Andreas Michelmann ist seit gut einem Jahr Präsident des DHB. SPOX traf den 57-jährigen Oberbürgermeister in Hamburg und sprach mit ihm über die Zukunft von Bundestrainer Dagur Sigurdsson, die Entwicklung der Nationalmannschaft, die jüngsten Äußerungen von Kiel-Manager Thorsten Storm, Flüchtlinge und einen Sandkasten.
SPOX: Herr Michelmann, die Zusammenarbeit zwischen DHB und HBL hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Umso überraschender kamen die Aussagen von Kiel-Manager Thorsten Storm, der seinen Spielern unter anderem indirekt dazu geraten hat, auf Partien mit der Nationalmannschaft zu verzichten. Wie kam das bei Ihnen an?
Andreas Michelmann: Die jüngsten Erfolge der Nationalmannschaft sind schneller gekommen als erwartet. Das liegt neben der exzellenten Arbeit von Dagur Sigurdsson daran, dass sich alle im deutschen Handball ein wenig zurückgenommen haben. Das betrifft das DHB-Präsidium, die HBL und die Landesverbände. So konnte im sportlichen Bereich ganz ruhig gearbeitet werden. Nun haben wir so ein wenig den Fluch der guten Tat. Weil wir erfolgreich sind, ist die Belastung in diesem Jahr ungleich höher als 2012. Damals waren wir weder bei der EM noch bei den Olympischen Spielen dabei. In diesem Jahr dagegen waren wir bei beiden Turnieren bis ganz zum Ende vertreten. Und im Januar kommt die WM in Frankreich. Drei große Turniere binnen zwölf Monaten durchlebt kein Fußballer. Jetzt wieder in alte Egoismen zu verfallen, halte ich trotzdem für falsch.
Storm im SPOX-Interview: "Wenn Palmarsson will, nehmen wir ihn"
SPOX: Was kann man gegen die enorme Belastung tun, um die es Storm geht?
Michelmann: Wir müssen alle offen darlegen, wer wo welchen Anteil hat und dann praktische Schritte gehen. Wir als DHB werden uns in absehbarer Zeit zum Thema "Ausweitung der internationalen Wettbewerbe auf Nationalmannschaftsebene" äußern. Genau das gleiche Vorgehen erwarte ich dann aber auch von den deutschen Klubvertretern, wenn sie von der EHF gefragt werden, wie sich die völlig aufgeblähte Champions League weiterentwickelt. Die ist nämlich unser eigentliches Problem.
SPOX: Was meinen Sie genau?
Michelmann: Wenn wir die Olympia-Jahre weglassen, sind sowohl die Anzahl der Länderspiele als auch die Anzahl der Liga- und der DHB-Pokalspiele relativ konstant. Lediglich die Belastung durch die Champions League ist extrem gestiegen. Ich habe das Gefühl, dass jeder an sich denkt und nicht an die Gesamtentwicklung der Sportart Handball. Wir müssen das Aufblähen des Wettkampfkalenders auf internationaler Ebene stoppen.
SPOX: Paris oder Veszprem haben in ihren heimischen Ligen quasi keinen Wettbewerb und sind deshalb heiß auf die Champions League. Somit dürfte es für Deutschland schwierig werden, seine Interessen durchzusetzen.
Michelmann: Natürlich wissen wir, dass Deutschland nicht der Nabel der Welt ist. Aber wir haben bei uns eine besondere Situation, die wir ja deshalb nicht einfach außer Acht lassen können. Wir haben - was die Ausgeglichenheit angeht - nach wie vor die beste Liga der Welt, haben wieder eine starke Nationalmannschaft. Schauen Sie beispielsweise nach Ungarn oder Kroatien, das sind, wie Sie schon richtig gesagt haben, mehr oder weniger Ein-Klub-Ligen. Deshalb müssen wir eben unsere Interessen vertreten.
