Die Sensation des deutschen Basketballs

Haruka Gruber
06. Januar 201204:58
Per Günther mischt mit Ratiopharm Ulm die BBL auf Imago
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John Bryant, der Center-Gigant mit NBA-Qualitäten. Eine neue Arena für 27,5 Millionen Euro. Und der Sohn von "Turbo-Diddi": Ulms Nationalspieler Per Günther (23) über den unheimlichen Erfolg und sein Leben als Dunk-Jungfrau.

SPOX: Mit 10 Siegen aus 12 Spielen hat Ulm gemeinsam mit Double-Sieger Bamberg die beste Bilanz der BBL. Welches Gefühl assoziieren Sie mit dem Saisonstart?

Per Günther: Dass mir der Erfolg fast schon unheimlich ist. Es wirkt fast schon unwirklich, dennoch genieße ich jeden Moment und ziehe mir daraus Energie für schlechte Zeiten, die irgendwann auf uns zukommen werden. Alleine schon um Weihnachten herum kommt es knüppelhart: Wir treten innerhalb von sieben Tagen in Berlin, Bonn und Braunschweig an. Erst danach rentiert es sich, ein erstes Fazit zu ziehen.

SPOX: Ulms Leistungen sind umso erstaunlicher, wenn man die Umstände bedenkt: Unter anderem unterschrieb Topscorer Robin Benzing beim FC Bayern, zuvor trennte sich der Verein im Streit vom längjährigen Trainer Mike Taylor, der Ihr wichtigster Förderer war.

Günther: Das waren schon turbulente Tage. Ich habe Mike Taylor sehr viel zu verdanken, das gleiche gilt aber auch für Manager Dr. Thomas Stoll und den gesamten Verein. Der Neustart mit Thorsten Leibenath im Sommer hat aber rückblickend sicher allen gut getan.

SPOX: Der herausragende Spieler der BBL ist Ihr Mitspieler John Bryant. Ein Center, der früher über 170 Kilo wog, jetzt mit rund 130 Kilo kaum zu stoppen ist und die Rebound- sowie Effektivitäts-Rangliste anführt. Was fällt Ihnen als Erstes zu ihm ein?

Günther: Ich stand noch nie mit einem Spieler wie John in einer Mannschaft. Er war schon letzte Saison überragend, aber weil wir damals nie etwas gewonnen haben, bekommt er endlich diese Saison die gebührende Aufmerksamkeit.

SPOX: Wie reagiert er darauf, dass er fast immer auf sein Gewicht reduziert wird?

Günther: Dass es immer die erste Frage an ihn ist, geht ihm schon auf die Nerven. Doch es stört ihn nicht allzu sehr. John ist ein wahnsinnig entspannter und netter Typ, der total umgänglich ist. Ein klassisch relaxter Kerl aus San Francisco.

SPOX: Auch wenn die BBL international nicht zur Elite gehört, dürften sich Bryants Leistungen bis in die NBA herumgesprochen haben. Trauen Sie ihm den Sprung zu?

Günther: Ja. Viele Leute machen sich Sorgen um seine angebliche Gleichgültigkeit in der Verteidigung. Dabei ist er unglaublich: Sein Riecher für Rebounds ist phänomenal, dazu verwandelt er so hochprozentig aus der Mitteldistanz wie sonst niemand und trifft sogar drei seiner vier Dreier in dieser Saison. Dabei ist John erst 24 Jahre alt. Wer sonst sollte den Sprung schaffen? Wenn er etwas flinker auf den Beinen wird, sorgt er garantiert für Interesse aus der NBA.

SPOX: Lautet Ulms Ziel im Falle eines Bryant-Verbleibs, sich mittelfristig direkt hinter den finanzstärksten Teams aus Bamberg, Berlin und München zu positionieren? Vor eineinhalb Wochen wurde bereits die für 27,5 Millionen Euro erbaute Ratiopharm-Arena eingeweiht, die 6000 Zuschauer fasst.

Günther: Für Ulm beginnt eine neue Zeitrechnung, dabei muss sie aber relativiert werden. Vereine wie Oldenburg, Bonn, Frankfurt und Bremerhaven verfügen seit Jahren über eine neue Arena und einen Etat von 3,5 bis 4 Millionen Euro, wir holten den Rückstand nur auf. Uns kann es nur darum gehen, konstant zu den Playoff-Kandidaten zu zählen.

SPOX: Trotz der neuen Arena und erhöhten Etats überraschte Ihr Entschluss, sich als Nationalspieler bei einem vermeintlichen Abstiegskandidaten bis 2013 zu binden. Gab es keine Angebote?

Günther: Ich suchte eine neue Herausforderung und durch die Quotenregelung kommt man als Nationalspieler bei einem Großteil der BBL-Klubs unter. Es gab eine Reihe von Interessenten, doch wir waren nie so weit, um über Details zu sprechen. Vielmehr sah ich die Chance, dass Ulm die neue Herausforderung sein könnte. Einerseits hatte ich die Sicherheit, den Standort zu kennen. Andererseits ist in Ulm nichts mehr, wie es einmal war. Ich wusste nicht, ob ich beim neuen Trainer als Starter gesetzt bin. Ob weiter auf mich gesetzt wird, obwohl das Projekt "Jugend forscht" beendet wurde. Und ob ich den gestiegenen Erwartungen gerecht werde.

