Bauermann: "Ich heule mit den Wölfen"

Haruka Gruber
27. August 201000:53
Dirk Bauermann im Zeitraffer: Vom Man in Black zum graumelierten Mr. Basketballspox
Werbung

In seiner Karriere wurde Dirk Bauermann Opfer einer doppelten Intrige und als Zerstörer des Sports beschimpft. Mittlerweile ist er neben Dirk Nowitzki das Aushängeschild des deutschen Basketballs, deswegen vertraut ihm die ambitionierte Zweitliga-Basketball-Mannschaft des FC Bayern den Cheftrainer-Posten an. Das Interview vor der am Samstag startetenden WM über die Frage: Was macht Bauermann so besonders?

SPOX: Bayern-Präsident Uli Hoeneß erzählt, dass er erst von der Idee des Basketball-Projekts überzeugt war, als er Sie bei einem Abendessen persönlich kennen gelernt hat. Derart faszinierend sei Ihre Aura gewesen. Wie fesselt man einen Mann wie Hoeneß?

Dirk Bauermann: Wir haben bei dem Treffen sehr schnell eine gemeinsame Ebene gefunden, die es ihm erlaubt hat, das Projekt zu befürworten und mitzutragen. Das ehrt mich - aber was er genau meint, kann ich leider nicht beantworten. Es ist immer schwer, über sich selbst zu reden.

SPOX: Noch vor einigen Jahren galten Sie als erfolgsbesessener Pedant und wurden wegen der defensiven Spielweise Ihrer Teams von einigen gegnerischen Fans beschimpft. Was hat sich seitdem verändert?

Bauermann: Was die Spielweise anbetrifft: nicht viel. Früher war ich mit meinem Fokus auf Athletik und knüppelharte Verteidigung fast schon ein Exot. Mir wurde das von einigen richtiggehend übel genommen, weil ich so den Basketball zerstören würde. Umgekehrt habe ich mich immer gewundert, warum in Deutschland so viele der Meinung waren, dass Defense schädlich sei für den Sport, obwohl international nur Mannschaften mit einer guten Verteidigung erfolgreich waren. Selbst sonst so offensivstarke Nationen wie Russland und Litauen haben das in den letzten Jahren verstanden und ihren Stil den Erfordernissen angepasst.

SPOX: Ist die von Ihnen bevorzugte Spielweise das Ergebnis einer rationalen Entscheidungsfindung - oder spiegelt sie auch Ihren Charakter wieder?

Bauermann: Kalkül spielte eine Rolle, genauso wichtig war es jedoch, dass diese Philosophie auch zu meiner Persönlichkeit passt. Es gefällt mir, Verteidigung zu lehren und den Gegner mit einem Defensivkonzept kontinuierlich zu schwächen, so als ob ich mit einem Pikser die Luft aus einem Ballon entweichen lasse. Im Basketball gibt es ein Naturgesetz: Entweder du heulst mit den Wölfen, oder du wirst von ihnen gefressen. Ich habe schon als Spieler mitgeheult und diese Maxime lebe ich auch als Trainer vor.

SPOX: Ihre Philosophie hat sich demnach nicht groß verändert, dennoch wirken Sie nicht mehr wie der Trainer von vor zehn, 15 Jahren.

Bauermann: Ich bin wesentlich entspannter geworden. Durch all die Erfolge habe ich eine Selbstsicherheit gefunden, die offenbar auch auf Andere ausstrahlt. In den ersten Jahren ließ ich mich mehr vom Druck treiben. Ich habe in Leverkusen als Cheftrainer angefangen, und in diesem verwöhnten Umfeld war kein Platz für Scheitern. In meiner Debüt-Saison holten wir das Double, aber keiner hat gratuliert, stattdessen wurde mir gesagt: 'Dirk, es war vielleicht nur eine Eintagsfliege.' Dann wiederholten wir den Erfolg, plötzlich hieß es: ' Wir waren nur wegen der US-Spieler im Kader so gut.' Und so ging es immer weiter.

SPOX: Wie lange setzte sich der Kreislauf aus Erwartungen und zunehmendem Druck fort?

