Deutschlands WM-Gegner Serbien gilt als unbequem, aber machbar. Tatsächlich? Ex-Bundesliga-Profi Slobodan Komljenovic, Teilnehmer an der WM 1998 und EM 2000 für das damalige Jugoslawien, erklärt das "System Antic".
SPOX: Es ist eine kuriose Situation: Während beim sonst so soliden DFB wegen Joachim Löws Vertragssituation Unruhe herrscht, ist der für Chaos bekannte serbische Verband ein Muster an Kontinuität und band Nationaltrainer Radomir Antic bis mindestens 2011 an sich. Ein Vorteil bei der WM?
Slobodan Komljenovic: Bei einer WM dürfte so etwas eigentlich kein Thema sein. Dennoch glaube ich, dass die serbische Mannschaft von der Ruhe profitiert, während sich die deutschen Spieler womöglich ablenken lassen. Ein Fußballer weiß genau, ob ein Trainer Rückhalt bei seinen Vorgesetzten hat oder nicht. Wenn nicht, besteht die Gefahr, dass Anweisungen nicht hundertprozentig angenommen werden. Da sind Fußballer sehr feinfühlig.
SPOX: Wird Serbien dennoch unterschätzt? In Deutschland wird die Mannschaft von den meisten als unbequemer, aber machbarer Gegner eingestuft.
Komljenovic: Es kann gut sein, dass nicht jeder mitbekommen hat, wie stark Serbien tatsächlich ist. In der Defensive wird die Mannschaft zu den stärksten bei der WM gehören. Nicht umsonst hat Serbien Frankreich in der WM-Quali hinter sich gelassen.
SPOX: Aber reicht eine gute Abwehr aus?
Komljenovic: Defensivstark heißt ja nicht zwangsläufig, dass die Mannschaft nicht gut nach vorne spielen kann. In der Qualifikation war auffällig, wie weit sich die Vierer-Abwehrkette nach vorne verschoben hat, um früh Druck auf den Gegner auszuüben. Dadurch stand die komplette Mannschaft sehr hoch - was genau der offensiven Philosophie von Antic entspricht. Dass dennoch die Defensive überragend stand, zeigt, wie kompakt die Mannschaft auftritt. So was funktioniert nur, wenn jeder Spieler exakt weiß, wie er sich taktisch zu verhalten hat und sich diszipliert daran hält.
SPOX: Klingt, als ob sich Serbiens Fußball-Mentalität gewandelt hat.
Komljenovic: Der serbische Fußball ist bekannt dafür, technisch und taktisch perfekt ausgebildete Spieler hervorzubringen. Dem serbischen Fußball hängt aber auch zu Recht der Ruf nach, zu Undiszipliniertheiten zu tendieren. Dass zeigt sich beispielsweise bei der Effektivität vor dem Tor, wo häufig lieber noch mal getrickst wird, statt den klaren Abschluss zu suchen. Und die serbische Mentalität bringt es eben auch mit sich, dass die Spieler schnell aufbrausend sind. Genau hier hat Antic angesetzt und die Undiszipliniertheiten in den Griff gekriegt. Das ist eine seiner größten Leistungen.
SPOX: Was auffällt: Serbien verfügt mit Milan Jovanovic, Marko Pantelic oder Nemanja Vidic über starke Fußball-Persönlichkeiten, dennoch gibt es keine Zwistigkeiten.
Komljenovic: Genau das meine ich. Jeder Star hat seine Macken, und ein großer Trainer zeichnet sich dadurch aus, diese Macken so umzuwandeln, dass sie positiv für die Mannschaft sind. Diese Kunst beherrscht Antic, ähnlich wie Ottmar Hitzfeld, perfekt.
SPOX: Ist das auch der Grund dafür, dass Antic' Vorgänger Miroslav Djukic und Javier Clemente wesentlich erfolgloser waren und gehen mussten?
