SPOX: Trotz des Sieges gegen Bamberg hatte Milan einen schweren Start in die Euroleague-Saison. Wo sehen Sie die Gründe?
Alessandro Gentile: Die beiden Niederlagen haben wir gegen zwei sehr gute Mannschaften kassiert. Unsere Gruppe ist nicht einfach. Deshalb war ein Sieg in einem Schlüsselspiel gegen Bamberg auch sehr wichtig.
SPOX: Das Team hat einen großen Umbruch hinter sich. Zudem haben Sie einen neuen Coach. Ist das möglicherweise ein Grund? Brauchen Sie noch Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen?
Gentile: Auf jeden Fall. Mit einem neu zusammengestellten Team, einem neuen Coach und einem neuen System braucht man sicherlich mehr Zeit. Wir haben gegen einige Mannschaften gespielt, bei denen sich im Vergleich zum letzten Jahr kaum etwas verändert hat. Das war natürlich ein Vorteil für sie. Wir brauchen einfach noch ein wenig Zeit, um die richtige Chemie zu finden.
SPOX: Die scheinen Sie langsam zu finden. Zuletzt lief es immer besser - auch gegen Bamberg. Passt es inzwischen besser?
Gentile: Ich weiß nicht. Wir müssen weiter in kleinen Schritten denken und uns ständig verbessern. Aber wir sind auf einem guten Weg, spielen inzwischen deutlich besser.
SPOX: Sergio Scariolo hat Mailand vor der Saison verlassen. Wie haben Sie als junger Spieler von einem derart erfahrenen Coach profitiert?
Gentile: Jeder Coach hat seinen eigenen Stil. Er hat während seiner Karriere viele Titel geholt, das hat uns als Team natürlich sehr geholfen. Leider waren die Ergebnisse vergangene Saison nicht wie gewünscht. Allerdings lassen sich auch aus einer enttäuschenden Saison positive Dinge mitnehmen.
SPOX: Als einer der wenigen sind Sie bei Milan geblieben und sind nun der jüngste Kapitän, den der Klub jemals hatte. Verhalten Sie sich als junger Kapitän gegenüber Ihren Mitspielern anders, als es ein Veteran tun würde?
Gentile: Ich bleibe mir einfach treu. Ich gebe in jedem Training, in jedem Spiel mein Bestes, lege viel Energie und Leidenschaft in alles, was ich tue. Etwas Spezielles mache ich aber nicht.
SPOX: Sie gehen also mit gutem Beispiel voran oder werden Sie auch mal laut?
Gentile: Ich denke, Taten sprechen immer für sich. Es geht darum, wie du dich verhältst, nicht um deine Worte. Zeigen ist wichtiger als sprechen. Und genau das versuche ich.
SPOX: Als die Gerüchte, dass Sie zur neuen Saison zum Kapitän ernannt würden, aufkamen, sagten Sie, Sie seien noch nicht bereit. Was hat sich seither verändert?
Gentile: Eigentlich nichts. Der Coach wollte mich zum Kapitän machen und wir beide wissen, dass das eine neue Herausforderung für mich ist. Deshalb brauche ich auch noch ein wenig Zeit, um in die neue Rolle hineinzuwachsen. Das wusste der Coach aber, als er mich gefragt hat.
SPOX: Ihr Vater war einst auch Kapitän von Milan, nun tragen Sie auch seine Nummer. Inwieweit hat er Sie als Basketballer beeinflusst?
Gentile: Er hat mich nicht dazu gedrängt, Basketball zu spielen. Als ich jünger war, habe ich Basketball nicht einmal gemocht. An einem gewissen Punkt habe ich meine Liebe für den Sport dann aber doch entdeckt. Aber mein Vater hat mich nie dazu gedrängt. Jetzt versucht er natürlich, mir Tipps zu geben, mir zu helfen. Das ist schon sehr hilfreich.
SPOX: Wann haben Sie ihre Liebe zum Spiel denn entdeckt?
Gentile: Mit zehn, elf Jahren. Wir kamen aus Griechenland zurück, wo wir zuvor gelebt hatten, da mein Vater bei Panathinaikos spielte. In Italien habe ich dann selbst angefangen zu spielen. Ich habe dann auch schnell Spaß daran gefunden. Das ist das wichtigste. Du musst das Spiel lieben. So hat dann alles angefangen.
SPOX: Ihren vorläufigen Höhepunkt haben Sie während der EuroBasket erreicht, wo Sie Italiens Topscorer waren. Hat dieses Erlebnis Ihren Reifeprozess als Spieler beschleunigt?
Gentile: Natürlich. Auf einem solch hohen Level zu spielen war eine großartige Erfahrung. Wenn du dich mit den besten Spielern und Teams Europas misst, hilft das deiner Entwicklung definitiv. Zudem erkennt man schnell, wo man sich noch verbessern muss.
SPOX: Gegen Spanien haben Sie Italien mit 25 Punkten zum Sieg getragen. Können Sie das Gefühl beschreiben, wenn man realisiert, dass man eines dieser ganz besonderen Spiele haben wird, dass die Würfe fallen und man den Korb wie gewollt attackieren kann?
