Die DFL proklamiert, dass die Saison fortgesetzt werden muss, weil sonst bei einigen Vereinen die Lichter ausgehen würden. Halten Sie das für glaubwürdig?
Knödler: Zunächst mal muss man ja sagen, dass es die DFL clever macht. Es ist davon die Rede, dass der Fußball gerettet werden muss. Das ist natürlich Nonsens, aber eine geschickte Ausdrucksweise, um sein Argument zu unterstützen. Die Bundesliga in der jetzigen Form wird es vielleicht potenziell nicht mehr geben, aber den Fußball wird es immer geben. Ich kann es mir durchaus vorstellen, dass es wirklich schlimm steht um einige Vereine und dass die Saison tatsächlich um Biegen und Brechen zu Ende gespielt werden muss. Der Fußball dreht sich weiter, weil er sich weiterdrehen muss, nicht weil er sich drehen will. Was ich aber nicht in meinen Kopf bekomme, ist die fast schon groteske Abhängigkeit der Vereine von den TV-Geldern. Ein paar Monate reichen, um mich an den Abgrund zu rücken? So kann ich ja kein Wirtschaftsunternehmen führen.
Würde es Ihre Meinung zum Restart ändern, wenn VfB-Vorstandschef Thomas Hitzlsperger sich hinstellen und offen sagen würde: Entweder wir spielen die Saison zu Ende, oder den VfB gibt es in der Form nicht mehr?
Knödler: Es würde nichts an meiner Haltung verändern. Alle Bauchschmerzen, was Tests oder das Gesundheitsrisiko angeht, hätte ich ja weiterhin. Aber es würde schon einen Unterschied machen, was das grundsätzliche Verständnis für die Lage des Klubs angeht. Es wäre immerhin ein offenes Eingeständnis eines Vereins, dass hier etwas grundlegend falsch läuft.
Clemens Knödler: "Verzweifelte Versuche, das System irgendwie überleben zu lassen"
Es ist ja offensichtlich, dass es aktuell um genau ein Thema geht: Geld. Dennoch finde ich, dass das Argument Brot und Spiele nicht komplett weggebügelt werden darf. Wie sehen Sie das?
Knödler: Da würde ich sogar zustimmen. Ich sehe es selbst im Kollegenkreis. Viele sind froh, wenn wieder Fußball zu sehen ist, das stelle ich nicht in Abrede. Mich stört es vielmehr, dass einem auf der einen Seite die Pistole auf die Brust gesetzt wird. Nach dem Motto: Ihr müsst das jetzt mittragen, sonst ist alles kaputt. Und dass aber gleichzeitig darüber fabuliert wird, dass der Fußball den Menschen ja auch wieder Freude machen will. Gerade wenn ich jetzt an die letzte Saisonphase denke, glaube ich kaum, dass alle Fans sich freuen werden, wenn ihr Verein ab- oder nicht aufsteigt. Zum Fußball gehören ja genauso die Niederlagen und Enttäuschungen. Die Fans werden nicht alle freudestrahlend durch die Gegend rennen am Ende der Saison. Das ist mir einfach zu plakativ dargestellt, damit kann ich dann auch nichts anfangen.
Es geht im Moment auch viel um Kommunikation. Was ist Ihre Meinung, wenn man daran denkt, wie Hertha mit dem Fall Kalou umgegangen ist, oder Köln mit dem Interview von Birger Verstraete?
Knödler: Für mich sind das verzweifelte Versuche, das System irgendwie überleben zu lassen. Es herrscht eine unglaubliche Angst und Sensibilität vor, dass mit allen Mitteln versucht wird, kritische Stimmen zu unterdrücken. Ich kann das ein Stück weit sogar nachvollziehen, weil der Druck ja immens sein muss. So ein Beispiel wie mit Verstraete zeigt, dass es durchaus kritische Spieler gibt. Es wäre ja auch verrückt, wenn es nicht so wäre. Es geht um ihre Karrieren und ihre Gesundheit, die auf dem Spiel stehen.
Clemens Knödler: "Der Fußball wird seiner Vorbildfunktion definitiv nicht gerecht"
Bei allen Diskussionen, auch zum Beispiel um Quarantänemaßnahmen der Gesundheitsämter, wird immer noch vergleichsweise wenig um die Risiken für die Spieler gesprochen. Stichwort: Verletzungsrisiko und vor allem auch mögliche Corona-Langzeitfolgen, über die man noch viel zu wenig weiß.
Knödler: Ich möchte es nicht zu deutlich ausdrücken, aber manchmal denke ich mir, es geht fast schon in Richtung einer modernen Sklaverei. Wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Unternehmen habe und meine Mitarbeiter wissentlich einer gesundheitlichen Gefahr aussetze, bin ich mir sicher, dass mir diverse Behörden auf die Finger klopfen würden. Zurecht. Ich möchte nicht in der Haut eines Verantwortlichen stecken, sollte tatsächlich etwas passieren. Aber hier wird es offenbar ja durchgewunken und von den Spielern wird erwartet, dass sie es mitmachen. Natürlich könnten sie sich verweigern, aber wer wird es machen und damit seinen hochdotierten Vertrag gefährden? Ich verstehe einfach nicht, warum man nicht noch ein paar Monate warten kann, bis die Fallzahlen hoffentlich weiter gesunken sind und es mehr Erkenntnisse über die Risiken gibt. Natürlich können wir nicht alles ewig auf Null setzen, auch den Fußball nicht. Aber ein paar Monate können wohl kaum einen Unterschied machen in puncto Finanzen, bei den TV-Geldern hat es ja eine Einigung gegeben. Und vielleicht würden ein paar Monate ja ausreichen, um nicht auf Verdacht einfach mal loslegen und große Risiken eingehen zu müssen.
Halten Sie wie viele Kritiker auch die Signalwirkung des Restarts für fatal, wenn gleichzeitig die Kitas noch geschlossen sind und die Kinder nicht in größeren Gruppen auf den Bolzplatz gehen können?
Knödler: Ich verstehe die Argumente, diese Punkte nicht zwingend zu vermischen. Aber auch da geht es ja um mehr als eine sachliche Abwägung. Der Fußball hat die Kraft, gesellschaftlich zu verbinden. Der Fußball schafft Vorbilder. Und hier wird der Fußball seiner Vorbildfunktion definitiv nicht gerecht. Wie soll ein Vater seinem Sohn erklären, dass hier der Fußballplatz im Dorf gesperrt ist und generell Abstand eingehalten werden soll, wenn seine Idole wieder über den Platz rennen dürfen? Ich finde das schwierig.