Der Tod ist nicht immer das Ende

Jan Höfling
18. Juni 201615:22
Jason Day erlebte während seines Lebens viele Höhen und Tiefengetty
Werbung

Jason Day ist die Nummer eins der Welt, der beste Golfer des Planeten. Der Weg des Australiers schien früh vorgezeichnet, der Tod seines Vater hätte seiner Bestimmung jedoch beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aus Hoffnung wurde Verzweiflung, der 28-Jährige bewegte sich auf einen Abgrund zu. Mit Hilfe schaffte er die Wende - und belohnte sich beim PGA Championship im vergangenen Jahr selbst.

Es sind nur wenige Meter, die Jason Day auf dem Whistling Straits Golf Course zurücklegen muss. Dennoch spürt er jeden Schritt.

Mit der schwarzen Mütze tief ins Gesicht gezogen und unter dem lauten Klatschen der Zuschauer tritt Day an den kleinen weißen Ball heran, der nur wenige Zentimeter vom 18. Loch entfernt zum Liegen gekommen ist. Er kämpft mit sich. Tränen rinnen seine Wangen herab.

Ein letztes Mal sammelt sich Day, holt tief Luft. Es ist ein Schlag, den er schon tausende Male vollführt hat. Und dennoch ist er anders als jeder zuvor. Als der Ball wenige Sekunden später mit einem vertrauten Geräusch im Loch verschwindet, brechen endgültig alle Dämme.

Seinen Kampf mit den Tränen kann Day an diesem Tag nicht gewinnen und er muss es auch gar nicht. Er hat etwas viel Größeres gewonnen, ist am vorläufigen Ende eines so langen und steinigen Weges. Nur wer diesen kennt, kann die Bedeutung jenes heißen Abends in Wisconsin auch nur ansatzweise nachvollziehen.

Der Tag, der alles änderte

Rockhampton, 1999. Der Tag, der alles änderte. "Ich kam in diesen Raum, mein Vater lag dort. Er atmete nicht. Wir saßen einfach nur da und haben ihn angeschaut. Ich konnte nicht ein Wort sagen", erinnert sich Day beim RBC Golf Channel an die wohl schwersten Stunden eines Lebens, das es bis dahin nicht sonderlich gut mit ihm und seiner Familie gemeint hatte.

"Was sollte ich auch sagen. Es war alles einfach zu hart für mich", fährt der heute 28-Jährige mit ruhiger Stimme fort. Worte zu finden, fällt ihm auch all die Jahre später sichtlich schwer.

Der Tod seines Vaters, Alvyn Day, war ein Schlag für die gesamte Familie. Vor allem aber für Jason. Als jüngstes von drei Geschwistern wuchs Day im australischen Beaudesert auf. Das beschauliche Städtchen im südöstlichen Queensland brachte es 1987 bei seiner Geburt nur auf knapp 3000 Einwohner. Das Landschaftsbild prägten schier unendliche Felder, die lediglich von einzelnen Farmen und kleinen Häuschen unterbrochen wurden.

Auf einer solchen wuchs auch Day auf. Sein Vater arbeitete im Schlachtungsbereich einer großen Fleischfabrik. Der Job war körperlich wie seelisch fordernd, die Bezahlung unwürdig. Die Verhältnisse, die Jason bereits von Kindesbeinen erlebte, waren einfach, die Familie arm.

"Mein Vater und ich waren oft auf einer nahegelegenen Müllhalde, viele unserer Möbel stammten von dort", blickt Day zurück. "Als ich drei Jahre alt war, fanden wir einen Golfschläger." Alvyn drückte das verrostete Eisen seinem Sohn in die Hand.

Es folgte der erste Schwung seines Lebens mit einem Golfschläger. Sein Vater habe sich im Anschluss zu seiner Mutter umgedreht und gesagt, dass sein Sohn "eines Tages ein Champion sein werde", sagt Day schmunzelnd. Für ihn selbst war eine Karriere als Golfer damals jedoch kein Thema. Alles was greifbar war, war die Gegenwart.

Flucht aus dem Alltag

In dieser bot ihm das Golfen eine Flucht aus dem tristen Alltag, die seine Gedanken an die Zukunft und auch den nächsten Weg zur Müllhalde für wenige Stunden am Tag in den Hintergrund treten ließ. Jeder Schlag habe sich "einfach gut angefühlt", erinnert sich Day.

Schnell wurde aus der befreienden Freizeitbeschäftigung jedoch mehr. Die Familie zog gar nach Rockhampton um, wo sein Vater einen Job in einer anderen Fleischfabrik angenommen hatte, um den Sohn trotz der fehlenden finanziellen Mittel so gut es ging zu fördern.

