"Wir werden uns etablieren"

Von Interview: Marcus Erberich
Trotz des großen Sponsors mittendrin im Abstiegskampf der zweiten Liga: Der FC Ingolstadt 04
© Getty

Harald Gärtner ist Sportdirektor beim stark abstiegsgefährdeten FC Ingolstadt 04. Im Interview spricht er über die Beziehung des Klubs zum Förder-Konzern Audi, den gescheiterten Transfer des verhinderten Mega-Talents Freddy Adu und über Tugenden, die er von seinen Spielern erwartet - vor allem dann, wenn es gegen den Abstieg geht.

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SPOX: Herr Gärtner, Ihre Mannschaft steht derzeit mit 20 Punkten auf dem vorletzten Tabellenplatz, vom Relegationsplatz trennen sie drei Zähler. Glauben Sie - auch in Anbetracht Ihres schweren Schlussprogramms - noch an den Klassenerhalt?

Harald Gärtner: In zehn verbleibenden Spielen sind nun noch 30 Punkte zu vergeben. Wenn ich nicht überzeugt davon wäre, dass wir das packen, wäre ich hier falsch. Nicht umsonst haben wir die Kampagne "Aufholjagd 2011" gestartet, die von den Trainern, FC-Mitarbeitern, Fans und Spielern mitgetragen wird. Wir wissen aber, dass es schwierig wird und alle Kräfte gebündelt werden müssen.

SPOX: Stefan Leitl - ein Mittelfeldspieler - ist mit neun Treffern bester FC-04-Torschütze. Dann kommen Hofmann, Gerber und der verletzte Buchner mit jeweils drei Toren. Kamen die Neuverpflichtungen Caiuby, Edson Buddle und Artur Wichniarek zu spät, um den FC 04 noch zu retten?

Gärtner: Die vier Neuverpflichtungen - auch mit Marino Biliskov haben wir ja noch in der Defensive etwas getan - konnten ja erst innerhalb der Transferperiode im Winter geholt werden. Edson Buddle traf beim Debüt gegen Duisburg und bereitete gegen Bielefeld den wichtigen 1:0-Siegtreffer vor, aber insgesamt sehe ich bei unseren Neuen gute Ansätze. Jetzt muss einfach noch mehr Zählbares aus den Spielen geholt werden, und da sind alle Akteure gefordert.

SPOX: Wichniarek, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, ist wegen seines Rückenleidens derzeit nicht einsetzbar - wird er seine Karriere beenden oder kommt er in Ingolstadt noch zum Einsatz?

Gärtner: Artur Wichniarek trainiert seit letzter Woche mit der Mannschaft. Wir sind optimistisch, dass er uns in Kürze bei den Liga-Spielen helfen wird.

SPOX: Was muss sich ändern, damit der FC 04 den Klassenerhalt doch noch schafft?

Gärtner: Jeder Spieler muss in den Trainingseinheiten und im Spiel über 90 Minuten konzentriert arbeiten. Ich erwarte, dass unsere Jungs jetzt ihre persönlichen Interessen ablegen und alles für den Verein abrufen, was in ihnen steckt.

SPOX: Neben den tatsächlichen Winterneuverpflichtungen gab es das Gerücht, Zvjezdan Misimovic würde zu Ingolstadt wechseln. Wie kam es, dass dieses Gerücht direkt so ernst genommen wurde?

Gärtner: Die Ernsthaftigkeit, mit der Misimovic mit uns in Verbindung gebracht wurde, ehrt uns natürlich und beruht wohl auf der Konzernnähe zwischen dem VfL Wolfsburg und dem FC 04. Aber Fakt ist, Misimovic wäre finanziell nicht zu stemmen gewesen - und laut Statuten im Übrigen auch nicht spielberechtigt.

SPOX: Freddy Adu war mit dem FC 04 im Winter-Trainingslager, sein Transfer ist aber letztlich gescheitert. Warum spielt er jetzt in der zweiten türkischen statt in der zweiten deutschen Liga?

