Außerdem verrät "Lütti" vor dem womöglich vorentscheidenden Spiel gegen Kroatien (20.30 Uhr im LIVETICKER), wie emotional er die Partien des DHB-Teams verfolgt. Und: Lichtlein blickt auf seine lange Zeit als Nationaltorhüter zurück.
Herr Lichtlein, Sie standen letztmals bei einem Turnier bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro im DHB-Aufgebot. Kribbelt es trotzdem noch, wenn wie jetzt mit der EM ein großes Turnier läuft?
Carsten Lichtlein: Mit Familie ist es schon auch ganz nett, mal ein bisschen mehr Zeit zu haben. Der Zeitplan war jahrelang ziemlich straff, ich habe ja rund 17 Jahre in der Nationalmannschaft gespielt. Es ist alles okay so, wie es ist. Von den Spielen an sich kann ich mich aber nicht frei machen.
Heißt das, dass Sie die Spiele mittlerweile als normaler Fan verfolgen?
Lichtlein: Für mich sind Spiele der Nationalmannschaft bei einem Turnier nach wie vor keine normalen Spiele, dafür war ich einfach zu lange ein Teil davon. Ich sitze vor dem Fernseher, fiebere mit, leide mit - manchmal schreibe ich den Jungs auch Nachrichten. Wenn es Spitz auf Knopf steht, würde ich am liebsten sofort selbst wieder eingreifen. (lacht)
Welches der vielen Turniere, die Sie gespielt haben, hat für Sie rückblickend die größte Bedeutung?
Lichtlein: Ich durfte mit der Nationalmannschaft mit den Europameisterschaften 2004 und 2016 sowie der Weltmeisterschaft 2007 bei drei Titelgewinnen dabei sein. Das waren alles spezielle Momente für mich. Wobei man die Teams von 2007 und 2016 überhaupt nicht miteinander vergleichen kann. In Polen hatte mit unserer jungen Mannschaft keiner gerechnet, bei der WM im eigenen Land hatten wir gestandene Spieler, denen man den WM-Titel zutrauen durfte. 2016 sticht deshalb und aufgrund der Tatsache, dass ich damals auch wirklich meinen Teil beitragen konnte, ein wenig hervor. Das wird ewig in Erinnerung bleiben.
Lichtlein: "Man fühlt sich manchmal fast wie bei Big Brother"
Ist es umgekehrt nicht manchmal auch wahnsinnig anstrengend, so viel Zeit an einem Stück auf engstem Raum miteinander zu verbringen?
Lichtlein: Doch, auf jeden Fall. So ein Monat auf engstem Raum ist eine lange Zeit. Man fühlt sich manchmal fast wie bei Big Brother, ist gewissermaßen in einem Hotel eingesperrt. (lacht) Und man beschäftigt sich während dieser Zeit nur noch mit Handball. Videostudium, Training, Spiel - und sofort geht es wieder von vorne los. Es ist für die Psyche anspruchsvoll, dieses Konzentrationslevel über so einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten. Trotzdem möchte ich die ganzen Turniere natürlich nicht in Ansätzen missen, es hat sich jede Anstrengung gelohnt. Umso schöner waren nach Titelgewinnen übrigens die Feiern, weil man sich richtig schön für die harte Arbeit belohnen konnte. Mehr will ich dazu aber nicht sagen. (lacht)
Inwiefern haben sich die Zeiten im DHB-Team während Ihrer Ära verändert?
Lichtlein: Da fällt mir als allererstes die Altersstruktur ein. Während wir vor 10, 15 Jahren meistens eher gestandene Spieler in der Nationalmannschaft hatten, bekommen mittlerweile längst immer mehr junge Spieler früher ihre Chance. Das liegt schlichtweg daran, dass die Auswahl an guten, jungen Spielern viel größer geworden ist. Der DHB hat den Nachwuchsbereich mit Erfolg vorangebracht. Auch die Bundesligisten haben ihren Teil dazu beigetragen, was teilweise auch der finanziellen Situation geschuldet war.
Auch in diesem Jahr sind neue, junge Gesichter bei der EM dabei. Hat der Auftritt gegen Weißrussland Mut gemacht?
Lichtlein: Auf jeden Fall! Es gab ja schon wieder viel Kritik nach der Vorrunde, man muss aber auch mal positive Dinge zur Kenntnis nehmen. Das war ein ganz anderes Auftreten gegen die Weißrussen als zuvor, wo meiner Meinung nach übrigens auch längst nicht alles schlecht war. Klar wurden zu viele leichte Fehler gemacht, klar war das Spiel gegen Spanien nicht besonders gut. Aber die Partie gegen die Niederlande war meiner Ansicht nach ordentlich, gegen Lettland sah es lange auch gut aus. Jetzt hatten wir eine starke Abwehr, daraus resultierten einfache Tore - und wir haben unser Spiel über 60 Minuten durchgezogen, haben nicht den Faden verloren. Genau das muss die Marschrichtung sein.
