"Warum friere ich mir einen ab?"

Haruka Gruber
07. Dezember 201119:21
Heiko Schaffartzik in zivil beim Heimspiel der Eisbären Berlin in der O2 WorldImago
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Fan-Liebling, Alba-Berlin-Star und der coolste Hund in Basketball-Deutschland: Point Guard Heiko Schaffartzik (27) ist das Gesicht der BBL. Dabei wäre er fast beim Fußball gelandet...

SPOX: Vor dem Bamberg-Spiel sorgten Sie mit folgendem Satz in einem Promovideo für Aufsehen: "Ich will Bamberg schlagen, weil ich sie nicht mag." Setzen Sie sich gerne mit unnötigen Provokationen unter Druck?

Heiko Schaffartzik: Das sehen vielleicht andere so, ich hingegen sehe keinen Zusammenhang zwischen einer Antwort und irgendeinem Druck, den ich verspüren soll. Ich fand nicht, dass ich große Töne gespuckt hätte. Ich wurde gefragt, und ich gab eine normale, ehrliche Antwort. Es ist ja nicht so, dass ich mich hinstelle und sage: 'Hallo, ich bin Heiko Schaffartzik und ich mache euch alle platt!' So etwas habe ich noch nie gesagt und werde es auch nie sagen.

SPOX: Wie finden Sie denn den FC Bayern?

Schaffartzik: Ob ich das Projekt begrüße oder nicht, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Bayern gut für die Liga sind.

SPOX: Vor der Saison galt Berlin hinter Bamberg und Bayern nur als dritte Kraft, mittlerweile ist Alba nach zwei Siegen gegen beide jedoch "das heißeste Team der Liga", wie FCB-Trainer Dirk Bauermann sagt. Wie gut ist Ihr Team?

Schaffartzik: Im Vergleich zum Saisonstart haben wir uns bereits stark verbessert, aber nach oben fehlt noch einiges. Der Weg ist noch relativ weit und wir sind erst einen kleinen Schritt gegangen. Zumindest gibt es ein gutes Gefühl, dass wir Bamberg zuhause geschlagen und in München dieser feindlichen Atmosphäre widerstanden haben. Dennoch: Vor allem im Zusammenspiel müssen wir uns steigern.

SPOX: Gilt das auch für Sie und Point-Guard-Partner DaShaun Wood?

Schaffartzik: Ja, auch für mich und Wood. Es ist wichtig, dass wir uns erst besser kennenlernen, DaShaun ist als Mensch ja auch eher zurückgezogen. Bei den Bayern jedoch hat es gut geklappt - wobei es für mich einfach war. Ich musste nichts weiter tun, als ihm den Ball so zu passen, dass er mit einer Einzelaktion zum Scoren kommt.

SPOX: Die BBL-Saison ist die Fortsetzung der EM, bei der die Point Guards das Spiel dominierten. Sehen Sie ebenfalls den Trend?

Schaffartzik: Auf jeden Fall. DaShaun Wood, Artlands David Holston und mit Abstrichen Bobby Brown von Oldenburg, sie ziehen ihr Ding durch. Bo McCalebb macht in der Euroleague einfach da weiter, wo er bei der EM für Mazedonien aufgehört hat. T.J. Ford wechselt nach Zagreb und legt zwei Tage nach seiner Ankunft gegen Bamberg in 13 Minuten 10 Assists auf. Das alles sind Belege für den Trend.

SPOX: Welche Konsequenzen hat dies für Sie?

Schaffartzik: Keine. Ich spiele einfach so, wie ich schon immer spiele. Die anderen Point Guards gehen mit einer festen Rolle in die Saison und wollen diese in jeder Partie bekleiden, ich hingegen mochte es schon immer mehr, von Tag zu Tag zu schauen. Manchmal denke ich, dass ich gar nicht zu werfen brauche, manchmal ist genau das Gegenteil der Fall. Ich mache mir nicht so grundsätzliche Gedanken. Zumal ich mich nicht mit den genannten Point Guards vergleichen kann. Sie sind alle sehr athletisch, sehr schnell, sehr sprunggewaltig. Ich zähle dazu... äh... nicht.

SPOX: Sie bringen andere Qualitäten wie Ihren Wurf und Ihre Nervenstärke ein - und spielen die statistisch beste Saison der Karriere.

