Held, Hexer, Lebensversicherung

Carsten Lichtlein bot beim Sieg gegen Ägypten eine Galavorstellung
© getty

Erst glänzt er, dann singt er. Der DHB feiert nach dem 23:16-Sieg gegen Ägypten Teufelskerl Carsten Lichtlein. Dabei gebührt längst nicht nur dem Torhüter Lob. Bob Hanning sieht Deutschland sogar wieder obenauf, doch Vorsicht vor dem nächsten Gegner ist geboten: Es wartet Katars Weltauswahl (Mi., 16.30 Uhr im LIVE-TICKER).

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"Viertelfinaaaale, Viertelfinaaaale, Viertelfinaaaale..." Der Held des Abends betrat die Mixed Zone singend. Und er hatte allen Grund dazu. Mit 20 Paraden und insgesamt 56 Prozent abgewehrter Bälle hatte Carsten Lichtlein eine Leistung gezeigt, die mit Worten nur schwer zu beschreiben ist.

"Das war ein Lichtlein-Spiel, absolut herausragend. Und glauben Sie mir: Ich habe schon viele Torhüterleistungen gesehen", sagte Bernhard Bauer im Gespräch mit SPOX, während er dabei zusah, wie ein ägyptischer Journalist die afrikanischen Nationalspieler einfach stehen ließ, auf die andere Seite eilte und ein Erinnerungsfoto mit dem deutschen Keeper schoss.

Carsten Lichtlein im SPOX-Interview

Der 34-Jährige strahlte eine fast unheimliche Ruhe und Stärke aus. Egal, wo das Team von Coach Marwan Ragab die Bälle auch hinwarf, Lichtlein war meistens schon da. Den heißblütigen ägyptischen Fans in der mit rund 10.000 Zuschauern besuchten und endlich einmal stimmungsvollen Lusail Multipurpose Hall blieb der Torschrei mehrfach im Halse stecken.

"Er scheint wie Wein zu sein"

"Es war teilweise ein Spiel Ägypten gegen Lichtlein. Er scheint wie Wein zu sein, der immer besser wird, je weiter er reift", konnte der DHB-Präsident seine Begeisterung gar nicht mehr im Zaum halten. Damit stand Bauer längst nicht alleine da.

Während Bundestrainer Dagur Sigurdsson fast schon isländisch unterkühlt von einer "sehr, sehr starken Leistung" sprach, meinte Kapitän Uwe Gensheimer: "Carsten war überragend, unsere Lebensversicherung. Man hat gemerkt, dass er jemand ist, der sich gut vorbereitet."

Diese Tatsache verschaffte Lichtlein vor allem bei den Siebenmetern einen entscheidenden Vorteil. Drei von fünf Strafwürfen parierte der Gummersbacher. Ob Mohamed Amer, Ahmed Elahmar oder Aly Mohamed - ihnen allen zog der DHB-Hexer den Zahn.

Lichtlein voll im Flow

"Ich schreibe mir immer einen Zettel", verriet Lichtlein: "Da hatte ich diesmal sieben verschiedene Siebenmeterschützen drauf. Das hat normalerweise keine Mannschaft. Wenn man sich trotzdem an jeden erinnern kann, dann hält man eben auch mal einen."

Ob er sich irgendwann unbezwingbar gefühlt habe, wollte jemand vom gebürtigen Würzburger wissen. Das sei vielleicht das falsche Wort, erklärte er: "Aber man muss sich schon von dem Gedanken befreien, dass man jeden Ball hält. Wenn man mal in so einem Flow drin ist, dann fangen auch die Gegner an, zu denken. Es gibt solche Spiele, in denen alles klappt."

WM-Bracket: Der Weg zum Titel

Bei all dem berechtigten Trubel um den Torwart wäre beinahe die ebenfalls starke Leistung der gesamten Mannschaft in Vergessenheit geraten. Denn Teil der Wahrheit ist auch: Ägypten war im Angriff mitunter mies, zudem machte die deutsche Abwehr einen hervorragenden Job.

