"Ich bin halt kein Ribery"

Christian Tiffert hat 225 Spiele in der Bundesliga auf dem Buckel und schoss dabei 13 Tore
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SPOX: Haben Sie sich selbst aktiv um den Wechsel bemüht?

Tiffert: Es gab zwischen den USA und Europa einen Mittelsmann, der eine bestimmte Kartei von Spielern anlegt, die in Frage kommen. Diese Liste wird in Amerika bei den Vereinen herumgereicht. Ich stand damals drauf und Seattle hat Interesse an mir signalisiert.

SPOX: Sie unterschrieben einen Vertrag über drei Jahre und waren einer von drei Spielern, die über Tarif bezahlt wurden. Als der Verein wenig später den Ex-Wolfsburger Obafemi Martins verpflichten wollte, mussten Sie Ihren Vertrag auflösen.

Tiffert: Dort laufen eben viele Dinge anders. Wenn man nach Amerika wechselt, sollte man damit bereits im Vorfeld rechnen. Mir war also klar, dass es in dieser Hinsicht schnell gehen kann. Der Martins-Transfer war in meinen Augen allerdings unnötig, da in der Saison zuvor das beste Jahr der Vereinsgeschichte gespielt wurde und Seattle nur knapp am Playoff-Finale gescheitert ist. Die Vereinsoberen, die ja Hollywood-Produzenten oder Chefs von Computerfirmen sind, haben dann auch aus wirtschaftlicher Sicht eben entschieden, doch wieder vieles umzuwerfen. Ich war deshalb nicht sauer, ich fand es einfach nur unnötig.

SPOX: Richtig überrascht waren Sie von diesem Vorgang also gar nicht?

Tiffert: Nein, es kann im Fall der Fälle jeden treffen. Sie wollten Martins unbedingt verpflichten und benötigten einen Platz für ihn. Daraufhin hat man sich für denjenigen entschieden, der am kürzesten im Verein war - und das war nun mal ich. Die Folgesaison war aber deutlich weniger erfolgreich und Martins sehr häufig verletzt.

SPOX: Stimmt es, dass Sie die Meldung erst aus dem Internet erfahren haben?

Tiffert: Das stimmt, aber man muss zunächst einmal wissen, dass man den Spieler, der gehen soll - also in dem Fall mich - vor dem Start des ersten Saisonspiels innerhalb einer gewissen Frist ausbezahlen muss. Das ist zwingend, sonst funktioniert das Ganze nicht. Ich war mir aber nicht mehr sicher, ob diese Regel weiterhin Bestand hat, weil man dazu viele unterschiedlichen Dinge gehört hat. Der Verein hat meinen Abgang dann vor dem Spiel im Fernsehen verkündet.

SPOX: Und Sie saßen zu diesem Zeitpunkt zu Hause vor dem PC?

Tiffert: Nein, ich stand nicht im Kader und war deshalb mit meiner Familie unterwegs. Ich wollte mir auf dem Handy die Aufstellung für das Spiel ansehen und habe dabei erfahren, dass man mich verkaufen wird. Mir wurde die Entscheidung im Vorfeld nicht mitgeteilt, mich hat kein Offizieller des Vereins angerufen.

SPOX: Wie reagiert man denn dann auf eine solche Situation?

Tiffert: Ich bin einen Kaffee trinken gegangen (lacht). Nun ja, ich brach jetzt nicht in Tränen aus. Es war ja schon irgendwo klar, dass es in diese Richtung ging. Völlig aus dem Nichts kam es jedenfalls nicht. Natürlich könnte man über die Art und Weise diskutieren, die war auch nicht in Ordnung. Doch jeder, der zum Kicken nach Amerika geht weiß, dass man dort nicht das Profifußballgeschäft aus Deutschland wiederfindet.

SPOX: Es dürfte sich Ihnen dort auch eine komplett andere Welt geöffnet haben, was das alltägliche Leben angeht. Was waren die größten Umstellungen für Sie?