Bauermann: Dies war besonders zu Beginn meiner Zeit in Leverkusen prägend, nach all den Erfolgen kehrte aber schrittweise eine innere Ruhe ein, die viele Dinge relativiert hat. Anfangs habe ich mir Szenarien ausgemalt, was passiert, wenn ich als Trainer jemals entlassen werden würde. Ob ich dann als Lehrer arbeiten müsste, was trotz meines abgeschlossenen Lehramtsstudiums keine schöne Vorstellung war. Mittlerweile habe ich jedoch eine Gelassenheit in mir, die mir dabei hilft, junge Spieler besser auszubilden und ihnen beizustehen.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Bauermann: Würde ich noch heute wie zu Beginn meiner Trainerkarriere fordern, dass jeder Ballbesitz perfekt ausgespielt und in jeder Einheit Vollgas gegeben werden muss, könnte ich die Talente bei der deutschen Nationalmannschaft verbrennen. Meine frühere Kompromisslosigkeit war nicht böse gemeint, führte aber zu Verkrampftheit bei allen Beteiligten, was ich erst mit der Zeit verstanden habe. Umso erstaunlicher, wie erfolgreich wir dennoch waren.

SPOX: Zu Ihrem damaligen Führungsstil passte Ihr Kleidungsstil: Sie waren immer ganz in schwarz gekleidet und strahlten so eine Unnahbarkeit aus.

Bauermann: Das war aber keine bewusste Steuerung meines Images, ich besaß auch keinen PR-Berater, der mir dazu geraten hätte. Im Grunde hat mein Outfit viel mehr Aufmerksamkeit erregt, als es sollte. Der Grund für meine Kleidungswahl war simpel: Weil ich nie das passende Shirt zur Hose oder Jacke gefunden habe, machte ich es mir einfach und habe alles in einer Farbe gekauft. Und selbst ich weiß, dass man mit schwarz nichts falsch machen kann.

Bauermann über die doppelte Intrige gegen sich: Hier geht's weiter!

SPOX: Der Weg von einem unbekannten Regionalliga-Point-Guard zum Bundestrainer und Coach des FC Bayern dauerte über 25 Jahre. Wann kam die Einsicht, dass Sie als Trainer begabter sind?

Bauermann: Ich habe als Basketballer recht früh gemerkt, dass ich das Talent, den Willen und den Ehrgeiz mitbringe - das alles ist jedoch nichts wert, wenn der Körper die Belastungen nicht aushält. Ich hatte alle möglichen Verletzungen, angefangen vom zwickenden Rücken, entzündeten Achillessehnen bis hinzu ständig zumachenden Muskeln. Mit 25, 26 habe ich mich noch einmal motiviert und habe am US-College Fresno State im Rahmen meines Lehramtsstudiums ein Stipendium erhalten, aber beim Uni-Team durfte ich nur mittrainieren. Und als die Rückenschmerzen so schlimm wurden und ich ein Lobsterpack verpasst bekam, war mir klar, dass ich andere Prioritäten setzen muss.

SPOX: Was ist ein Lobsterpack?

Bauermann: Zunächst wird eine extrem heiß machende Salbe auf den Rücken geschmiert, bevor man in heiße Heilerde eingegraben wird. Diese Hitze fühlte sich so unfassbar schmerzhaft an, dass ich mich heute noch lebhaft daran erinnere. Mein Rücken war später so rot wie ein Lobster, ein Hummer. Nachdem nicht mal das geholfen hat, fasste ich den Entschluss, mich als Trainer zu versuchen.

SPOX: Sie machten daraufhin schnell Karriere, zunächst als Nachwuchscoach, später mit 32 Jahren als Cheftrainer von Bayer Leverkusen. Was war der Schlüssel?

Bauermann: Meine beiden Jahre in Fresno State, erst als Spieler, später als Co-Trainer. Ohne die Erfahrungen am College, den Englischkenntnissen und dem Wissen um die Mentalität der amerikanischen Spieler hätte ich, der nie in der Bundesliga, geschweige denn Nationalmannschaft gespielt hat, mir in Leverkusen niemals den nötigen Respekt im Profiteam verschaffen können.

SPOX: Sie wurden mit Leverkusen sieben Mal in Folge deutscher Meister und trainierten die deutsche Nationalmannschaft auf Interimsbasis, bevor Sie 1998 nach zehn Jahren Bayer verließen. Daraufhin folgte der größte Bruch in Ihrer Karriere.

Bauermann: Nach der Trennung von Leverkusen stand ich plötzlich in vier Jahren bei vier Klubs in drei Ländern unter Vertrag und es kam eine Unruhe in mein Leben, die ich vorher nicht kannte.

