Hamburg ringt um die Lizenz im zweiten Anlauf, die Uhr tickt. Der HSV möchte sich gerne von Ex-Präsident und Mäzen Andreas Rudolph lösen, doch wohl nur der Big-Boss kann für die Rettung sorgen. Wie ist der Stand der Dinge? Wie kann es für die Norddeutschen noch gut ausgehen? SPOX gibt einen Überblick.
Wie ist der Stand der Dinge?
Die unabhängige Lizenzierungskommission der HBL verweigerte dem HSV die Lizenz, da der Champions-League-Sieger von 2013 seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nachweisen konnte. Der Verein reichte Beschwerde ein und muss der Liga bis Freitag ein stimmiges Finanzierungskonzept präsentieren. Dieses muss die aktuellen Verbindlichkeiten und die Etatplanung für die kommende Saison decken.
"Wir sind dabei, alle nötigen Unterlagen zusammenzutragen. Wir werden keine Versprechen einreichen, sondern Tatsachen", sagte Hamburgs Geschäftsführer Holger Liekefett. Wie das genau aussehen soll, ist derzeit noch offen. Die größte Chance liegt allerdings darin, dass der zurückgetretene Präsident und Mäzen Andreas Rudolph doch noch einmal die Geldbörse zückt.
Anscheinend fehlen den Hamburgern derzeit drei bis vier Millionen Euro, allerdings gibt es über die genauen Zahlen sehr unterschiedliche Berichte. Geld schuldet man demnach unter anderem dem Hallenbetreiber O2, der in der Arena eingesetzten Sicherheitsfirma und dem Catering-Service. Zudem müssen Spieler und sonstige Angestellte bezahlt werden. Fakt ist: Sollte auch das HBL-Präsidium die Lizenz verweigern, bleibt noch der Gang vor das Schiedsgericht. Eine Entscheidung könnte sich demnach bis mindestens 15. Juni hinziehen.
Wie könnte die Zukunft aussehen?
Gelingt es noch, die Lizenz zu bekommen, könnte Hamburg Medienberichten zufolge mit einem von acht auf sechs Millionen Euro gesenkten Etat in der HBL an den Start gehen. Teure Stars müssten möglichst abgegeben und gegen unbekannteres und damit billigeres Personal eingetauscht werden. Zudem steht ein Umzug von der O2 World in die wesentlich günstigere Sporthalle Hamburg zur Debatte.
Ob aber Handball in der Stadt Zuspruch erfahren würde, wenn die Mannschaft nur im Mittelfeld oder gegen den Abstieg spielen sollte, darf stark bezweifelt werden. "Nur um Platz acht zu spielen, funktioniert in Hamburg nicht. Wir müssen weiter den Anspruch haben, Kiel, die Rhein-Neckar Löwen und Flensburg zu schlagen. Es gibt Pläne, dass wir nächste Saison guten Handball spielen. Ich bin optimistisch, dass wir es noch hinkriegen", erklärte Andreas Rudolphs Bruder Matthias, der im HSV-Aufsichtsrat sitzt, der "Bild".
Bleibt es dabei, dass die Lizenz nicht erteilt wird, wäre der Zwangsabstieg in die 3. Liga die Folge. Ob der Verein in diesem Fall aber überhaupt weitermachen würde? Bleibt die Möglichkeit der Insolvenz. Sollte keine Lösung gefunden werden, muss Liekefett anscheinend bis zum 26. Mai beim Amtsgericht einen entsprechenden Antrag stellen. Andernfalls droht er sich der Insolvenzverschleppung schuldig zu machen. Bereits am 10. April soll er auf dem Weg zum Amtsgericht gewesen sein, Rudolph pfiff ihn offenbar in letzter Sekunde zurück.
Wie hat sich der HSV überhaupt in die missliche Situation gebracht?
Klar ist: Ohne Rudolph, der seit 2005 rund 25 Millionen Euro in den Klub gesteckt haben soll, hätte es den HSV in der Form nie gegeben. Die Erfolge mit zwei Pokalsiegen, einer deutschen Meisterschaft und dem Champions-League-Triumph in der vergangenen Saison wären undenkbar gewesen. Niemand kann dem Medizintechnik-Unternehmer unterstellen, er habe in den vergangenen Jahren nicht mit Herzblut für den Handball in Hamburg gelebt.