Erlebe die Handball-Bundesliga Live und auf Abruf auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat
SPOX: Christian Dissinger nimmt sich aufgrund der hohen Belastung eine Auszeit vom Nationalteam, auch Hendrik Pekeler denkt beispielsweise darüber nach. Wie gefährlich ist diese Entwicklung für das DHB-Team?
Michelmann: Christian Dissinger ist ein gesonderter Fall, weil er in der Vergangenheit unglaubliches Pech mit Verletzungen hatte. Sonst erwarte ich aber, wenn es deshalb Probleme gibt, dass dies intern und nicht über die Medien besprochen wird.
SPOX: Dann lassen Sie uns über Ihre nun gut einjährige Amtszeit als DHB-Präsident sprechen. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?
Michelmann: Es läuft bedeutend besser, als von vielen erwartet. Wir können selbstbewusst sagen: Der Deutsche Handballbund ist mit den Männern wieder in der absoluten Weltspitze angekommen. Auch mit den Frauen wollen wir diesen Beweis antreten. Im Beachhandball sind wir so weit vorangekommen, dass das Ziel, bis 2020 die Weltspitze zu erreichen, realistisch ist. Bildlich gesehen ist es das Ziel des Deutschen Handballbundes, vier hochseetaugliche Schiffe zu haben mit der Handball-Nationalmannschaft der Männer als Flaggschiff.
SPOX: 2015 rumorte es im DHB gewaltig, weshalb ein so positives Jahr nicht zu erwarten war. Was hat sich seither verändert?
Michelmann: Das Verhältnis zwischen HBL und DHB hat sich trotz der vorhin angesprochenen Probleme deutlich verbessert und ist sehr gut. Das ist ein wichtiger Grund für die jüngsten Erfolge. Außerdem haben wir unser Wort gehalten, indem wir, wie von den Landesverbänden gefordert, den Reformprozess vorangetrieben haben. Wir haben wie versprochen das Papier unter dem Titel Perspektive 2020+ vorgelegt, wo wir erläutert haben, wie es weitergehen soll. Wir haben auch einen Strukturvorschlag unterbreitet, der nun mit den Landesverbänden diskutiert wird. Mein Eindruck ist, dass wir uns bei allen Auseinandersetzungen, die es immer mal geben muss, im Gegensatz zu vor einem Jahr in der Sache streiten und viel weniger um Personen.
SPOX: Man geht ein Amt mit einer gewissen Vorstellung an, wie es sein könnte. Ist da etwas ganz anders gelaufen, als Sie es sich gedacht haben?
Michelmann: Wirklich wichtig für den Deutschen Handballbund war, dass wir uns wirklich alle ein Stück zurückgenommen haben. Wir haben den Sport und nicht unsere eigenen Befindlichkeiten in den Vordergrund gestellt. Meine Aufgabe sehe ich darin, dafür zu sorgen, dass wir eine Einheit sind und dass alle auf ihrem Feld in Ruhe arbeiten können.
SPOX: Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie im SPOX-Interview die Entwicklung der Mitgliederzahlen als eine Ihrer wichtigsten Aufgaben genannt. Wie sieht es in diesem Bereich aus?
Michelmann: Ich bin gespannt, wie sich der Erfolg der Männer-Nationalmannschaft auswirkt. Wir haben die Instrumente, um an die Mitglieder ranzukommen, teilweise ja schon gehabt. Dinge wie das AOK Star-Training oder Grundschulaktionstage zum Beispiel. Ich hoffe, dass uns das jetzt, wo wir den sportlichen Erfolg haben, noch mehr zugutekommt. In Hamburg waren wir beispielsweise in einer Grundschule und haben mit den Kindern trainiert. Michael Biegler ist dafür extra früher zum Länderspiel der Frauen angereist. Das muss man sich mal vorstellen: Ein weltbekannter Trainer wie Biegler kommt extra zum Grundschultraining. Das finde ich toll, und es zeigt, dass alle mitziehen. Wie die Entwicklung jetzt tatsächlich ist, werden wir erst am Ende des Jahres sagen können. Ich hoffe, dass wir den Abwärtstrend gestoppt haben.
