Zur Info: Für die Positionierung der Teams wurden Eindrücke aus der Vorbereitung sowie der vergangenen Turniere, die individuelle Klasse der Spieler, das Funktionieren als Team, Verletzungen, die Stärke der Gruppengegner und die Aussichten in der Hauptrunde in Betracht gezogen.
1. Dänemark
Bei der WM 2011 mussten sich die Skandinavier im Finale noch mit 35:37 nach Verlängerung gegen Frankreich geschlagen geben. Doch diesmal sind die Dänen an der Reihe. "Wir können den Titel holen", macht Flensburgs Lasse Svan Hansen deutlich, wie groß das Selbstvertrauen ist. Von den Ergebnissen her verlief die Vorbereitung gut. Der Totalkredit Cup wurde gewonnen - durch einen 31:27-Sieg gegen Island.
Alles super also, wäre da nicht das Verletzungspech, das vor allem bei den Kreisläufern gnadenlos zugeschlagen hat. Nach Jesper Nöddesbo (Bandscheibenvorfall) fällt mit dem bärenstarken Michael Knudsen (Muskelfaserriss) auf dieser Position ein zweiter Spieler aus. Nun sollen es die Brüder Rene Toft Hansen und Henrik Toft Hansen (beide AG Kopenhagen) richten.
Trotz allem haben die Dänen immer noch das Potenzial für den ganz großen Wurf. Man denke nur an den WM-Torschützenkönig Mikkel Hansen (AG Kopenhagen), Lars Christiansen (KIF Kolding) oder den zukünftigen Rhein-Neckar-Löwen Keeper Niklas Landin.
Bob Hanning: "Es wäre einfach, wenn ich auf Frankreich tippen würde. Ich sage aber, dass sich Dänemark die Krone aufsetzt, weil sie eine tolle Mannschaft haben und bei der WM schon verdammt nah dran waren. Früher hatte das Erfolgsbuch der Dänen etwas überspitzt ausgedrückt zwei Seiten, eine zum Aufschlagen und eine zum Zuschlagen. Da stand nix drin. Da hat sich seit dem EM-Titel 2008 auch an der Mentalität etwas geändert. Der Ausfall von Knudsen ist zwar bitter, er wird die Dänen aber nicht aufhalten."
2. Frankreich
Thierry Omeyer, Nikola Karabatic, Luc Abalo, Didier Dinart: Diese Auflistung von großen Namen lässt einen zweifeln, ob es eine glorreiche Idee war, Frankreich nur auf Platz zwei zu setzen. Fakt ist: Bei den vergangenen drei großen Turnieren hielten die Franzosen am Ende den Cup in die Höhe. Dabei kassierte das Team von Coach Claude Onesta eine einzige Niederlage - 19:22 in der Zwischenrunde bei der WM 2009 gegen Gastgeber Kroatien.
Aber vielleicht trifft sie ja diesmal tatsächlich ein, die Ankündigung, dass der Equipe Tricolore der letzte Biss nach so vielen grandiosen Erfolgen fehlt. Und Hoffnung dürfte der Konkurrenz die überraschende Pleite in der Vorbereitung gegen die Slowakei machen - sie sind nicht unschlagbar. Zudem plagen auch die Franzosen Verletzungssorgen: William Accambray (Ellenbogenverletzung) und Michael Guigou (Leistenoperation) werden wenn überhaupt dann nicht mit voller Stärke ins Turnier gehen.
Dennoch: Frankreich kann natürlich erneut den Titel holen. Das große Plus ist neben den vielen tollen Einzelspielern eine hervorragend eingespielte Truppe.
Hanning: "Um eines noch mal klarzustellen: Frankreich ist vom Papier her der Favorit, das ist bei den Erfolgen der vergangenen Jahre doch klar. Trotzdem glaube ich, dass es diesmal nicht ganz reichen wird, weil eben Dänemark stark ist. Wer allerdings glaubt, dass die Franzosen den Titel nicht mehr holen, weil der nötige Biss fehlt, der liegt völlig falsch. Spieler wie Omeyer oder Karabatic sind dafür viel zu professionell."
