SPOX: Herr Gislason, Glückwunsch zur Meisterschaft. Filip Jicha hat Ihnen unmittelbar nach dem verrückten Titelgewinn eine Bierdusche verpasst. Haben Sie sich schon gerächt?
Alfred Gislason (lacht): Ich glaube, ich habe Filip sogar zuerst erwischt. Danach hat er sich bei mir revanchiert.
SPOX: Nach so einem emotionalen Erfolg hätten einige Ihrer Spieler sicher gerne so richtig die Sau rausgelassen. Aber Sie haben mal wieder den Party-Verderber gespielt.
Gislason: Ach, das stimmt doch so nicht. Im Ernst: Es wurde recht zurückhaltend gefeiert, aber da muss ich nicht groß den Spielverderber machen, weil die Mannschaft weiß, dass es noch nicht vorbei ist. Es steht schließlich noch ein großes Ereignis an. Würden wir jetzt tagelang feiern, hätten wir beim Champions-League-Final-Four keine Chance. Und ich verspreche: Egal, wie es in Köln ausgeht, danach wird richtig gefeiert.
SPOX: Sie haben mit dem THW viel erlebt und viel gewonnen. War aber das, was am Samstag passiert ist, der emotionalste Moment?
Gislason: Ja, das war der emotionalste Moment überhaupt. Weil es so unglaublich eng war und auch ein wenig unerwartet kam. Wir konnten bei der Ausgangslage schließlich nicht damit rechnen, es noch zu schaffen. Und zwischendurch sah es ja auch nicht wirklich gut für uns aus. Das änderte sich erst in den letzten Minuten. Aber wir haben immer gekämpft, deshalb bin ich sehr stolz auf meine Mannschaft.
SPOX: Sie wussten, dass ein normaler Sieg gegen die Füchse sehr wahrscheinlich nicht reichen wird. Wie geht man an so eine Partie also an?
Gislason: Das ist in der Tat nicht so einfach, weil wir es nicht in der eigenen Hand hatten. Wir wussten: Gewinnen die Löwen in Gummersbach so mit zehn Toren Vorsprung, ist es für uns so gut wie unmöglich, noch Meister zu werden. Wir hatten keine Wahl. Also haben wir uns vorgenommen, 60 Minuten alles zu geben und das bestmögliche Ergebnis herauszuholen.
SPOX: Dieser unbändige Wille, es noch zu schaffen, war beim THW von der ersten Sekunde an zu spüren. Woher nimmt Ihre Mannschaft immer wieder diese unglaubliche Siegermentalität?
Gislason: Diese Mannschaft ist es einfach gewohnt, um Titel zu kämpfen. Und sie kann oft dann ihre beste Leistung abrufen, wenn es wirklich um alles geht und es darauf ankommt, nicht die Nerven zu verlieren. Das macht Spaß. Aber ich möchte vor allem noch unseren Fans danken.
SPOX: Bitte!
Gislason: So gut wie die uns in dieser Saison unterstützt haben - das gab es so noch nie. Man kann schon sagen, dass die Jungs von der Atmosphäre, für die unsere Fans gesorgt haben, getragen wurden.
SPOX: Bedanken müssen Sie sich auch beim VfL Gummersbach, der sich gegen die Löwen nicht hängen lassen hat und "nur" mit 35:40 unterlag.
Gislason: Ja, natürlich. Gummersbach hat sehr viel Charakter gezeigt und von Anfang bis Ende Gas gegeben. Das war mit entscheidend. Deshalb: Vielen Dank nach Gummersbach.
SPOX: Bei allem Respekt vor der Leistung des THW muss man doch auch anmerken, dass die Berliner beim 37:23-Sieg der Kieler im Gegensatz zu Gummersbach nicht gerade den besten Eindruck hinterlassen haben, oder?
Gislason: Das sehe ich völlig anders. Die Füchse haben uns das Leben alles andere als leicht gemacht. Sie haben gut in der Abwehr gespielt und Silvio Heinevetter hat überragend gehalten.
SPOX: Löwen-Trainer Gudmundur Gudmundsson hat sich sehr über den Modus in der HBL aufgeregt, weil das Torverhältnis am Ende eine ganze Saison entscheidet. Können Sie das nachvollziehen?
Gislason: Naja. Was aber sicher nicht geht, ist, dass es bei gleicher Tordifferenz zwei Entscheidungsspiele gibt. Der Terminkalender im Handball ist ohnehin schon voll, die Mannschaften haben kaum noch Ruhe. Da kann man nicht plötzlich noch zwei Spiele machen. Ich finde: Bei gleicher Tordifferenz sollte erstmal der direkte Vergleich entscheiden.
SPOX: Vor der Saison sind einige wichtige Spieler gegangen. Sie mussten mal wieder eine neue Mannschaft aufbauen. Viele Experten dachten deshalb, dass es in diesem Jahr für Kiel nicht reichen wird. Verspüren Sie Genugtuung?
Gislason: Ich verspüre Stolz, keine Genugtuung. Wir versuchen in Kiel möglichst immer die Qualität ganz weit oben zu halten, aber diesmal war der Umbruch schon groß. Ich muss zugeben, dass ich selbst darüber erstaunt bin, dass die Mannschaft so eine Saison gespielt hat. Das ist der überraschendste Titel, den wir je geholt haben.
SPOX: Ein ganz entscheidender Faktor war Filip Jicha. Er ist gerade in den vergangenen Wochen in unglaublicher Weise als Kapitän vorangegangen, hat sich teilweise selbst noch unter Schmerzen über die Platte geschleppt. Wie wichtig war er?
Gislason: Es stimmt schon. Filip hat eine super Leistung gezeigt, gerade gegen Ende der Saison. Aber es wäre gegenüber dem Rest des Teams nicht fair, ihn besonders hervorzuheben. Es war die Leistung der gesamten Mannschaft. Wie die Jungs nach der Niederlage am 29. Spieltag bei den Rhein-Neckar Löwen zusammengehalten haben, war überragend. Anschließend haben wir uns vor allem in der Abwehr stark verbessert. Das war ein ganz wichtiger Faktor.
SPOX: Am Wochenende steht das Final Four in der Champions League an. Kiel, Flensburg, Veszprem und Barcelona sind dabei. Wer ist der Favorit?
Gislason: Barcelona ist mit seiner überragend besetzten Mannschaft ganz sicher der haushohe Favorit. Die haben so viele abgezockte Leute mit Weltklasse-Niveau.
SPOX: Der THW muss im Halbfinale gegen Veszprem ran - auch keine leichte Aufgabe.
Gislason: Ganz im Gegenteil! Veszprem hat den Vorteil - anders als wir Bundesligisten - dass sie sich lange und gezielt auf das Final Four vorbereiten konnten. Und sie haben eine tolle Mannschaft. Denken Sie doch nur mal an Laszlo Nagy, ein echter Superstar.
SPOX: Aber Sie wollen uns doch jetzt nicht sagen, dass Kiel keine Chance auf den Titel hätte, oder?
Gislason: Nochmal: Barcelona ist der ganz große Favorit. Wir werden versuchen, wieder alles zu geben, um ins Finale zu kommen. Dann sieht man weiter.
Die Abschlusstabelle der HBL