Was haben Sie denn unmittelbar nach dem Aus gemacht?
Boldt: Ich hatte das Glück, dass mein Bruder mit einem Kumpel eine Reise nach Kanada zum Skifahren gebucht hatte, in die ich mich eingeklinkt habe. Damit habe ich mir einen kleinen Lebenstraum erfüllt.
Und danach?
Boldt: Ich stand bei Bayer und auch außerhalb des Klubs für Gespräche zur Verfügung, die viele auch gesucht haben. Ich war für Leverkusen dazu beratend im Scouting tätig, habe deshalb sehr viele Reisen gemacht und mir viele Spiele von der Regionalliga bis zur Champions League angeschaut. Ich wollte mir einfach viel Zeit nehmen, um mich neu aufzustellen, zu reflektieren oder mit Experten über Themen wie Ernährung oder Psychologie auszutauschen. Die Kombination war klasse: Ich war im Tagesgeschäft im Fußball dabei, aber ganz ohne Alltagsdruck.
Wie oft hat denn das Telefon geklingelt mit interessierten Vereinen am anderen Ende?
Boldt: Anfangs sehr intensiv, es kam dann auch gleich zu einigen Gesprächen. Ich war also ständig involviert und wusste nie, was morgen kommen würde.
Sie waren zu dieser Zeit bei vielen Klubs ein Kandidat, einige der Gespräche wie beispielweise mit dem FC Schalke 04 sind auch öffentlich geworden. Hat es Sie überrascht, dass Sie sich trotz der Fülle an Interessenten erst einmal nicht mit einem Verein einigen konnten?
Boldt: Nein. Ich bin ein sehr direkter Typ. Ich wollte unbedingt vermeiden, irgendwo anzufangen, nur um später schnell festzustellen, dass es doch nicht passt. Ich habe meine Vorstellungen und weiß, wie ich mich am besten einbringen kann, aber ich mache nicht alles mit. Es war mir wichtig, das von vornherein so anzusprechen. Irgendwann habe ich mich zwar schon gefragt, wie es denn nun konkret weitergehen würde. Es hätte aber aus freier Entscheidung durchaus sein können, dass ich zur neuen Saison erst einmal ohne Tätigkeit im Fußballmanagement bin.
Dann aber kam der HSV und es ging ziemlich schnell?
Boldt: Genau. Gerade im Verhältnis zu anderen Klubs, mit denen es mal nur ein Gespräch gab oder auch über Wochen und Monate ging. (lacht) Das hing natürlich auch damit zusammen, dass der HSV nicht mehr viel Zeit für eine Entscheidung hatte, weil der Trainingsstart vor der Tür stand.
Haben Sie sich auch deshalb zügig entschieden, weil Sie 2018 bereits in Gesprächen mit Hamburg waren, bevor Sie sich für die Verlängerung in Leverkusen entschieden?
Boldt: Ja. Rudi Völler hat zu mir später gesagt: Hätte ich gewusst, wie es sich letztlich in Leverkusen entwickelt, dann hätte ich dich damals gehen lassen. Der HSV blieb in meinem Hinterkopf - und plötzlich kam dieselbe Situation wie vor einem Jahr noch einmal. Wir haben dann ein längeres Gespräch geführt. Natürlich hätte ich noch weitere Male sprechen können, aber ein Risiko wird letztlich immer dabei sein. Mir war viel eher frühzeitig klar: Das ist es jetzt. Die Herausforderung HSV hat mich enorm gereizt. Auch wenn ich weiß, dass das viele Menschen verwundert hat.
War es denn Ihre Ambition, nach den zahlreichen Jahren in der hinteren Reihe auch mal Hauptverantwortlicher zu sein?
Boldt: Nein. Mir ging es nie darum, in erster Reihe zu stehen oder gar die Kameras zu suchen. Ich will einer Verantwortung gerecht werden. Das ist mir in Leverkusen gelungen, auch wenn ich dort in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung in zweiter oder dritter Reihe gearbeitet habe. Irgendwann merkte ich: Wenn du etwas verantworten willst, was du für richtig hältst, musst du es auch verantworten können. Das war bei Bayer am Ende nicht mehr gegeben. Es ist aber immer auch eine Frage der Konstellation. Auf Schalke hatte ich ein sehr gutes Gespräch mit Christian Heidel und hätte mich unter ihm eingeordnet. In Hamburg war es wiederum so, dass ein Sportvorstand gesucht wurde und ich mich dieser Aufgabe mit allem Drum und Dran stellen wollte.
Woran ist es mit Schalke letztlich gescheitert?
Boldt: Ich habe mich mit Christian Heidel und Clemens Tönnies wirklich toll ausgetauscht, aber auch unterschiedliche Ansichten festgestellt. Zudem war der Zeitpunkt vielleicht nicht so ideal, da sie sehr früh auf mich zukamen, Christian Heidel dann aber bereits Anfang des Jahres gegangen ist. Ich dagegen wollte mir bewusst Zeit für die Reflektion nehmen und nicht direkt wieder ins Hamsterrad einsteigen.
Kürzlich haben Sie über Ihren Entscheidungsprozess gesagt: "Selbst wenn ich alle Vereine nun zum gleichen Zeitpunkt nebeneinander legen würde, es wäre immer der HSV gewesen." Warum?
Boldt: Ich war nach allen Gesprächen, die konkreter geworden sind, von der Aufgabe und Herausforderung beim HSV am meisten überzeugt. Ich habe mich nicht gegen etwas entschieden oder etwas für schlecht befunden. Es kommt auch mal auf das Timing an, dazu ist es ja auch nie meine alleinige Entscheidung. Beim HSV hatte ich bei allem Risiko sehr schnell ein gutes Bauchgefühl und richtig Bock.
Der HSV hat in den letzten Jahren im ganzen Land viel Hohn und Spott ertragen müssen. Wie haben Sie das bislang beobachtet?
Boldt: Man kann natürlich nicht alles direkt nachvollziehen und aufarbeiten. Es ist wichtig, dass man grobe Szenarien versteht, man darf sich aber nicht zu sehr mit der Vergangenheit aufhalten. Ich habe den HSV schon eher als Klub wahrgenommen, in dem nicht unbedingt eine gemeinsame Sprache gesprochen wird. Es ist das große Ziel, künftig wieder eine Einheit als Klub darzustellen, damit sich auch die Menschen als Einheit mit der Mannschaft und dem Verein sehen. Nur so kann es funktionieren. Dass der HSV teilweise als Lachnummer bezeichnet wurde, zeigt aber auch, dass man auf ihn schaut. Wir wollen das künftig wieder in die richtige Richtung lenken, doch dafür müssen wir erst einmal liefern.
Gerade das Image des Klubs hat zuletzt sehr gelitten. Sehen Sie es auch als eine Ihrer Aufgaben an, dieses deutschlandweit zu verbessern?
Boldt: Ich trete nicht an, um das Image des HSV zu verändern. Wenn du jedoch Werte vorlebst und für Vertrauen sorgst, wirst du erfolgreich arbeiten - und dadurch verändert sich das Image doppelt. Erstens, weil du erfolgreich bist und zweitens, weil du für etwas stehst. Das habe ich mir schon immer auf die Fahne geschrieben, auch wenn ich so wie jeder Mensch meine Fehler machen werde. Die Wahrscheinlichkeit auf Siege ist höher, wenn man an einem Strang zieht.