Schaffartzik: Statistiken sind mir völlig egal, ich habe mir von den letzten Spielen nicht einmal die Boxscores angeschaut. Ich identifiziere mich null mit dieser Art der Denke. Ob es die beste Saison meiner Karriere wird, kann ich erst sagen, wenn wir mit der Mannschaft etwas erreicht haben. Wenn ich 18 Punkte im Schnitt mache, aber Alba in der ersten Runde ausscheiden würde, hätte die Saison keinen Wert.

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SPOX: Auch wenn Sie den Teamgedanken hervorheben: Sie selbst sind mittlerweile der vielleicht größte Fan-Liebling der BBL - im Gegensatz zu Bayerns Steffen Hamann. Wie gehen Sie damit um, dass Sie und Ihr Nationalmannschaftskollege so unterschiedlich aufgenommen werden?

Schaffartzik: Ich habe ganz ehrlich noch nicht mitbekommen, dass ich ein Liebling sein soll. Dass sich die Geister an Steffen scheiden, registriere ich auch nur am Rande - und ich verstehe die Kritik nicht. Sein fehlender Wurf ist kein Geheimnis und er hielt ihn auch nicht davon ab, mit Bamberg zweimal Meister zu werden. Warum ist das ein Kritikpunkt? Steffen spielt mit Drang zum Korb, penetriert, setzt seine Mitspieler aus dem Pick'n'Roll ein. Das weiß man doch mittlerweile. Daher ist es nicht nachvollziehbar, dass man sich über ihn aufregt.

SPOX: In der DBB-Auswahl sind Sie Hamanns Backup und dennoch so etwas wie das neue Gesicht des deutschen Basketballs. Was nahmen Sie von der EM mit?

Schaffartzik: Die EM war eine Enttäuschung, aber mit etwas zeitlichem Abstand habe ich gemerkt, dass mich das Turnier vorangebracht hat. Ich stand erstmals in der Verantwortung als Anführer.

SPOX: Was haben Sie über sich entdeckt? Was für ein Anführer-Typ sind Sie?

Schaffartzik: Ach, ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht. Ich mache es einfach, wie ich mich fühle, und lasse das instinktiv laufen. Wie es herauskommt, kommt es heraus.

SPOX: Anders gefragt: Sind Sie abgeleitet aus dem Fußball eher jemand, der die autoritäre Rhetorik eines Oliver Kahn und Stefan Effenberg begrüßt? Oder ist doch eine flache Hierarchie zeitgemäßer?

Schaffartzik: Ich glaube, dass sich Kahn und Effenberg in der Führungsspieler-Debatte angegriffen fühlten, weil eine neue Generation ankam und plötzlich sagt: 'Stopp, solche Typen wie euch brauchen wir nicht mehr!' Daher waren Ihre Aussagen menschlich verständlich. Dass dennoch Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm für die aktuelle DFB-Mannschaft einen anderen Ansatz bevorzugen, verstehe ich vollkommen.

Hier geht's zu Teil II: Schaffartzik über Geschwindners Macken und seine Fußball-Vergangenheit

SPOX: Sie hatten jedoch früher offenbar ähnliche Anwandlungen wie Kahn und Effenberg. Sie sagten, dass Ihre größte Schwäche Ihre Ungeduld wäre und Sie häufig andere vor den Kopf stießen. Gilt das immer noch? Haben Sie bei der EM die meist jüngeren Spieler zurechtgewiesen?

Schaffartzik: Wenn ich junge Spieler zurechtweise, dann nur wegen der Einstellung. Von einem jungen Spieler erwarte ich nicht, dass er etwas besonders gut macht, dafür fehlt es an Erfahrung. Wenn es aber an der Einstellung mangelt, werde ich auch heute sehr schnell ungeduldig. Andererseits habe ich mich stark verbessert. Ich kann diesen Drang besser unterdrücken. Und zu meiner Entschuldigung: Ich bin zu mir selbst auch nicht netter, wenn ich etwas falsch mache.

SPOX: Bei der EM holten sich Lucca Staiger oder Philipp Schwethelm Tipps von Nowitzkis Mentor Holger Geschwindner. Sie auch?

Schaffartzik: Nein. Ich habe festgestellt, dass das ständige Fragen nach Tipps einen nur verunsichert. Für einen jungen Spieler kann das hilfreich sein, aber wenn man bei einem 27-Jährigen etwas an den festen Bewegungsabläufen verändert, schadet es nur. Wenn er zu mir gekommen wäre, hätte ich ihm bestimmt zugehört, aber das war nicht der Fall.

SPOX: Haben Sie durchschaut, was für ein Mensch Geschwindner ist?