Gentile: Für einen Spieler ist das ein großartiges Gefühl. Du entwickelst ein extremes Selbstvertrauen. Plötzlich fühlst du dich, als wärst du nicht zu stoppen. Selbstvertrauen ist mit das wichtigste für einen Spieler und wenn du erst mal an diesem Punkt angekommen bist, wenn du merkst, dass alles seinen richtigen Weg geht, bist du natürlich auch extrem zufrieden mit dir selbst.
SPOX: Gegen Spanien haben Sie beinahe jeden Aspekt des Spiels gezeigt. Hätte ich Sie jedoch nie spielen sehen, wie würden Sie Ihr Spiel dann beschreiben?
Gentile: Das ist keine leichte Frage. Ich spreche nicht viel über mein Spiel, das überlasse ich eigentlich anderen Leuten. Ich versuche, den Korb zu attackieren, beim Gegner ein wenig Unruhe zu schaffen. Das ist mein Stil. Ich spiele sehr aggressiv und will ständig attackieren.
SPOX: Während des Turniers wirkten Sie sehr fokussiert, was Ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wiederum verändert hat. Zuvor haben Ihnen Kritiker immer wieder vorgeworfen, sich zu sehr durch Streitereien mit Schiedsrichtern oder Gegnern ablenken zu lassen. Hat sich etwas verändern, und wenn ja, was?
Gentile: Auf dem Court denkt man manchmal einfach nicht so viel nach. Wenn man dann das Gefühl hat, dass der Schiedsrichter einen Fehler macht, kommt es schon mal zum Streit. Denn es ist einfach schwer, das zu akzeptieren, wenn man ein wichtiges Spiel bestreitet. Bei der EuroBasket hatte ich viel Vertrauen in die Coaches und das Team, so konnte ich mich ganz auf mein Spiel konzentrieren. Aber ich bin noch jung und habe deshalb noch einiges zu lernen und zu verbessern.
SPOX: In der Vergangenheit hatten Sie zudem Probleme wegen einiger Facebook-Posts und Tweets. Haben Sie die Auswirkungen von Aussagen eines Sportlers vielleicht unterschätzt?
Gentile: Auf jeden Fall. Ich habe auf Twitter einige Fehler gemacht. Das war dumm. Mir war tatsächlich nicht ganz klar, welche Wellen Aussagen eines Sportlers dort schlagen. Jetzt habe ich meinen Account gelöscht. So wird so etwas sicher nicht mehr passieren.
SPOX: Wie schwer ist es als Person des öffentlichen Lebens generell, mit den sozialen Medien umzugehen?
Gentile: Es hat einiges verändert. Es ist nicht einfach. Du musst einfach wissen, wie du die sozialen Medien nutzt. Manchmal ist man einfach enttäuscht und sagt Dinge, die nicht jedem gefallen. Deshalb habe ich mich auch aus den sozialen Netzwerken zurückgezogen und halte mein Privatleben aus der Öffentlichkeit heraus.
SPOX: Usain Bolt ist auf Twitter dagegen sehr aktiv. Sie haben Ihn einmal als ihren Lieblingssportler beschrieben. Weshalb?
Gentile: Für mich ist er einfach der perfekte Athlet. Er ist unglaublich - der beste Athlet, den ich je gesehen habe. Wenn er läuft, sieht es beinahe so aus, als würde er fliegen.
SPOX: Dejan Bodiroga haben Sie als ersten Basketballer bezeichnet, der Sie wirklich beeindruckt hat. Was macht Ihn für Sie so speziell?
Gentile: Er hat mit meinem Vater zusammengespielt. Was mich wirklich beeindruckt hat war, dass er dominiert hat, ohne ein großer Athlet zu sein. Seine Technik und sein Wissen um das Spiel haben das vollends überdeckt. Deshalb ist er für mich auch so speziell.
SPOX: Ist er für Sie vielleicht sogar ein Vorbild, da er eine Karriere auf höchstem europäischem Niveau einer "normalen" NBA-Karriere vorgezogen hat?
Gentile: Ja. Das hat mir immer gefallen. Eine große Karriere in Europa ist für mich deutlich mehr wert, als eine durchschnittliche in der NBA. Deshalb war seine Entscheidung großartig. Mit der Nationalmannschaft konnte er sich ja mit den Amerikanern messen. Er hat den europäischen Stil gewählt und bewiesen, dass er ebenso gut ist wie der amerikanische.
SPOX: Haben Sie denn Pläne bezüglich der NBA?
Gentile: Momentan noch nicht wirklich. Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe. Natürlich träumt jeder Basketballer irgendwo von der NBA. Aber wie gesagt, die Situation muss stimmen. Man braucht den richtigen Coach, das richtige Team, um eine gute Rolle zu spielen. Ich möchte nicht einfach nur rübergehen, um sagen zu können, dass ich in der NBA gespielt habe.
SPOX: Haben Sie denn Kontakt mit den italienischen Spielern in den USA?
Gentile: Nicht wirklich. Manchmal spreche ich mit Datome, der ja gerade zu den Pistons gewechselt ist. Aber ehrlich gesagt kenne ich die anderen gar nicht so gut. Mit Datome und Belinelli war ich einen Monat gemeinsam bei der Nationalmannschaft. Gallinari und Bargnani kenne ich aber kaum.
Alessandro Gentile im Steckbrief