Ägyptens Emotionen erdrückt

16 Gegentore oder weniger gab es bei dieser WM erst drei Mal. Spanien hielt Chile ebenso bei 16 Toren wie Schweden die Isländer. Polen ließ gegen Saudi-Arabien 13 Treffer zu.

"Die Abwehr war gut, dadurch kamen wir zu Toren nach Tempogegenstößen", sagte Sigurdsson: "Wir kontrollierten das Spiel. Die Jungs waren sehr konzentriert, deshalb ist uns erneut ein guter Start in die zweite Hälfte gelungen. Es war wichtig, auch zu diesem Zeitpunkt keine Schwäche zu zeigen."

12:8 führten die Deutschen zur Pause, ein 4:0-Lauf direkt nach der Halbzeit ließ das ägyptische Kämpferherz allmählich ruhigere Töne anschlagen. Das DHB-Team ließ es einfach nicht zu, dass Ägypten seine Emotionalität, die es gefährlich macht, abgesehen von den ersten Minuten in die Partie einbringen konnte.

"Zurück in der Weltspitze"

Kurios: Obwohl Ägypten hart zu Werke ging, kassierte Deutschland mehr Zeitstrafen (7:5). Doch das spielte nach der Partie keine Rolle mehr. Vielmehr wurde diskutiert, was das Erreichen des Viertelfinales für den deutschen Handball bedeutet.

"Wir sind zurück in der Weltspitze", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning genau wie der frühere Torhüter Henning Fritz. Ein Statement, das aus der Emotionalität heraus erklärbar ist, vielleicht aber ein wenig zu früh kommt. Genau genommen eigentlich nur einen Sieg zu früh.

BLOG "Das ist kein Leben hier"

Sollte Deutschland nämlich das Halbfinale erreichen, wäre das Ticket für eines der Olympia-Qualifikations-Turniere für Rio 2016 sicher. Zudem wäre es der erste Einzug in ein WM-Halbfinale seit dem Titel im eigenen Land vor acht Jahren.

Vorsicht vor Katars Weltauswahl

Aber Achtung: Der kommende Gegner Katar ist ein gutes Stück stärker einzuschätzen als Ägypten. Mit den beiden Torhütern Danijel Saric und Goran Stojanovic sowie den beiden Rückraumspielern Zarko Markovic und Rafael Capote stehen dem spanischen Weltmeister-Trainer Valero Rivera klangvolle Namen zur Verfügung, die ihr Können bei diesen Titelkämpfen bereits unter Beweis gestellt haben.

"Wir haben alle Möglichkeiten, um auch gegen Katar guten Handball zu spielen. Dann werden wir sehen, ob das reicht oder nicht", meinte Sigurdsson: "Wenn wir so eine Torhüter- und Abwehrleistung wieder hinbekommen, ist alles möglich."

WM-Roundup: Alle Spiele der Finalrunde

Verstecken muss sich die deutsche Mannschaft wahrlich nicht. Sie ist bei fünf Siegen und einem Remis nach sechs Partien noch immer ungeschlagen. Wobei Katar auch nur einmal gegen Titelverteidiger Spanien knapp den Kürzeren zog und mit 25:28 unterlag.

Der aufmüpfige Hexenkessel

"Gegen einen Gastgeber zu spielen, ist immer schwer. Die Mannschaft muss mit einer sehr guten Einstellung in dieses Spiel gehen. Der Hexenkessel wird nämlich dann noch etwas aufmüpfiger sein", warnte Bauer. Wobei er diese Warnung gar nicht aussprechen hätte müssen.

Schließlich kündigte nach dem Präsidenten selbst Überflieger Lichtlein an, bald wieder mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen: "Wir dürfen uns kurz freuen und auch ein bisschen singen. Aber dann konzentrieren wir uns voll auf Katar."

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