1. Akt: Zurück in die Herzen
Tosender Applaus. Uli Hoeneß erhebt sich von seinem Platz in der ersten Reihe und marschiert entschieden, aber weder hektisch noch lässig auf die Bühne. Entschieden eben. Und gut vorbereitet. Als er am Pult steht, verebbt der Lärm im Münchner Audi Dome. Es ist der Moment des Abends. Für den FC Bayern sogar mindestens der des Jahres.
"Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitglieder. Vor gut zweieinhalb Jahren war ich auch hier gestanden. Und da habe ich nicht gewusst, was aus mir wird. Dass ich heute hier stehen kann, habe ich verschiedenen Faktoren zu verdanken: meinen Freunden und meinen zwei Familien. Die eine Familie ist meine private Familie. Meine Frau, die gekämpft hat wie eine Löwin." Applaus. "Meine Kinder, mein Schwiegersohn, meine Schwiegertochter und meine vier Enkel. Und dann die Familie des FC Bayern."
Zum Nachlesen: Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern
Hoeneß holt Luft und legt eine kurze Pause ein.
"Als ich damals zu der Jahreshauptversammlung kam, in der Karl Hopfner zum Präsidenten gewählt wurde, habe ich mich lange gefragt, ob ich eigentlich dahin gehöre - was ich eigentlich da soll. Ich war zurückgetreten, wegen meiner Steuersache. Und dann habe ich mich kurzfristig doch entschlossen, hier reinzukommen. Als ich hier reinkam und diese Ovationen, diese Unterstützung gespürt habe, dann habe ich genau diesen Satz gesagt: 'Das war's noch nicht.' Weil ich so überwältigt war von der Zuneigung, von der Liebe, der Freundschaft, die ich hier erleben durfte. Und das hat mich in der ganzen Zeit, die ich in der Haft war, immer wieder angetrieben: Zu diesen Leuten zurückzukommen."
Die Kraft der FCB-Familie
Demut und Dankbarkeit prägen seine Worte. Dankbarkeit, die auf Gegenseitigkeit beruht. Denn die Mitglieder des FC Bayern, unter denen, wie sich später herausstellt, nur wenige Hoeneß-Kritiker weilen, fühlen sich durch die Worte des womöglich prägendsten Mannes der Vereinshistorie mit ihm verbunden. Hoeneß ist emotional in seine Rede eingestiegen. Innerhalb von gut 90 Sekunden hat er wieder eine persönliche Bindung zu (fast) jedem im Saal aufgebaut.
"Ich habe in der Zeit in Landsberg 5.500 Briefe bekommen. Auch viele aus dem Bereich der Fans des FC Bayern. Und immer dann, wenn ich gar nicht mehr weiter wusste - meistens am Sonntag, denn am Wochenende ist man bis zu 40 Stunden eingeschlossen -, dann habe ich diese Briefe gelesen. Und ich habe manchmal in meinem Bett gesessen und geweint wie ein Schlosshund. Weil ich nicht verstehen konnte, dass Menschen, die mich zum großen Teil nicht gekannt haben, mir seitenlange, handgeschriebene Briefe senden, um mich aufzumuntern und mir die Kraft zu geben, es wieder zu packen. Und ich glaube, das hat in erster Linie dazu beigetragen, dass ich diese schwierige Zeit so gut überstanden habe."
Hoeneß berührt. Er tut einem leid und gleichzeitig macht ihn das bei seiner Ansprache so extrem menschlich. Dass er jedem einzelnen Fan genug Kraft zugesteht, um ihm, der Lichtgestalt des Vereins, wieder Hoffnung zu schenken, stärkt unter den Mitgliedern das Gefühl der Gemeinschaft. Das Gefühl der Familie.
Ein Appell ans Mitgefühl
"Ich habe einen großen Fehler gemacht - gar keine Frage. Ich respektiere jeden hier im Saal, der mir heute seine Stimme wegen dieses Fehlverhaltens nicht gibt. Ich bin Demokrat. Aber ich habe alles getan, um diesen Riesenfehler wiedergutzumachen." Vorsichtiger Applaus - dann ein Jubelsturm. "Ich habe meine Steuerschulden - inklusive Zins und Zinseszinsen und der Kirchensteuer - bis auf den letzten Cent bezahlt."
Hoeneß zeigt sich einsichtig. Doch er beteuert auch, seine Schuld beglichen zu haben. Es gibt keinen Grund mehr, mit Vergangenem zu hadern. Das vertieft er direkt im Anschluss.