Gärtner: Freddy hätten wir nur mit Perspektive und daher über die Saison hinaus verpflichtet, da er nicht den Fitnessstand hatte, um uns sofort zu helfen. Da sein Verein Benfica Lissabon uns hier nicht entgegengekommen ist, hat sich der Wechsel zerschlagen.

SPOX: Sie haben ihn im Training beobachten können - warum hat ein so vielversprechendes Talent noch nicht den ganz großen Durchbruch geschafft?

Gärtner: Freddy ist bereits als Jugendlicher medial irrsinnig gepushed worden. Ich denke, es ist ganz schwierig für so einen jungen Spieler, damit klar zu kommen und die vielen Halbjahreswechsel bringen ein Talent auch nicht unbedingt weiter. Aber mit 21 Jahren hat er noch genügend Zeit sich durchzusetzen. Dabei wünschen wir ihm natürlich alles Gute.

SPOX: Seit Anfang der laufenden Saison spielt der FC Ingolstadt im neuen "Audi Sportpark". Das Stadion hat etwa 25 Millionen Euro gekostet und fasst etwa 15.000 Zuschauer. Im Schnitt kommen aber nur rund 7000. Hat sich der Stadionneubau dennoch gelohnt?

Gärtner: Mit einem Schnitt von rund 7200 pro Heimspiel haben wir den Schnitt gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Auch in der aktuellen, schwierigen Phase haben wir keinen Einbruch. Die Zuschauer kommen und halten zu uns - wir haben also eine wirklich tolle Fanbasis entwickelt. Der Audi Sportpark ist ganz einfach die Basis für Profifußball. Zudem kann die Arena auch für andere Zwecke wie Konzerte genutzt werden und ist damit für Ingolstadt und die Region eine Bereicherung.

SPOX: Angenommen, der FC 04 steigt am Ende der Saison in die dritte Liga ab: Ist der Verein mit dem Audi-Sponsoring finanziell so abgesichert, dass er trotz des neuen Stadions noch eine konkurrenzfähige Mannschaft auf den Platz schicken kann?

Gärtner: Wir denken nach wie vor fest daran, dass unsere Mannschaft die 2. Liga halten kann. Sollte der Abstiegsfall eintreten, dann wird es uns wieder gelingen, das Beste aus unseren Mitteln zu machen. Fest steht, wir werden keine Harakiri-Aktionen fahren. Unsere Risiken werden wir genau kalkulieren.

SPOX: Wurden diesbezüglich schon Vorkehrungen getroffen - würden Spieler wie Caiuby, Görlitz, Kirchstein und Buddle, die noch Verträge bis 2012 bzw. 2013 haben, dem FC 04 auch in der dritten Liga erhalten bleiben?

Gärtner: Zu konkreten Personalien kann und werde ich derzeit keine Auskunft geben. Generell haben wir durch den späten Aufstieg durch die Relegation im Vorjahr einige Spieler im Kader, die sowohl für die 2. als auch 3. Liga Verträge haben. Wichtig ist, dass sich jetzt alle auf den Klassenerhalt konzentrieren.

SPOX: Ist der drohende Abstieg vielleicht auch eine Chance, alte Verträge los zu werden und mit einer neuen, jungen Mannschaft noch mal neu anzugreifen?

Gärtner: Wir machen jedes Jahr einen kleinen Umbruch - ligaunabhängig. Genauso wie der Verein muss sich eine Mannschaft entwickeln. Und dazu setzt man immer wieder neue Reizpunkte.

SPOX: Wie kommt es - abgesehen von der lokalen Verbundenheit - dass einer der weltgrößten Automobil-Konzerne sich einen noch nicht etablierten Zweitliga-Klub auf die Fahne schreibt?