SPOX: Als DHB-Boss ist man viel unterwegs. Sie waren bei der EM in Polen und in Rio dabei. Wie war die Erfahrung Olympia für Sie?
Michelmann: Für mich waren es die ersten Spiele, es war ein besonderes Ereignis. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch mal etwas zu den Brasilianern sagen. Im Gegensatz zu uns, die wir vielen Nationen erklären, was sie besser und schöner machen können, haben die Brasilianer bewiesen, dass sie Olympische Spiele vorbereiten und veranstalten können. Das hat Brasilien bei aller Kritik für mich letztlich bewiesen. Wir müssen diesen Beweis in den nächsten Jahren erstmal wieder antreten.
SPOX: DHB-Vizepräsident Bob Hanning bezeichnet Sie als Pragmatiker, der nie auf den ersten Blick gewinnt, dafür aber mit seiner Nachhaltigkeit. Hat er Sie damit treffend beschrieben?
Michelmann: Im Gegensatz zu meiner aktiven Zeit habe ich hoffentlich ein wenig an Geist, definitiv aber an Gewicht gewonnen. (lacht) Wahrscheinlich entspreche ich somit nicht unbedingt dem heutigen Schönheitsideal. Am Ende ist aber entscheidend, welche Ergebnisse wir vorweisen können. Mit Bob spreche ich offen, dann aber immer unter vier Augen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem restlichen Präsidium. Ganz wichtig ist, jedem genügend Luft zu lassen. Ich bin schon mehrmals von Bekannten oder Freunden gefragt worden: "Warum geht denn der Hanning immer vor und nicht der Präsident?" Dazu habe ich eine ganz klare Meinung: Der DHB muss auf der jeweiligen Position von den Besten vertreten werden. Und Bob ist aus dem Präsidium eindeutig derjenige, der am engsten an der Mannschaft dran ist und sich am besten zum Leistungssport und zur Nationalmannschaft äußern kann. Dann soll er das doch machen, das ist für mich völlig in Ordnung. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel.
SPOX: Bitte.
Michelmann: Als wir zur EM in Breslau angekommen sind, habe ich gesagt: "Bob, das ist jetzt dein Reich." Als wir dann nach dem Titel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast waren, sagte Bob zu mir: "Das ist jetzt aber deine Bühne." Wir haben im Präsidium insgesamt eine klare Aufgabenteilung. Das führt vielleicht zu einer anderen Wahrnehmung, als man es klassischer Weise kennt. Aber wir kommen damit gut zurecht.
SPOX: Als Sie Präsident wurden, gab es Zweifel, ob für Sie die Doppelbelastung als DHB-Boss und als Oberbürgermeister von Aschersleben, der Sie nun seit 22 Jahren sind, händelbar ist. Wie kommen Sie mit den beiden Jobs klar?
Michelmann: Ich war mir zwar von Anfang an sicher, dass ich es schaffe. Aber dass es so gut läuft, hätte ich selbst nicht gedacht. Natürlich musste ich auch erstmal den richtigen Rhythmus finden. Anfangs habe ich gedacht: Du machst jetzt die ersten zwei Stunden das und dann vier Stunden das. So läuft es aber nicht. Wenn ich bei der Stadt Urlaub mache, verbringe ich diesen beim DHB. Das darf ich machen, das ist geklärt. Manche waren anfangs der Meinung, dass sie mich beschützen müssten, aber das bekomme ich mit 57 Jahren schon alleine hin. Natürlich ist es auch ein großer Vorteil, dass ich die Abläufe in der Stadt seit so vielen Jahren kenne. Das bedeutet, dass ich auch die eine oder andere Abkürzung kenne und gleichzeitig weiß, welcher Weg wahrscheinlich in die Irre führt. Ich muss bei der Stadt nicht mehr beweisen, was ich kann. Die Leute wissen das mittlerweile. Den Preis, den ich bisher für die Doppelfunktion bezahle, ist, dass mein gesamter Urlaub für den Handball draufgeht.