Hier geht's zu Teil II: Günther über das seltsame DBB-Team, die Kehrseite des Hypes und traurige Spitznamen

SPOX: Es bleiben Zweifel, ob das kleine Ulm der richtige Verein ist, um das eigene Standing in der Nationalmannschaft zu verbessern.

Günther: Bei größeren Vereinen ist man präsenter, das stimmt. Aber ich bin eben ein Romantiker und glaube daran, dass gute Leistungen honoriert werden.

SPOX: Für die EM-Nominierung reichte es nicht.

Günther: Du willst unbedingt ins Team und dann wird dir ins Gesicht gesagt: "Das reicht nicht." Diese Ablehnung tat mir sehr weh. Im Nachhinein weiß ich aber, dass ich bei der EM wohl nur bedingt von Wert gewesen wäre. In der Nationalmannschaft gab es eine seltsame Konstellation, bei der der gesamte Gameplan auf die beiden Großen Chris Kaman und Dirk Nowitzki ausgerichtet war. Jeder Ball sollte irgendwie zum Korb gebracht werden. Diese Vorgabe hätte meinem Spiel nicht so entsprochen.

SPOX: Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Ihnen für die internationale Klasse der stabile Distanzwurf fehlt?

Günther: Ein Aufbauspieler muss zwei elementare Sachen beherrschen: Den Ball nach vorne tragen und den offenen Dreier reinschweißen. Daher muss ich mich der Kritik stellen. In diesem Sommer kam ich in den Vorbereitungsspielen nicht in den Rhythmus und habe anders als vor der EM 2009 und der WM 2010 die Würfe nicht verwandelt.

SPOX: Ein zweiter Kritikpunkt sind Ihre zu seltenen Assists. In dieser Saison verteilen Sie überschaubare 2,5 Vorlagen pro Spiel.

Günther: Mein Spiel ist immer noch zu sehr aufs Scoren ausgelegt. Ich bin schon ein guter Passgeber, doch was Leute wie Bonns Jared Jordan abziehen, ist schon krass. In dieser Saison wollte ich eigentlich bei 4 Assists sein. Aber ich bin sicher, dass sie noch kommen werden.

SPOX: Von Ihren 8,8 Punkten im Schnitt abgesehen fallen Sie statistisch kaum auf und gehören zu den weniger bekannten Nationalspielern. Sind Sie umgekehrt froh darüber, dass Sie nie so hochgejubelt und später kritisiert wurden wie Robin Benzing, Tim Ohlbrecht oder Elias Harris?

Günther: Ich habe es bei Robin zwei Jahre in Ulm miterlebt und ich weiß eines ganz sicher: Ich möchte niemals in die gleiche Lage geraten. Robin wechselt aus dem Nichts der zweiten Liga in die BBL und erzielt im ersten Jahr 12 Punkte und im zweiten Jahr 15 Punkte. Trotzdem musste er sich alles Mögliche anhören, weil er dies oder das nicht gemacht hätte. Bei Robin, Tim und Elias heißt es immer: "Wenn ihr es nicht in die NBA schafft, habt ihr es verkackt." Das sind Erwartungen, die keiner erfüllen, geschweige denn übertreffen kann. Ich bin glücklich darüber, dass ich - auch mir selbst - nie so hohe Ziele gesetzt habe.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Günther: Ich habe nie von der NBA geträumt, selbst die Bundesliga schien mir unerreichbar. Als ich 16, 17 Jahre alt war, dachte ich nie an eine Karriere als Profi, vielmehr habe ich überlegt, ob ich einen akademischen Weg einschlagen soll. Ich hatte nie hohe Ziele, deswegen kam ich nie in den Zugzwang, mich selbst zu enttäuschen.

SPOX: Sie sahen sich nie als gut genug für die BBL an?

Günther: Das kam erst etwas später. Vorher sprach nichts dafür, dass ich das schaffe. Bei meinem Heimatverein in Hagen spielte mit Bernd Kruel nur ein Deutscher, der es zum richtigen Profi gebracht hat. Auch sonst waren kaum Deutsche zu sehen. Daher dachte ich mir: Warum soll ich eine Ausnahme sein? In meinem 87/88er Jahrgang gab es ohnehin viel Bessere wie "die großen Vier": Tim Ohlbrecht, Sajmen Hauer, Lucca Staiger und Oskar Faßler.

SPOX: Sie haben "die großen Vier" in der Entwicklung teils deutlich überholt - und doch sind Sie außerhalb der Basketball-Szene nur wenigen ein Begriff. Würde ein griffiger Spitzname nicht helfen? Ihr Vater, ebenfalls früher in der Bundesliga aktiv, hörte auf "Turbo-Diddi".

Günther: Ein paar traurige Versuche gab es, auf die ich gerne verzichte. Irgendwas mit "Quick Per" oder "Brain Günther" oder so. (lacht) An "Turbo-Diddi" kommt eh nichts heran. Der Spitzname passte perfekt zu meinem Vater: Er war wieselflink und konnte sogar dunken.

SPOX: Sie selbst haben in der BBL noch nie gedunkt. Können Sie oder wollen Sie nicht?

Günther: Mir ist in meiner Karriere erst einmal ein Dunk gelungen: Ich muss 17 gewesen sein, Regionalliga mit Hagen gegen die SG Aachen, Fastbreak - und dann habe ich richtig derbe gestopft. Ein super Gefühl. Es ist schade, dass mir selbst im Training ein Dunk nur alle zwei Monate gelingt.

Wie steht es in der BBL: Alle Ergebnisse und die Tabelle im Überblick