Es war der Aufreger schlechthin im Vorfeld der Europameisterschaft. Die Entscheidung von Christian Prokop, Bastian Roscheck anstatt Finn Lemke in den 16er-Kader für die Mission Titelverteidigung zu berufen, löste heftige Diskussionen aus.
Zahlreiche Experten kritisierten den Bundestrainer schon vor dem Turnierstart, viele Fans ließen in den sozialen Medien ihrem Unmut freien Lauf, selbst Teile der Mannschaft waren alles andere als begeistert.
Ein Nobody auf internationalem Terrain vom SC DHfK Leipzig hatte den Vorzug vor dem Abwehrchef der vergangenen Turniere erhalten. Vor dem Mann der MT Melsungen, der das Image der Bad Boys vor allem beim EM-Triumph 2016 in Polen wie eigentlich kein anderer Spieler geprägt hatte.
Andreas Wolff: Entscheidung spricht für Christian Prokop
Am Dienstagmorgen machte Prokop seine Entscheidung rückgängig. Im schlichten, aber gemütlichen Vier-Sterne-Hotel, in dem der DHB-Tross am vergangenen Donnerstag Quartier bezogen hat, verkündete der 39-Jährige der immer größer werdenden Pressemeute seine personelle Änderung.
"Ich möchte der Abwehr mehr Körperlichkeit und den Torhütern mehr Sicherheit und Blockarme geben", so Prokops Begründung. Von einem Fehler, den er nun unerwartet schnell korrigiere, wollte der Mann aus Sachsen-Anhalt nichts wissen. Wer aber ein bisschen zwischen den Zeilen lesen kann, konnte erahnen, dass es letztlich doch genau darum ging.
"Es spricht für den Bundestrainer, dass er die Eier hat, seine Entscheidung zu revidieren", wurde Torhüter Andreas Wolff im Gespräch mit SPOX relativ deutlich: "Ich finde es sehr positiv, dass Finn Lemke zu uns stößt."
Bastian Roscheck konnte seine Nominierung nicht rechtfertigen
Roscheck konnte seine Nominierung in den ersten beiden Partien gegen Montenegro und Slowenien nämlich nicht rechtfertigen. Der 26-Jährige, der vorerst bei der Mannschaft bleiben wird, scheint zumindest für den Moment gegen Weltklasse-Akteure wie Miha Zarabec an seine Grenzen zu stoßen.
"Er hatte eine Idee mit Basti. Und es ist ja nicht zwangsläufig der Fehler des Bundestrainers, wenn seine Erwartungen nicht erfüllt werden", erklärte Wolff: "Basti spielt in der Bundesliga sehr gut. Vielleicht war es für ihn aber etwas zu früh, nach zwei Länderspielen zu einer EM zu fahren. So ein Turnier ist etwas anderes als die Bundesliga."
Finn Lemke hilft auf und abseits der Platte
Aussagen wie diese zeigen deutlich auf: Die Mannschaft verbindet positive Erfahrungswerte mit Lemke. Sie will - wie natürlich auch der Bundestrainer - unbedingt erfolgreich sein. Und sie glaubt, dafür Lemke in ihren Reihen zu benötigen. Das gilt sowohl auf als auch abseits der Platte.
"Für mich als Torhüter heißt das, dass wir ein bisschen zu unserer Grundformel der letzten Jahre zurückkehren. Man hat gegen Slowenien gesehen, dass wir anfällig waren, wenn wir weit rausgerückt sind. Finn ist ein Mann, der den Laden noch besser zusammenhalten kann", sagte Wolff.
Und der Keeper vom THW Kiel fügte hinzu: "Er ist auch vom Typ her einer, der bei so einem Turnier gut tut. Finn ist sehr emotional, er liebt es, für Deutschland zu spielen. Er war bei den vergangenen Turnieren in jeder Hinsicht ein Stützpfeiler dieser Mannschaft."
Abwehr mit Lemke noch variabler
Beim Videobeweis-Wahnsinn gegen Slowenien wurde dieser Stützpfeiler schmerzlich vermisst. Das DHB-Team agierte in Angriff und Abwehr zeitweise verunsichert, war viel zu brav. DHB-Vizepräsident Bob Hanning merkte gar an, teilweise die wahren Bad Boys im gegnerischen Trikot gesehen zu haben.
"Ich habe mit Finn telefoniert. Er ist voll motiviert und hungrig auf die EM. Er wird uns mit Sicherheit sofort helfen", ist Hanning überzeugt. Lemke, der nach Prokops Anruf um 2 Uhr nachts am Dienstagabend in Zagreb eingetroffen ist, steht voll im Saft. Der 25-Jährige weilte in den vergangenen Tagen mit Melsungen im Trainingslager auf der Kanaren-Insel Fuerteventura.
"Zunächst tut es mir für Basti leid. Es ist nie schön, wenn man bei so einem Turnier spontan ausgetauscht wird", sagte Kapitän Uwe Gensheimer zur Änderung im Kader: "Aber ich glaube, dass wir mit Finn noch variabler werden. Neben der offensiven Deckungsvariante gibt es dadurch die Option, auch die defensive Variante besser zu spielen."
Lemkes Qualitäten gleich am Mittwoch gefragt
Lemke dürfte abwechselnd mit Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek den Mittelblock stellen. Gleich am Mittwoch sind die Qualitäten des gebürtigen Bremers gegen die bislang zwei Mal siegreichen Mazedonier gefragt.
Der 2,10-Meter-Riese mit den Bratpfannen-Händen muss zupacken, austeilen, mit seiner Aggressivität und Emotionalität die Mitspieler pushen und gleichzeitig den Gegner einschüchtern. Einfach das machen, was ihm den Spitznamen "Zerstörer" einbrachte, wie Lemke einmal von der FAZ genannt wurde.
Mazedoniens Superstar Kiril Lazarov und seine Kollegen dürfen sich auf den einen oder anderen blauen Fleck gefasst machen.