Was waren Ihre ersten Eindrücke von der Arbeit in der Premier League?
Röhl: Mich hat es fasziniert, wie sehr der Fußball in der Premier League die Fans beeinflusst. Wenn du attraktiven und offensiven Fußball bietest, ist das Publikum sofort begeistert. Aber wenn du nichts anbietest, verstummen die Fans auch schnell. In Deutschland sorgen die Ultras durchgängig für Alarm. Ein Spiel in der Premier League ist dagegen wie eine Aufführung im Theater, du bekommst sofort Feedback. Besonders spannend aus Trainersicht fand ich die verschiedenen Einflüsse. Es gibt einen deutschen Trainer, einen österreichischen, einen spanischen, einen italienischen, einen französischen, einen englischen - und jeder bringt sein Element mit in diese Liga ein. Das macht die Gegneranalyse noch einmal herausfordernder als in der Bundesliga, weil dort die Spielsysteme viel ähnlicher sind.
Es war zu hören, dass Southampton große Stücke auf Sie setzte und Sie auch für eine noch größere Rolle auf dem Zettel hatte. Warum sind Sie dennoch zu den Bayern gewechselt?
Röhl: Ganz ehrlich: Wenn du einen Anruf von Bayern München bekommst, stellst du dir schon die Frage, wie oft dieser Anruf in deinem Leben wohl kommen wird. Wie oft bekomme ich diese Chance? Entscheidend waren für mich die Gespräche mit Niko Kovac und damals auch schon mit Hansi Flick. Wir haben natürlich auch viel über Fußball und taktische Inhalte gesprochen, man muss ja ausloten, ob die Sichtweisen sich decken, aber für mich war die menschliche Ebene noch viel wichtiger. Wir verbringen im Trainerstab mehr Zeit zusammen als mit unseren Familien. Wenn dann die Atmosphäre nicht zu hundert Prozent stimmt, käme eine Aufgabe für mich nicht infrage. Aber es hat sich sofort sehr gut angefühlt, sodass mir der Schritt letztlich leichtgefallen ist.
Ihr offizieller Titel lautete anfangs Co-Trainer Analyse. Was war genau Ihr Aufgabengebiet?
Röhl: Erstmal finde ich, dass wir bei den Bayern einen total spannenden Stab hatten mit Niko und Robert Kovac, Hansi Flick mit seiner unglaublichen Erfahrung auch aus der Nationalmannschaft und dann als viertem Part mit mir als einem jungen aufstrebenden Trainer. Generell war es meine Aufgabe, eine Art Verbindungsglied zwischen der Video- und Analyseabteilung sowie den Profis zu sein. Aber auch Matchpläne zu erstellen, den kommenden Gegner zu studieren, die eigene Mannschaft nach Spielen gruppentaktisch und individuell zu beleuchten oder Feedback-Gespräche zu führen. Wie kann ich aus einer Analyse Trainingsübungen kreieren? Wie kann ich Situationen am besten auf dem Platz nachstellen? Da sind wir wieder bei der Kombination von Theorie und Praxis, die mir so viel Spaß macht.
Danny Röhl: "Hansi schafft es, aus einem Ihr ein Wir zu machen"
Es gab damals eine Zeit, in der sich fast alles um die Coutinho-Verpflichtung drehte.
Röhl: Und es wurde viel zu viel über mögliche Systeme gesprochen. Es geht nicht darum, ob eine Mannschaft im 4-3-3- oder 4-4-2-System spielt. Entscheidend sind die Räume, die besetzt werden, nicht die statischen Positionen. Coutinho kann in jedem System spielen. Die Frage ist immer, wie ein Spieler seine Rolle lebt. Jeder Trainer möchte grundsätzlich eine so hohe Flexibilität erreichen, dass jeder Spieler auch im Spiel sofort switchen kann. Deshalb ändert Julian Nagelsmann auch gerne die Grundordnung während des Spiels. Auch weil er neue Reize beim Gegner erzeugen will. Wenn der Gegner einen Moment lang neue Antworten suchen muss, gehen oft Räume auf.
Nachdem sich die Bayern von Niko Kovac trennten, feierten Sie an der Seite von Hansi Flick am Ende der Saison das Triple. Zwischen Flick und Ihnen hat es sofort gepasst. Wann haben Sie es gemerkt, dass sie so ein gutes Gespann sind?
Röhl: Hansi und ich kannten uns anfangs noch nicht so gut, deshalb war das ein Prozess. Wir haben uns zuerst über die inhaltliche Schiene kennengelernt, wir haben zusammen die Gegner-Vorbereitung gemacht und standen in sehr engem Austausch. Da haben wir schon gemerkt, dass wir Fußball ähnlich denken und sehen. Und dann kam natürlich die menschliche Komponente hinzu. Wenn man den ganzen Tag lang in einem Büro zusammensitzt, merkt man schnell, ob man harmoniert, ob man den gleichen Humor hat. Das hat alles so gut gepasst, dass wir uns im Laufe der Zeit nicht nur über Fußball ausgetauscht, sondern uns auch privat super verstanden haben. Wir haben das Gefühl füreinander entwickelt, dass der eine sich zu tausend Prozent auf den anderen verlassen kann.