SPOX: Die Familie dürfte nicht gerade begeistert sein.
Michelmann: Ich habe zwar Kinder und Enkel, bin aber sonst alleinstehend. Natürlich wünscht sich das familiäre Umfeld vielleicht, dass sich der Großvater mehr um die Enkel kümmern würde, als er das macht. Zu meiner Verteidigung kann ich aber sagen: Ich habe vor Kurzem gemeinsam mit meinem Bruder und dem Kindsvater einen Sandkasten aufgebaut. (lacht)
SPOX: Jeder Mensch muss mal abschalten, um seine Kräfte zu behalten. Wie machen Sie das denn?
Michelmann: Das ist für mich kein Problem. Die EM in Breslau oder die Spiele in Rio waren für mich so etwas wie aktive Erholung. Das ist eine ganz andere Form der Belastung. Diese Frage muss jeder selbst für sich beantworten: Bin ich nach einer Woche Mallorca oder nach einer Woche Handball-EM besser drauf? Ich für meinen Teil finde es langweilig, alleine in den Urlaub zu fahren.
SPOX: Als Politiker ist für Sie die Flüchtlingsproblematik ein großes Thema. Sie bezeichneten diese vor einem Jahr als große Chance für den Handball. Sehen Sie das immer noch so und was hat sich auf diesem Gebiet getan?
Michelmann: Diese Aussage würde ich auch heute noch genauso unterschreiben. Leider haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Wir müssen akzeptieren, dass 20 oder 25 Prozent anderer Meinung sind. Vielleicht ergibt sich für jemand wie mich, der Verantwortung für eine Stadt im Osten trägt, eine andere Sicht. Bei allem Einsatz, den wir gezeigt haben, und bei aller Solidarität, die wir vom Westen erfahren haben, haben wir in den letzten 25 Jahren rund 25 Prozent unserer Bevölkerung verloren. Es ist überhaupt nicht abzusehen, dass wir das aus uns heraus umkehren können. Man muss nur die Sterbe- und Geburtenzahlen anschauen, um das festzustellen. Wenn die Bevölkerungsentwicklung in Ascherleben so weitergeht, wären wir 2087 ohne Menschen. Und wir reden hier von einer Stadt, die einmal 32.000 Einwohner hatte. Wenn wir wollen, dass es so nicht endet, dann geht das nur mit Zuzug oder Zuwanderung.
SPOX: Das heißt?
Michelmann: Zuzug haben die Kommunen aus dem Norden, Westen und Süden dieses Landes aus dem Osten bekommen, weil damals bei uns eine gigantische Arbeitslosigkeit von über 40 Prozent herrschte. Diese Menschen haben inzwischen in Bayern oder Baden-Württemberg Wurzeln geschlagen, die kommen nicht zurück. Die um uns herumliegenden Länder leiden unter ähnlichen bis gleichen demographischen Problemen. Jedem, der denken kann, muss also schon lange klar sein, dass wir Zuwanderung nur von außerhalb Europas erwarten können. Ich erwarte von der Politik weniger Hin- und Hergewanke, sondern eine praktische und von mir aus auch pragmatische Politik. Vielleicht brauchen wir für Baden-Württemberg, Berlin oder Hamburg andere Lösungen als für Städte im Osten. Beim Handball ist es ähnlich. Wir haben Jahr für Jahr erzählt, dass wir der größte Handballverband der Welt sind. Die Wahrheit ist doch aber auch, dass wir, was die Mitgliederzahlen angeht, seit Jahren Stück für Stück eine Abwärtsentwicklung haben. Deswegen ist klar, dass wir die Flüchtlinge und die Migranten als Chance nutzen müssen. Selbst wenn sie eines Tages in ihre Länder zurückkehren, haben wir etwas für den Handball insgesamt geleistet.
