Ganz wichtig: Der Kühlschrank muss immer mit Acai-Saft gefüllt sein! Dabei handelt es sich schließlich um Neymars Lieblingsgetränk, schon seit Kindestagen in Brasilien. Selbstverständlich will er in seiner neuen Wahlheimat darauf nicht verzichten. Es war einer von vielen Wünschen, die ihm für seinen Wechsel von Paris Saint-Germain nach Saudi-Arabien bereitwillig erfüllt wurden.
Neymar wohnt jetzt in einem 25 Räume umfassenden Palast mit Pool und Bediensteten, zur Fortbewegung stehen ihm acht Autos und ein Privatjet zur Verfügung. Dazu gibt es ein jährliches Taschengeld in Höhe von 100 Millionen Euro. Angereist ist er übrigens auf einem goldenen Thron inmitten einer riesigen Boeing 747. Dieser Flug von Paris nach Riad symbolisiert ganz wunderbar den womöglich größten Einschnitt der Fußball-Geschichte.
Die größten Einschnitte der Fußball-Geschichte
Dafür zunächst ein Blick zurück. 1863 gründeten gut situierte Bildungsbürger die englische FA, den ersten Fußball-Verband der Welt. Gleichzeitig schrieben sie das erste Regelwerk des modernen Fußballs nieder. Ursprünglich diente der Sport elitären Kreisen als Hobby. Dank Arbeitszeiten-Liberalisierungen und höheren Löhnen hatte aber bald auch das Proletariat Zeit und Mittel für Freizeit-Beschäftigungen wie Fußball.
Der Sport eroberte die breiten Massen, aus einem Hobby wurde ein Geschäft. Spieler verdienten ab der Einführung des Profitums in England 1885 legal Geld, Zuschauer zahlten Eintritt. Der erste große Einschnitt. Von England aus schwappten diese Entwicklungen auf dem damals erst rudimentär globalisierten Planeten langsam über nach Kontinental-Europa und dann in die ganze Welt.
Mit Blick auf das Spiel an sich dürfte die Änderung der Abseitsregel im Jahr 1925 den größten Einschnitt darstellen: Fortan mussten sich nur mehr zwei statt wie zuvor drei Spieler zwischen Tor und einem angespielten Angreifer befinden. In der Folge erhielten erstmals taktische Überlegungen Einzug in ein zuvor eindimensionales Spiel. Vom WM-System über das 4-2-4 bis hin zum 4-2-3-1 - aus dem Fußball wurde eine Wissenschaft, Trainer gewannen an Relevanz.
Ab den 1990er-Jahren bezahlten die neuen Privat- und Pay-TV-Sender irrsinnige Summen für Fernsehübertragungen, am gefragtesten war das neue Premiumprodukt Champions League. Zuvor moderat ansteigende Ablösesummen und Gehälter explodierten. Der Show-Faktor nahm zu, aus Klubs wurden Unternehmen, das finanzielle Gefälle zwischen der Elite und dem Rest wurde immer steiler.
Das Bosman-Urteil von 1995 revolutionierte unterdessen den Transfermarkt. Plötzlich waren Spieler nach Vertragsende ablösefrei, das Machtverhältnis mit den Arbeitgebern verschob sich zu ihren Gunsten.
Ehemalige Altstar-Mekkas - und was diesmal anders ist
All diese einschneidenden Entwicklungen trugen sich in Europa zu, unser Kontinent war stets das unumstrittene Zentrum des Klub-Fußballs. Das droht sich durch den saudi-arabischen Kaufrausch zu ändern. Künftig wird erstmals seit der Globalisierung des Transfermarkts ein beträchtlicher Anteil der besten Fußballer nicht in Europa spielen - und dieser Anteil wird von Tag zu Tag größer. Ein Einschnitt von wohl nie dagewesenem Ausmaß.
Klar, auch in der Vergangenheit lockten regelmäßig außereuropäische Ligen mit fabelhaften Verdienstmöglichkeiten. Erstmals in den 1950er-Jahren die kolumbianische Rebellen-Liga, damals liebevoll "El Dorado" genannt. Hier spielte Real Madrids spätere Ikone Alfredo Di Stéfano, selbst bei Manchester United bediente man sich. In den 1970er-Jahren avancierte die nordamerikanische NASL zum Altstar-Mekka: Franz Beckenbauer, Pelé und Johan Cruyff ließen hier ihre Karrieren ausklingen und erklärten Einheimischen auch gerne die Abseitsregel. Später stieg die Ü30-Party in Katar oder China, wo man eigentlich gar nicht so toll feiern konnte, aber selbstverständlich sehr toll verdienen.
