Seit der WM 1994 wird in den USA regelmäßig der große Durchbruch des beliebtesten Sports der Welt vorhergesagt: Soccer werde die etablierten Größen wie American Football, Basketball oder Baseball auf lange Sicht einholen, tönen die Fans. Die Chancen stehen gut: Fernsehen, Internet und Social Media bringen Champions-League-Fußball in Wohnzimmer von Boston bis Los Angeles, die Premier League ist aufgrund der fehlenden Sprachbarriere schon fast adoptiert. Lionel Messi findet sich in Popularitätslisten neben LeBron James und Peyton Manning wieder.
Andererseits erklärten in einer Umfrage im Januar 2014 nur zwei Prozent der Amerikaner den "Soccer" zu ihrem Lieblingssport. Damit liegt man hinter College Basketball, Motorsport und Golf. Und die MLS dümpelt seit 18 Jahren, von einigen Hochburgen wie Seattle und Portland abgesehen, weitgehend ungesehen vor sich hin.
Wie ist es also um die Zukunft des Fußballs in den USA bestellt? Was macht die MLS aus? Und welche Hoffnungen hegt der amerikanische Fan für die WM in Brasilien? SPOX hat vor dem Turnier mit Vertretern von drei MLS-Fanklubs gesprochen: Die "Emerald City Supporters" schwenken ihre Fahnen für die Seattle Sounders, die "Sons of Ben" findet man auf den Rängen der Philadelphia Union, und die "Viking Army" hält es mit den New York Red Bulls.
Was ist das Besondere an eurem Klub? Was macht ihn so einzigartig?
Tim (Sons of Ben): Das Besondere an der Union ist die enge Beziehung zwischen Team und Fans. Die stammt aus unserer Leidenschaft für den Sport: Es wurden Unterstützergruppen gegründet, die schließlich ein MLS-Team nach Philadelphia gebracht haben. Das setzt sich bis heute in vielen gemeinsamen Aktionen fort. Zudem sitzen wir im "PPL Park" sehr nahe am Spielfeldrand.
Aaron (Emerald City Supporters): Der Seattle Sounders FC ist einer der beliebtesten Klubs der MLS. Unser Zuschauerschnitt lag 2013 bei über 40.000, der zweithöchste Schnitt dagegen bei lediglich 22.000. Das ist im Vergleich zu Dortmund oder Bayern natürlich keine beeindruckende Zahl, aber für Fußball in den USA eine Ausnahme. Darauf sind wir sehr stolz. Von 2009 bis 2011 haben wir dreimal in Serie die "US Open Cup"-Trophäe gewonnen, in der Liga waren wir seit unserem Beitritt zur MLS immer wettbewerbsfähig. Unser Fanklub ist einer der größten und einflussreichsten in Nordamerika.
Jeffry (Viking Army): Wir sind eine bunt gemischte Truppe, sei es beruflich, finanziell oder kulturell. Da ist alles dabei, vom Flugzeugmechaniker und Koch bis zum Doktor oder Anwalt, vom Schüler bis zum Rentner. Die Liebe zum Klub und zum Sport vereint uns. Wir nehmen unsere Hingabe zum Team sehr ernst - aber uns selbst nicht.
Wie hat sich die MLS und der Sport an sich im letzten Jahrzehnt entwickelt? Hat man in Euren Augen zu den großen Ligen aufgeschlossen?
Tim (Sons of Ben): Die MLS ist enorm gewachsen, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Sie steht noch nicht auf einer Stufe mit den größeren Ligen, klar, und das wird auch nicht passieren, so lange wir den Spielern nicht mehr Geld bieten können und sich Fußball in der amerikanischen Sportszene nicht noch stärker etabliert. In meinen Augen ist beides möglich, es gibt allerdings auch andere Schwierigkeiten - etwa die große Distanz zwischen den einzelnen Städten. Ich würde sagen, die Zukunft der Liga sieht rosig aus - und auch die des Fußballs im Allgemeinen.
Aaron (Emerald City Supporters): Fußball hat sich sehr stark weiterentwickelt. Sowohl auf als auch abseits des Platzes. In den Anfangszeiten der Liga wurden einige komische Regeln eingeführt, um für den "typischen" amerikanischen Sportfan attraktiv zu werden, und das hat der Glaubwürdigkeit der Liga in den Augen der Weltöffentlichkeit wohl nicht gerade geholfen. Aber wenn man genauer hinschaut, findet man eine Menge gute Spieler und derzeit ein ziemlich hohes Niveau. Mit der Premier League, der Primera Division oder der Bundesliga können wir uns in Sachen Qualität oder Kadertiefe aber noch nicht messen. Die Liga hat immer noch ein Salary Cap, was bedeutet, dass wir finanziell mit den großen Ligen und den Topteams nicht mithalten können. Das Ziel ist es daher, junge Spieler zu holen und sie so lange wie möglich zu halten. Fredy Montero etwa wurde von Seattle aus Kolumbien verpflichtet, da war er 21. 2009 und 2010 hat er in der Liga 22 Tore und 17 Vorlagen verzeichnet. 2013 wurde er dann zu Sporting CP nach Portugal verkauft und traf dort in 16 Partien gleich 13 Mal. Sobald wir Spieler halten und gleichzeitig andere auf dem Höhepunkt ihrer Karriere verpflichten können, dann können wir uns mit den großen europäischen Ligen vergleichen.