SPOX: Ihnen geht es um den Sport an sich, was man längst nicht von allen Funktionären behaupten kann. IOC, FIFA, DFB - alle möglichen Sportverbände geben in den letzten Monaten und Jahren ein desaströses Bild ab. Man hat das Gefühl, dass viele Funktionäre den Sport als Kuh verstehen, die es zu melken gilt, bis nichts mehr herauskommt. Wie gefährlich ist diese Entwicklung für den Sport insgesamt?
Michelmann: Es gibt meiner Meinung nach zwei gefährliche Entwicklungen. Erstens das, was Sie gerade eben beschrieben haben. Und zweitens, die Situation fast nur noch so zu beschreiben, wie Sie es getan haben. Wir tun damit vielen Menschen unrecht, die ehrenamtliche Arbeit im Sinne des Sports leisten. Es gibt in Deutschland aber Tausende von Menschen, die ehrenamtlich arbeiten und mit ihrer Selbstausbeutung den Sport in Deutschland überhaupt erst möglich machen.
SPOX: Und international gesehen?
Michelmann: International brauchen wir auch in großen Verbänden Demokratie und Rechtsstaat. Viele machen es sich zu einfach. Die stimmen ab, da kommt dann ein Ergebnis von 96:35 Stimmen heraus und dann ist die Sache durch. Stellen Sie sich vor, unsere Demokratie würde sich darauf beschränken. Dann hätten wir chaotische Zustände. Wir brauchen ein System, in dem es natürlich um Mehrheiten geht. Aber die Verbände brauchen klare Regularien für sich selbst, die Korruption genauso ausschließen wie Doping. Bei aller kritischer Begleitung von Journalisten, die ohne Zweifel sein muss, wünsche ich mir manchmal auch etwas mehr Unterstützung von den Medien, um den Prozess hinzubekommen.
SPOX: Trotzdem sei mir noch eine Frage gestattet, weil auch der Handball-Weltverband mit Hassan Moustafa einen Präsidenten hat, der teilweise als dubiose Person wahrgenommen werden muss. Welchen Eindruck haben Sie vom ägyptischen Handball-Oberhaupt?
Michelmann: Ich kenne ihn noch nicht so lange. Trotzdem sage ich es Ihnen ganz ehrlich, so wie ich es sehe. Zunächst einmal haben wir eine emotionale Verbindung oder einen Bezug dadurch, dass wir beide in Leipzig studiert haben. Das ist ja nicht verboten. Was gelaufen ist, bevor ich DHB-Präsident wurde, weiß ich nicht genau. Mir fällt jedenfalls aus eigener Erfahrung nichts ein, wo ich sagen könnte, dass Hassan Moustafa korrupt gewesen sei, um es mal auf den Punkt zu bringen. Er ist uns gegenüber immer sehr fair bis freundschaftlich. Und in den Punkten, in denen wir anderer Meinung sind, sagen wir ihm das auch. Wir sind dankbar, dass wir die Wildcard für die WM in Katar bekommen haben, so wie sie Norwegen nun für die WM in Frankreich erhalten hat. Als wir Deutschen diese Wildcard bekamen, haben einige gleich ein Geschmäckle gewittert. Bei den Norwegern war das seltsamerweise anders.
SPOX: Eine Wildcard für eine WM ist doch aber grundsätzlich wie ein Fußtritt für den Sport. Wie können Sie das gut finden?
Michelmann: Grundsätzlich haben Sie ja Recht. Deswegen waren wir froh, dass wir die Quali für die EM in Polen aus eigener Kraft geschafft haben und uns darüber - auch ohne Wildcard - für Olympia qualifiziert haben. Und bei der WM in Frankreich sind wir ebenfalls ohne Wildcard mit dabei.
SPOX: Daran hat Bundestrainer Sigurdsson einen großen Anteil. Was auffällt ist, dass er sich bei allen seinen bisherigen drei Turnieren in Katar, Polen und Rio überhaupt nicht verändert hat. Er wirkt distanziert geradlinig, ohne dabei unfreundlich zu sein. Warum kommt er so gut beim Team an?
