Bewerbungsschreiben für einen anderen Posten: Wie der "coole Fetzen" Deniz Undav dem DFB-Team vielschichtig hilft

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Deniz Undav avancierte gegen Bosnien zum Matchwinner. Nun winkt ein Duell mit dem aktuell verletzten Niclas Füllkrug.

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"Deniz ist schon ein kleiner Torjäger", lobte Julian Nagelsmann nach Undavs Doppelpack beim 2:1-Sieg gegen Bosnien und Herzegowina. Damit es keine Missverständnisse gibt, schob der Bundestrainer sicherheitshalber gleich hinterher: "Klein wegen der Körpergröße." Und das hat Vorteile: "Er ist sehr schwer zu verteidigen, weil er einen so niedrigen Schwerpunkt hat."

Undav misst zwar immerhin durchaus stattliche 1,79 Meter. Neben anderen Mittelstürmern und übrigens auch neben dem 1,90 Meter großen Nagelsmann selbst wirkt er aber eher unscheinbar. Und dennoch mausert sich der "Kleine" im reifen Alter von 28 Jahren gerade zu Deutschlands größter Sturmhoffnung.

Bei seinem Startelfdebüt im September gegen die Niederlande (2:2) glänzte Undav in seiner Paraderolle als Mittelstürmer mit einem Tor und einem Assist. Obwohl er gegen Bosnien zurückgezogen spielte, schoss er das DFB-Team mit einem Doppelpack zum Sieg, ein dritter Treffer zählte nur wegen einer knappen Abseitsstellung nicht.

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DFB-Team: Der Kampf um den Mittelstürmer-Posten

Undav hatte erst im Vorfeld der EM sein DFB-Debüt gefeiert, beim Turnier selbst reichte es hinter Kai Havertz und Niclas Füllkrug nur zu einem Kurzeinsatz gegen Ungarn. Aktuell fehlen beide damaligen Rivalen verletzt: Füllkrug (1,89 Meter) wegen einer Achillessehnenreizung, die er sich bei der vergangenen Länderspielphase zugezogen hatte, Havertz (1,93 Meter) wegen Knieproblemen.

Bei der EM hatte stets die falsche Neun Havertz den Vorzug bekommen. Nach dem DFB-Rücktritt von Ilkay Gündogan beorderte ihn Nagelsmann im September aber sinnvollerweise auf den freigewordenen Spielmacher-Posten. Dort kommen Havertz' Stärken im Kombinationsspiel mit den Zauberern Jamal Musiala und Florian Wirtz noch besser zur Geltung. Sofern alle fit sind, dürfte Nagelsmann an diesem Trio erstmal nicht rütteln.

Gegen Bosnien fehlte nicht nur Havertz, sondern auch Musiala. Am tauglichsten für die Rolle als Not-Zehner erachtete Nagelsman Undav, auch beim VfB Stuttgart füllte er diese Rolle schon aus. Davor bekam Debütant Tim Kleindienst (1,94 Meter) seine Chance. Spielmacher war Undav aber nur qua Titel, tatsächlich trat er als falsche Zehn oder besser: als waschechter Torjäger auf. Für seine zwei Treffer brauchte er in 67 Minuten lediglich 23 Ballkontakte. Große Anteile am deutschen Kombinationsspiel hatte er nicht, weshalb es auch weniger spektakulär daherkam als zuletzt mit dem Trio Havertz/Musiala/Wirtz. Havertz verzeichnete gegen Ungarn und die Niederlande auf dieser Position deutlich mehr Ballkontakte.

Sorgen bereiten sollte Undavs Gala jedenfalls nicht Havertz, sondern Füllkrug. Kleindienst empfahl sich unterdessen eher nicht für weitere Einsätze, ähnlich wie zuvor schon Kevin Behrens und Marvin Ducksch. Jonathan Burkardt vom 1. FSV Mainz feierte gegen Bosnien in der Schlussphase sein Debüt. Vieles deutet nun auf ein langfristiges Duell zwischen Undav und dem drei Jahre älteren Füllkrug (auch erst seit zwei 2022 dabei) um den Posten als Sturmspitze im etablierten 4-2-3-1-System hin.