3. Spanien
Von der Spielweise her werden die Spanier wohl wieder so eine Art hässliches Entlein sein. Aus einer knallharten Abwehr heraus eiskalt die Tempogegenstöße ausspielen, das ist das Ding der Mannschaft von Trainer Valero Rivera. Zwei enorm wichtige Stützen fehlen allerdings: Keeper Arpad Sterbik musste sich einer Herz-Operation unterziehen und wird ebenso wie Defensivspezialist Ruben Garabaya (Knieverletzung) nicht dabei sein.
Dazu ist die Gruppe der Spanier mit Frankreich, Russland und Ungarn stark besetzt. Trotzdem: Die Iberer werden ins Halbfinale einziehen, weil sie einen qualitativ so hochwertigen Kader haben, dass der ein oder andere Ausfall kompensiert werden kann. Warum es nicht für den ganz großen Wurf reichen wird? Weil gegen eine gute Abwehr manchmal die Ideen ausgehen.
Hanning: "Spanien wird nicht Europameister, aber ich bin mir sicher, dass sie ein gutes Turnier spielen werden. Ihre große Stärke wird wie immer eine überragende Abwehr sein. Dann kommt es darauf an, ob sich die Offensive im Turnierverlauf steigern kann."
4. Kroatien
Nach dem enttäuschenden fünften Platz bei seinem Debüt als Chefcoach bei der WM in Schweden steht vor allem Slavko Goluza unter Druck. Es gibt einige Kritiker, die den früheren Assistenten von Lino Cervar für den falschen Mann halten. Deshalb ist das Halbfinale das Minimalziel. Aber die Kroaten sind unberechenbar. Während es in der EM-Quali nur Siege gab, setzte es bei einem Vier-Nationen-Turnier Ende 2011 gegen Serbien, Ungarn und Tschechien jeweils Niederlagen.
Besonders wichtig wird für Kroatien das Auftaktspiel gegen Island, es gilt vier Punkte mit in die Zwischenrunde zu nehmen. Der Grund: In der Hauptrunde warten wohl Spanien und Frankreich. Zwei Dinge sind entscheidend: Zeigt der bei der WM 2011 eher schwache Keeper Mirko Alilovic gute Leistungen? Und nimmt Ivano Balic das Spiel in die Hand, oder meckert er permanent an allem herum?
Hanning: "Kroatien ist ganz klar ein Favorit auf das Halbfinale. Trotzdem sehe ich sie nicht ganz oben. Man kann sich nie ganz sicher sein, ob sie sich vielleicht nicht auch mal schlecht präsentieren. Aber sie dürften wohl auch so etwas wie einen Heimvorteil haben, weil viele Kroaten nach Serbien kommen werden."
5. Polen
Das Verletzungspech hat bei einigen Mannschaften zugeschlagen, schlimmer als die Polen erwischte es aber keinen. Mit Torhüter und Kapitän Slawomir Szmal und Rückraumspieler Marcin Lijewski (Rippenbruch) sind zwei der wichtigsten Spieler nicht dabei. Deshalb dürfte Platz fünf das höchste der Gefühle sein.
Eine hohe Erwartungshaltung hat das Team von Trainer Bogdan Wenta dennoch an sich selbst. Man möchte den miserablen achten Platz bei der vergangenen WM vergessen machen und irgendwie ein Ticket für Olympia lösen. "Wir werden uns trotz der schwierigen Voraussetzungen sicher nicht verstecken", kündigt Berlins Bartlomiej Jaszka an.