Saudi-Arabiens aktueller Kaufrausch hat aber eine ganz andere Dimension. Altstar-Mekka wird dem nicht gerecht. Nicht nur, weil sich in Saudi-Arabien ohnehin auch das echte Mekka befindet. Nie zuvor wechselten so viele berühmte und immer noch konkurrenzfähige Fußballer in eine außereuropäische Liga. Cristiano Ronaldo (38) und Karim Benzema (35) gehen zwar schon auf das Ende ihrer Karrieren zu, Neymar, Roberto Firmino und Sadio Mané sind aber alle erst 31 Jahre alt. Sie hätten noch das Potenzial, mit europäischen Topklubs die Champions League zu gewinnen.
Neben diesen Stars zog es auch haufenweise Spieler von gehobenem internationalem Niveau nach Saudi-Arabien, teilweise im besten Fußballer-Alter. Spieler, die in starken Nationalmannschaften wichtige Rollen spielen oder bis zuletzt bei europäischen Topklubs unter Vertrag standen. Spieler wie Riyad Mahrez, Kalidou Koulibaly, Édouard Mendy, Fabinho, Marcelo Brozovic, Franck Kessié oder N'Golo Kanté.
Marco Verratti, Aymeric Laporte und Mohamed Salah könnten noch folgen. Jeden Tag ein neuer Star und mit jedem weiteren scheint die Wechsel-Hemmschwelle für nachfolgende Spieler zu sinken. Eine Kettenreaktion, ausgelöst Anfang des Jahres von Cristiano Ronaldo.
Von Europa nach Saudi-Arabien: Wechsel im Sommer 2023
Spieler | alter Klub | neuer Klub | Ablöse |
Neymar (31) | Paris Saint-Germain | Al-Hilal | 90 Mio. |
Malcom (26) | Zenit St. Petersburg | Al-Hilal | 60 Mio. |
Rúben Neves (26) | Wolverhampton | Al-Hilal | 55 Mio. |
Aleksandar Mitrovic (28) | FC Fulham | Al-Hilal | 52,6 Mio. |
Fabinho (29) | FC Liverpool | Al-Ittihad | 46,7 Mio. |
Sergej Milinkovic-Savic (28) | Lazio Rom | Al-Hilal | 40 Mio. |
Riyad Mahrez (32) | Manchester City | Al-Ahli | 30 Mio. |
Sadio Mané (31) | FC Bayern München | Al-Nassr | 30 Mio. |
Roger Ibañez (24) | AS Rom | Al-Ahli | 30 Mio. |
Jota (24) | Celtic FC | Al-Ittihad | 29,1 Mio. |
Allan Saint-Maximin (26) | Newcastle United | Al-Ahli | 27,2 Mio. |
Seko Fofana (28) | RC Lens | Al-Nassr | 25 Mio. |
Kalidou Koulibaly (32) | FC Chelsea | Al-Hilal | 23 Mio. |
Bono (32) | FC Sevilla | Al-Hilal | 21 Mio. |
Merih Demiral (25) | Atalanta Bergamo | Al-Ahli | 20 Mio. |
Édouard Mendy (31) | FC Chelsea | Al-Ahli | 18,5 Mio. |
Marcelo Brozovic (30) | Inter Mailand | Al-Nassr | 18 Mio. |
Habib Diallo (28) | RC Straßburg | Al-Shabab | 18 Mio. |
Jordan Henderson (33) | FC Liverpool | Al-Ettifaq | 14 Mio. |
Franck Kessié (26) | FC Barcelona | Al-Ahli | 12,5 Mio. |
Alex Telles (30) | Manchester United | Al-Nassr | 7 Mio. |
Karim Benzema (35) | Real Madrid | Al-Ittihad | ablösefrei |
Roberto Firmino (31) | FC Liverpool | Al-Ahli | ablösefrei |
N'Golo Kanté (32) | FC Chelsea | Al-Ittihad | ablösefrei |
Moussa Dembélé (27) | Olympique Lyon | Al-Ettifaq | ablösefrei |
Von welchen Entwicklungen Saudi-Arabien profitiert
Sie alle verdienen in Saudi-Arabien mehr Geld, als sie irgendwo sonst verdienen könnten. Warum Saudi-Arabien diese finanziellen Anstrengungen aufwendet? Um von Menschenrechtsverletzungen und Minderheitenverfolgungen im eigenen Land abzulenken und international salonfähig zu werden. Ins Gespräch kommen, positive Schlagzeilen schaffen, Kontakte knüpfen. Sportswashing nennt sich das und ist ärgerlicherweise ein ausgesprochen erfolgreiches Konzept.
