Handball-EM - Alexander Bommes im Interview: "Ich möchte nicht, dass mich der Hexer wieder anruft und bedroht"

Felix Götz
12. Januar 202211:16
Alexander Bommes war einst Handballprofi, heute arbeitet er als Quizmaster und berichtet für die ARD von großen Sportereignissen.imago images
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Einst war Alexander Bommes Handballprofi, heute arbeitet er als Quizmaster und berichtet für die ARD von großen Sportereignissen. Im Interview mit SPOX erinnert sich der 45-Jährige an seine Karriere und Erlebnisse mit dem legendären Torhüter Andreas "Hexer" Thiel.

Bommes spricht über die Unterschiede zwischen Handballern und Fußballern und die Chancen des DHB-Teams bei der anstehenden EM (13. bis 30. Januar). Außerdem verrät der frühere Linksaußen, wie ihm der Mannschaftssport das Rüstzeug für seinen jetzigen Beruf mit auf den Weg gegeben hat.

Herr Bommes, ist der Weg zum "Handballverrückten" eigentlich automatisch vorgezeichnet, wenn man wie Sie in Kiel geboren wurde?

Alexander Bommes: Ich habe noch keinen verrückten Norddeutschen erlebt. (lacht) Trotzdem ist die Begeisterung für den THW in Kiel seit Jahrzehnten hoch, was ja auch sehr schön ist. Die Identifikation mit dem Verein geht von Geburt an eigentlich an keiner Kielerin und keinem Kieler spurlos vorüber.

War der THW auch für Sie als Kind ausschlaggebend, um mit Handball anzufangen?

Bommes: Tatsächlich sind meine ausgeprägtesten Kindheitserinnerungen die Besuche in der Ostseehalle mit meinem Vater. Den Geruch, die Geräusche, das Licht und die gesamte Atmosphäre werde ich für immer in mir tragen. Diese Erlebnisse, gepaart mit einem angeborenen Ballsporttalent, waren bestimmt keine schlechte Mischung.

Was dazu führte, dass Sie gleich eine ganze Reihe von verschiedenen Sportarten betrieben haben.

Bommes: Das stimmt. In meiner Jugend habe ich parallel Handball, Fußball, Tennis und später auch noch Basketball gespielt. Es war jedes Mal wieder der Horror, wenn die Spielpläne für die Wochenenden herausgekommen sind. Das war mit viel Organisation verbunden. Eine Halbzeit hier, ein ganzes Spiel dort und am Ende vielleicht noch ein Tennis-Doppel. Im frühen Erwachsenenalter habe ich mich schließlich auf Handball konzentriert.

Daraus entstand eine beachtliche Karriere als Linksaußen. Sie spielten in der 2. Liga für den TSV Altenholz, in der Bundesliga für Bayer Dormagen und den VfL Gummersbach. Wie würden Sie den Handballer Alexander Bommes beschreiben?

Bommes: Ich hatte grundsätzlich einen sehr ausgeprägten Willen und eine große Leistungsbereitschaft. Das waren die wesentlichen Punkte. Wenn ich an meine Zeit in der Bundesliga denke, muss ich zugeben: Ein bisschen besser Abwehr hätte ich schon spielen können. (lacht)

Nicht so bescheiden! Während Ihrer zweiten Phase in Altenholz zwischen 2003 und 2007 erzielten Sie in 132 Zweitligaspielen 824 Tore. Würden Sie rückblickend sagen, dass Sie in Sachen Handball alles aus den gegebenen Möglichkeiten herausgeholt haben?

Bommes: Nein, es wäre sicherlich mehr möglich gewesen. Der angesprochene Wille hat sicherlich teilweise dazu geführt, dass an der einen oder anderen Stelle die nötige Lockerheit gefehlt hat. Im Nachhinein hat das aber alles seinen Sinn. Ich habe viel aus meiner Zeit als Leistungssportler gelernt und bin mit meiner beruflichen Entwicklung abseits des Handballs auch sehr zufrieden.

