Der TSV 1860 München hat die Relegation gegen den SSV Jahn Regensburg verloren und ist erstmals seit 1993 in die Drittklassigkeit abgestiegen. Aus sportlicher Sicht war der Abstieg nach den beiden Partien die logische Folge. Doch das Sportliche trat an diesem Abend aufgrund der Ausschreitungen in der Schlussphase beinahe in den Hintergrund. Nach dieser dunklen Stunde stehen die Münchner Löwen vor einem klaren Schnitt - und erste Verantwortliche ziehen Konsequenzen.
Manchmal sagt ein Bild mehr als 1000 Worte. Beim Gang aus der Allianz Arena am Dienstagabend ergab sich ein solches Bild.
Auf den Wegen vor dem Stadion leere Bierbecher, Müll, ein zurückgelassenes Schlachtfeld. Soweit nicht ungewöhnlich für die Szenerie nach einem Fußballspiel. Darüber erstrahlte die Arena im Blau des TSV 1860 München. Dahinter: dunkle Gewitterwolken, immer wieder grelle Blitze.
Ein epischer Anblick, der zur Stimmung passte.
1860 München ist in die Drittklassigkeit abgestiegen
Soeben waren die Münchner Löwen erstmals seit 1993 wieder in die Drittklassigkeit abgestiegen. Es war die Pointe und letztlich wohl auch die logische Folge mehrerer chaotischer Jahre. Noch vor zwei Jahren hatte Sechzig den Abstieg in der Relegation gegen Holstein Kiel verhindern können. In diesem Jahr war der SSV Jahn Regensburg über 180 Minuten eine Nummer zu stark für die Münchner.
Das Relegations-Rückspiel war aber nicht nur aus sportlicher Sicht ein Tiefpunkt für 1860 München. Es war ein Untergang auf allen Ebenen. Die traurige Nachricht des Abstiegs wurde durch die schweren Ausschreitungen am Ende der Partie beinahe komplett überschattet.
Dabei sollte eben dieses emotionale Publikum der große Trumpf im Rückspiel werden, nachdem die Sechziger in Regensburg immerhin ein schmeichelhaftes 1:1 ergaunert und sich somit eine gute Ausgangslage verschafft hatten.
62.200 Zuschauer in der Arena
62.200 Zuschauer fanden den Weg in die Allianz Arena, die Atmosphäre war von Beginn an mitreißend.
Doch das Team auf dem Platz schaffte es nicht, diese Atmosphäre in positive Energie umzuwandeln und war von Beginn an unterlegen. Mit Ausnahme des wohl zu Unrecht abgepfiffenen Tores von Christian Gytkjaer hatten die Löwen gegen deutlich präsentere und spielerisch reifer wirkende Regensburger das Nachsehen.
"Wir waren in beiden Spielen unterlegen, das kann eigentlich nicht sein. Wir haben es schlecht gemacht und das verdient", sagte ein sichtlich bedienter Levent Aycicek nach der Partie in der Mixed Zone: "Ein Hauptgrund war, dass wir auf dem Platz kein Team waren. Man braucht einen Zusammenhalt, muss kämpfen und das haben wir nicht zu hundert Prozent gemacht."
Stimmung wird zur Bürde statt zur Unterstützung
Spätestens ab dem Rückstand entwickelte sich die Stimmung in der Arena, die voller war als meist bei Heimspielen der Blauen, eher zur Bürde als zur Unterstützung. Die Nervosität war den Spielern in beinahe jedem Spielzug anzusehen.
"Wir gehen immer in Rückstand, machen immer individuelle Fehler. Es ist ein Spiegelbild der gesamten Saison. Wir haben es nie zusammengebracht, die Mannschaft zu sein, die wir sein wollten", klagte Michael Liendl: "Reden bringt keine Punkte. Jeder sollte mal überlegen, was er falsch gemacht hat. Ich bin leer im Kopf, da schwirrt nicht viel herum, es ist trostlos."
Dass noch vor der Pause der zweite Gegentreffer fiel, brach den Löwen schließlich das Genick. Drei Tore erzielen? Aus dem Nichts, nach einer bislang so schwachen Leistung? Den Spielern war anzusehen, dass niemand mehr so wirklich daran glaubte. Auch nach der Pause lag zu keiner Zeit ein Aufbäumen in der Luft.