"Ich habe mich im Gefängnis verhalten wie ein Häftling, der es nicht besser machen kann. Und die Beurteilung durch die Chefin der Anstalt in Landsberg hat mit dazu beigetragen, dass ich eine Halbstrafe bekommen habe. Was in Bayern nicht selbstverständlich ist: Die Maßstäbe an die Halbstrafe sind extrem hoch und man muss alles, alles hundertprozentig erfüllen, um eine Chance zu haben, diese Halbstrafe zu erreichen. Und ich habe es geschafft. Jetzt bin ich hier." Anerkennender Applaus.
Hoeneß weiß um den Rückhalt, den er im gesamten Verein genießt. Und er will dem Fan zeigen: Deine Anerkennung ist berechtigt. Ich habe mich seit dem Eingestehen meiner falschen Taten stets korrekt verhalten. Er ist kein schlechter Mensch, das ist die Botschaft. Ein Appell ans Mitgefühl.
Familie ist größer als Familie
"Ich bin glücklich, dass der Verwaltungsrat einstimmig darüber abgestimmt hat, mich als Präsidenten für diesen großartigen Verein zu nominieren. Ich bitte Sie um eine zweite Chance. Und ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, um Ihre Erwartungen zu erfüllen. Ich bin nicht einer, der auf die Uhr schaut, wenn er zum Arbeiten geht. Ich habe immer in meinem Leben die Arbeit, die angefallen ist, bis zum Ende durchgezogen. Und wenn das manchmal sieben Tage sein werden, dann werde ich eben sieben Tage in der Woche arbeiten. Dafür wird und muss meine Frau Verständnis haben."
Susi Hoeneß stand immer hinter der Arbeit ihres Mannes. Ausnahmslos. Nur deshalb ist es ihm möglich, an dieser Stelle die Familie FC Bayern verbal sogar über seine private Familie zu stellen. Doch das muss sein. Er verpflichtet sich in höchstem Maße dem Verein - und auch jedem einzelnen Fan.
"Ich möchte ein Bindeglied sein. Zwischen Mitgliedern, denen der Verein in erster Linie gehört - 75 Prozent des Vereins gehört Ihnen -, und dem Verein. Ich möchte ein Bindeglied zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstand sein. Ich möchte ein Bindeglied zwischen dem Verwaltungsbeirat und dem Präsidium sein. Ich möchte ein Kümmerer, ein Ratgeber für alle Mitarbeiter in diesem Klub sein. Für die Spieler und Trainer, von Basketball und Fußball, da sein, wenn sie mich brauchen und Rat suchen."
Immerwährende Verbundenheit
"Ich denke, dass man am Ende dieser Zeit oft nachdenklich wird. Diese Kraft, die hat mir dieser Verein zurückgegeben. Ich bedanke mich auch bei Karl-Heinz Rummenigge, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat, in meiner Freigänger-Zeit beim FC Bayern zu arbeiten - in der Jugendabteilung. Das hat mir den Blick auf viele Dinge geöffnet, die ich in der Zukunft gut gebrauchen kann."
Während der gesamten Rede hat sich Hoeneß' Position nicht verändert. Er gestikuliert nicht wild umher, sondern hat das Rednerpult fest im Griff. Seine Miene unverändert. Er nutzt noch einmal die Möglichkeit, seine immerwährende Verbundenheit zum Klub darzulegen - mit der indirekten Ankündigung, wieder mehr Eigengewächse hervorzubringen. Back to the roots - das wollen die Fans. Doch er wird auch das große Ganze nicht aus den Augen verlieren:
"Aber ich werde mich auch darum kümmern, dass der FC Bayern seiner ungeheuren sozialen Verantwortung wie bisher gerecht wird. Das ist mir ein wichtiges Anliegen. Denn Fußball ist das Eine, Gesellschaft ist das Andere. Und der FC Bayern München ist ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft und hat da wichtige Aufgaben." Verhaltener Beifall verbreitet sich langsam über die gesamte Halle.
Zurück in den Herzen
"Die Fähigkeit, in einer klaren Sprache und Aussprache Probleme anzusprechen, ist nicht verloren gegangen. Sie schläft nicht, sie ruht. Und sie kann bei Bedarf jederzeit zurückkommen." Tobender Applaus und Gelächter, viele "Uli"-Rufe.
Das Aufblitzen von großem Selbstbewusstsein, die Demonstration von Stärke und Rückendeckung für seinen Klub ist an dieser Stelle besonders wichtig. Es gibt den Mitgliedern das Gefühl einer zurückgewonnenen Kraft - ein zusätzlicher Auftrieb zum richtigen Zeitpunkt. Das Momentum ist zurück aufseiten des FC Bayern.
"Ich möchte Sie nun bitten, mir Ihr Vertrauen zu geben und mir bei der Wahl zum Präsidenten dieses großartigen Klubs Ihre Stimme zu geben. Vielen Dank."
Uli Hoeneß ist zurück in den Herzen.