Jeffry (Viking Army): Wir wissen, dass wir mit der Bundesliga oder der Premier League nicht mithalten können. Aber seit der Gründung 1996 hat sich die MLS stark verbessert. Die Statuten der Liga sorgen für einen ausgewogenen Wettbewerb: Es gibt keine Superklubs, aber jedes Jahr haben acht bis zehn Teams eine realistische Chance auf den Titel - davon kann so manch größere Liga nur träumen. An das Niveau der großen Ligen kommen wir nicht ran, aber früher oder später wollen wir daran anknüpfen. Bis dahin schauen sich viele unserer Mitglieder auch die anderen Ligen an, denn die Spielzeiten überschneiden sich ja kaum. Wir haben also immer genug Fußball.
Wie viel Prozent amerikanischer Fußballfans sind eurer Meinung nach MLS-Fans? Heutzutage hat man ja mit TV und Internet viele Möglichkeiten.
Tim (Sons of Ben): Ich habe noch nie versucht, das zu beziffern, also lass es mich so ausdrücken: Wenn man jemanden auf der Straße in einem Trikot sieht, dann ist es fast immer ein europäisches Team. Es gibt auch viele Union-Aufkleber auf Autos und andere Fanartikel, aber Trikots eher weniger. Die Beziehung der Fans zu Teams aus anderen Ligen hat sich allerdings auch länger entwickeln können - also vielleicht ändert sich das bald.
Aaron (Emerald City Supporters): Die Quote steigt auf jeden Fall an. Ich schätze es sind heute etwa 50 bis 60 Prozent. Das ist mehr als früher, und ich denke, dass sie weiter steigen wird, weil mehr und mehr Fans realisieren, dass es auch hier guten Fußball gibt. Die WM wird dem ganzen einen Schub geben, weil klar wird: Hey, es gibt ja auch gute MLS-Spieler in den Nationalteams. Das allein könnte der MLS den einen oder anderen neuen Fan einbringen.
Wie viele MLS-Fans halten sich einen europäischen Verein als "Geliebte"? Trefft ihr euch regelmäßig und schaut euch die Champions League oder die Premier League an?
Tim (Sons of Ben): Absolut. Hin und wieder lerne ich jemanden kennen, der das nicht macht, aber ich zum Beispiel war ein Fan vom FC Reading, bevor die Union gegründet wurden. Zu meinen Freunden gehören Anhänger von Sunderland, Wimbledon, Everton, Aston Villa, Ajax und den Boca Juniors, und dann natürlich die üblichen Arsenal/Liverpool/Chelsea/ManUnited-Grüppchen. Sie sind jetzt nur noch unser "Zweitteam", aber sie liegen uns immer noch am Herzen und wir bleiben so nah wie möglich dran.
Aaron (Emerald City Supporters): Da gibt es eine ganze Menge Fans, die es so halten. Unsere Saison läuft ja über den Sommer, und Fan von einem "Winter-Team" zu sein ist für uns eine willkommene Ausrede dafür, das ganze Jahr über Fußball zu gucken. Bei den größeren Klubs (Manchester United, Chelsea, etc.) gibt es Gruppen, die sich regelmäßig zu den Spielen treffen, außerdem sehen wir uns so ziemlich alle Spiele der Champions League an, weil die Qualität einfach so hoch ist.
Jeffry (Viking Army): Viele von uns haben ihre "Geliebte". Da wir im Sommer spielen, passt das ja ganz gut. Gerade in New York spürt man, dass wir ein Land von Einwanderern sind, eine Verbindung zum Heimatland unserer Vorfahren ist da nicht ungewöhnlich. Es gibt eine Menge Barca-, Bayern- und ManUnited-Fans. Aber es gibt auch einige, die nur Fans der New York Red Bulls sind, und das ist ja auch vollkommen in Ordnung.
Was ist das größte Missverständnis in Bezug auf die (Fans der) MLS?
Tim (Sons of Ben): Es mag früher so gewesen sein, dass die MLS eine Rentnerliga für berühmte Fußballer war, aber das ist nicht mehr der Fall. Wie schon gesagt: Es gibt gute Gründe dafür, dass in der MLS im Vergleich zu anderen Ligen weniger Talent vorhanden ist und auf absehbare Zeit sein wird. Aber das Niveau ist höher, als viele denken. In dem Maße, in dem das Interesse an der Liga wächst, werden auch die TV-Verträge größer werden. Und das wird dann dazu führen, dass immer mehr große Namen hierher wechseln. Was die Fans angeht: Ich bin nicht sicher, ob es da falsche Vorstellungen gibt, ehrlich gesagt. Wir kennen uns im Fußball aus, und wir sind loyal.
Aaron (Emerald City Supporters): Da gibt es zwei: Einmal national und einmal international. Ich glaube, dass international die Meinung vorherrscht, dass wir keine "richtigen" Fans sein können, weil wir uns nicht aus 80, 90 oder sogar über 100 Jahren Tradition speisen. Ich würde dagegenhalten, dass unsere Leidenschaft keinen Deut weniger real ist. Wir beziehen uns auf einen Reichtum globaler Tradition, versuchen aber gleichzeitig, unseren eigenen Weg zu finden und etwas anzufangen, dass auch in 50 Jahren noch fortgesetzt wird. Das Problem in den USA ist, dass viele glauben, dass die Liga immer noch nicht wirklich gut ist, und das liegt an den Fehlern der Vergangenheit. Aber wenn wir weiterwachsen, wird sich auch das verflüchtigen.
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