Die Schweiz startet am Sonntag gegen Ecuador in die WM 2014 (18 Uhr im LIVE-TICKER). Bei SPOX kommen zwei Schweizer Journalisten sowie mySPOX-User Talentfrei zu Wort und diskutieren Stärken und Schwächen der Mannschaft von Ottmar Hitzfeld. Die Themen: Die Probleme der Nati, das Spiel machen zu müssen sowie zwei bekannte Personalien aus der Bundesliga.
Schweizer Schwachstelle: Das Spiel selbst gestalten
Mämä Sykora (38) ist Chefredakteur des Schweizer Fußball-Magazins "ZWÖLF" (http://www.zwoelf.ch) und moderiert die TV-Sendung "ZWÖLF - Die Fussballbar".
Die Schweiz hat etwa gleich viel Einwohner wie Niedersachsen, jeder Vierte davon hat keine Schweizer Staatsbürgerschaft. Fußball ist zwar Sportart Nummer eins, um die Gunst der Sportlichsten buhlen aber auch die Eishockey-, Tennis-, Ski- oder Unihockey-Vereine. Unter dem Strich bleiben da nicht viele übrig, die für ein Nationalmannschaftsaufgebot überhaupt infrage kommen.
Löst in anderen Nationen die Bekanntgabe der WM-Kader eine riesige Debatte aus, nimmt man sie in der Schweiz mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Alternativen zu den 23 Brasilien-Fahrern gibt es keine. Oder zumindest kaum.
Beinahe jeder Mannschaftsteil wurde in den vergangenen Jahren irgendwann zum Problemfall erklärt. Nach den Rücktritten von Alex Frei und Marco Streller war kein Stürmer mehr zur Stelle, dann fiel die Verteidigung in ein Formtief, zwischenzeitlich sah es auf den Außenbahnen düster aus.
Nur im zentralen Mittelfeld mangelte es nie an Personal. Neben den drei Napoli-Spielern Gökhan Inler, Blerim Dzemaili und Valon Behrami stehen auch noch Gelson Fernandes und Granit Xhaka bereit. Die nahezu gleichwertigen Pirmin Schwegler und Fabian Frei schafften den Cut nicht.
Dass einzig auf dieser Position Alternativen bestehen, ist bezeichnend für das Spiel der Nati. Hier wird das Spiel der Schweizer diktiert - und das ist Fluch und Segen zugleich. Kapitän Inler ist ein hervorragender Zweikämpfer und verliert kaum einen Ball. Ihm kommt aber gleichzeitig auch die Rolle des Spielmachers zu, wofür in seinem Verein andere zuständig sind.
Teamporträt Schweiz: Ottmars letzte Mission
Öffnende Pässe, überraschende Aktionen und vor allem Tempowechsel sieht man von ihm (und seinen Nebenspielern) zu selten, wodurch das Schweizer Spiel oft sehr einfach zu durchschauen ist. Selbst die in ihren Klubs offensiv ausgerichteten und spielstarken Außenverteidiger Ricardo Rodriguez und Stephan Lichtsteiner agieren im Nationaldress zurückhaltender. Die Variabilität der Eidgenossen ist daher sehr eingeschränkt.
Es ist ein Fußball ohne große Risiken, der zweifelsohne auch die Handschrift von Ottmar Hitzfeld trägt. Die Nachteile davon erkennt man stets dann, wenn die Schweiz als Favorit das Spiel machen sollte. In der Qualifikation etwa gegen Zypern oder Slowenien oder zuletzt im Testspiel gegen Jamaika hatte man große Mühe, selbst bescheidene Gegner unter Druck zu setzen, gerade weil zu oft der Querpass dem schnellen Umschalten vorgezogen wurde. Gleichzeitig machte die Nati damit in der Vergangenheit gegen stärkere Gegner aber meist eine gute Figur.
