SPOX: Herzlichen Glückwunsch, Herr Ohlbrecht. Sie sind der wahrscheinlich am meisten kritisierte Basketballer Deutschlands.
Tim Ohlbrecht: Wissen Sie, ich lache mittlerweile nur noch darüber. Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich der Prügelknabe in den Internet-Foren bin. Es ist ja auch einfach, in der Anonymität den Mund aufzureißen und abzulästern, ohne eine richtige Ahnung zu haben. Daher nehme ich die Meinungen nicht ernst und lese seit eineinhalb Jahren nichts mehr über mich in den Foren. Manchmal erzählen mir Freunde von dem einen oder anderen Eintrag und wir reißen dann Witze darüber.
SPOX: Aber selbst Wolfgang Heyder, Ihr ehemaliger Geschäftsführer in Bamberg, bemängelte letzte Saison, dass Sie nicht selbstkritisch genug seien.
Ohlbrecht: Den Vorwuf kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich bin so selbstkritisch, wie es nur geht. Ich trainiere hart, lebe professionell und lege Zusatzschichten ein.
SPOX: Warum kamen Sie in der abgelaufenen BBL-Saison dann nur knapp zwölf Minuten im Schnitt zum Einsatz?
Ohlbrecht: Ich hatte letztes Jahr vorsorglich nur für eine Saison verlängert, weil ich befürchtet hatte, dass Dirk Bauermann seinen Trainerjob in Bamberg beendet und sich auf die Nationalmannschaft konzentriert. Leider kam es so, und ich hatte gleich von Beginn an das Gefühl, dass der neue Coach Chris Fleming wenig mit mir anfangen kann.
SPOX: Wie das?
Ohlbrecht: Aus welchem Grund auch immer hatte Chris Fleming ein Problem mit mir. Was an sich nicht verwerflich ist, solange man mir das offen sagt. Der Trainer aber hat sich nicht einmal getraut, mir in die Augen zu schauen und die Dinge anzusprechen, die ihm nicht gefallen. Stattdessen hat er andere Leute wie Wolfgang Heyder vorgeschickt, um mich zu kritisieren. Wie soll man da gut zusammenarbeiten?
SPOX: War das der Grund dafür, dass Sie sich während den Playoffs auf die Liste der möglichen NBA-Draftkandidaten setzen ließen?
Ohlbrecht: Das war keine direkte Reaktion auf die Saison. Vielmehr wollte ich austesten, wie es so ist, bei den Drafts dabeizusein. Wie das ganze Business funktioniert, wie die Trainingscamps sind, wie der Kontakt mit den Vertretern der NBA-Teams abläuft.
SPOX: Haben Sie auf eine Zukunft in der NBA spekuliert?
Ohlbrecht: Nein, nein. Es ging wirklich nur darum, Erfahrungen zu sammeln und den eigenen Marktwert abzuschätzen. Mir ist klar, dass die NBA derzeit noch zu früh kommt und ich noch zwei, drei Jahre brauche.
SPOX: Warum haben Sie sich kurz vor dem Draft von der Kandidatenliste streichen lassen?
Ohlbrecht: Weil mir nichts anderes übrigblieb. Ich wollte in die Staaten fliegen und an den Trainingscamps teilnehmen, um den Scouts zu zeigen, was ich drauf habe. Aber Chris Fleming verbot mir die Reise, weil er mich in Bamberg brauchen würde - obwohl er mich in den Playoffs nicht einmal fünf Minuten im Schnitt eingesetzt hatte.
SPOX: Wechseln Sie deswegen nach der EM nach Bonn?
Ohlbrecht: Dass ich nicht mehr in Bamberg bleibe, war nach der letzten Saison klar. Und Bonn ist der beste Verein für mich. Es passt: Ob es nun Trainer Michael Koch ist, der in den letzten Jahren sehr beeindruckt hat, oder ob es die Mannschaft ist, in der ich mit Chris Ensminger oder Vincent Yarbrough frühere Mitspieler aus Bamberg wiedertreffe.
SPOX: Warum sind Sie nicht zu einem europäischen Spitzenverein gewechselt?
Ohlbrecht: Es stimmt, dass ich einige Angebote vorliegen hatte und es wäre reizvoll gewesen, ins Ausland zu gehen. Der europäische Basketball ist leistungsmäßig nicht mehr weit weg von der NBA. Zunächst möchte ich mich aber als deutscher Nationalspieler in der BBL durchsetzen und allen beweisen, was ich kann.
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SPOX: Der erste Schritt, die Kritiker von sich zu überzeigen, wäre eine gute EM.
Ohlbrecht: Mir ist bewusst, dass ich in Polen schon als Leistungsträger gefragt bin. Ich bin zwar selbst erst 21, aber angesichts der vielen Neulinge kommt mir eine wichtige Rolle zu.
SPOX: Zum Beispiel als Mentor für Center-Talent Tibor Pleiß?
Ohlbrecht: Mentor ist das falsche Wort, ich bin ja nur ein Jahr älter. Aber ich werde ihm die Tipps weitergeben, die ich zuvor von Dirk Nowitzki und den anderen bekommen habe. Es ist unglaublich, welches Potenzial in Tibor steckt. Er ist riesig, hat lange Arme und ist gleichzeitig schnell auf den Beinen.
SPOX: Ist die Rotation auf den großen Positionen mit Ihnen, Pleiß, Patrick Femerling, Jan Jagla und Sven Schultze gut genug, um es mit Frankreich, Russland und Lettland aufzunehmen?
Ohlbrecht: Unsere Gruppengegner haben allesamt starke Frontcourts. Frankreich mit Boris Diaw und Ronny Turiaf, Lettland mit Andris Biedrins oder Russland, das sehr hart spielt und daher unserer jungen Mannschaft nicht so liegt. In der Vorbereitung haben wir aber gezeigt, dass wir mit den besten Mannschaften mithalten können. Wir haben Serbien mit Nenad Krstic besiegt, genauso die Türken mit Hedo Türkoglu und Ersan Ilyasova - und die NBA-Spieler haben gegen uns hundert Prozent gegeben. Das heißt schon was.
SPOX: Svetislav Pesic hat also recht, wenn er Deutschland als Geheimtipp bezeichnet?
Ohlbrecht: Dafür ist es zu früh. Wir haben in den Testspielen teils sehr gut gespielt, teils aber auch sehr hohe Niederlagen kassiert. Als neu zusammengesetzte Mannschaft fehlt uns noch der Rhythmus und Dirk Bauermann muss eine komplett neue Rotation finden. Aber klar ist: Durch die Verjüngung spielen wir schneller und variabler als früher.
SPOX: Könnte sich Dirk Nowitzkis Fehlen womöglich sogar als Segen erweisen?
Ohlbrecht: Es kann nie gut sein, wenn ein Weltklassespieler wie Dirk nicht dabei ist. Alleine im Training kann man sich so viele Dinge von ihm abschauen. Aber es stimmt: Auf eine gewisse Weise ist es positiv, weil wir jetzt sehen, dass die Nationalmannschaft auch ohne ihn überleben kann. Viele hatten Angst davor, dass wir in ein Loch fallen, stattdessen gelangen uns wichtige Siege in der Vorbereitung. Der Neubeginn war nötig und wurde in diesem Sommer eingeleitet. Und wenn Dirk 2010 oder 2011 zu uns zurückkehrt, bekommen die jungen Spieler den nächsten Schub. So schlecht, wie der deutsche Basketball immer dargestellt wird, ist er nicht.