Handball-EM - Andreas Thiel im Interview: "Man kann aus Prokop keinen Neururer machen"

Andreas Wolff ist noch nicht in Topform.
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Vor dem ersten EM-Hauptrundenspiel des DHB-Teams gegen Weißrussland am Donnerstag (20.30 Uhr im LIVETICKER) hat SPOX mit Andreas Thiel eine der größten Persönlichkeiten der deutschen Handball-Geschichte zum Interview gebeten. Der "Hexer", der 257 Mal für die Nationalmannschaft zwischen den Pfosten stand, hat sich dabei zu den mauen Leistungen von Torhüter Andreas Wolff geäußert.

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Außerdem sprach der 59-Jährige über Bundestrainer Christian Prokop, die Probleme im Rückraum und den Mittelblock um Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler.

Herr Thiel, die Schlussphase gegen Lettland hat wie schon das Spiel gegen Spanien Anlass zur Sorge bereitet. Können Sie uns erklären, wie es sein kann, dass eine Mannschaft nach nur einer Niederlage dermaßen das Selbstvertrauen verliert?

Andreas Thiel: Ich glaube nicht, dass jetzt das Selbstvertrauen für den gesamten Turnierverlauf verschwunden ist. Zum Schluss haben wir gegen die Letten natürlich einen Scheiß gespielt, aber letztendlich wurde die Partie gewonnen. Gut spielen und gewinnen kann jeder, schlecht spielen und gewinnen ist die wahre Kunst. Ich sehe die aktuelle Situation nicht so dramatisch. Allerdings bin ich gespannt, wie das erste Hauptrundenspiel gegen Weißrussland gestaltet wird, das ist aus meiner Sicht kein Selbstläufer. Man sollte nicht den Fehler machen, sich schon zu sehr auf das Spiel am Samstag gegen die Kroaten zu konzentrieren.

Die Handballer stehen das ganze Jahr über nicht ansatzweise so im Fokus wie während einer EM oder WM. Fehlt den Jungs womöglich teilweise die Erfahrung, um mit dem Druck, den so eine Situation plötzlich mit sich bringt, dann vor einem Millionenpublikum umzugehen?

Thiel: Never ever! Ich muss von einem deutschen Nationalspieler erwarten können, dass er Spaß an der Herausforderung hat. Natürlich ist man nervös, logisch ist eine EM eine andere Baustelle als ein Bundesligaspiel - aber das macht doch Spaß. Dass der Druck zu groß sein soll, weil jetzt mal ARD und ZDF übertragen, kann ich nicht sehen. Das nehme ich während des Spiels als Spieler doch gar nicht wahr. Das darf keine Erklärung und keine Entschuldigung sein.

Andreas Thiel (r.) ging als "Hexer" in die deutsche Handball-Geschichte ein.
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Andreas Thiel (r.) ging als "Hexer" in die deutsche Handball-Geschichte ein.

Thiel: Wolff? "Jetzt köpfen wir ihn gleich dreimal"

Andreas Wolff hat in den vergangenen beiden Partien zusammen in 36 Minuten einen Ball gehalten. Wie erklären Sie sich diese fürchterliche Quote?

Thiel: Mir ist auch bei Wolff die Sicht von außen zu einseitig. Mir kommt es so vor, als würde man bei ihm nach dem Motto vorgehen: Erst war er der Held und jetzt köpfen wir ihn gleich dreimal. Gegen Spanien hat er im Wesentlichen freie Bälle auf sein Tor bekommen, die man nicht halten muss - klar, einer oder zwei gehaltene Bälle wären schon gut gewesen. Und gegen die Letten weiß ich nicht, warum gewechselt worden ist. Ich kann mir das nur so erklären, dass Wolff bei sieben Toren Vorsprung noch ein paar Minuten Spielzeit bekommen sollte. Ich hätte eigentlich eher Jogi Bitter im Tor gelassen, weil er bisher den konstanteren Eindruck hinterlässt.