Was macht den Trainer Hansi Flick für Sie aus?
Röhl: Hansi findet für jeden Spieler zur richtigen Zeit die richtigen Worte. Eine Fußball-Mannschaft ist voll von verschiedenen Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Vorlieben und Charaktereigenschaften. Da kannst du im Umgang keine Schablone drüberlegen. Hansis große Kunst ist es, dass er es perfekt schafft, auf die jeweiligen Bedürfnisse einzugehen. Jeden richtig anzupacken. Jeder Spieler hat immer auch persönliche Ziele. Du musst es als Trainer aber schaffen, dass jeder das große Ganze sieht und sich in seiner Rolle wiederfindet. Dafür musst du ein extrem guter Kommunikator sein und das ist Hansi. Hansi schafft es, aus einem Ihr ein Wir zu machen.
Danny Röhl: "Die Kommunikation mit den Führungsspielern und Playmakern ist ganz entscheidend"
Nagelsmann hat mal erklärt, dass er je nach Spielverlauf entweder einen Spieler mit Qualität oder einen Spieler mit Mentalität bringt und generell immer in Einwechslungen statt in Auswechslungen denkt.
Röhl: Eine der größten Qualitäten eines Trainers ist die Fähigkeit, in einem Spiel von außen aktiv einzugreifen. Öfter sehen wir dann die Zettel, die auf dem Platz weitergereicht werden, aber das ist eben einfach der schnellste und beste Weg, um die Spieler zu erreichen. Ich saß zu Beginn meiner Zeit in München auf der Tribüne, machte quasi eine Live-Analyse und befand mich in ständigem Austausch mit Hansi Flick. Es gab eine klare Aufgabenverteilung und ein Zusammenspiel zwischen Hansi, den Co-Trainern und den Analysten. Denn die Kommunikation mit den Führungsspielern und Playmakern ist ganz entscheidend. Vor allem schon im Vorfeld eines Spiels, wenn Szenarien durchgespielt werden, damit dann auf dem Feld schnell reagiert werden kann. Wenn man Matchpläne erstellt, kümmert man sich immer auch um die "Wenn, dann..."-Fälle, man erstellt also immer auch einen Plan B und C, um reagieren zu können. So machen wir es bei der Nationalmannschaft auch.
Die Vorbereitungszeit auf die WM ist so kurz wie nie, generell hat man in der Nationalmannschaft naturgemäß viel weniger Zeit, seine Spielphilosophie zu implementieren. Was ist der Schlüssel, dass es trotzdem gelingt?
Röhl: Wir sind unsere Tätigkeit bei der Nationalmannschaft mit der Einstellung angegangen, dass die Vorbereitung auf die WM sofort beginnt und nicht erst in den wenigen Wochen vor Turnierbeginn, in denen man dann alles reinknallt. Wir befinden uns also seit 15 Monaten in der WM-Vorbereitung. Es ist ein stetiger Prozess. Wir hatten dabei Phasen, die herausragend gut waren. Wir hatten aber auch Phasen, in denen wir mehr zu kritisieren hatten, weil wir unser Potenzial nicht voll ausgeschöpft haben. Es geht uns bei der Nationalmannschaft nicht in erster Linie darum, vier oder fünf Systeme spielen zu können.
Sondern?
Röhl: Es geht darum, unsere Grundprinzipien und Grundüberzeugungen auf den Platz zu bringen, ob mit oder gegen den Ball, oder im Umschaltverhalten. Der Schlüssel wird sein, wie wir uns im Verlauf des Turniers weiterentwickeln. Eine WM wird dich vor Herausforderungen und vor neue Aufgaben stellen, genau dann musst du nochmal einen Sprung machen und eine neue Leistungsstufe erklimmen. Wenn uns das gelingt, werden wir auch eine sehr gute Rolle spielen.
Entscheiden auf dem höchsten Niveau am Ende nicht doch auch immer die Individualisten die Spiele und Turniere?
Röhl: Du brauchst in den entscheidenden Momenten die besonderen Spieler, keine Frage. Du brauchst diesen einen genialen finalen Pass, diese eine überragende Aktion zum Tor. Aber Grundvoraussetzung dafür, dass es dazu überhaupt kommen kann, ist ein funktionierendes Teamgebilde, das diese Einzelleistungen erst ermöglicht. Deshalb ist es von so großer Bedeutung, dass jeder seine Rolle innerhalb des Teams kennt und sie total annimmt.