Unterschied im Mittelfeld - und eine deutsche Waffe: Der große Check vor dem Kracher gegen Spanien

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Das Viertelfinale zwischen Deutschland und Spanien gilt als vorgezogenes Endspiel dieser EM. Welcher Unterschied im Mittelfeld auffällt, welche Positionen umkämpft sind und wer zu Deutschlands Waffe werden könnte. Der große Check vor dem Kracher am Freitag um 18 Uhr in Stuttgart.

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Deutschland gegen Spanien: voraussichtliche Aufstellungen

Deutschland: Neuer - Kimmich, Rüdiger, Tah (Schlotterbeck), Raum (Mittelstädt) - Andrich, Kroos - Musiala, Gündogan, Wirtz (Sané) - Havertz.

Spanien: Simón - Carvajal, Le Normand, Laporte, Cucurella - Rodri - Pedri, Fabián - Yamal, Morata, Williams.

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Deutschland gegen Spanien: Tor

Na, erinnern Sie sich noch? Was war vor Beginn der EM die am intensivsten geführte Debatte rund um die deutsche Nationalmannschaft? Korrekt, ob Manuel Neuer die richtige Wahl als Stammkeeper ist oder nicht doch besser Marc-André ter Stegen beginnen sollte.

Obwohl der 38-jährige Veteran aufgrund von Verletzungen eineinhalb Jahre lang kein Länderspiel mehr bestritten hatte, obwohl er beim FC Bayern München in der Rückrunde und auch in der unmittelbaren EM-Vorbereitung wiederholt gepatzt, obwohl sich ter Stegen beim FC Barcelona zuletzt in Topform präsentiert hatte: Bundestrainer Julian Nagelsmann vertraute Neuer und der dankte es mit einem bis dato fehlerfreien Turnier.

Weil Deutschlands Abwehr gut verteidigt, bekam Neuer erst sieben Schüsse aufs Tor (weniger nur Portugal und die Schweiz, je sechs). Zweimal war Deutschlands Keeper chancenlos, die anderen fünf Abschlüsse parierte er bisweilen grandios.

Sein spanisches Gegenüber Unai Simón wehrte bis dato neun von zehn Schüssen ab, das ist die zweitbeste Quote im Turnier nach Frankreichs Mike Maignan. Überwunden wurde der 27-Jährige von Athletic Bilbao lediglich mit einem Eigentor von Robin Le Normand. Beim 1:0-Sieg im irrelevanten dritten Gruppenspiel gegen Albanien bekam Simón eine Pause, stattdessen begann David Raya vom FC Arsenal.

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Deutschland gegen Spanien: Abwehr

Am Freitag treffen zwei der sichersten Defensiv-Abteilungen dieser EM aufeinander: Spanien ließ bisher erst ein Gegentor zu, Deutschland zwei. Bei den statistisch zu erwarteten Gegentoren unterbietet von allen anderen Viertelfinalisten lediglich Frankreich die beide Kontrahenten: Spanien kommt auf einen xG-against-Wert von 3,27, Deutschland auf 2,99.

Gab es bei Spanien im Vorfeld des Turniers noch etwas Rätselraten über die Besetzung der Viererkette, hat sich mittlerweile ein A-Quartett gefunden. Die Innenverteidigung bilden der spätberufene Robin Le Normand (27) von Real Sociedad San Sebastian und Aymeric Laporte (30), einst Titelhamster bei Manchester City und mittlerweile mit Cristiano Ronaldo bei Al-Nassr in Saudi-Arabien tätig. Rechts verteidigt Routinier Dani Carvajal (32) von Real Madrid und links bekommt Chelseas Wuschelkopf Marc Cucurella (25) aus deutscher Sicht überraschend den Vorzug vor Bayer Leverkusens Alejandro Grimaldo.

Beim DFB-Team stellt sich die Lage exakt gegenteilig dar: Nagelsmann ging mit einer klaren Viererkette ins Turnier, mittlerweile herrscht aber auf zwei Positionen ein offener Konkurrenzkampf. Zweifellos gesetzt sind lediglich Abwehrchef Antonio Rüdiger und der nach rechts hinten abkommandierte Joshua Kimmich.

Als Rüdigers Nebenmann überzeugte in den drei Gruppenspiele Jonathan Tah, im Achtelfinale gegen Dänemark musste er aber Gelb-gesperrt passen. Vertreter Nico Schlotterbeck legte einen überragenden Auftritt hin und schuf Nagelsmann "ein Luxusproblem", wie der Bundestrainer zugibt. Die Tendenz geht zu einer Startelf-Rückkehr Tahs.