Michelmann: Für mich ist Dagur Sigurdsson einer der weltbesten Trainer überhaupt. Er ist fachlich kompetent und kann sich über eine wahnsinnig lange Zeit hinweg konzentrieren. In diesem Jahr musste er die Mannschaft zu Olympia noch einmal innerhalb von wenigen Monaten ändern im Vergleich zur EM. Er musste Spieler wieder rausnehmen, die sich aufgrund der Verletzungsmisere in Polen beweisen konnten. Da hat er großen Mut bewiesen. Egal wie schwierig Entscheidungen sind, Dagur sitzt sie nicht aus, sondern trifft sie. Er hat unglaubliches Rückgrat bewiesen, das ist schon beeindruckend.
SPOX: Vor allem behandelt er die Spieler ehrlich und gerecht.
Michelmann: Gerecht ist genau das richtige Wort. Die Spieler empfinden Dagurs Entscheidungen als in sich logisch. Erinnern wir uns beispielsweise an Silvio Heinevetter, der nicht mit nach Polen durfte. Da gab es keine Diskussion und keinen Kommentar von Heinevetter, was mancher nicht erwartet hatte. Oder Carsten Lichtlein, der bei Olympia nur Ersatzmann war. Auch er hat das beeindruckend tapfer ertragen. Das alles zeigt doch, dass die Spieler Dagurs Entscheidungen total respektieren.
SPOX: Wie sehen Sie den möglichen Verlust Ihres Erfolgstrainers im kommenden Sommer?
Michelmann: Wir sind in Gesprächen. Noch ist keine Entscheidung gefallen, aber beide Seiten wissen, was sie aneinander haben. Sollte sich Dagur nach der WM 2017 einer neuen Aufgabe zuwenden, sehe ich den Deutschen Handballbund auch dank seiner Arbeit für die Zukunft gut aufgestellt.
Ferner Osten oder Stadt der Liebe, Dagur?
SPOX: Mit Michael Biegler konnte der DHB einen weiteren echten Typen verpflichten. Als Beagle Frauen-Bundestrainer wurde, konnte sich manch einer ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ganz nach dem Motto: Da können sich die Mädels aber warm anziehen.
Michelmann: Die Philosophie des Trainerteams ist von Respekt und hohen Anforderungen geprägt, die dem Männer-Handball sehr nahe kommen. Damit kommen die Frauen gut klar. Das merkt man an der Stimmung im Team und auch daran, dass alle sehr gerne zur Nationalmannschaft kommen. Ich weiß natürlich, was Sie meinen: Michael Biegler wird als etwas knorriger Typ empfunden. Man tut ihm damit unrecht, er ist sensibler als es scheint. Gleichzeitig ist er sehr konsequent. Und diese Konsequenz haben die Frauen in der Vergangenheit vermisst.
SPOX: Bieglers Auftrag ist klar: Er soll mit dem Team bei der Heim-WM im Dezember 2017 ein erfolgreiches Turnier absolvieren. Hanning meinte, dass man die Tür für die Frauen zu machen könne, wenn das sportlich wieder schief laufen sollte. Warum hat er derart drastische Worte gewählt?
Michelmann: Bob ist beim DHB nicht nur für den Leistungssport zuständig, sondern auch dafür, immer mal wieder den Finger in die Wunde zu legen. Diese Worte waren sicherlich als Ansporn gedacht, was die WM im sportlichen Bereich anbelangt. Wir sind organisatorisch auf einem guten Weg und haben die Weichen sportlich so gut gestellt, wie wir es konnten. Deshalb bin ich jetzt optimistischer, als ich es noch vor einem Jahr war.
SPOX: Inwiefern spielt in den Planungen für die Frauen-WM auch schon die Männer-WM 2019 eine Rolle?
Michelmann: Wir haben für 2017 und 2019 zwei nahezu identische WM-OKs. Natürlich laufen auch die Vorbereitungen für 2019 bereits. Da wir WM dann gemeinsam mit Dänemark veranstalten, ist da jetzt schon viel Kommunikation erforderlich.