So ist es denn auch nicht die Partie gegen Gruppenfavorit Frankreich, die den Fans Sorgen bereitet, sondern die Aufeinandertreffen mit Ecuador und Honduras. Schließlich folgte schon 2010 in Südafrika nach dem Sieg über Spanien das Aus, weil man im abschließenden Gruppenspiel einmal mehr ein zu wenig variables Spiel zeigte, um eben jenes Honduras in Bedrängnis zu bringen. Auch in Brasilien werden die Mittelamerikaner der letzte Gegner in der Vorrunde sein.
Die Hoffnungen lasten vor allem auf den breiten Schultern von Xherdan Shaqiri. Im grundsoliden Spiel der Schweizer ist er nahezu der einzige mit genügend Kreativpotenzial, um Überraschendes zu schaffen. Josip Drmic, der Senkrechtstarter der Bundesliga, wird als einziger Stürmer kaum mit vielen Bällen rechnen dürfen.
Wird er dennoch einmal angespielt, wird er aufgrund des schleppenden Spielaufbaus nie den Platz vorfinden, der ihm in der Bundesliga zu so vielen Toren verholfen hat. Mit drei Treffern bester Torschütze der Schweizer WM-Qualifikation war bezeichnenderweise Fabian Schär - ein Innenverteidiger.
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Hitzfelds Problemfall: Granit Xhaka
Fabian Ruch (36) arbeitet als Fußballjournalist für die "Berner Zeitung" und ist auch als Schweizer Korrespondent für den "Kicker" tätig. Er wird während der gesamten WM in Brasilien sein - und tippt auf Brasilien als Weltmeister.Die Schweiz darf der Weltmeisterschaft zuversichtlich entgegenblicken. Sie besitzt ein talentiertes, gut organisiertes Team mit jungen, hungrigen Spielern. Und ich glaube auch nicht, dass die belastete Beziehung zwischen den Leistungsträgern Gökhan Inler und Valon Behrami ein Problem sein wird.
Die beiden kennen sich seit Jahren, sind beim gleichen Verein engagiert und erfahren sowie clever genug, um den Erfolg der Mannschaft nicht zu gefährden. Inler ist der Kapitän, Behrami sein Assistent, der die große Fraktion der Akteure mit einem Hintergrund aus Albanien sowie dem Kosovo führt. Diese Aufgabenteilung ist ideal.
Ludovic Magnin im Interview: "Shaqiri ist unser Messi"
Zudem sieht es ganz danach aus, als ob Josip Drmic die lange gesuchte Lösung für die Schweiz im Sturm ist. Drmic blickt auf eine starke Saison zurück, er ist selbstbewusst, viel unterwegs, kaltblütig im Abschluss - und weicht gerne auf die Flügel aus.
So bleiben die Schweizer offensiv variabel, zumal auch Admir Mehmedi und Valentin Stocker im Frühling in ausgezeichneter Verfassung waren. Der Schweizer Star Xherdan Shaqiri ist damit nicht mehr so stark auf sich alleine gestellt.
Ein kleines personelles Problem aber besitzt Ottmar Hitzfeld. Er ist ja ein sehr treuer Trainer und lässt einen wichtigen Spieler selten fallen. Man darf deshalb gespannt sein, wie er mit Granit Xhaka umgeht.
Der Gladbacher war in den letzten drei Jahren gesetzt, blickt aber auf eine miese Rückrunde zurück und war auch in den zwei Schweizer Testspielen zuletzt schwach. Er ist weiter hinten stärker als auf der Position des Spielmachers im 4-2-3-1-System.
Doch im defensiven Mittelfeld sind Inler und Behrami die Stammkräfte. Eigentlich müsste Hitzfeld vorne auf den formstarken Mehmedi setzen. Das gilt vor allem für die Vorrundenspiele gegen die defensiv orientierten Ecuador und Honduras. Würde Mehmedi spielen, könnte Hitzfeld zudem endlich auch Shaqiri eine Chance in dessen Lieblingsrolle als Zehner geben. Aber Hitzfeld ist konservativ, also wird er das kaum tun.
Die Schweiz hat bei Weltmeisterschaften zuletzt nicht viele Gegentore erhalten: 2010 bloß eines, 2006 in vier Spielen gar keines. Die Innenverteidigung aber wirkte zuletzt nicht stilsicher, keiner agierte in der letzten Saison überzeugend, zudem plagten Fabian Schär, Johan Djourou und Philippe Senderos Verletzungssorgen.