Das funktionierte bereits in Katar, dürfte in Saudi-Arabien aber sogar noch besser funktionieren. Wurde sich an Katar vor allem im Zuge der Weltmeisterschaft 2022 zurecht abgearbeitet, machen sich beim Umgang mit Saudi-Arabiens aktuellem Kaufrausch längst Kritik-Ermüdungserscheinungen breit. Obwohl Dauerkritik aufgrund der dortigen Zustände absolut angebracht wäre, ist eine Normalisierung im Umgang zu beobachten.
Abgesehen davon profitiert Saudi-Arabien auch von einem allgemeinen Fußball-Trend: Junge Fußball-Interessenten definieren sich mittlerweile oftmals eher als Fans von Spielern als wie einst üblich von Klubs. Früher hätten sich Fans über einen Wechsel ihres Lieblingsspielers ein bisschen geärgert und womöglich sogar sein Trikot verbrannt, heute folgen sie ihm einfach zu seinem neuen Klub.
Das bedeutet für die saudi-arabischen Klubs, dass sie mit jedem berühmten Neuzugang auch Fans kaufen. Fans, die sich die Spiele ihres Lieblings anschauen, Berichte darüber lesen und ihm über dessen Soziale Netzwerke folgen. Neymar kassiert dem Vernehmen nach eine halbe Million Euro für jeden Social-Media-Post, in dem er für Saudi-Arabien wirbt. Mit dem Erwerb von Merchandise-Produkten werden Fans unterdessen selbst zu Botschaftern. Sie kaufen zwar keine Al-Hilal-Trikots mit Neymar-Flock, sondern Neymar-Trikots mit Al-Hilal-Logo - aber das ist letztlich auch egal.
Saudi-Arabiens Kaufrausch: Gefahr für die Champions League
Finanziert wird der Kaufrausch über den Staatsfonds PIF, der Mehrheitsanteile an den vier wichtigsten saudi-arabischen Klubs Al-Hilal, Al-Nassr, Al-Ahli und Al-Ittihad hält. Darüber hinaus gehören dem PIF übrigens auch Newcastle United und gewissermaßen die Sportart Golf.
Noch ist nicht absehbar, wie nachhaltig Saudi-Arabien seine nationale Fußballliga aufrüstet. Mit Blick auf den schier unendlichen Öl-Reichtum und die klar formulierten Visionen des Landes, die auch eine Bewerbung für die WM 2030 beinhalten, erscheint ein abruptes Ende aber eher unwahrscheinlich. Ganz im Gegenteil, vermutlich geht es gerade erst los.
Für den europäischen Fußballverband UEFA und seinen Vorzeige-Wettbewerb ist das eine äußerst gefährliche Entwicklung. Da bisher der überwiegende Großteil der weltbesten Spieler teilnahm, gilt die Champions League als wichtigster Wettbewerb des Klub-Fußballs. Je mehr Stars Europa verlassen, desto mehr gerät dieser Status aber in Gefahr.
Zuletzt kam das Gerücht auf, wonach die saudi-arabische Liga ab 2024 einen Startplatz für ihren Meister fordert - das ist wenig überraschend, die Forderung wird auch kaum bei einem Startplatz bleiben. Im Falle einer Zusage würde die Champions League zwar erstmals Teilnehmer von einem anderen Kontinental-Verband (Saudi-Arabien ist Mitglied der asiatischen AFC) aufnehmen, nicht aber von einem anderen Kontinent. Seit dem Zerfall der Sowjetunion spielen Nachfolgestaaten wie Kasachstan aus dem geografischen Asien mit. Auch Klubs aus Israel sind dabei, aufgrund des Widerstandes seiner muslimischen Nachbarländer ist der jüdische Staat in der AFC nicht willkommen.
Eher früher als später steht die UEFA vor der Frage: Saudi-Arabiens Wunsch erfüllen, somit Stars zurückzubekommen und den Premium-Status der Champions League erstmal wahren - gleichzeitig aber Werte verraten und die Wut traditionsbewusster Fans auf sich ziehen? Oder ablehnen und Gefahr laufen, alsbald womöglich nicht mehr über den Wettbewerb mit den besten Spielern der Welt zu verfügen? Nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die UEFA von externen Kräften massiv unter Druck gesetzt.
