"Geh raus zum Spielen, sonst Mund halten"

Von Interview: Haruka Gruber
Ademola Okulaja und Dirk Nowitzki bei einem Ausflug während der WM 2006 in Japan
© Imago
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SPOX: Sie hätten sich damals fast jeden Klub in Europa aussuchen und viel Geld verdienen können. Stattdessen wurden Sie Student. Nahmen Sie die Einbußen in Kauf, um eine größere Chance auf die NBA zu besitzen?

Okulaja: Damals wurde ich von den Freunden andauernd gefragt, warum ich nicht Geld scheffeln möchte. Von Alba bekam ich ein gigantisches Angebot. Ich wäre bei weitem der bestbezahlte junge Deutsche gewesen. Ich weiß noch, wie ich mit dem Vertrag nach Hause ging und meiner Mutter ungläubig sagte: "Mama, ich glaube, Alba will mir wirklich so viel Geld zahlen." Meine Mutter hat mich aber immer so erzogen, dass man nicht nach dem Geld geht. Daher lehnte ich ab. Ich wollte Erfahrungen sammeln, eine gute Ausbildung genießen - und natürlich auch im Fokus der NBA bleiben. Damals wurde in Europa nicht so intensiv gescoutet, daher musste man sich am College präsentieren.

SPOX: Ausgerechnet Pesic-Liebling und Ex-UNC-Absolvent Henrik Rödl soll Sie bei Trainer-Legende Dean Smith angepriesen haben.

Okulaja: Schon als ich Schüler war, freundete ich mich mit Henrik an. Ich wollte wissen, wie ich Schule und Sport kombinieren kann, und er gab mir wertvolle Tipps. Als die Frage aufkam, ob ich nach dem Abi ans College gehe, versicherte er mir, dass er einen Anruf tätigen wird, wenn er eine Entwicklung bei mir sieht. Irgendwann klingelte Henrik bei UNC durch, ich schickte Videos dorthin, anschließend kam erst der Assistenzcoach und später sogar Dean Smith höchstpersönlich nach Berlin.

SPOX: Wie lief das Treffen mit Dean Smith?

Okulaja: Damals kam er schnaufend in unsere Wohnung, weil es in unserem Haus keinen Fahrstuhl gab und er die drei Stockwerke selbst laufen musste. Meine Mutter machte extra einen klassisch deutschen Apfelkuchen - oder war es ein Apfelstrudel? -, der Coach beschränkte sich trotzdem auf Kaffee, und wir fingen an zu reden. Ein toller Typ. Unglaublich. Normal läuft es so: Je erfolgreicher jemand ist, umso mehr Neider bekommt er. Bei Dean Smith reden selbst die Neider positiv. Wenn er mich jetzt anrufen und um Hilfe bitten würde, müsste ich nicht mal fragen, was los ist. Ich steige sofort in den nächsten Flieger zu ihm. So besonders ist Dean Smith.

SPOX: Ihr vierjähriger Aufenthalt in North Carolina und das Zusammenspiel mit den späteren NBA-Stars Vince Carter und Antawn Jamison war eine Erfolgsgeschichte, die jedoch bitter endete. Als erster UNC-Spieler, der Teil des First Teams der Atlantic Coast Conference war, wurden Sie 1999 nicht gedraftet.

Okulaja: Ich bekam damals viele Anrufe von NBA-Teams, die mir versicherten, dass sie mich draften würden. Ich hatte damals schon die Ahnung, dass es erst sicher ist, wenn mein Name tatsächlich ausgerufen wird. Es war keine leichte Situation: Weil ich mit Deutschland an der EM in Frankreich teilnahm und am nächsten Tag das Viertelfinale gegen Serbien anstand, konnte ich nachts nicht aufbleiben, um den Draft zu verfolgen. Daher ließ ich das Handy an und sagte meinem Bruder, dass er mich anrufen soll, wenn ich gezogen werde. Es hat sehr lange gedauert, bis ich einschlafen konnte - und als ich morgens aufwachte, wusste ich gleich, dass es nichts wurde mit dem Draft.

SPOX: Wie gingen Sie mit der Enttäuschung um?

Okulaja: Der erste Augenblick ist natürlich schlimm, daraufhin beherzigte ich mein Lebensmotto: "Don't cry over spilt milk." Weine nicht über Milch, die ohnehin schon vergossen ist. Meine Mitspieler waren fast nervöser als ich und bombadierten mich sofort mit Fragen, ob ich gedraftet worden war oder nicht.

SPOX: Sie kehrten daraufhin zurück zu Alba und bekamen mit einem Jahr Verspätung von den Philadelphia 76ers einen NBA-Vertrag. Was steckte dahinter, dass Sie nach einigen Monaten freiwillig aufgaben?