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DFB-Team: Undav und Füllkrug duellieren sich auch abseits des Platzes

"Er hat gute Konkurrenz auf der Position. Aber er ist einer, den wir sehr gerne bei uns haben", lobte Nagelsmann und verwies auch auf Undavs Trefferquote in Stuttgart. Nach zehn Pflichtspielen steht er bei sechs Treffer. "Er macht es sehr gut in Stuttgart. Er ist ihre Garantie, dass sie viele Tore schießen." Füllkrug traf nach seinem Sommer-Wechsel von Borussia Dortmund zu West Ham United noch gar nicht. In der Nationalmannschaft weist er mit 14 Treffern in 22 Spielen aber eine starke Quote auf.

Undav und Füllkrug duellieren sich übrigens nicht nur um den Mittelstürmer-Posten, sondern gewissermaßen auch um die Spaßvogel-Nachfolge des abgetretenen Thomas Müller. Mit seiner lockeren Art und seinen Sprüchen sorgte der Ur-Bayer stets für eine Prise Leichtigkeit. Eine Disziplin, in der auch Undav und Füllkrug große Stärken haben. Noch eher als auf dem Platz, erscheint Arbeitsteilung hier aber möglich.

Müllers Rückennummer 13 sicherte sich schon Undav. "Da trete ich in große Fußstapfen", betonte er nach dem Niederlande-Spiel. Ob er sich auch die Nachfolge von "Radio Müller" zutraue? "Wenn es einer schaffen kann, dann ich. Ich rede viel, ich mache viel Spaß. Ich versuche einfach, die Leute mit ins Boot zu holen, um manche Sachen nicht ganz so ernst zu nehmen. Ich kriege das ganz gut hin." Mit vielen DFB-Kollegen sitzt er auch im gleichen Klub-Boot, im aktuellen Kader stehen sechs Spieler des VfB Stuttgart.

"Deniz ist ein richtig cooler Fetzen mit lustigen Sprüchen", findet Nagelsmann. "Er hat eine coole Art, die Mannschaft mitzunehmen, er behandelt jeden gleich, das macht er sehr gut. Er ist ein positiver, lebensbejahender Typ, der uns gut tut - auf und neben dem Platz."

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Von Havelse in die Champions League: Deniz Undavs besonder Vita

Identitätsstiftend ist auch Undavs Vita: Mit 19 Jahren spielte er noch beim Regionalligisten TSV Havelse in seiner Heimat Niedersachsen, auf den ganz großen Durchbruch deutete damals wenig hin. Gleichzeitig absolvierte Undav eine Ausbildung zum Maschinenführer und dachte ans Karriereende. Wecker 4 Uhr, Arbeit, Training, Döner, Bett um 22 Uhr. Dass er es trotzdem ganz nach oben geschafft hat, unterstreicht seine Resilienz. Ein Attribut, das aktuell auch mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht wird. Auch und dank Spielern wie Undav.

Er kämpfte sich über Braunschweig und Meppen zu Union Saint-Gilloise nach Belgien, über Brighton & Hove Albion in die Stuttgarter Startelf, in die Champions League und in die Nationalmannschaft. Dort präsentiert er sich nicht nur treffsicher und lustig, sondern auch bodenständig. Genau wie seine besondere Geschichte, kommt auch seine Art in der Öffentlichkeit gut an. Beispielhaft seine vielzitierte Ankunft beim DFB-Lager in Herzogenaurach mit blauem Müllbeutel.

"Die Schuhe stinken und deshalb habe ich die nicht so gerne in meiner Tasche", erklärte Undav bei ran. "Deswegen habe ich den Müllbeutel mitgenommen und mir nichts dabei gedacht. Aber anscheinend war es sehr, sehr cool für viele Leute, dass ich so bodenständig geblieben bin." Und das liegt nicht an seinem tiefen Körperschwerpunkt.

DFB-Team in der Nations League: Die Tabelle nach drei Spieltagen

PlatzMannschaftSpieleToreDiff.Punkte
1Deutschland39:367
2Niederlande38:535
3Ungarn31:6-52
4Bosnien-Herzegowina33:7-41