SPOX: Der neue Bundestrainer Svetislav Pesic hatte bei der Bekanntgabe des erweiterten DBB-Kaders vor sechs Wochen vor allem bei den Power Forwards überrascht: Früher mit Ihnen und Dirk Nowitzki noch die Paradeposition, wurden angesichts fehlender Alternativen neben Jan Jagla und Bamberg-Talent Philipp Neumann die namenlosen Daniel Theis und Maxi Kleber nominiert. Verständlich?
Ademola Okulaja: Dass bei den Power Forwards ein Loch klafft, ist offensichtlich. Jan Jagla kam in die Jahre und wird nach dieser Saison bei den Bayern nicht vor Selbstvertrauen strotzen. Dann gibt es noch Tim Ohlbrecht, der nie den Durchbruch geschafft hat. Daher ist es logisch, dass Pesic die beiden beruft. Pesic ist bekannt dafür, weit vorauszudenken und gerne mit jungen Spielern zu arbeiten. Daniel und Maxi können die neue Generation sein.
SPOX: Auch wenn Kleber sich auf die Early-Draft-Liste der NBA setzen ließ und Theis als MVP die deutsche U 20 bei der EM 2011 auf Rang fünf und damit zur besten Platzierung aller Zeiten führte - sind sie wirklich so gut?
Okulaja: Definitiv. Sie bringen die perfekte Größe als Power Forwards mit und sind gleichzeitig so unterschiedlich, dass sie sich zukünftig sehr gut ergänzen. Daniel ist athletischer und extrem stark im Rebounding, dafür verfügt Maxi über einen starken Wurf. Ich kenne viele ausländische Experten, die sich sehr für die Entwicklung der beiden interessieren, aber die gleiche Frage stellen wie ich: Warum bekommen Daniel in Braunschweig und Maxi in Würzburg so wenige Minuten? Wir alle wissen nicht, wie ihre Leistungen im Training sind, allerdings kann man vom Potenzial her nur sagen: Sie müssen spielen. Punkt, Aus, Basta! Eines der größten Probleme der BBL lässt sich an den beiden genau veranschaulichen: Für einen Basketballer zwischen 18 und 22 Jahren gibt es nichts Wichtigeres als Wettkampfpraxis - doch genau das wird ihnen in Deutschland verwehrt.
SPOX: Gegenthese: Robin Benzing erhält seit drei Jahren Spielzeit in der BBL und wird dennoch nur vereinzelt dem Anspruch von sich und seinem Management gerecht, eines der größten Small-Forward-Talente Europas zu sein.
Okulaja: Ein Supertalent zu sein, ist das eine. Zu einem Supertalent Marketing-technisch positioniert zu werden, das andere. Langsam muss man bei Robin das Wort "Talent" streichen, weil er mit 23 ein Alter erreicht hat, bei dem ich sage: Geh raus zum Spielen, sonst Mund halten. Mir fehlt vor allem die Vielseitigkeit. Wenn jemand 2,08 Meter groß ist und nur von außen ballert, wird es schnell langweilig. Selbst Dirk Nowitzki hat nach einer kurzen Zeit gemerkt, dass selbst der perfekte Wurf nicht reicht und dass er dahin gehen muss, wo es wehtut. Ich weiß selbst, wie schwer es ist, als Small Forward Rebounds zu sammeln, dennoch bin ich mit Double-Doubles nach Hause gegangen. Es ist eine Einstellungssache.
SPOX: Die Einstellung der deutschen Talente wird zumindest hinter vorgehaltener Hand häufig bemängelt. Fehlt die Toughness?
Okulaja: Das ist mir zu pauschal. Zum Beispiel wird Philipp Schwethelm für seine schwache Saison kritisiert, dennoch erkenne ich Kampfkraft und Ehrgeiz. Er wurde nie hochgejubelt und ist nur dahingekommen, wo er jetzt ist, weil er fleißig war. Davor habe ich großen Respekt. Bei Daniel Theis bewundere ich die Furchtlosigkeit, die sonst selten zu sehen ist. Obwohl alle Gegner am Korb stehen, versucht er, aggressiv hochzugehen und den Ball zu stopfen, statt dem Kontakt auszuweichen und einen halbherzigen Fadeaway zu versuchen.
SPOX: Sie müssen vermutlich so reden, immerhin beraten Sie Theis.
Okulaja: Das ist ein Denkfehler: Ich bin ja erst zu seinem Berater geworden, weil ich ihn lange beobachtet und gesehen habe, dass er die richtige Einstellung mitbringt. Ich arbeite und berate nur Spieler, die sich ständig verbessern wollen und sich für extra Arbeit und Training nicht zu schade sind. Wie sagt man so schön: "You can't teach heart!"
