Vuelta: "Dafür existiert kein Handbuch!" Sepp Kuss und Jumbo-Visma-Team mit historischem Coup

SID
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Edelhelfer Sepp Kuss gewinnt die Spanien-Rundfahrt - nach einem Machtwort im historisch überlegenen Jumbo-Visma-Team.

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Am Ende eines denkwürdigen Schauspiels hatten sie sich ganz demonstrativ lieb: Der neue Vuelta-Champion Sepp Kuss rollte Arm in Arm mit seinen Teamkollegen Jonas Vingegaard und Primoz Roglic ins Ziel der letzten Etappe in Madrid, den Nichtangriffspakt zugunsten ihres treuen Edelhelfers hatten die Topstars der Jumbo-Visma-Mannschaft am abschließenden Wochenende befolgt. Wie freiwillig, darüber kann nach der überlegensten Team-Leistung der Radsport-Geschichte nur spekuliert werden.

"Ich hätte nie gedacht, dass ein solcher Sieg möglich ist. Und dann kann ich ihn auch noch mit zwei Teamkollegen feiern", sagte der US-Amerikaner Kuss, nachdem er am Samstag in Guadarrama das Rote Trikot entscheidend behauptet und den "Sepptember" gekrönt hatte. Die traditionell als Ehrenrunde ausgetragenen Etappe nach Madrid am Sonntag, bei der der australische Sprinter Kaden Groves seinen dritten Tagessieg feierte, wurde zur erwarteten Triumphfahrt.

17 Sekunden Vorsprung hatte Kuss am Ende auf den dänischen Tour-Sieger Vingegaard, 1:08 Minuten trennten ihn in der Gesamtwertung von Sloweniens Giro-Champion Roglic. Der Spanier Juan Ayuso als bester Nicht-Jumbo-Fahrer hat fast vier Minuten Rückstand.

Vuelta: Jumbo-Visma schreibt Geschichte

Jumbo-Visma schrieb Geschichte: Nie zuvor hatte ein Team alle drei großen Landesrundfahrten eines Kalenderjahres gewonnen, nie im modernen Radsport Platz eins bis drei einer großen Tour belegt. So weit, so historisch. Und so problematisch.

"Eine solche Situation hatte es noch nie gegeben - drei Mann aus derselben Mannschaft in dieser Position", sagte Kuss, "dafür existiert kein Handbuch. Aber wir sind mit den unterschiedlichen Interessen gut umgegangen." Wirklich?

Denn während frühzeitig klar war, dass der Gesamtsieg an Jumbo-Visma gehen würde, wurde in der Vuelta-Schlussphase offensichtlich, dass Kuss nicht einmal stärkster Jumbo-Fahrer war - aber er führte nunmal seit Woche eins. Doch Vingegaard, der das seltene Tour-Vuelta-Siegdouble wollte, und Roglic, der mit Vuelta-Sieg Nummer vier Rekordchampion werden konnte, verfolgten eigene Ambitionen.

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Vuelta: Grischa Niermann spricht ein Machtwort

Deshalb attackierten beide bei der Angliru-Bergankunft ihren Teamkollegen, fuhren gegen den Mann, der sie bei ihren Grand-Tour-Erfolgen selbstlos unterstützt hatte. Ein No-Go, befand der frühere Tour-Sieger Geraint Thomas: "Sepp hat mehr Respekt verdient." Der irische Ex-Champion Sean Kelly polterte: "Einfach unfair nach allem, was Sepp für die beiden geleistet hat."

Der deutsche Sportdirektor Grischa Niermann stand vor einem Jumbo-Dilemma: Roglic und Vingegaard Freifahrt erteilen und damit Kuss die Belohnung für jahrelangen Altruismus streichen? Oder die beiden Stars in Kuss' Dienst stellen, sodass eben nicht der stärkste Profi eines der wichtigsten Rennen der Welt gewinnt?

"Das ist kompliziert. Alle kommen her, um die Vuelta zu gewinnen", sagte Niermann, "aber unser Traum ist, hier Erster, Zweiter, Dritter zu werden." Damit zwischen den drei Sieganwärtern keine teaminterne Straßenschlacht ausbrach, sprach Niermann nach der Angliru-Etappe ein Machtwort zu Kuss' Gunsten, die beiden anderen fügten sich zähneknirschend.

Vuelta: Einträchtige Triumphfahrt wirkt toxisch

"Ich fahre für Sepps Sieg. Ihm das Trikot abzunehmen, wäre habgierig", sagte Vingegaard. Roglic verkündete: "Ich habe meine eigene Meinung, aber ich will dafür sorgen, dass er vorne bleibt." Subtext: Wenn wir wollten und dürften, dann könnten wir.

So wirkten die vermeintlich einträchtigen Triumphfahrten über die Ziellinie am Samstag und Sonntag einigermaßen toxisch. Immerhin durfte Kuss danach zwei in die Arme nehmen, die sich aufrichtig freuten: Für Freundin Noemi und Knuffelhund Bimba war Sepp der unumstrittene Champion.

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