Okulaja: Ich war fester Bestandteil der Mannschaft: Ich nahm an allem teil, an den Road Trips, an den Trainingseinheiten, selbst am Aufwärmen. Allerdings war es sehr schwer, im Kopf mit der Situation klarzukommen, wenn du dich aufwärmst und dabei die sich füllenden Ränge sieht, das Adrenalin in dir spürst - und 15 Minuten vor dem Spiel zurück in die Kabine musst, um schnell zu duschen und den Anzug anzuziehen, weil man nur auf der Injured reserve list steht. Bis Dezember hielt ich das durch, dann zog ich die Notbremse. Im Büro mit dem damaligen 76ers-Coach Larry Brown, mir und Dean Smith, der vermittelte, einigten wir uns darauf, den Vertrag aufzulösen.

SPOX: Sie gingen nach Spanien zum Topklub Girona und wurden als Rookie of the Year ausgezeichnet und Zweiter bei der MVP-Wahl. Waren Sie dennoch verbittert, dass Sie den Finaleinzug der Sixers 2001 verpassten?

Okulaja: Natürlich verfolgte ich die 76ers und dachte mir nach dem Dikembe-Mutombo-Trade und spätestens nach dem Run in die Finals, was hätte passiert können, wenn ich geblieben wäre. Andererseits war ich unendlich glücklich, in Girona wieder spielen zu dürfen. Die Saison lief perfekt und daraufhin wurde ich von den San Antonio Spurs eingeladen und bekam eine weitere Chance...

SPOX: ... die nicht zur erhofften NBA-Karriere führte.

Okulaja: Ich fing mit dem damaligen Rookie Tony Parker in San Antonio an und kurioserweise legten wir in der Summer League identische Zahlen auf: 18 und 9. Ich hatte 18 Punkte und 9 Rebounds, Tony 18 Punkte und 9 Assists. Daraufhin bekam ich von den Spurs einen Zwei-Jahres-Vertrag angeboten. Das Problem: Ich hatte vier Wochen zuvor bereits beim FC Barcelona unterschrieben, um die Sicherheit zu haben. San Antonio versuchte alles, aber Barca ließ mich nicht gehen. So bekam Stephen Jackson den Vertrag, der für mich vorgesehen war, und startete eine großartige Karriere. Dabei hatte ich ihn im Training noch zum Frühstück gefressen. (lacht) So kann es laufen, dennoch bin ich nicht sauer. Wer weiß schon, ob ich so eine Entwicklung genommen hätte wie Jackson.

SPOX: Derweil machten Sie sich in Europa einen Namen und waren 2001/02 der MVP von Barca. Dann wurde Pesic als neuer Trainer verpflichtet, der forderte, dass sich der Verein von Ihnen trennt. Warum?

Okualaja: Die erste Saison war der Hammer: Ich stand mit super Spielern wie Saras Jasikevicius, Juan Carlos Navarro und Arturas Karnisovas auf dem Court und führte die Mannschaft bei den Punkten, Rebounds und Steals an. Dennoch wollte Pesic mich nicht mehr. Es ist besser, ihn selbst zu fragen, warum.

SPOX: 2003 versuchten Sie zum dritten und letzten Mal Ihr Glück in der NBA. Sie durften bei den Utah Jazz vorspielen.

Okulaja: Ich hatte mit Andrei Kirilenko gleich einen Ansprechpartner. Wir kannten uns zwar schon von den früheren Duellen in der Euroleague, trotzdem war ich überrascht, dass er sich an meinen Namen erinnern konnte. Leider bekamen wir nicht die Chance zusammenzuspielen. Coach Jerry Sloan bat mich nach dem Trainings Camp in sein Büro und sagte: "Ich liebe, wie du spielst. Ich liebe, wie viel Einsatz du zeigst. Ich liebe alles an dir. Nur: Du bist ein paar Zentimeter zu klein." Ich dachte mir nur im Kopf: "Vielen Dank, aber hast Du nicht schon vor der Camp-Einladung gewusst, wie groß ich bin?" Naja, so lief es eben.

SPOX: Larry Brown, Gregg Popovich, Jerry Sloan: Welcher NBA-Coach beeindruckte Sie am meisten?

Okulaja: Zu Sloan kann ich nicht viel sagen, dafür hatte ich zu wenig Kontakt. Brown ist ein genialer Coach - wobei ich das Coaching im klassischen Sinn meine. Ich glaube, dass es die perfekte Entscheidung von ihm ist, ans College zurückzukehren, wo die Spieler wissenshungrig sind und sich besser leiten lassen. In der NBA wollen die Spieler nur zocken und nicht methodisch arbeiten, daher bekam Brown große Probleme mit Allen Iverson. Und Popovich? Wir stehen bis heute im regelmäßigen Kontakt. Er ist einfach genial. Er ist im positiven Sinne ein Drahtzieher. Er ist überragender Trainer und überragender Sportdirektor in einem. Er führt die Spurs seit über 15 Jahren absolut vorbildlich - und das mit einer menschlich sehr angenehmen Art. Es war schön zu sehen, dass selbst ein Großer der Branche ganz normal tickt.

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