Alexander Bommes war einst Handballprofi, heute arbeitet er als Quizmaster und berichtet für die ARD von großen Sportereignissen.imago images

Bommes über Thiel und "juristische Heldengeschichten"

In Dormagen spielten Sie zwischen 1999 und 2001 beispielsweise mit dem früheren Weltklasse-Torhüter Andreas Thiel zusammen. War der "Hexer" die größte Legende, die Sie je als Teamkollege hatten?

Bommes: Das kann man sicher so sagen, wobei man innerhalb einer Handball-Mannschaft ja häufig auch Kollegen als Legenden bezeichnet, die nie einer kannte. (lacht) Der "Hexer" hatte damals einen maßgeblichen Anteil an meinem Wechsel nach Dormagen. Ich unterstelle ihm im Nachhinein, dass er als Anwalt lediglich einen Jurastudenten neben sich auf der für ihn reservierten letzten Sitzbank im Bus haben wollte, dem er seine juristischen Heldengeschichten erzählen konnte. (lacht) Aber ernsthaft: Wir hatten von Beginn an ein sehr gutes, sehr enges Verhältnis, das auch heute noch Bestand hat. In Gummersbach war zu meiner Zeit dann Kyung-Shin Yoon die prägende Figur, der 2001 sogar zum Welthandballer des Jahres gewählt wurde. Und natürlich der leider viel zu früh verstorbene Torhüter Stefan Hecker.

Sie sprechen damit Geschichten an, die sich außerhalb des Handballfeldes ereignet haben. Thiel erzählte davon im Legenden-Interview mit SPOX gleich mehrere. Haben auch Sie für uns eine Anekdote über den "Hexer" auf Lager?

Bommes: Ich habe viele. Aber er ist halt Anwalt. Und ich möchte nicht, dass er mich morgen wieder anruft und bedroht. (lacht) Ich habe von ihm schon vor Jahren sozusagen eine verbale einstweilige Verfügung erhalten - provisorisch und lebenslang. Und 2020 habe ich ihm dann zu seinem 60. Geburtstag versprochen, über die Vergangenheit zu schweigen. Aus Freundschaft und auch aus Respekt vor seinem fortschreitenden Alter. Ich bin mir sicher, dass er sich über diese Antwort hier sehr freuen wird...

In der von Ihnen moderierten TV-Sendung "Gefragt - Gejagt" fallen Sie häufiger durch Gesangseinlagen auf. Haben Sie eigentlich auch früher als Handballer in der Kabine gesungen?

Bommes: Wenn unser ARD-Experte Dominik Klein und ich gemeinsam in einer Mannschaft gespielt hätten, dann hätten wir als Duo früher oder später die deutsche Misere beim Eurovision Song Contest beendet. (lacht) Mehr will ich dazu nicht sagen.

Inwiefern hat Ihnen die Zeit als Leistungssportler das Rüstzeug für Ihre heutige Tätigkeit mitgegeben?

Bommes: Ich bin mit jeder Faser Mannschaftssportler, das hat mich geprägt. Auf andere achten, ohne dabei selbst zu kurz zu kommen und dann mit einem starken Wir gemeinsame Ziele zu verfolgen, ist für mich die Definition des Miteinanders und nicht zuletzt des Lebens. Das Prinzip und das Gefühl lässt sich auf alle Bereiche anwenden. Dementsprechend war diese Erfahrung für mich das Rüstzeug überhaupt.

Hand aufs Herz: Macht es Ihnen mehr Spaß, von einem großen Fußball- oder von einem großen Handballturnier zu berichten?

Bommes: Beides macht mir großen Spaß. Es ist schön, solche Dinge machen zu dürfen.

Worauf ich hinaus will ist, ob es nicht angenehmer ist, sich mit einem Handballer zu unterhalten, der zumindest manchmal noch frei von der Leber weg erzählt, als mit häufig komplett mediengeschulten Fußballern?

Bommes: Handballer haben ja eine völlig andere Situation als Fußballer, was die mediale Öffentlichkeit angeht. Die ist nicht vergleichbar. Aber eigentlich ist es doch ganz einfach: Wenn man Respekt, Interesse und Offenheit, also die Dinge, die man im Gespräch mit oder von einem Sportler erwartet, erstmal gibt, dann ist doch gar nichts kompliziert.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie als ehemaliger Leistungsportler von den Sportlern, mit denen Sie sich unterhalten, ernster genommen werden?