SPOX: Genau dieses Herz wurde Tibor Pleiß lange abgesprochen. Wie sehen Sie ihn nach den erstaunlich konstanten Leistungen in den Playoffs?
Okulaja: Was mir sehr gut gefällt: Er entwickelte sich basketballerisch, aber viel bedeutsamer ist der mentale Sprung. Der wichtigste Faktor: Er hat für jeden sichtbar Spaß und er scheint regelrecht den Druck zu genießen, der ihn früher vielleicht verunsichert hat. Sein Auftreten ist sehr positiv. Ich bin gespannt, wie er sich mit den großen Jungs in Spanien schlägt, wenn er zu Caja Laboral geht.
SPOX: Neben Benzing und Pleiß wurde am ehesten Elias Harris der Sprung in die NBA zugetraut. Harris wird wegen seiner Spielweise und der ungeklärten Frage, ob er denn mehr Power Forward oder Small Forward ist, mit dem jungen Okulaja verglichen. Welche Lehren kann er aus Ihrer Karriere ziehen?
Okulaja: In Amerika muss er gegen Vorurteile kämpfen, weil er als vermeintlicher Tweener zu klein als Power Forward und zu langsam als Small Forward wäre. In Europa hingegen wird es positiv als Vielseitigkeit ausgelegt. Daher sollte sein langfristiges Ziel sein, sich in einer großen europäischen Liga bei einem großen europäischen Team zu etablieren. Ich traue ihm das zu, er ist ein super Spieler. Er sollte sich bewusst sein, dass nichts wichtiger ist als Spielminuten. Ich kann den NBA-Traum natürlich voll nachvollziehen, mir erging es in seinem Alter nicht anders. Doch die Chancen haben sich in den letzten Jahren sogar noch einmal verschlechtert: Mittlerweile wird nicht mehr nach Qualität sondern nach Perspektive gedraftet. College-Seniors werden spät oder gar nicht mehr gezogen, weil die Teams bereits recht volle Kader haben und für die Nummer 13 bis 15 eher Talente suchen, die nicht jetzt, sondern in zwei, drei Jahren so weit sind.
SPOX: Während Harris auch wegen ausbleibender BBL-Angebote ans College ging, wurden Sie als Teenager von Alba Berlin stark gefördert. Sie standen 1995 sogar als 19-Jähriger in Berlins Starting Five im Korac-Cup-Finale gegen Stefanel Mailand. An was erinnern Sie sich?
Okulaja: An dieses geniale Gefühl, als ich bei der Spielerpräsentation ungläubig nach rechts zu Teoman Alibegovic und nach links zu Henrik Rödl und Sasa Obradovic blickte und das Adrenalin in mir überschwappte. Ich dachte nur daran, dass ich mein Herz auf dem Feld lassen möchte. Ich wollte keine Punkte und keine Rebounds, sondern mich nur komplett auspowern. Svetislav Pesic wusste das und hat mir nur eine Aufgabe gegeben: "Kümmere dich nicht um die Offense und verteidige in der Defense jeden!" Eine schlaue Idee: Ich war damals relativ leicht und flink und habe vom Point Guard bis zu den kleineren Centern jeden verteidigt.
SPOX: Pesic hatte Sie anfangs unterstützt, später war das Verhältnis zerrüttet. Was geschah?
Okulaja: Er hat mich in der angesprochen Phase zwischen 18 und 22 Jahren viel spielen lassen, wodurch ich als Basketballer schnell gewachsen bin. Daher bin ich ihm sehr dankbar. Auch außerhalb des Feldes harmonierten wir. Früher hat er mich sogar von zuhause mit dem Auto abgeholt und mich zum Training gefahren. Alles lief gut - bis ich mich entschloss, ans College zu North Carolina zu gehen. Das hat ihn enttäuscht und es gab einen Riss zwischen uns. Er ist ohnehin kein großer Freund von Amerika und verstand nicht, dass North Carolina nicht irgendeine Uni ist.
SPOX: Pesic lästerte damals über Ihre NBA-Ambitionen. Störte es Sie?
Okulaja: Überhaupt nicht. Ich malte mir damals schon ein Szenario aus: Ich sitze als alter Mann auf der Veranda und mache mir selbst Vorwürfe, warum ich es nicht zumindest versucht habe mit der NBA. Genau das wollte ich um jeden Preis verhindern. Ich kann tausend Mal besser damit leben, es probiert zu haben und dann nach Europa zurückzukehren. Daher verstehe ich auch, dass Robin, Tibor und Elias von der NBA träumen. Jeder Basketballer träumt davon.
Teil II: Okulaja über sein NBA-Abenteuer und den Pesic-Clash bei Barca