herrschte, interpolieren. Niemand konnte aber genau sagen, wie hoch die umgerechnete Ablösesumme in der Nationalwährung ist, zumal sich die Parallelwährung auch noch veränderte während der Vertragslaufzeit. Das Ziel Flamengos in diesem Wirrwarr war letztlich, den Transfer damit zu verhindern. Nach zwei Wochen der Verhandlungen in Brasilien und zahlreichen unmoralischen Angeboten von Präsidiumsmitgliedern und Spielerberatern konnte ich ihn am Ende für zwei Millionen Dollar - inklusive Gehalt für drei Jahre - nach Deutschland lotsen. Meine Hartnäckigkeit und die Sturheit hatten sich ausgezahlt (lacht). Das ist übrigens eine Qualität, die uns Westfalen auszeichnet. Hier zum Wohle von Bayer Leverkusen.

SPOX: Gibt es sonstige kuriose Dinge, die einem als Manager den Alltag erschweren?

Meier: Klar. Vier Beispiele: Bebeto hatte in Dortmund unterschrieben und ist dann zu La Coruna gegangen, weil ihn der Präsident vor Ort in Brasilien nochmal bearbeitet hatte. Wir haben damals zwar die FIFA eingeschaltet und auch eine Entschädigung, aber nicht den Spieler bekommen. Gordon Strachan von Aberdeen hatte in den 1980er Jahren in Köln unterschrieben, wechselte aber zu Manchester United. Gladbachs Heiko Herrlich hatte eine mündliche Zusage von Rolf Rüssmann, dass er zu einem bestimmten Preis wechseln durfte. Letztlich haben wir beim BVB für ihn eine höhere Ablöseentschädigung gezahlt als vereinbart. Mit Marek Lesniak , der sich in Zeiten des planwirtschaftlich geprägten Ostblocks in Dänemark von seinem Klub Richtung Leverkusen abgesetzt hatte, bin ich als "lebende Geisel" gemeinsam nach Polen zurückgereist, um den Eindruck zu erwecken, dass er nicht geflohen war, sondern sich lediglich zu einer medizinischen Untersuchung in Leverkusen aufgehalten hatte. Er hat in Polen unter meiner Begleitung noch drei Meisterschaftsspiele absolviert, während ich über die Modalitäten eines legalen Wechsels nach Leverkusen verhandelte. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Möchten Sie solche Momente noch einmal erleben oder haben Sie mit einer Rückkehr als Manager ins aktive Geschäft abgeschlossen?

Meier: Abgeschlossen habe ich gar nichts, aber ich spekuliere auch nicht. Es ist auch nicht ganz einfach, überhaupt noch ein Angebot zu finden, das für mich von Interesse sein könnte. Ich war ja nicht bei irgendwelchen namenlosen Vereinen angestellt. Es ist einerseits ein faszinierendes Geschäft, das mir immer sehr viel Freude bereitet hat. In der Rückschau bin ich dankbar, dabei gewesen zu sein. Deshalb schließe ich auch nichts aus. Ich muss aber nicht um jeden Preis wieder anfangen.

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