Deutschland ist mit zwei Siegen gegen Belarus und Österreich ins Turnier gestartet. Wie fällt - unabhängig von den Coronafällen - Ihr Zwischenfazit aus?
Schwarzer: Gut spielen und verlieren ist immer schlecht. Dann lieber zwei Arbeitssiege und noch Luft nach oben haben. So muss man die Auftritte der Mannschaft bislang bewerten, damit kann man sehr gut leben. Klar sind Belarus und Österreich keine Spitzenteams. Aber bei einer EM muss man jeden Gegner total ernst nehmen. Ein Beispiel sind die überraschend starken Niederländer, die mich bisher begeistert haben. Der Vorteil des DHB-Teams war bislang der breite Kader. Es gibt eine ganze Reihe von Spielern, die mal in einer Partie groß auftrumpfen können. Gegen Belarus waren das Kai Häfner und Julius Kühn, gegen Österreich Timo Kastening und Till Klimpke.
Ohne eine Steigerung wird es aber in den kommenden Partien eng, oder?
Schwarzer: Das ist klar. In der Hauptrunde, die im Prinzip schon mit dem letzten Vorrundenspiel gegen Polen beginnt, warten andere Kaliber. Die Mannschaft muss stabiler werden und darf sich nicht solche Schwächephasen wie zu Beginn der bisherigen Partien erlauben. Wenn man gegen ein Topteam so beginnt wie in den ersten zehn Minuten gegen Belarus, dann kann das Spiel schon weg sein.
Alfred Gislason hat in den ersten beiden Spielen im Tor überraschend zu Beginn jeweils Till Klimpke den Vorzug vor Andreas Wolff gegeben. Ist der Bundestrainer damit ein großes Risiko eingegangen?
Schwarzer: Ich finde überhaupt nicht, dass Alfred damit ein Risiko eingegangen ist. Wenn ich nach zehn Minuten als Trainer das Gefühl habe, dass mein Torhüter keinen Ball hält, dann wechsele ich eben. Das ist noch kein Drama. Ich finde grundsätzlich nicht, dass es bei den Torhütern im Handball eine klare Nummer eins oder Nummer zwei geben muss. Meistens geht es bei der Frage, wer anfängt, eher um das Bauchgefühl des Trainers. Ich freue mich einfach für Till Klimpke, dass er gegen Österreich so ein tolles Spiel gemacht und ins Turnier gefunden hat.
Das einstige DHB-Prunkstück, die Abwehr, war bisher ein Sorgenkind. Es wurden in beiden Partien viel zu viele leichte Anspiele an den Kreis zugelassen. Was muss sich ändern?
Schwarzer: Es war aus meiner Sicht nicht so, dass die Abwehr grundsätzlich geschwächelt hätte. Die beiden ersten Halbzeiten waren nicht gut, dann wurde es aber in beiden Partien deutlich besser. Eigentlich wurden die zuvor begangenen Fehler dann sogar komplett abgestellt. Es ist doch so: Man kann sich im Vorfeld so viele Videos anschauen, wie man möchte. Trotzdem muss man sich erstmal an die Spielweise eines Gegners gewöhnen. Natürlich darf das gegen die kommenden Gegner aber nicht eine ganze Halbzeit lang dauern.
Im Rückraum haben Julius Kühn oder Sebastian Heymann auf links, Philipp Weber in der Mitte und Kai Häfner oder Christoph Steinert auf rechts bislang gut harmoniert. Kann man insgesamt sagen, dass der deutsche Rückraum im Vergleich zu den vergangenen Jahren einen Schritt nach vorne gemacht hat?
Schwarzer: Alfred ist als akribischer Arbeiter bekannt und diese Arbeit trägt im Rückraum derzeit Früchte. Die Ausfälle sind nun natürlich bitter, aber alle fünf genannten Spieler haben sehr, sehr gute Ansätze gezeigt, wirken gut eingespielt. Vor allem bei Weber habe ich das Gefühl, dass er den nächsten Schritt gemacht hat. Obwohl er erst zwei Tore erzielt hat. Er war für mich in der Vergangenheit zu abschlussorientiert.
Wie meinen Sie das?
Schwarzer: Nehmen wir als Beispiel Andy Schmid, einen der besten Spielmacher der vergangenen Jahre. Er kann ein Spiel komplett dominieren, ohne dabei in 60 Minuten auch nur einmal auf das Tor zu werfen. Weber konzentriert sich nun ebenfalls viel mehr darauf, seine Mitspieler mit guten Pässen in Szene zu setzen, als selbst den Abschluss zu suchen. Das macht er wunderbar. Wenn man dann noch das Potenzial bedenkt, dass er natürlich trotzdem als Torschütze noch mehr in Erscheinung treten kann, macht mir das für den Rest des Turniers große Hoffnung.
Johannes Golla ist als Kapitän gefragt, im Mittelblock und im Angriff am Kreis. Wie bewerten Sie seine Rolle bislang?
Schwarzer: Er macht seine Sache in allen Bereichen sehr gut. Ich war bereits vor der EM der Meinung, dass wir uns auf der Kreisläufer-Position trotz der Ausfälle von Hendrik Pekeler und Jannik Kohlbacher keine Sorgen machen müssen. Mit Golla und Patrick Wiencek spielen dort nämlich die beiden Jungs, die sich Woche für Woche in der Champions League beweisen. Wenn du in diesem Wettbewerb spielst, entwickelst du dich fast automatisch noch einmal einen Schritt weiter.
Nun steht das wichtige Spiel gegen Polen an, in dem es darum geht, welche Mannschaft Punkte mit in die Hauptrunde nimmt. Was macht die Polen so gefährlich?
Schwarzer: Erstmal muss man sehen, wer bei den Polen überhaupt mitmischen können wird. Aber grundsätzlich zeichnet die Polen ähnlich wie die deutsche Mannschaft ihre Ausgeglichenheit aus. Früher konnte man sich auf einen Bielecki oder Jurecki einstellen. Jetzt sind das eine Reihe von verhältnismäßig unbekannten Spielern, die aber alle ihre Qualitäten haben und entsprechend schwer auszurechnen sind. Eigentlich würde ich von einem Spiel auf Augenhöhe ausgehen. Aber wir wissen ja noch nicht einmal, welche deutschen Spieler überhaupt dabei sein können.
Was also trauen sie der deutschen Mannschaft noch zu?
Schwarzer: Die Mannschaft - ich spreche jetzt vom Kader der ersten beiden Spiele - zeigt nach außen hin einen guten Teamgeist, strahlt Spaß, Freude und Begeisterung aus. Alles, was die Jungs machen, ob auf dem Spielfeld oder auf der Bank, wird mit großer Leidenschaft erledigt. Meiner Meinung nach ist deshalb wirklich alles möglich, wenn sich das Team in einen Flow spielt und etwas konstanter wird. Wir brauchen uns vor keiner Nation dieser Welt zu verstecken. Aber wie gesagt: Corona ist eine Unwägbarkeit bei dieser EM. Dadurch kann sich ganz schnell alles verändern.
Handball-EM: Tabelle der Gruppe D
Platz | Land | Spiele | S | U | N | Tore | Diff. | Punkte |
1. | Polen | 2 | 2 | 0 | 0 | 65:51 | +14 | 4 |
2. | Deutschland | 2 | 2 | 0 | 0 | 67:58 | +9 | 4 |
3. | Österreich | 2 | 0 | 0 | 2 | 60:70 | -10 | 0 |
4. | Belarus | 2 | 0 | 0 | 2 | 49:62 | -13 | 0 |