Komljenovic: Antic ist der Schlüssel für den Erfolg. Die Spieler haben vor einem Trainer, der im Ausland bei Atletico Madrid, FC Barcelona und Real Madrid sehr erfolgreich gearbeitet hat, viel mehr Respekt. Mit Djukic habe ich zusammen noch in der Nationalmannschaft gespielt und ich weiß, dass er ein harter Arbeiter ist. Aber ein guter Spieler wird nicht sofort zu einem guten Trainer. Und Clemente verfügt zwar über einen großen Namen, aber er konnte sich offenbar nicht an die serbische Mentalität anpassen.
SPOX: Antic war vor der Saison sogar beim FC Bayern im Gespräch, bevor sich der Verein für Louis van Gaal entschied. Wäre Antic dennoch einer für die Bayern gewesen?
Komljenovic: Auf jeden Fall. Er hat Erfahrung mit Topteams und kann mit Superstars umgehen. Das hat er häufig genug bewiesen. Und auch sprachlich ist er so begabt, dass es sicherlich keine Probleme gegeben hätte.
SPOX: Bei den Bayern ist Milos Krasic als möglicher Ribery-Nachfolger im Gespräch. Als mögliche Ablöse wurden 20 Millionen Euro genannt. Ist das nicht zu viel für einen Spieler, der noch nie in einer großen Liga gespielt hat?
Komljenovic: 20 Millionen Euro sind eine Hausnummer. Dennoch würde ich an Münchens Stelle nicht lange überlegen und sofort zugreifen. Krasic hilft der Mannschaft sofort weiter und wäre eine absolute Verstärkung.
SPOX: In der Bundesliga stehen bereits einige serbische Nationalspieler unter Vertrag. Unter anderem Gojko Kacar, dem jedoch Probleme mit Herthas Trainer Friedhelm Funkel nachgesagt werden. Muss er im Sommer wechseln?
Komljenovic: Ich habe selbst in Duisburg zwei Jahre unter Funkel trainiert und hatte am Anfang meine Schwierigkeiten mit ihm. Was ich damals gelernt habe: Wenn man mit Funkel sachlich redet und die Dinge aufnimmt, die er verlangt, können Probleme sehr schnell gelöst werden. Jetzt brauchen beide ein klärendes Gespräch, damit sich alle voll auf Hertha konzentrieren können. Denn nach der WM ist noch genug Zeit, um über einen Wechsel nachzudenken, zumal Gojkos Marktwert sicherlich nicht sinkt. Er gehört weltweit zu den größten Talenten im defensiven Mittelfeld.
SPOX: Ähnlich umworben ist Dortmunds Neven Subotic.
Komljenovic: Eine gute WM vorausgesetzt, könnte Subotic wohl bei fast jedem Klub spielen. Und dass sich ein solch begabter Spieler Gedanken macht, ist normal. Aber er scheint sich in Dortmund sehr wohl zu fühlen. Es wurde eine sehr junge Mannschaft aufgebaut, die jedes Jahr besser wird. Vielleicht will Neven als Teil der neuen Generation eine Ära prägen.
SPOX: Auch in Serbien gehört Subotic zu einer neuen Generation. Krasic, Sulejmani, Kacar, Kuzmanovic, Kolarov, Tosic oder eben Subotic sind allesamt 25 Jahre oder jünger. Könnte in Serbien womöglich eine Fußball-Großmacht entstehen?
Komljenovic: Bei der WM 1998 und EM 2000 standen gestandene Stars wie Predrag Mijatovic, Sinisa Mihajlovic, Dejan Savicevic, Dejan Stankovic, Mateja Kezman oder Dragan Stojkovic in der Nationalelf, daher war die Mannschaft damals sicherlich einen Schritt voraus. Immerhin spielten die meisten bei Weltvereinen und gewannen große Titel. Von damals ist nur noch Stankovic übrig. Die aktuelle Mannschaft hat jedoch genug Potenzial, um in der Zukunft vielleicht noch erfolgreicher zu sein. Es wächst eine neue goldene Generation heran.
Alle Termine und der Kader: Serbien im Steckbrief