Absurderweise trägt trotzdem ausgerechnet der Macher die Hauptschuld an der aktuellen Lage. Einst mit dem Vorhaben, den HSV zum FC Bayern des Handballs machen zu wollen angetreten, verpasste es Rudolph als Präsident dafür zu sorgen, dass professionelle Strukturen geschaffen werden, die einem europäischen Spitzenklub würdig sind. Und das, obwohl seit Jahren zahlreiche Menschen aus dem Sport auf die Missstände hingewiesen haben. Es wäre seine Verantwortung gewesen, den HSV von seinem Geld möglichst unabhängig zu machen.
Dies ist nicht passiert - und das hat wohl auch Gründe. Ihm wird vorgeworfen, nie einen starken Mann, der die nötigen Änderungen hätte herbeiführen wollen, an seiner Seite geduldet zu haben. Viele beim HSV lebten gut vom Geld des Mäzens, manche vielleicht zu gut. Die Folge: Im wirtschaftlichen Bereich wurde offensichtlich nicht immer effektiv gearbeitet. Ganz nach dem Motto: Der Alte wird's schon richten.
Warum ist Rudolph zurückgetreten?
Das Verhalten Rudolphs in den vergangenen Wochen und Monaten gibt Rätsel auf. Er übernahm das Präsidenten-Zepter wieder von seinem Bruder Matthias, weil dieser sich der Aufgabe aufgrund des Stresses in seinem eigentlichen Beruf und der fehlenden Zeit für die Familie verständlicherweise nicht mehr gewachsen sah. Zudem wurde mit Liekefett ein neuer Geschäftsführer eingestellt. Mitte April noch, als die Lizenzprobleme längst bekannt waren, stellte der Boss, der selbst als er kein Amt bekleidete die Fäden im Hintergrund gezogen haben soll, überraschend deutlich klar, dass man die Lizenz bekommen werde. Alles andere seien "Scheißhausparolen".
Allerdings war zu diesem Zeitpunkt längst absehbar, dass es wohl nur weitergehen kann, wenn Rudolph die Finanzlöcher einmal mehr aus der privaten Kasse stopfen würde. Offenbar machte er auch entsprechende Zusagen, unterfütterte diese aber nicht wie sonst mit der nötigen Bankgarantie. Am 8. Mai trat er schließlich zurück - aus dem Nichts. "Grund für meine Entscheidung sind die Turbulenzen der letzten Wochen, nicht nur um die Mannschaft und den Verein des HSV Handball, sondern besonders um meine Person", hieß es in einer Erklärung, die selbst die wichtigsten Personen im Klub kalt erwischte und schockte.
Die mäßigen sportlichen Leistungen (Rang vier in der HBL, das Aus in der Champions League) und die kritischen Medienberichte setzten Rudolph offenbar stark zu. Ganz entscheidend für seinen Rückzug war mehreren Medienberichten zufolge jedoch eine andere Geschichte. Wie schon häufiger geschehen lud der 59-Jährige die Mannschaft auf seine Finca ein. Waren die Profis sonst immer gerne dem Ruf des Chefs nach Mallorca gefolgt, kam diesmal aber niemand. Die Spieler wollten ihre Familien über Ostern nicht alleine lassen und waren ohnehin genervt, weil sie zuletzt auf ihre Gehälter warten mussten. Da verspürte wohl keiner große Lust, fröhliche Stunden auf Malle zu verbringen. Die Folge: Rudolph war dem Vernehmen nach extrem gekränkt.
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Wer kann den HSV noch retten?
Der Verein steckt in einem Teufelskreis. Die Uhr tickt, um eine langfristige Lösung mit Substanz auszuarbeiten, fehlt die Zeit. Soll heißen: Das kurzfristige Überleben kann sehr wahrscheinlich nur einer sichern - nämlich Rudolph. Die Gespräche laufen, der Ex-Präsident soll mittlerweile wieder bereit sein, mit einer Finanzspritze zu helfen. Doch der HSV müsste einen gewaltigen Spagat wagen. Einerseits sind sich Liekefett & Co. der nahezu ausweglosen Situation bewusst und auf Rudolph angewiesen. Andererseits würde man die Zukunft gerne ohne den Big-Boss gestalten.