Lichtlein: Wolff? "Kein Anlass zu großer Kritik"
Sie kennen Andreas Wolff bestens, beim EM-Triumph 2016 haben Sie mit ihm das deutsche Torhütergespann gebildet. Was war mit Wolff in der Vorrunde los?
Lichtlein: Es gehören immer zwei Seiten dazu - die Abwehr und die Torhüter. Da kann man nicht einfach nur sagen, dass die Torhüter nichts halten würden und auf sie eindreschen, das ist der falsche Weg. Solche Spiele wie in der Vorrunde gibt es nun einmal, das kennt jeder Torhüter. Für mich war das überhaupt kein Anlass, große Kritik zu üben. Ich war mir immer sicher, dass Andi irgendwann ins Turnier finden wird, und das hat er mit einer starken Leistung gegen Weißrussland getan. Und eine Sache können Sie mir glauben, weil ich Andi gut kenne: Er selbst hat sich am meisten darüber geärgert, dass es nicht gut gelaufen ist. Er ist sehr ehrgeizig, will immer an das perfekte Spiel ran. Ich bin davon überzeugt, dass er und Jogi Bitter ihre Sache auch gegen Kroatien gut machen werden.
Der Spielplan der deutschen Mannschaft
Termin | Team 1 | Team 2 |
18. Januar, 20.30 Uhr | Kroatien | Deutschland |
20. Januar, 20.30 Uhr | Österreich | Deutschland |
22. Januar, 20.30 Uhr | Tschechien | Deutschland |
Irgendwie werden bei Wolff immer seine überragenden Leistungen bei der EM 2016 als Maßstab genommen. Das ist eigentlich unfair, oder?
Lichtlein: Vollkommen richtig, das ist eine große Bürde. Das war international im Prinzip sein erstes großes Turnier und da hat er gleich herausragend gehalten. Als Einstieg ist das für einen jungen Torhüter eigentlich ein Traum. Aber seither wird er - wie Sie sagen - daran gemessen. Die Erwartungshaltung scheint zu sein, dass er einfach halten muss. Punkt. Trotzdem geht er auch damit gut um, hält auch im Verein überragend. Noch einmal: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir uns bei diesem Turnier nicht noch einmal Gedanken um die Torhüter machen müssen.
Können Sie nachvollziehen, dass während der Vorrunde sehr schnell wieder Kritik an Bundestrainer Christian Prokop aufgekommen ist?
Lichtlein: Das ist doch immer so, dass Kritik am Trainer laut wird, wenn es mal nicht so läuft. Vor dem Fernseher zu sitzen und genau zu wissen, was getan werden muss, ist natürlich einfach. Tatsächlich am Spielfeldrand zu stehen und in solch wichtigen Momenten zu coachen, ist aber ein bisschen schwieriger. Das vergessen viele. Fakt ist: Wie stehen in der Hauptrunde und haben immer noch die Möglichkeit, das Halbfinale zu erreichen. Man darf jetzt nicht alles schlecht reden, nur weil man einen holprigen Start hatte. Wir sind 2016 mit einer Niederlage gegen Spanien in die EM gestartet, haben 2007 bei der WM in der Vorrunde gegen Polen verloren. Und bei der EM 2004 haben wir in der Vorrunde das erste Spiel gegen Serbien verloren. Und was war am Ende? Wir haben bei allen diesen Turnieren den Titel geholt.
Sie trauen der Mannschaft also nach wie vor den Einzug ins Halbfinale zu?
Lichtlein: Ich traue den Jungs auf jeden Fall den Einzug ins Halbfinale zu - und mehr!
Dafür muss zwingend Kroatien geschlagen werden. Was zeichnet den nächsten DHB-Gegner aus?
Lichtlein: Ganz klar die Abwehr mit Duvnjak. Im Angriff jagen einem die Kroaten jetzt auch nicht sofort Angst ein. Sie haben zwar gute, schnelle Individualisten. Aber im Rückraum haben sie nicht die ganz großen Wurfmaschinen - von Stepancic einmal abgesehen. Das Spiel der Kroaten ist das schnelle Spiel, das muss man unterbinden. Entscheidend wird es sein, dass wir es schaffen, eine gute Abwehr zu stellen und dadurch zu leichten Toren zu kommen. Ich rechne mit einer Abwehrschlacht auf beiden Seiten.