Eskalation in der Schlussphase
Und so lief alles auf eine Entladung des Fanfrusts in der Schlussphase hinaus. Die Anhänger wollten offenbar, wenn sie schon einen Abgang machen mussten, auf keinen Fall einen stillen Abgang antreten. Bereits in der Halbzeit hatten sich Sicherheitskräfte im Gang neben der Nordkurve bereitgemacht.
Als die Videowand in der Arena auf die 80. Minute sprang, verschwand die Angabe der Spielzeit.
Wenige Momente später ging es los. Zuerst flogen Feuerzeuge und Plastikbecher in den Strafraum von Regensburg-Keeper Philipp Pentke. Dann stiegen die ersten Anhänger auf den Zaun. Die Sicherheitskräfte schritten ein, erschienen in Scharen vor der Nordkurve. Dann flogen Sitzschalen und Stangen auf den Platz, Schiedsrichter Daniel Siebert unterbrach die Partie.
Große Teile des Stadions skandierten lautstark: "Wir ham die Schnauze voll!"
Liendl rügt die Ausschreitungen
Liendl versuchte sich hinterher in Verständnis für die Fans: "Natürlich befürworte ich solche Ausschreitungen nicht, aber bei unseren Fans sitzt der Stachel tief, weil wir eine Drecks-Saison spielen. Natürlich befürworte ich das nicht, aber auf der anderen Seite ist es auch ein bisschen verständlich."
Dass die Partie nach gut zehn Minuten Unterbrechung noch einmal angepfiffen wurde, hatte einen faden Beigeschmack. Reguläre Bedingungen sehen anders aus. Nach wie vor flogen - bei laufendem Spielbetrieb - Sitzschalen und Stangen in den Sechzehner von Philipp Pentke. Bei einer Ecke für die Löwen erneut. In einer Situation, als gut 15 Spieler im Strafraum des Jahn versammelt waren.
"Wir haben uns lange mit dem Schiedsrichter beraten. Wir haben vereinbart, solange ich nicht getroffen werde, soll ich alles schnell beseitigen", beschwichtigte Pentke zwar hinterher. Die Schlussminuten waren dennoch bizarr.
Kalkuliertes Risiko
Bei zehn Minuten Restspielzeit sahen die Verantwortlichen das kalkulierte Risiko, dass ein Spieler getroffen werden könnte, wohl als geringer an, als wenn sie die Partie abgebrochen, am grünen Tisch gewertet und damit womöglich eine endgültige Eskalation riskiert hätten.
Dabei ist nicht nur Schiedsrichter Daniel Siebert in die Verantwortung zu nehmen. In Beratungsgesprächen haben DFL und Polizei ebenfalls ihre Empfehlung abgegeben. Und womöglich ist die Entscheidung gegen eine potentielle Eskalation bei Spielabbruch auch nachvollziehbar. Die letzten Spielminuten waren dennoch eine Farce.
Sie änderten jedoch nichts mehr daran, dass der TSV 1860 nach einer 0:2-Heimniederlage den Gang in die Drittklassigkeit angehen musste.
1860 München nach kuriosen Jahren am Tiefpunkt
Der Verein war nach kuriosen Jahren und einer chaotischen Saison inklusive schnell drehendem Personalkarussell am Tiefpunkt angelangt.
Der bittere Magenschlag wird Nachwehen hinterlassen. Die ersten offiziellen Konsequenzen gab der Verein bereits wenige Stunden nach dem Spiel bekannt: Geschäftsführer Ian Ayre und Präsident Peter Cassalette legten ihre Ämter nieder.
Auch Trainer Vitor Pereira wird in der kommenden Saison nicht auf der Bank sitzen - das wurde aus seinen Worten bei der Pressekonferenz mehr als deutlich: "Ich habe dieses Risikoprojekt angenommen. Leider hat es nicht gereicht", sagte er zunächst, um hinzuzufügen: "Ich habe ein gutes Gewissen, dass ich alles gemacht habe, was ich machen konnte". Schließlich bedankte er sich für die Zusammenarbeit. Mehr als klare Abschieds-Andeutungen.
Nach den kathartischen Ereignissen in dieser dunklen Stunde steht der Verein vor einem klaren Schnitt. Und den wird es in der 3. Liga auch brauchen, wenn der Himmel über der blauen Arena künftig wieder etwas freundlicher aussehen soll.
Der TSV 1860 München in der Übersicht