Auch für Jason selbst veränderte sich die Bedeutung. "Ich habe das Spiel von Anfang an geliebt, auch wenn ich gewissermaßen ein bisschen zu meinem Glück gezwungen wurde", erklärt Day. Sein Vater habe ihn im Alter von sechs Jahren in einen kleinen Golf-Klub gebracht und ihm die Grundlagen des Spiels gelehrt, erinnert sich Day. "Ich war dort, wann immer meine Schule vorbei war und bis es dunkel wurde. Es war das, was ich jeden Tag gemacht habe", so der Junge aus Queensland.

Er wollte mehr. "Ich wurde infiziert. Ich wurde Abhängig vom Prozess der Verbesserung." In einem einfachen Holzregal im größten Raum des Hauses reihte sich deshalb bald eine Trophäe an die nächste. Dem Schicksal war all das und die Momente auf dem Platz jedoch egal.

Überfordert von der Freiheit

"Im Jahr 1999 wurde Jasons Vater sehr krank", erinnerte sich seine Mutter, Dening Day, die nach ihrer Ausbildung auf der Suche nach einem besseren Leben von den Philippinen nach Australien gezogen war und ihren Mann über dessen briefliches Gesuch nach einer Frau kennengelernt hatte. "Alles hat sich verändert."

Bei Alvyn, der bereits drei Töchter und einen Sohn aus zwei früheren Ehen hatte und Zeit seines Lebens zu Alkoholkonsum neigte sowie Raucher war, wurde eine Krebserkrankung im Magenraum diagnostiziert. Eine Chance im Kampf gegen die Krankheit hatte er nicht.

Das Band, welches zwischen Jason und seinem Vater bestand, obwohl dieser seine Kinder regelmäßig auch im nüchternen Zustand mit Gürtelschlägen maßregelte und seinen Sohn mit den geschlossenen Fäusten verprügelte, wenn dieser auf dem Platz nicht den Ansprüchen genügte, wurde zerrissen. Zwar erlangten alle Familienmitglieder nach dem Tod des zur Tyrannei neigenden Oberhauptes eine nie gekannte Freiheit. Die Folgen waren erschreckend. SPOX

Die führende Hand fehlte plötzlich. Jasons Schwester riss aus, lebte Jahre auf der Straße, auch er selbst wurde durch die für ihn unbekannte Freiheit überfordert. Er sei "verloren gewesen", blickte seine Mutter gegenüber dem RBC Golf Channel zurück. "Alvyns Tod hat ihn komplett aus der Bahn geworfen. Das war die Zeit, in der er anfing zu trinken. Er wurde abhängig." Der Alkohol sorgte dafür, dass Day in Probleme geriet. Schlägereien waren keine Seltenheit. Aus Hoffnung wurde Resignation und letztlich Verzweiflung.

Es war ein Wandel, den Dening nicht akzeptieren konnte. "Als mein Mann starb, hatten wir nur sehr wenig Geld. Ich musste eine Entscheidung treffen", erklärte sie. Es sei sehr schwer gewesen, zu sehen, wie ihr Sohn das von Gott gegebene Talent einfach weggeworfen habe, sagte Dening. Nach einigem Zögern trat sie deshalb einen schweren Gang an.

Der Preis ihrer Entscheidung war hoch. Von Gewissensbissen gequält, aber dennoch mit dem unendlichen Glauben an Jasons Talent in ihrem Herzen, trat Dening an ihre beiden Töchter Yanna und Kim heran. Sie fragte beide Schwestern, ob sie das Geld, das sich die Familie so hart für die Ausbildung ihrer Kinder von den Lippen abgespart hatte, zusammenlegen dürfe.

Alles im Haus, was in irgendeiner Form etwas wert war, verscherbelte sie und verkaufte anschließend selbiges. Auch von Verwandten borgte sie sich Geld. Nach Wochen hatte sie die finanziellen Mittel, um Jasons vom Schicksal vorbestimmten Weg doch noch zu ermöglichen.

Durch alle die Opfer gelang es ihr, ihren Sohn an der Kooralbyn International School einzuschreiben. Kooralbyn war eine private Schule, die acht Stunden entfernt vom damaligen Wohnort Rockhampton lag und sich neben einer schulischen Ausbildung auch auf die sportliche Komponente konzentrierte.

"Unter diesen Bedingungen hat ein Junge normalerweise im Sport keinen Erfolg. Er verschwindet in der breiten und unscheinbaren Masse vieler Gesichter. Einer unter vielen mit Talent. Das war es", sagte Frank Nobilo von NBC. "Viele Menschen haben in ihrem Leben mehrere Wege, die sie beschreiten können. Jason hatte genau einen."

Ein Umstand, der auch dem Teenager bewusst geworden war. Auf einem Schild vor der Schule prangte in großen, schwarzen Buchstaben der Schriftzug "Glaube an Dich". Jason verinnerlichte ihn und traf in Kooralbyn auf seinen Trainer sowie Caddie Col Swatton.

