"Der VfB muss wie ein Start-up denken"

Jan Schindelmeiser arbeitet seit Juli 2016 für den VfB Stuttgart
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SPOX: Womit wir endgültig beim Thema Ausgliederung sind. Am 1. Juni entscheidet sich die Zukunft des Vereins. Sie brauchen 75 Prozent der Stimmen Ihrer Mitglieder. Sollte ein Ja kommen, hat die Daimler AG bereits im Falle eines Aufstieges eine sofortige Zahlung von 41,5 Millionen Euro für eine Beteiligung von 11,75 Prozent an der AG angekündigt. Was würde es bedeuten, wenn der VfB kein Go bekommt von seinen Mitgliedern?

Schindelmeiser: Vorneweg lassen Sie mich bitte festhalten, dass unsere Mitglieder der Souverän sind. Egal welche Entscheidung am Ende getroffen wird, haben wir diese zu respektieren. Aber unsere Mitglieder müssen wissen, dass sie eine hohe Verantwortung haben. Es geht jetzt um die Zukunft des Klubs und um die Frage, ob wir uns in einem extrem anspruchsvollen Wettbewerb behaupten und langfristig wieder eine exponiertere Rolle einnehmen können. Oder eben nicht. Ich weiß, dass unsere Fans davon träumen, irgendwann auch mal wieder internationalen Fußball in Stuttgart zu erleben. Diese Träume sind legitim, sie schaffen ja auch Fantasie und Hoffnung. Wir stellen uns diesen Wünschen und Träumen und sagen ganz deutlich, dass wir sie teilen. Noch sind wir aber in der 2. Liga. Natürlich wollen wir uns nach einem möglichen Aufstieg mittelfristig wieder nach oben orientieren. Wir stehen für Bescheidenheit, weil wir wissen, aus welcher Situation wir kommen und wie hart es ist, um die Rückkehr in die Bundesliga zu kämpfen. Gleichzeitig wollen wir aber auch unsere Ambitionen unterstreichen, den Erwartungen an einen Verein wie dem VfB gerecht werden. Nur frage ich Sie, wie soll das ohne die entsprechenden finanziellen Mittel als Basis gehen? Ich kann Ihnen die Zahlen sagen.

SPOX: Bitte.

Schindelmeiser: Wenn wir Bayern München, die einen Personaletat von deutlich über 200 Millionen Euro haben, außen vor lassen, dann landen wir bei einer Größenordnung von 100 Millionen Euro. Das sind die Etats, die von den Klubs bewegt werden, die sich dauerhaft um die Plätze im oberen Tabellendrittel der Bundesliga streiten.

SPOX: Freiburg schafft es in dieser Saison mit deutlich weniger Geld.

Schindelmeiser: Korrekt, Ausreißer nach oben durch Mannschaften wie Freiburg, Augsburg oder Mainz werden immer möglich sein. Wir wollen nicht, sollte uns der Aufstieg gelingen, auch noch in fünf Jahren den Klassenerhalt als Ziel ausgeben müssen. Wir wollen aus Überzeugung sagen können, dass wir den realistischen Anspruch haben, wieder in andere Regionen zu kommen. Unser aktueller Status ist uns bewusst: Ohne eine Ausgliederung sind wir finanziell nahezu chancenlos. Wir haben ein klares Ziel, eine verbriefte und wieder gelebte Vereinsphilosophie sowie konzeptionelle und inhaltliche Vorstellungen, aber wir brauchen dafür einen Anschub. Das große Schwungrad VfB Stuttgart, das nahezu zum Stillstand gekommen ist, muss wieder in Bewegung gesetzt und beschleunigt werden. Es ist ein Glücksfall, dass wir in Daimler einen Partner aus der Region haben. Ein Unternehmen, dessen Konzernzentrale aus dem Fenster zu sehen ist. Ein Partner, der bei der Gründung des Vereins schon dabei war und jetzt bereit ist, uns stärker zu unterstützen, weil er sich total mit dem Klub und den Menschen aus der Region identifiziert und unsere Vision teilt. Ein Ankerpartner, der als Vorbild für andere Unternehmen aus der Region dienen könnte. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass unsere Mitglieder diese Vorlage nicht nutzen und diese großartige Chance nicht erkennen, sondern sagen: Nein, das wollen wir nicht, wir bleiben lieber auf dem Niveau, auf dem wir jetzt sind. Am Ende geht es doch um die Wettbewerbsfähigkeit. Und wir erhöhen unsere Erfolgswahrscheinlichkeit enorm. Sportlich und wirtschaftlich.

SPOX: Wie stehen Sie in dem Zusammenhang denn zur viel diskutierten 50+1-Regelung und Ihrer möglichen Abschaffung?

Schindelmeiser: Wir als VfB Stuttgart streben einen Fall dieser Regelung sicher nicht an. Ich will unseren Fans eher zurufen: Gebt uns bitte die Möglichkeit, damit wir als Traditionsverein stark genug sind, um uns auch gegen die Wettbewerber durchzusetzen, die auf unsere Werte keine Rücksicht nehmen wollen. Bei uns geht es schlicht und ergreifend nur darum, eine Tochtergesellschaft zu gründen, von der maximal 24,9 Prozent der Anteile an vertrauensvolle Partner gehen, die uns die nötige Anschubfinanzierung geben. Als Eigenkapital, ohne Zinsen, ohne Rückzahlungsverpflichtung. Wir haben hier beim VfB und in der Region eine ideale Konstellation, die sich viele Klubs in Deutschland wünschen würden.

SPOX: Sie wirken beim VfB wieder wie in Ihrem Element. Bevor Sie nach Stuttgart gekommen sind, waren Sie sechs Jahre raus aus dem Profigeschäft. Eine willkommene Auszeit?