Wolff trägt mit seinen forschen Ansagen mit dazu bei, dass die Kritik nach schlechten Auftritten heftiger ausfällt. Wie haben Sie das früher gehandhabt?

Thiel: Ich habe immer viel davon gehalten, intern klare Ziele vorzugeben und extern zu heucheln und kleine Brötchen zu backen. Das ist schlauer.

Was dürfen wir von Wolff in diesem Turnier noch erwarten?

Thiel: Wolff hat den Anspruch an sich, ein Weltklasse-Mann zu sein. Es gehört zur wirklichen Weltklasse dazu, sich einerseits im Spiel nach 45 schlechten Minuten für 15 gute Minuten aufzurappeln und andererseits in einem Turnier nach unterdurchschnittlichen Spielen sich wieder zu guten oder sehr guten Leistungen aufzuschwingen. Das kann man von Wolff auch erwarten. Ich halte nichts davon, den Stab über ihn zu früh zu brechen. Das ist wieder typisch für unsere extrem aufgeregten Zeiten. Etwas unaufgeregter zu sein, würde uns allen gut tun.

Thiel: "Für Emotionen ist auch ein Trainer da"

Sie haben schon angesprochen, dass die Torhüter viele einfache Würfe auf ihren Kasten bekommen haben. Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler sind von dem Mittelblock, den das DHB-Team bei der Heim-WM 2019 hatte, weit entfernt. Vor allem die Emotionalität fehlt.

Thiel: Im Tor ist man auch als Weltklasse-Mann von der Zuarbeit der Abwehr abhängig, das ist ganz klar. Und da ist noch Steigerungspotenzial vorhanden. Und für Emotionen ist auch ein Trainer da. Diese zu wecken und zu lenken, gehört auch zu den Aufgaben eines Trainers.

Heißt das, dass Ihnen die Auszeiten von Bundestrainer Christian Prokop zu ruhig sind? Dieser Kritikpunkt kommt immer wieder auf.

Thiel: Jeder ist so authentisch, wie er authentisch sein kann. Man kann aus einem Analytiker wie Prokop keinen Peter Neururer machen. Er ist so, wie er ist. Und was wir nicht vergessen sollten: Er hat im letzten Jahr bei der Heim-WM einen guten Job gemacht. Noch ist die EM nicht vorbei. Und bevor das endgültige Ergebnis nicht feststeht, sollte man mit abschließenden Analysen und Bewertungen zurückhaltend bleiben.

Thiel: "Einen Chef kann man nicht verordnen"

Wer ist aus Ihrer Sicht der Mann im Rückraum, der das Spiel in die Hand nehmen müsste? Stichwort Leadership.

Thiel: Was heißt es denn, das Spiel in die Hand zu nehmen? Damit kann ich nichts anfangen. Fakt ist: Wir haben mit Kühn einen Spieler, der international in der Lage ist, aus zehn Metern Tore zu erzielen. Und man muss zusehen, ihn in die entsprechenden Wurfpositionen zu bringen. Wir müssen einfach mit dem vorhandenen Spielermaterial leben und umgehen. Wir haben eine gute Mannschaft, sind in der Breite gut aufgestellt. Ich kann nicht hingehen und zu Paul Drux oder Marian Michalczik sagen: Du bist jetzt der Chef. So etwas muss sich entwickeln, das kann man nicht verordnen.

Was trauen Sie der Mannschaft in der Hauptrunde noch zu?

Thiel: Die nackten Ergebnisse unabhängig vom Zustandekommen sind okay. Man musste erwarten, dass wir die Niederlande und Lettland schlagen. Man musste damit rechnen, gegen Spanien zu verlieren - wenn auch nicht mit sieben Toren Differenz. Wir haben nach wie vor alle Möglichkeiten und müssen jetzt einfach alle Spiele gewinnen. Und dann müssen wir hoffen, dass uns am Ende kein Dreiervergleich das Genick bricht.

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