Die UEFA und ihre bisherigen Dilemmas
Der Vorgänger-Wettbewerb der Champions League ist eine Erfindung des französischen Journalisten Gabriel Hanot der L'Équipe. 1954 lud die Zeitung in Eigenregie Vertreter ausgewählter europäischer Topklubs um Real Madrid und die AC Milan nach Paris, um den Europapokal der Landesmeister zu schaffen. Die damals gerade erst gegründete UEFA zeigte zunächst kein Interesse. Erst als die Pläne konkreter wurden und der Verband mögliche Einnahmequellen aus seinem Einflussbereich schwinden sah, übernahm er die Organisation des Wettbewerbs.
Im Frühling 2020 geriet die UEFA aufgrund der Super-League-Pläne von zwölf Topklubs erneut massiv unter Druck. Dass die Erpressung scheiterte, lag eher nicht an der standhaften UEFA, sondern an wütenden Fan-Protesten. Noch vor einem wahrhaftigen Showdown mit dem kontinentalen Verband zwangen sie die betroffenen Klubs zum Einknicken.
Während die organisierten Fanszenen Europas Einfluss auf die von ihnen unterstützten Klubs haben, werden sie Saudi-Arabiens Gebaren nicht aufhalten. Sollte sich der Kaufrausch wie zu erwarten entsprechend fortsetzen, ist ein Showdown mit der UEFA wohl nicht zu verhindern - und für Europas Verband auf lange Sicht eigentlich nicht zu gewinnen. Egal, wie er entscheidet.
Saudi-Arabien und der Fußball: Wie geht es weiter?
Verweigert die UEFA Saudi-Arabien Champions-League-Startplätze, könnte diese Entscheidung das Ende der Champions League als unumstritten wichtigster Wettbewerb des Klub-Fußballs einläuten. Entweder wird das asiatische Pendant entscheidend aufgewertet, vielleicht tun sich die aufgerüsteten Klubs aus Saudi-Arabien aber auch mit den Super-League-Rebellen zusammen und schaffen ein neues Konkurrenz-Turnier. An der Finanzierung dürfte es nicht scheitern, es gibt ja den PIF.
In diesem Fall hätte die UEFA einzig den Hebel, beteiligte europäische Klubs oder Spieler von eigenen Wettbewerben auszuschließen. Bei den Spielern ging es dabei in erster Linie um die EM, womit die UEFA aber gleichzeitig die Qualität ihres zweiten Vorzeige-Turniers arg beschädigen würde. Bei den Klubs geht es um nationale Ligen. In Sorge, von saudi-arabischen Rivalen abgehängt zu werden, würden sie diesen Poker aber womöglich eingehen - und im zweiten Anlauf wohl auch etwaigen Fan-Protesten resoluter gegenüberstehen.
Eine Champions-League-Zulassung saudi-arabischer Klubs wäre unabhängig vom Werte-Verrat dagegen ein Präzedenzfall mit unvorhersehbaren Folgen. Theoretisch könnte daraufhin jedes Land Stars einkaufen, eine schlagkräftige Mannschaft aufbauen und um Teilnahme ansuchen. Warum sollte Inter Miami mit Lionel Messi eigentlich nicht auch mitspielen? Apropos Inter Miami: Angeblich hat der nordamerikanische MLS-Klub eine Einladung zur Teilnahme an der nächsten Ausgabe der südamerikanischen Copa Libertadores erhalten. Das wäre nichts anderes, als wenn Al-Hilal in der europäischen Champions League mitspielen würde.
Die langfristige Folge dieser Entwicklungen ist wohl zwangsläufig die Schaffung einer weltweiten Super League und damit die finale Globalisierung des Klub-Fußballs - wohl kaum unter Aufsicht der europäischen UEFA, sondern entweder unter einer neugegründeten Organisation oder der FIFA, die vor allem über Präsident Gianni Infantino beste Beziehungen zu Saudi-Arabien pflegt und im Sommer 2025 mit einer aufgeblasenen Klub-WM in den USA experimentiert. Womöglich ist das nur ein Vorbote.
Das einzige Hindernis für eine weltweite Super League dürften wohl die langen Reisewege darstellen. Ein Flug von Riad nach Miami dauert nämlich ungefähr 15 Stunden - aber auf einem goldenen Thron in der Boeing 747 und mit etwas Schmerzensgeld ließe sich das sicherlich aushalten.