Der Tod als Anfang

Swatton arbeitete als Lehrer und nahm Day unter seine Fittiche. "Er hat mein Leben verändert", erinnert sich Day. "Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre ich nicht hier."

Als sein Ziehvater die Schule wechselte, folgte ihm Day. Jahre später sollte es dann Swatton sein, der mit seinem Schützling den Weg in die Vereinigten Staaten ging.

Angetrieben von den Erinnerungen, den Worten auf der Müllhalde sowie durch die Opfer seiner Familie investierte Day alles in den Sport. Die Tragödie um seinen Vater war der Schlüssel. Ohne jene wäre er nie auf die Kooralbyn School gekommen, hätte auch Swatton nicht kennengelernt. "Wenn mein Vater heute hier wäre, dann wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin. Würde er noch leben, gäbe es keine Chance, dass ich ein Teil der PGA-Tour wäre", sagt Day.

Er verschrieb dem Golf sein Leben. "Er war so unglaublich hungrig auf das, was vor ihm lag", erinnerte sich Swatton an das erste Treffen. "Er wollte es unbedingt. Und viel wichtiger: Er brauchte es. Er wollte seine Schwestern nicht hängen lassen, seine Mutter auch nicht. Vor allem aber wollte er seinen Vater nicht enttäuschen. Für ihn war es die Chance seines Lebens. Eine Möglichkeit, die er sich von niemandem nehmen lassen wollte."

Day war am Morgen der erste Schüler auf der Range, am Abend der letzte, der sie verließ. "Ich habe härter gearbeitet als alle anderen Jungs. Ich war morgens um fünf Uhr der erste, der wach war und ich war stolz darauf. Ich wusste, dass mir niemand das Wasser reichen konnte, wenn ich nur hart genug arbeite. Sie hatten keine Chance", erinnert sich Day, der vor allem von Tiger Woods als Vorbild geprägt wurde und sich dessen Scores, die dieser in seinem Buch anführte, als Maßstab nahm.

Der beste Golfer der Welt?

Sportlich fiel es Day zunächst allerdings dennoch schwer, auf der PGA-Tour zu überzeugen. Viel schwerer fiel es ihm allerdings, diesen eigentlich so logischen Entwicklungsschritt zu akzeptieren. In den ersten sechs Jahren reichte es nur für einen Sieg. Zu wenig für die Ansprüche.

"Er gab immer öfter vorzeitig auf, spielte nicht mehr mit ganzem Herzen. Er warf Schläger, hatte eine immer negativere Einstellung", erinnert sich auch Days Frau Ellie, die er vor mehr als zehn Jahren in einem Irish Pub in Ohio kennengelernt hatte, in dem sie als Kellnerin arbeitete und mit der er heute einen Sohn und eine Tochter hat.

Zusammen gründeten beide die Brighter Days Foundation, die Familien in Not unterstützt. Es ist Days Art, etwas zurückzugeben, die eigene Vergangenheit immer vor Augen.

"Ich war an einem Punkt, an dem ich mich entscheiden musste. Entweder ich hätte akzeptiert, wo ich mich befand und wäre damit zufrieden gewesen oder ich musste meinen Hintern hoch bekommen und mich meiner Angst stellen", erklärt Day. Er entschied sich für den harten Weg.

Sein Ziel stets im Visier. "Es ging nie darum, lukrative Verträge abzuschließen oder so viel Geld zu verdienen, wie möglich", erinnerte sich Days Agent Bud Martin gegenüber RBC Golf Channel. "Für ihn ging es von unserem ersten Treffen an nur darum, der beste Spieler der Welt zu werden."

Ein letzter Schritt

Der Weg schien jedoch stets versperrt. Bei 20 Major-Turnieren kam Day neunmal unter die besten zehn Spieler, gleich dreimal belegte er den undankbaren zweiten Platz. Er kämpfte sich von Verletzungen zurück, hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.

Aufhalten ließ er sich von all den Widrigkeiten aber nicht und auch das Schicksal hatte letzten Endes ein Einsehen. Sein unbändiger Wille, die harte Arbeit und die Opfer, die so viele Menschen von Herzen erbracht hatten, sollten sich beim PGA Championship endlich auszahlen.

"Auf die 18 zu gehen und zu wissen, dass ich es endlich geschafft habe, war hart", fasst Day seine Emotionen bei seinem Sieg, der ihm zudem Rang eins in der Weltrangliste sicherte, zusammen. "Ich habe versucht, meine Tränen zurück zu halten. Irgendwann konnte ich dann allerdings nicht mehr dagegenhalten, ich konnte nicht aufhören zu weinen. Es war so ein langer, langer Weg."

Es war der einzige, den Jason Day gehen konnte.

Die Golf-Weltrangliste auf einen Blick