Bommes: Ein guter Politikjournalist muss auch nicht Bundeskanzler gewesen sein. Mir hilft es aber für meine persönliche Einordnung und mein Verständnis der Dinge. Ich weiß ja aus jahrzehntelanger Erfahrung, wie sich Sportler nach einem Sieg oder einer Niederlage fühlen können. Das weiß aber auch ein Kreisliga-Fußballer. Das ist Sportler-Intimität.

Alexander Bommes (r.) arbeitet beim Handball mit Experte und Ex-Nationalspieler Dominik Klein zusammen.imago images

Bommes über die Chancen des DHB-Teams bei der EM

Lassen Sie uns über die Nationalmannschaft sprechen, die seit einigen Jahren meistens nicht mehr die Erwartungen erfüllt hat. Liegt das am DHB-Team, oder an der übertriebenen Erwartungshaltung?

Bommes: Das ist eine spannende Diskussion. Fakt ist zunächst einmal: Seit dem EM-Finale 2016 hat das DHB-Team mit einer Ausnahme, nämlich dem Sieg in der Hauptrunde bei der Heim-WM 2019 gegen Kroatien, kein entscheidendes Spiel mehr bei einem großen Turnier gewonnen. Man neigt dazu zu sagen, dass DIE deutsche Handball-Nationalmannschaft immer das Halbfinale erreichen muss. Aber das ist ja höchstens Wunsch- oder Gewohnheitsdenken. Und hat ja mit der jeweiligen Lebensrealität wenig zu tun.

Wie meinen Sie das?

Bommes: Ein Anspruch oder eine Erwartungshaltung kann sich in meinen Augen ausschließlich aus der jeweiligen Situation heraus ergeben. Welchen Kader hat man zur Verfügung, wer sind die Gegner, wie ist die Form, wie war die Vorbereitung? Und dann geht es im Handball ganz simpel darum, über 60 Minuten das Bestmögliche abzuliefern. Daraus ergibt sich ein Ergebnis, dessen Zustandekommen man dann anschließend bewertet, bespricht, gern auch diskutiert. Ohne Jubel, ohne Vorwurf, sondern interessiert und auf Augenhöhe.

Trotzdem möchten Medien und Fans immer am liebsten im Vorfeld eine klare Zielsetzung hören.

Bommes: Dafür habe ich ja Verständnis. Das ist aber auch manchmal Zeitverschwendung, darüber zu spekulieren. Glaubt denn irgendjemand, dass unsere Mannschaft nicht selbst grundsätzlich die höchsten Ziele hat? Sätze wie "wir denken von Spiel zu Spiel" klingen sicherlich nicht spektakulär, aber wer es tatsächlich schafft, sich ausschließlich auf die jeweilige Situation einzulassen, ist immer im Vorteil. Das gilt für den Sport genau wie für das Leben.

Was darf man also realistisch betrachtet vom DHB-Team bei der anstehenden EM erwarten?

Bommes: Wenn man sich den deutschen Kader und die Vorrundengegner mit Weißrussland, Österreich und Polen anschaut, dann sollte der Einzug in die Hauptrunde auch in einer Phase des Umbruchs schon möglich sein. Und den wird die Mannschaft auch schaffen. Dann sind alle im Turnier, hoffentlich eingespielter, es gibt dann andere Gegner, und so kann man die Situation dann neu bewerten.

Handball-EM: Der Spielplan der deutschen Gruppe

DatumUhrzeitTeam 1Team 2
Fr., 14. Januar18 UhrDeutschlandBelarus
Fr., 14. Januar20.30 UhrÖsterreichPolen
So., 16. Januar18 UhrDeutschlandÖsterreich
So., 16. Januar20.30 UhrBelarusPolen
Di., 18. Januar18 UhrPolenDeutschland
Di., 18. Januar20.30 UhrBelarusÖsterreich