Bei der zweiten umkämpften Position links hinten dürfte sich der Bundestrainer unterdessen für den Herausforderer entscheiden. Maximilian Mittelstädt startete mit durchschnittlichen Leistungen in die EM, bis ihn Nagelsmann für die letzte halbe Stunde gegen die Schweiz durch David Raum ersetzte. Prompt bereitete der Leipziger mit einer perfekten Flanke Niclas Füllkrugs vielumjubelten Ausgleich vor. Gegen Dänemark blieb Raum in der Startelf und holte mit einer Hereingabe den Elfmeter zum 1:0 heraus. Wie Kimmich hat auch Raum seine größten Stärken im Offensivspiel, die beiden spanischen Außenverteidiger dürften defensiv stabiler stehen.

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Deutschland gegen Spanien: Mittelfeld

"Solche Spiele werden in der Mitte entschieden", verkündete Toni Kroos bei einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen. "Wer dort die Duelle gewinnt und das Spiel kontrolliert, der hat die größere Chance, das Spiel zu gewinnen." Die Fußball-Welt darf sich freuen, denn diese Duelle dürften äußerst hochklassig werden. Das Mittelfeld gilt als absolutes Prunkstück beider Mannschaften.

Hier Kroos, der langjährige Stratege von Real Madrid bei seiner finalen Mission als Fußballprofi - jede Partie könnte seine letzte sein. Kein Spieler war im bisherigen Turnierverlauf öfter am Ball als der 34-Jährige, keiner spielte mehr Pässe. Dort der sechs Jahre jüngere Rodri, von seinem Trainer bei Manchester City Pep Guardiola zum "besten Mittelfeldspieler der Welt" ernannt, von Nationaltrainer Luis de la Fuente als "Achse von allem" gehuldigt.

Hier Deutschlands Kapitän Ilkay Gündogan, einst Rodris kongenialer Partner bei City und mittlerweile Taktgeber beim FC Barcelona - nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten längst angekommen auf der offensiveren Zehnerposition. Dort Pedri (21), wie Gündogan bei Barça aktiv und Erbe der katalanischen Mittelfeldspieler-Dynastie um Andrés Iniesta und Xavi Hernández.

Hier Robert Andrich, der langersehnte Stabilisator der deutschen Nationalmannschaft, der Abräumer neben dem Strategen Toni Kroos. Und dort? Mit Fabián Ruiz (28) von Paris Saint-Germain ein dritter feiner Fußballer, seinerseits wohl Spaniens überzeugendster Mittelfeldspieler im bisherigen Turnierverlauf. Es ist der große Unterschied zwischen den beiden Mannschaften: Spanien verzichtet im 4-3-3 anders als Deutschland im 4-2-3-1 auf einen klassischen Abräumer - die Ausputzertätigkeiten übernimmt bei Spanien Chefstratege Rodri nebenbei.

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Deutschland gegen Spanien: Angriff

Spanien und Deutschland eint, dass sie in der Startelf ohne treffsicheren Mittelstürmer auskommen. Kai Havertz markierte zwar schon zwei Tore, beide jedoch per Elfmeter. Spaniens Kapitän Alvaro Morata (31) von Atlético Madrid hält bisher bei einem Treffer. Wichtig sind sie aber dennoch, als Zielspieler und Räumeschaffer für die Zauberer um sie herum.

Bei Spanien sind das Nico Williams (21) von Bilbao und der erst 16-jährige Lamine Yamal vom FC Barcelona. Beide dribbelstark, beide wieselflink. Erst tanzen sie ihre Gegner aus, dann tanzen sie miteinander und am Ende spielen sie Schere-Stein-Papier darum, wer zuerst aus der Wasserflasche trinken darf. "Wie Brüder" seien die beiden, sagt Williams. Gemeinsam verkörpern sie die pure Leichtigkeit.

Williams und Yamal zu verteidigen, wird eine immens schwierige Aufgabe für die deutschen Außenverteidiger Kimmich und vermutlich Raum. Laut Kimmich gelte es im direkten Duell vor allem, "die Mitte zuzumachen" - Yamal und Williams ziehen gerne mit ihrem starken Fuß nach innen.