SPOX: Nachdem Sie mit dem belgischen Klub Oostende immerhin das Korac-Cup-Halbfinale erreicht hatten, gingen Sie nach Griechenland zum Zweitligisten Apollon Patras und wurden dort Opfer einer Intrige, wie es damals hieß. Was genau ist passiert?

Bauermann: Leider entsprechen meine Erfahrungen voll dem Klischee. Genau die gleichen Mauscheleien und Manipulationen, die zuletzt zum Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft führten, habe ich bereits einige Jahre zuvor erleben müssen. Zum Präsidenten pflegte ich an sich ein gutes Verhältnis, problematisch wurde es nur, als er die Mannschaft im Saisonendspurt besser schützen wollte, wie es in Griechenland heißt. Das hieß im Klartext: Schiedsrichter beeinflussen. Im Zuge dessen wurde der Manager, der mich verpflichtet hatte, vom Präsidenten weggelobt und durch den ehemaligen Vorsitzenden der griechischen Schiedsrichter-Union ersetzt, der lieber einen heimischen Trainer auf der Bank sehen wollte. Das Resultat war eine fristlose Kündigung, obwohl wir auf Platz zwei lagen.

SPOX: Nach einem erfolglosen Zwischenstopp in Hagen wechselten Sie weiter zu Dafni Athen, wo es noch wilder zuging als in Patras. Sie waren nur für vier Spiele verantwortlich.

Bauermann: Der Präsident war schlichtweg ein unehrlicher Mann ohne Niveau, der getrickst und gelogen und die Gehälter nicht überwiesen hat. Wir hatten den besten Saisonstart der Klubgeschichte, aber weil der Präsident Angst bekam, dass er die zuvor versprochenen Prämien nicht an die Spieler auszahlen könnte, hat er mich rausgeschmissen, Die ganze Situation war abstrus und hat wehgetan. Andererseits habe ich so gelernt, besser mit Rückschlägen umzugehen. Ohne all die Erlebnisse wäre ich wohl in Bamberg und mit der Nationalmannschaft nicht so erfolgreich gewesen.

SPOX: Sie sind neben Dirk Nowitzki das Gesicht des deutschen Basketballs. Bekamen Sie nie die Gelegenheit, für einen europäischen Spitzenklub zu arbeiten?

Bauermann: Natürlich wäre ich interessiert gewesen. In den letzten drei, vier Jahren haben mich unter anderem Real Madrid, Benetton Treviso, Panionios Athen und Valencia BC kontaktiert, leider habe ich aber immer die gleiche Erfahrung machen müssen. Ich war unter den letzten drei Kandidaten, am Ende bekamen jedoch andere den Vorzug. Offenbar herrscht gegenüber Deutschen eine Grundskepsis, egal was man als Nationaltrainer erreicht hat, weil die BBL-Mannschaften international keine Rolle spielen.

SPOX: Kam es für Sie irgendwann in Betracht, mit Ihrer College-Erfahrung womöglich als Assistant Coach in die NBA zu gehen?

Bauermann: Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, dafür bin ich viel zu gerne Head Coach. Das Leben als Co-Trainer wäre nicht meine Welt, selbst in der NBA, wo zahlreiche ehemalige Stars oder Head Coaches als Assistenten arbeiten. Für mich würde es wenn überhaupt nur als Auslandssemester in Frage kommen, um vielleicht für ein Jahr das tägliche Arbeiten mit einem NBA-Team zu beobachten und neue Impulse zu bekommen.

SPOX: Der ehemalige Hertener Erik Spoelstra suchte wiederum in der NBA sein Glück, begann vor 15 Jahren als Video-Analytiker der Miami Heat - und ist nun der Head Coach von LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh.

Bauermann: Seit ich davon gehört habe, verfolge ich natürlich seine Entwicklung. Mir wurde erzählt, dass wir mit Leverkusen einmal gegen Herten und Spoelstra gespielt hätten, aber ich kann mich nicht mehr wirklich an ihn erinnern. Es ist Wahnsinn, wie gut alles für ihn ausgegangen ist. Einfach eine geile Geschichte. Wenn es ein ehemaliger Spieler aus Herten zum Heat-Chefcoach und ein ehemaliger Regionalligaspieler aus Krefeld zum deutschen Nationaltrainer schaffen, ist im Leben alles möglich. Solange man mutig ist, an sich arbeitet und ein bisschen Glück auf seiner Seite hat.

Hier geht's zurück zum ersten Teil!