Schaffartzik: Er saß immer im Bus und war überall dabei. Wir haben uns auch ein bisschen über dies und das unterhalten, durchschaut habe ich ihn jedoch nicht wirklich. Er ist ein sehr eigener Mensch, den vermutlich nur wirklich ganz wenige gut kennen. Finde ich irgendwo sehr sympathisch.

SPOX: Was halten Sie von seinen ungewöhnlichen Trainingsmethoden?

Schaffartzik: Es interessiert mich, wenn jemand in allem, was er tut, einen Sinn sieht. Wenn jemand zu mir sagt: 'Hüpf nur auf der Stelle!', würde ich das machen, solange mir erklärt wird, dass es mich als Basketballer weiterbringt. Das beste Beispiel ist Geschwindners Idee, Dirk Nowitzki Musikinstrumente näherzubringen, damit er sich mit etwas anderem als Sport beschäftigt und richtig heiß auf Basketball ist, wenn er am Tag drauf in die Trainingshalle geht.

SPOX: Sie spielen wie Nowitzki Gitarre. Ihr Freund Misan Nikagbatse erklärte im SPOX-Interview, dass die Gitarre sogar so etwas wie sein Therapeut ist.

Schaffartzik: Ich kann Misans Formulierung nachvollziehen, auch wenn ich nicht so weit gehe zu sagen, dass ich durch die Gitarre meine innere Mitte gefunden hätte. Mir macht es einfach nur Spaß, mich mit Musik auseinanderzusetzen. Noten sind wie eine andere Sprache, eine andere Form von Logik. Mathematik spielt ebenfalls mit rein. Das liegt mir.

SPOX: Menschen teilen sich in der Regel auf in Sprachbegabte und Rechenbegabte. Zu welcher Gruppe zählen Sie?

Schaffartzik: Algebra ging gut, als es jedoch mit den linearen Gleichungen und den Kurvendiskussionen losging, war ich in der Schule verloren. Daher geht es doch eher zu den Sprachen.

SPOX: Stimmt es, dass Sie neben Deutsch und Englisch auch Spanisch, Französisch und Arabisch sprechen?

Schaffartzik: Französisch kann ich ganz gut, und in Spanisch funktioniert es, wenn ich ein paar Biere getrunken habe. (lacht) Arabisch war leider nur eine Phase. Die Sprache ist so weit weg, da reicht es nicht, ein paar Monate zu üben.

Schaffartzik im SPOX-Interview 2009: "Ich kiffe nie wieder"

SPOX: Dabei sagten Sie vor einigen Jahren, dass Sie Ihre Karriere in einem arabischen Land fortsetzen und dort womöglich Trainingscamps aufbauen wollen.

Schaffartzik: Das ist schon lange her, aber damals meinte ich das ernst. Ich war in Jordanien und Marokko, die Andersartigkeit der arabischen Welt fasziniert mich seitdem. Mittlerweile ist ein Umzug dahin alleine schon wegen der instabilen politischen Lage kein Thema mehr. Mal schauen, was ich nach der Karriere mache. Ich weiß derzeit nur, dass ich mich in Berlin total wohl fühle.

SPOX: Ihr Leben wäre wohl gänzlich anders verlaufen, hätten Sie sich als Teenager für eine Karriere als Fußballer entschieden. Sie wurden sogar in die Berliner Auswahl berufen. Welche zukünftigen Profis haben Sie kennengelernt?

Schaffartzik: Ich stand ein paar Jahre bei Hertha Zehlendorf mit Malik Fathi in einer Mannschaft und habe unter anderem gegen Charles Takyi und Tennis Borussia Berlin gespielt.

SPOX: Aber?

Schaffartzik: Bis ich zwölf, 13 Jahre alt war, konnte ich wunderbar beides vereinbaren. Von Montag bis Freitag hatte ich dreimal Fußball- und zweimal Basketballtraining, am Wochenende gab es je ein Spiel. Dann musste ich mich jedoch entscheiden, weil im Fußball plötzlich fünf Einheiten und im Basketball vier Einheiten auf dem Programm standen. Ich habe damals schon zu Basketball tendiert, die endgültige Entscheidung fiel an einem bitterkalten Wintertag. Spitzenspiel gegen den VfB Lichterfelde, Schneetreiben, ich im rechten Mittelfeld. Mir sind die Füße abgefroren und ich frage mich ständig: Was soll das Ganze hier? Warum friere ich mir einen ab, wenn ich auch in der Halle stehen könnte? Dieses Erlebnis hat mich endgültig zum Basketball gebracht.

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