Gärtner: Ich denke, Audi will die Region stärken und dokumentiert mit dem Engagement, dass man auch hier etwas entwickeln will. Dafür sind wir dankbar, denn sonst hätten wir uns in den sieben Jahren nicht so schnell entwickeln können. Wir haben in dieser Zeit mehr erlebt als viele Traditionsvereine. Mit unserer U23 spielen wir um den Aufstieg in die Regionalliga und unsere Jugendmannschaften bewegen sich in Richtung Bundesliga.

SPOX: Welche Rolle spielt dabei Peter Jackwerth (Vorstandsvorsitzender und Vorsitzender des Aufsichtsrats, d.Red.)?

Gärtner: Ohne das Engagement und Herzblut, das Peter Jackwerth in den FC Ingolstadt 04 investiert hat, würde es auch heute noch keinen Profifußball in Ingolstadt geben.

SPOX: Das Projekt FC 04 sollte eigentlich bis in die erste Liga führen. Könnte es sein, dass Audi bei dauerhaftem Ausbleiben des sportlichen Erfolgs das Interesse am FC 04 verliert?

Gärtner: Die Bundesliga ist aktuell Träumerei - doch Träume sollte man versuchen zu realisieren, auch wenn wir uns zunächst dort etablieren wollen, wo wir aktuell spielen. Audi ist aus Überzeugung ein langfristiges Engagement eingegangen und zeigt damit, dass man an unsere Ziele in allen Bereichen glaubt. Für diese Ziele arbeiten wir jeden Tag hart. Audi hat nicht nur die Leistungsmannschaften im Visier, sondern sieht in uns auch einen wichtigen Beitrag für den Sport in Ingolstadt und seinem Umland - Damenmannschaften, Jugendförderung, Audi Schanzer Fußballschule, um hier Stichwörter zu nennen. Dadurch wird die Region sportlich noch attraktiver.

SPOX: Im Abstiegsjahr 2009 haben Sie sich vor die Mannschaft gestellt und von ihr gefordert, alle persönlichen Interessen abzulegen und alles für den Verein zu tun. Gab es eine solche Ansprache auch in der laufenden Saison schon?

Gärtner: Wir kommunizieren ständig. Entsprechende Tugenden erwarte ich von einem Profi schlichtweg, das ist Voraussetzung. Alle weiteren Ansprachen zählen zur Arbeit des Trainerteams.

SPOX: Als der FC 04 im Jahr 2009 bereits zwei Spieltage vor Saisonende abgestiegen war, forderten Sie dennoch vollen Einsatz bis zum Ende, um die Chancengleichheit den anderen Vereinen im Abstiegskampf gegenüber zu wahren. Vermissen Sie diesen Sportsgeist manchmal bei Ihren Kollegen in der Branche?

Gärtner: Ich kann nicht für andere sprechen. Was mich betrifft, so erwarte ich von meinen Teams immer volles Engagement auf dem Platz und den absoluten Willen, das Spiel zu gewinnen. Egal in welcher Situation - das ist der Gedanke des Fairplay.

SPOX: Der FC 04 ist eine dieser Fahrstuhlmannschaften. Was bedeutet das für Sie persönlich? Haben Sie trotzdem Lust auf Ihren Job oder auch schon mal an einen Abschied gedacht?

Gärtner: Wieso Fahrstuhlmannschaft? Wir sind in sieben Jahren bisher genau einmal abgestiegen. Und wir werden auch in Zukunft nichts mit diesen Fahrstuhlmannschaften zu tun haben, weil wir uns mit unseren Mannschaften in den Ligen etablieren werden. Ich habe persönlich jeden Tag Lust auf meinen Job, weil er Spaß macht. Natürlich ist er im Erfolgsfall einfacher zu händeln als in der momentanen Situation. Aber das weiß man vorher und daher stehe ich in jeder Situation vorne dran und trage die Philosophie des Vereins nach außen. Als ich vor mehr als vier Jahren meine Arbeit hier aufgenommen habe, war mir klar: Die Entwicklung des Vereins und seine Etablierung ist kein kurzfristiges Engagement. Diese Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen, daher stellt sich für mich die Frage nicht.

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