Tiffert: Das Essen, der viele Verkehr und der Regen. Manchmal hat es drei, vier Tage am Stück geregnet. Es ist einfach ein vollkommen anderes Leben dort, man kann unbesorgt sein eigenes Ding durchziehen. Ich war beispielsweise einmal drei Stunden vor einem Spiel noch mit meinen Kindern unterwegs. Da fragt aber niemand: Was machst du auf dem Spielplatz? Weil man auch nicht erkannt wird (lacht).

SPOX: Wie verhält es sich mit dem Druck seitens des Verein oder der Fans?

Tiffert: In den USA gibt es keinen Druck. Wir hatten zwar im Schnitt 40.000 Zuschauer, aber die Menschen fiebern nicht so extrem mit. Niemand hat dort seit 30 Jahren eine Dauerkarte und würde sein letztes Hemd für den Verein geben. Man kann als Spieler nach der Partie unbehelligt aus dem Stadion laufen. Die Zuschauer gehen mit ihren Kindern friedlich ins Stadion, essen Popcorn oder Hotdogs und fahren auch nach einer Heimniederlage entspannt nach Hause. Fußball wird dort als Event verstanden, es hat etwas von einem Kinobesuch.

SPOX: An welche Anekdote erinnern Sie sich am liebsten?

Tiffert: Vorweg: Die ganz krassen Böcke sind mir nicht unterlaufen. Ich habe mir also nicht wegen Sprachproblemen ein Ei gelegt oder wurde von der Polizei angehalten. Wir haben aber einmal um 13 Uhr in Dallas gespielt. Es waren keine Zuschauer im Stadion, weil es einfach viel zu heiß war. Man konnte wegen der extremen Temperaturen nicht einmal das Hotel verlassen. Es war total schwer, normal zu atmen, ich bin fast durchgedreht. Das Spiel endete 1:1 und es gab insgesamt genau diese beiden Torszenen (lacht).

SPOX: Worin können sich die Deutschen eine Scheibe von den Amerikanern abschneiden, was das Sportliche angeht?

Tiffert: Es ist schon sehr bemerkenswert, wie die dortigen Begebenheiten ohne zu murren hingenommen werden. Die Reisen sind extrem. Wir waren einmal 15 Stunden in der Holzklasse unterwegs und mussten nach der Landung noch ziemlich lange an der Passkontrolle warten. Da hat kein Mensch gemotzt. Viele Fußballer verdienen dort relativ wenig Geld, da bleibt nach der Karriere garantiert nichts mehr übrig. Trotzdem fahren sie jeden Tag mit Freude zum Training und sind auch nicht neidisch, wenn ein Mitspieler mit einem dicken Auto neben ihrer eigenen Klapperkiste parkt.

SPOX: Keine drei Monate nach Ihrem Aus in Seattle heuerten Sie beim VfL Bochum an. Trainer Peter Neururer kannten Sie bereits aus der gemeinsamen Zeit in Duisburg. Worin unterscheidet er sich am meisten von den Trainer, die sie bislang kennen gelernt haben?

Tiffert: Er verkörpert auch aufgrund seiner langjährigen Erfahrung eine gute Mischung zwischen Ehrgeiz und Lockerheit. Die fehlt vielleicht manchen jüngeren Trainern, die dann zu verbissen und zu akribisch an Dinge herangehen. Wir hatten in Bochum in der Hinrunde eine Phase, in der es schlechter lief. Der Trainer stand aber da wie eine Eins, konnte die Situation realistisch einschätzen und hat uns den Glauben an bessere Zeiten vermittelt. Und mit dem gehen wir nun auch in die Rückrunde.

SPOX: Neururer kommt seit jeher auch als Trainer rüber, mit dem man ein Bierchen trinken gehen könnte. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?

Tiffert: Nein. Ich glaube, das würde ich mit keinem Trainer machen. Wir haben ein harmonisches Verhältnis und können auch abseits des Platzes ein Wort wechseln. Das ist sehr angenehm, aber deshalb muss ich mit ihm kein Bierchen trinken gehen. Peter Neururer ist kein Kumpeltyp, dafür ist er viel zu ehrgeizig.

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