Schindelmeiser: Sie setzen Profifußball mit Verein gleich. Der Fußball bietet aber viel mehr Facetten. Ich habe mich schon früh, während meines Studiums und meiner aktiven Zeit bei Göttingen 05, unternehmerisch betätigt. Fühle mich grundsätzlich auch als Unternehmer. So auch die zurückliegenden Jahre, in der strategischen Beratung von professionellen Sportorganisationen und in der Suche nach dem passenden Personal mit Schwerpunkt Fußball. Ich habe aus einer neutralen Sicht unheimlich viele Spiele gesehen und wertvolle Kontakte knüpfen können. Von diesem Netzwerk und dem Überblick profitiere ich derzeit sehr.

SPOX: Warum hat es aber so lange gedauert, bis man Sie wieder an vorderster Front gesehen hat? Hat die Zeit in Hoffenheim schon nachgewirkt?

Schindelmeiser: Hoffenheim war eine extrem spannende Abenteuerreise mit großen Gestaltungsspielräumen. Von der Regionalliga bis - kurzzeitig - an die Spitze der Bundesliga, dazu die parallelen Projekte mit dem Trainingszentrum und Stadion. Wir haben in einem Jahr in drei unterschiedlichen Stadien gespielt (Hoffenheim, Mannheim, Sinsheim) - das war schon krass. Wir haben als Team großartig zusammengearbeitet. Gut und vor allem gern. Beseelt von dem Wunsch - gemeinsam - nach oben zu kommen. Dabei hat niemand auf die Uhr geschaut. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung.

SPOX: Es hätte sicher Möglichkeiten gegeben für Sie nach dem Ende in Hoffenheim.

Schindelmeiser: Es gab schon während der Zeit in Hoffenheim erste Anfragen, auch aus dem Ausland. Für mich war aber schnell klar, dass nach diesen intensiven Jahren eine Zeit der Reflexion sicher nicht schaden kann. Außerdem gab und gibt es neben dem Fußball noch die eine oder andere Leidenschaft. Die eine ist meine Frau. (lacht) Ich hatte das große Glück, in der Zeit nach Hoffenheim eine wunderbare Frau kennenlernen zu dürfen. Dass ich zum zweiten Mal in meinem Leben nach dem Tod meiner Frau Bettina einen Menschen treffen würde, mit dem ich alt werden möchte, betrachte ich als großes Geschenk. Diese frische Beziehung wollte ich nicht gefährden. Und der Profi-Vereinsfußball ist eine hochgradige Gefährdung jeder Beziehung. (lacht) Ich bin sehr dankbar, dass meine Frau meine Aufgabe beim VfB mitträgt. Sie hatte die Anfragen von Klubs in den letzten Jahren ja auch registriert und kannte die Vereine, bei denen ich ins Grübeln gekommen wäre.

SPOX: Sie sollen auch eine große Passion für Autos haben.

Schindelmeiser: Richtig, die zweite Leidenschaft ist - besonders - alte Autos. Ich habe mir einen Jugendtraum erfüllt und zusammen mit Freunden einen nunmehr 47 Jahre alten Porsche 911 restauriert. In einem unvorsichtigen Moment kamen noch zwei historische Porsche-Rennautos hinzu, die ebenfalls nach viel Aufmerksamkeit verlangten. (lacht) Dies alles ließ sich nur mit einer selbstständigen Tätigkeit verbinden und wäre in einer Vereinsfunktion nicht möglich gewesen.

SPOX: Und? Fährt der Porsche?

Schindelmeiser: Natürlich fährt er. Und wie. (lacht) Es war eine wundervolle Erfahrung. Auch mal etwas mit den Händen zu machen und am Ende ein greifbares Ergebnis zu sehen. Wenn man wie wir überwiegend mit dem Kopf arbeitet, zumindest glauben wir das ja (lacht), ist das etwas Besonderes. Ich habe mich dann immer gefragt, ob ich bereit bin, diese Freiheit aufzugeben. Es war klar, dass dafür eine außergewöhnlich reizvolle Aufgabe kommen muss und die anderen Projekte abgeschlossen sein müssen. Mit dem VfB kam sie. Und - wo sonst kann man die Leidenschaft für Autos und Fußball besser verbinden als hier.

SPOX: Sie mögen also extreme Herausforderungen.

Schindelmeiser: Ja, durchaus. Die Skepsis der Menschen gegenüber dem VfB Stuttgart nach dem Abstieg war deutlich spürbar. Deshalb war uns immer klar, dass wir Vertrauen zurückgewinnen und erst einmal mit Ergebnissen überzeugen müssen, bevor wir darüber sprechen, was wir in Zukunft vorhaben. Nicht andersherum. Es bereitet mir große Freude, den eingeschlagenen Weg beim VfB mitzugestalten. Vor allem auch aufgrund des Teams. Besser der Teams. Die Zusammenarbeit ist klasse. Ich möchte mich jeden Tag auf die Menschen im Büro freuen können. Richtig gut und erfolgreich kann die Zusammenarbeit nur dann sein, wenn sie mit einer gemeinsamen Passion und Grundüberzeugung unterlegt ist. Nur so entsteht die nötige Energie. In Detailfragen kann und muss man auch mal unterschiedlicher Auffassung sein und nach den besten Lösungen ringen. Aber wenn man sich für einen Weg entschieden hat, sollte jeder vorbehaltlos hinter der Entscheidung stehen. Das klappt bei uns hervorragend und ist der Schlüssel dafür, dass wir auch Rückschläge in dieser Saison gut überstanden haben und auch in Zukunft meistern werden.

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