6. Serbien
Die Erwartungshaltung im Gastgeberland ist riesig, eine Medaille der große Traum. Es wird wohl ein Traum bleiben, für den ganz großen Wurf haben die Serben schlichtweg einen qualitativ zu dünnen Kader. Die Hoffnungen ruhen auf einem Trio: Momir Ilic vom THW Kiel, der zukünftige Kieler Marko Vujin und Zarko Sesum von den Rhein-Neckar Löwen sollen für Offensiv-Power sorgen.
Das gute an einer Heim-EM ist: Während in der Vergangenheit auch mal ein Spieler keine Lust auf die Nationalmannschaft hatte, sind diesmal alle gerne dabei. Fazit: Wenn die Serben ihre frenetischen Fans nicht als Belastung, sondern als Ansporn begreifen, dann ist Platz sechs drin.
7. Deutschland
Vierter bei der EM 2008 in Norwegen, Fünfter bei der WM 2009 in Kroatien, Zehnter bei der EM 2010 in Österreich und als "Krönung" der peinliche elfte Platz bei der WM 2011 in Schweden: Mit dem DHB-Team geht es seit dem WM-Triumph 2007 stetig bergab. Deshalb ist klar: Diesmal darf es keine Enttäuschung geben, der ohnehin lädierte Ruf des deutschen Handballs steht endgültig auf dem Spiel.
Die Oliver Roggisch Kolumne: "Für ganz oben reicht es nicht"
Wunderdinge kann man von der Mannschaft von Trainer Martin Heuberger aber nicht erwarten, Rang sieben ist angesichts der Voraussetzungen realistisch. Bei den Vorbereitungsspielen gegen Ungarn gab es Licht und Schatten - ein Sieg, eine Niederlage.
Die Frage ist: Wer nimmt das Spiel in die Hand? Mimi Kraus, der verletzt ausfällt, schaffte es in der Vergangenheit nicht. Heuberger bleibt nichts anderes übrig, als die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, wobei Michael Haaß und Martin Strobel als Spielmacher besonders gefordert sind.
8. Island
Legende Olafur Stefansson ist wegen Knieproblemen nicht dabei, in der Vorrunde warten Kroatien, Norwegen und Slowenien, und in der Hauptrunde würden wohl Spiele gegen Frankreich und Spanien anstehen. Das Halbfinale ist für Island nahezu utopisch, es wird ein Mittelfeldplatz.
Aber: Die Truppe von Trainer Gudmundur Gudmundsson wird wie immer alles geben und es durch ihr körperbetontes Spiel jedem Gegner zumindest schwer machen. Da Stefansson nicht dabei ist, lastet der Druck vor allem auf Spielmacher Aron Palmarsson (Kiel). Übrigens: Insgesamt haben die Isländer elf Akteure im Kader, die in Deutschland ihr Geld verdienen.
Hanning zu den Plätzen 5 bis 8: "Ich sehe auf den Plätzen fünf bis acht eine Gruppe, bei der man nicht sagen kann, wer genau wo landet. Das sind Polen, Serbien, Island und Deutschland. Die Polen wären ohne die bitteren Ausfälle vielleicht sogar ein Kandidat für das Halbfinale gewesen, so sind sie aber doch arg geschwächt. Serbien spielt zuhause und kann vor frenetischen Fans auch für eine Überraschung sorgen. Dass sie bei dem Erwartungsdruck verkrampfen, glaube ich nicht. Island gehört vom Potenzial her genau in diese Gruppe, nicht mehr und nicht weniger.
Und dann ist da noch Deutschland. Die Ausgangslage ist günstig, um im oberen Drittel zu landen. Voraussetzung dafür ist aber ein Sieg gegen Tschechien. Trotz meiner Kritik wäre es ja wünschenswert, wenn die Jungs das auch schaffen. Dass die Erwartungshaltung diesmal nicht so groß ist, könnte befreiend sein. Also: Wenn es optimal läuft, dann ist vielleicht sogar Rang fünf drin."
Plätze 9 bis 16: Schweden führt Außenseiter an
Der Spielplan der Handball-EM 2012