Der begeisterndste deutsche Offensivspieler des Turniers ist zweifelsfrei Jamal Musiala, Urheber von drei Treffern und unzähligen wunderbaren Dribblings. Offen ist dagegen noch, wen Nagelsmann auf dem anderen Flügel aufbietet. Florian Wirtz? Als Stammspieler ins Turnier gegangen, seit seinem Führungstreffer im Eröffnungsspiel gegen Schottland aber eher unauffällig. Oder Leroy Sané? Bei seiner Startelf-Chance im Achtelfinale gegen Dänemark zwar sehr bemüht, aber auch unglücklich in seinen Aktionen.

Sané gibt dem deutschen Spiel mehr Breite und Tiefe, Wirtz bevorzugt ähnlich wie Musiala den Weg ins Zentrum. Die Tendenz geht eher in Richtung Wirtz, dem die Pause im Achtelfinale nach einer nicht nur äußerst erfolgreichen, sondern auch äußerst kräftezehrenden Saison mit Bayer Leverkusen neue Energie gegeben haben dürfte. Auskunft über seine Aufstellung wollte Nagelsmann bei der Pressekonferenz am Donnerstag keine geben.

DFB-Team, Deutschland, EM 2024, Niclas Füllkrug
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Deutschland gegen Spanien: Bank

Mit Niclas Füllkrug verfügt das DFB-Team über eine hochgefährliche Waffe von der Bank. Gegen die Schweiz traf er spät zum vielumjubelten Ausgleich, auch gegen Schottland netzte er. Vier Tore nach Einwechslungen machen ihn zum besten Joker in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft bei großen Turnieren. Füllkrug muss nur an der Seitenlinie auftauchen, schon drehen die deutschen Fans durch.

Einen derart verlässlichen und emotionalisierenden Einwechselspieler hat Spanien nicht, die besten Alternativen für die Offensive sind Ex-Bundesligaspieler Joselu (34) von Real Madrid, Barças Ferran Torres (24), Leipzigs Dani Olmo (26) und San Sebastians Mikel Oyarzabal (27). Gemeinsam schossen sie im bisherigen Turnierverlauf gleich viele Tore wie Füllkrug.

Abgesehen vom Dortmunder Super-Joker und entweder Sané oder Wirtz hat Nagelsmann noch Maximilian Beier in der Hinterhand, nach seiner Einwechslung gegen die Schweiz sorgte der 21-jährige Hoffenheimer für ordentlich Betrieb. Ist ein zusätzlicher Abräumer gefragt, steht Emre Can bereit, für Passsicherheit kann von der Bank Pascal Groß sorgen.

Spanien, Álvaro Morata, Kapitän, spanischen Nationalmannschaft, Sergio Ramos, Sergio Busquets, Luis de la Fuente
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Deutschland gegen Spanien: Trainer

Nach einem turbulenten Start als Bundestrainer im vergangenen Herbst, gab Nagelsmann der Mannschaft im Frühling eine widerstandsfähige Struktur, indem er Kroos zu einem Comeback überredete und klare Rollen verteilte. Im Laufe der EM traf Nagelsmann mit seinem Aufstellungen und Einwechselungen viele richtige Entscheidungen. Bereits kurz vor Turnierbeginn hatte er seinen auslaufenden Vertrag vorzeitig bis zur WM 2026 verlängert - ganz genau wie sein spanisches Gegenüber de la Fuente.

Der 63-Jährige übernahm das Amt nach der enttäuschenden WM in Katar von Luis Enrique. Für große Begeisterung sorgte seine Bestellung in Spanien damals nicht. Der langjährige Nachwuchstrainer hatte zwar mit der U19 und U21 EM-Titel gewonnen, aber keine Erfolge im Erwachsenenfußball vorzuweisen. Zudem pflegte er ein enges Verhältnis zum umstrittenen Ex-Verbandspräsidenten Luis Rubiales, von dem sich de la Fuente mittlerweile aber distanziert hat.

Die Skepsis um seine Person ist in Spanien längst in Begeisterung umgeschlagen. De la Fuente gilt als Architekt der aufregendsten Mannschaft dieses Turniers. Spanien spielt strukturierten Ballbesitz-Fußball wie zu besten Zeiten - gleichzeitig haben die Jungspunde Williams und Yamal aber alle erdenklichen Freiheiten.

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Deutschland gegen Spanien: Statistiken bei dieser EM

KategorieDeutschlandSpanien
Tore109
Erwartete Tore (xG)7,688,9
Gegentore21
Erwartete Gegentore (xG against)2,993,37
Ballbesitzanteil (in Prozent)65,8459,81
Meiste BallaktionenKroos (489)Rodri (306)
Meiste ToreMusiala (3)Ruiz (2)
Meiste AssistsGündogan (2)Ruiz und Yamal (2)

*gefettet: Bestwert im Turnier