Der solide Steve von Bergen ist gesetzt, daneben dürfte Schär auflaufen. Auf den Außenpositionen dagegen ist die Schweiz beinahe auf Weltklasseniveau. Ricardo Rodriguez steht vor einer großen Karriere, sein linker Fuß ist grossartig. Rodriguez schlägt tolle Flanken und gefährliche Eckbälle und Freistöße.
Auf der anderen Seite ist Rechtsverteidiger Stephan Lichtsteiner ebenfalls in fantastischer Verfassung. Er läuft und läuft und läuft und wird fast nie müde.
Insgesamt ist es der Schweiz zuzutrauen, eine Überraschung zu realisieren. In der Vorrunde wartet ein spannender Dreikampf mit Frankreich und Ecuador. Und danach kann die Schweiz die Favoriten ärgern.
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Admir Mehmedi, der mögliche Mosaikstein
mySPOX-User Talentfrei
Wenn man das Team der Schweiz betrachtet, ist die Situation im Angriff sehr spannend. Seferovic hatte seine Schwierigkeiten bei Real Sociedad, auch wenn er zu Beginn der Saison eigentlich einen guten Eindruck machte. Allerdings hat er trotzdem Einsatzchancen, da man ihn auch auf der Außenbahn einsetzen kann und die Schweizer dort mit Barnetta, Shaqiri und Stocker verhältnismäßig "dünn" besetzt sind.
Drmic hat mit seiner sehr starken Saison in Nürnberg natürlich auf sich aufmerksam gemacht und könnte ein wichtiger Bestandteil der Offensive der Schweizer werden, insbesondere, da er in der Offensive variabel einsetzbar ist und auch die Position mit einem anderen Offensivakteur tauschen kann. Allerdings wird oftmals auch Mehmedi vergessen, der in Freiburg sehr ordentlich gespielt hat und aufgrund seiner guten Technik auch ein wichtiger Mosaikstein im Angriffsspiel der Schweiz sein kann.
Auch im Mittelfeld gibt es interessante Ausgangslagen, die während des Turniers sicherlich zu der einen oder anderen Änderung im System von Hitzfeld führen könnten. Ruft Xhaka das ab, was er in einigen Phasen bei Gladbach und Basel gezeigt hat, dürfte er auf jeden Fall zum Stammpersonal gehören, auch auf der zumindest im Verein ungewohnten Zehner-Position. Da Kasami nicht nominiert worden ist, scheint Xhaka der einzige Spieler im Mittelfeld zu sein, der für diese Position ernsthaft in Frage kommt.
Allerdings scheint es auch möglich, dass Hitzfeld mit zwei Angreifern - einem davon hängend - agieren könnte. Besonders gegen Ecuador und Honduras könnte das in der Gruppenphase von Vorteil sein, da man mehr offensive Power generieren könnte.
Eine Offensive aus Stocker, Shaqiri, Mehmedi und Drmic wäre absolut denkbar, zumal man so vielleicht mehr Variablilität und Fluidität in der Offensive bekommen könnte. Eine weitere Position ist erwähnenswert: Die Außenverteidiger sind extrem stark und man stellt fest, dass nur wenige WM-Teilnehmer über zwei gleichermaßen gute Spieler auf diesen Positionen verfügen.
Lichtsteiner ist international erfahren und hat bei Juventus rechts vor der Dreierkette gespielt. Das hat zur Folge, dass er über eine gute Balance verfügt und sowohl offensiv als auch defensiv über diverse Qualitäten verfügt.
Rodriguez spielte in Wolfsburg eine herausragende Saison, schlug sehr gute Flanken und hat besonders bei ruhenden Bällen auf sich aufmerksam gemacht. Ob man das jetzt als Prunkstück bezeichnen kann, weiß ich nicht, denn die Schweiz ist - abgesehen von der Innenverteidigung - eigentlich überall mehr als solide besetzt und verfügt auf anderen Positionen sogar noch über mehr Breite im Kader.
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