"Eine der besten Paraden, die ich je gesehen habe": Die besondere Geschichte des türkischen Helden Mert Günok

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Mit einer Wunderparade in allerletzter Minute rettete Keeper Mert Günok den Achtelfinal-Sieg der Türkei gegen Österreich. Günok ist der älteste Spieler der zweitjüngsten Auswahl - und ein unwahrscheinlicher Held.

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Als die wahnsinnige Tat vollbracht war, drehte sich Mert Günok sicherheitshalber um und schaute ein bisschen ungläubig ins leere Tor - vermutlich um sich zu vergewissern, dass der Ball tatsächlich nicht im Netz gelandet ist. Hat er ihn wirklich gehalten, diesen vermeintlich unhaltbaren Kopfball von Christoph Baumgartner? Ja, er hatte. Also stellte sich Günok breitbeinig hin, spannte seine Arme an und schrie vor Freude.

Es passierte in der fünften Minute der Nachspielzeit eines epischen EM-Achtelfinals. Die Türkei führte nach einer aufreibenden Abwehrschlacht immer noch mit 2:1, als plötzlich eine Hereingabe von links in den türkischen Strafraum segelte. Baumgartner stieg etwa fünf Meter vor dem Tor ziemlich unbedrängt hoch und köpfelte per Aufsetzer links aufs Tor. Günok sprang ab, lag über seine volle Körperlänge von 1,96 Metern quer in der Luft, schleuderte seinen rechten Arm in die Höhe und lenkte den Ball am Tor vorbei.

"Das ist eine der besten Paraden, die ich je gesehen habe", sollte Michael Gregoritsch danach sagen. Er hatte die aus seiner österreichischen Sicht so bittere Heldentat zwar aus nächster Nähe mitangesehen, begreifen konnte er sie jedoch nicht. "Unglaublich. Das war für mich ein sicheres Tor." Dieses sichere Tor hätte Österreichs Aufholjagd mit einer Verlängerung belohnt. "Wenn da das 2:2 fällt, bin ich überzeugt davon, dass wir die Partie in der Verlängerung drehen und als Sieger vom Platz gehen", mutmaßte Nicolas Seiwald.

Merih Demiral hatte die Türkei mit zwei Toren nach Ecken von Supertalent Arda Güler in Führung gebracht, ehe Gregoritsch auf 1:2 verkürzte. Wütend lief Österreich daraufhin an, bis Günok die allerbeste und allerletzte Chance mit seiner Wunderparade vereitelte. Wenige Sekunden danach pfiff der Schiedsrichter das Spiel ab. Die Türkei im Viertelfinale, Österreich raus. Neben dem Doppeltorschützen Demiral avancierte Günok zum großen Helden der Türkei, einem ziemlich unwahrscheinlichen Helden.

Die wechselhafte Karriere des türkischen Keepers Mert Günok

Obwohl der mittlerweile schon 35-jährige Keeper von Besiktas Istanbul bereits 2012 für die Nationalmannschaft debütierte, absolvierte er gegen Österreich erst sein 31. Länderspiel. Zum unangefochtenen Stammkeeper über längere Zeit schaffte er es noch nie. Zwischen 2015 und 2019 absolvierte er kein Länderspiel, bei der EM 2021 war er nur Reservist, danach fehlte er monatelang wegen eines Kreuzbandrisses.

Auch auf Klub-Ebene hatte Günok eine wechselhafte Karriere: Bei Fenerbahce musste er sich lange hinter der türkischen Keeper-Legende Volkan Demirel einreihen, nach einer Station bei Bursaspor gewann er als Stammkeeper mit Basaksehir 2020 den Meistertitel. Ein Jahr später wechselte er zu Besiktas, war aber dort zunächst wieder nur Reservist, ehe er sich irgendwann doch noch einen Stammplatz erkämpfte.

In der Nationalmannschaft erschien es bis knapp vor Turnierstart unklar, ob Günok bei der EM im Tor stehen würde. Sein Rivale Ugurcan Cakir machte bei der 1:6-Pleite gegen Österreich im März eine schlechte Figur, auch Altay Bayindir bekam in den vergangenen Monaten seine Chance. Letztlich entschied sich Nationaltrainer Vincenzo Montella für Günok. Bereits im zweiten Gruppenspiel musste er aber schon wieder auf ihn verzichten. Günok fehlte angeschlagen, Bayindir sprang ein. Im entscheidenden Duell mit Tschechien war Günok zurück, gegen Österreich avancierte er zum Helden.

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"Alter Mann mit jungem Kopf": Mert Günok hält bei der Türkei die Ansprachen

Mit seinen 35 Jahren ist er der mit Abstand älteste Spieler der zweitjüngsten Mannschaft des Turniers. Ein einsamer Routinier zwischen Supertalenten wie Arda Güler und Kenan Yildiz. "Er ist ein alter Mann, aber im Kopf ist er jung", sagt der gegen Österreich gesperrte Hakan Calhanoglu, Kapitän und mit 30 Jahren ebenfalls ein Routinier. Günok sei "derjenige, der die Ansprachen hält und vor allem den jungen Mitspielern hilft."

Als Günok nach dem Spiel auf seine Parade angesprochen wurde, wollte er gar nicht groß darauf eingehen. "Es war ein wunderbarer Sieg", sagte er bloß. "Ich möchte mich bei allen Fans bedanken. Wir glauben daran, dass wir den Weg bis zum Ende beschreiten können." Der Weg zum Finale in Berlin führt nun erstmal über Berlin, dort trifft die Türkei am Samstag im Olympiastadion auf die Niederlande. Ein Sieg würde nach der WM 2002 und der EM 2008 den dritten Halbfinal-Einzug bei einem großen Turnier bedeuten.

Österreich vs. Türkei: Die Statistik zum Spiel

Österreich vs. Türkei - 1:2 (0:1)

Tore0:1 Demiral (1.), 0:2 Demiral (59.), 1:2 Gregoritsch (66.)
Aufstellung ÖsterreichPentz - Posch, Danso, Lienhart (65. Wöber), Mwene (46. Prass) - Seiwald, Laimer (65. Grillitsch), Schmid (46. Gregoritsch), Baumgartner, Sabitzer - Arnautovic
Aufstellung TürkeiGünok - Müldür, Demiral, Bardakci, Kadioglu - Ayhan, Yüksek, Arda Güler (78. Okay), Kökcü (83. Kahveci), Yildiz (78. Aktürkoglu) - Yilmaz
Gelbe Karten
  • Österreich: Schmid (38.)
  • Türkei: Kökcü (11.), Yüksek (41.)