Das verbliebene Präsidium würde es anscheinend gerne sehen, wenn Andreas und Matthias Rudolph ihre nicht unerheblichen Anteile (alleine Matthias Rudolph besitzt 47,7 Prozent) an der GmbH & Co. KG zur kommenden Saison vollständig oder in Teilen überlassen oder verkaufen. Die Begründung: Behalten die Rudolphs ihren großen Einfluss, hält das einen anscheinend für die Zukunft interessierten Investorenkreis, mit dem sich der Verein womöglich auf breiteren Beinen aufstellen könnte, vom Einstieg ab.
Aber warum sollte Rudolph Geld geben und dann auf alle Ansprüche verzichten? "Ich lese, dass ich Geld geben soll, aber dann will der Verein nichts mehr mit mir zu tun haben. Wer würde das machen?", wurde Andreas Rudolph kürzlich von der "Bild" zitiert. Der HSV ist also gezwungen, Kompromisse einzugehen. Zumal Rudolph selbst angeblich Bedingungen stellt. Spieler und Trainer sollen demnach auf ein Monatsgehalt komplett verzichten, was voraussichtlich von der Mannschaft akzeptiert wird, die Gläubiger zumindest vorerst zurückstecken.
Kleine Hilfsaktionen, die allerdings nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, laufen oder wurden angeboten. So haben die HSV-Fans rund 20.000 Euro gesammelt, Erzrivale Kiel will sich zu einem Benefizspiel bereitstellen. "Natürlich helfen wir gerne, wenn wir helfen können. Hier geht es nicht um die Rivalität zwischen zwei Klubs, hier geht es um das Wohl des gesamten deutschen Handballs", meinte THW-Geschäftsführer Klaus Elwardt in der "Sport Bild". In der Tat: Würde der amtierende Champions-League-Sieger pleite gehen, wäre der Imageschaden für den deutschen Handball nicht zu verachten.
Welche Auswirkungen hat das Chaos auf andere Vereine?
Ob im Rennen um die Champions-League-Plätze, die EHF-Cup-Ränge oder den Abstiegskampf: Sollte Hamburg die Lizenz endgültig verweigert werden, wirbelt das einiges durcheinander. Am leichtesten für klare Verhältnisse kann für sich die SG Flensburg-Handewitt mit einem Sieg am letzten Spieltag in Eisenach sorgen. Sollte dies aber misslingen und Hamburg noch an Flensburg vorbei auf Platz drei klettern, wird es kompliziert. Der Tabellendritte darf nämlich einen Antrag auf einen Startplatz in der Königsklasse stellen. Wird Flensburg nur Vierter, wüsste der Klub so lange nicht, was mit dem HSV geschehen wird, dass es zeitlich wahrscheinlich nicht mehr möglich wäre, den Antrag zu stellen.
Startet Hamburg als Vierter nicht im EHF-Cup, würde der Sechste nachrücken. Am schwierigsten ist die Lage aber für Balingen-Weilstetten. Die Süddeutschen steigen wohl sportlich ab, könnten aber drin bleiben, wenn Hamburg keine Lizenz erhält. Wer denkt, die Balinger wären froh über diesen Hoffnungsschimmer, täuscht sich. "Wir hängen von einem Verein ab, der völlig über seinen Verhältnissen lebt und sicher nicht vernünftig wirtschaftet, denn sonst gebe es solche Probleme nicht", meinte HBW-Geschäftsführer Bernd Karrer, der zweigleisig planen muss, gegenüber "Sport1".
Was passiert mit den Spielern und dem Trainer?
Wohl jeder Spieler des HSV sieht sich derzeit nach Alternativen um. Selbst gültige Verträge könnten schließlich bald relativ wertlos sein. In naher Zukunft gibt es in Hamburg wahrscheinlich kein großes Geld mehr zu verdienen. Besonders bitter ist die Situation für Joan Canellas. 2013 erst vom Pleite-Klub Atletico Madrid gekommen, ist der Spanier nun wieder in einer ähnlichen Situation. Immerhin: Veszprem bestätigte, dass Interesse an ihm und an seinem Teamkollegen Andreas Nilsson besteht.
Auch bei Trainer Martin Schwalb ist die Zukunft ungewiss - selbst wenn es in Hamburg weitergehen sollte. Behält nämlich Rudolph seinen Einfluss, dann könnte der Coach eventuell trotzdem gehen müssen. Er soll beim Ex-Präsidenten nämlich seit einiger Zeit unten durch sein.
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