Vor fast 30 Jahren startete Svetislav Pesic mit dem legendären Nachwuchsteam um Toni Kukoc und Vlade Divac die Basketball-Globalisierung und stürzte die USA in Selbstzweifel. Dennoch musste er sich ungefragt von NBA-Scouts belehren lassen. Der Bayern-Coach erinnert sich - und spricht über die NBA-Fixierung in Europa, die Verärgerung über das DBB-Team und Tibor Pleiß' Ambitionen.
SPOX: Herr Pesic, mit David Stern verabschiedete sich am Samstag jener NBA-Commissioner aus dem Amt, der die Globalisierung der NBA maßgeblich vorangetrieben hat. Ist die Übermacht der NBA im Basketball Fluch oder Segen?
Svetislav Pesic: Dass inzwischen jedes europäisches Basketball-Talent irgendwann davon träumt, in der NBA zu spielen, ist eine zwangsläufige Folge der letzten 20 Jahre, seit das Dream Team 1992 erstmals an den Olympischen Spielen teilnehmen durfte. Damals kam die NBA nicht nur nach Barcelona, um die Goldmedaille zu holen. Sie wollte sich als Produkt inszenieren und verkaufen. Das haben sie sehr geschickt umgesetzt. Auf der anderen Seite profitierten wir Europäer davon, dass die NBA Grenzen überschritten hat. Es bringt dir langfristig mehr, wenn du gegen Bessere spielst und auch mal verlierst, als wenn du immer nur unter dir bleibst und gewinnst.
SPOX: Wie nahmen Sie die NBA anfangs wahr?
Pesic: Ich erinnere mich noch sehr gut an die Junioren-EM 1986 in Gmunden, Österreich. Damals kam ein junger NBA-Scout zu mir und sagte: "Coach, ich habe mir einige Spiele angesehen und möchte Ihnen einen Tipp geben: In Ihrem Team gibt es diesen Toni Kukoc, er ist ein großes Talent. Ich würde ihn öfter spielen lassen." Ich nickte höflich und sagte: "Vielen Dank für den Ratschlag, darauf wären wir selbst nie gekommen." (lacht) Damals dachte die NBA, wir wären ein Basketball-Entwicklungsland.
SPOX: Ein Jahr später erschütterten Sie mit Jugoslawien erstmals die Grundfesten, als Sie mit den damals blutjungen Kukoc, Vlade Divac und Dino Radja bei der Junioren-WM 1987 in Bormio das US-Team um Gary Payton und Larry Johnson gleich zweimal besiegten.
Pesic: Die Tage in Bormio waren der eigentliche Startschuss für die Globalisierung des Basketballs. Wir hatten mit Kukoc, Divac und Radja eine herausragende Generation. Erstmals zeigten wir den Amerikanern, dass wir in Europa etwas von Basketball verstehen. In der Vorrunde gewannen wir gegen die USA, indem wir von außen das Spiel dominierten. Kukoc erzielte 37 Punkte und verwandelte elf von zwölf Dreiern! Im Finale stellten wir die Taktik komplett um auf das Inside-Game: Divac machte 21 Punkte, Radja 20 Punkte. Danach kam US-Coach Larry Brown zu mir und bedankte sich für die Lehrstunde. Er sagte damals: "Ich bin glücklich zu sehen, dass außerhalb der USA Basketball gespielt wird."
SPOX: Obwohl Europa in den vergangenen 20 Jahren deutlich aufgeholt hat, ist der NBA-Traum bei den heutigen DBB-Nachwuchsspielern allgegenwärtig. Ärgert Sie das?
SPOXPesic: Das Umfeld bei vielen Talenten stimmt nicht. Es wird der Eindruck vermittelt, dass großer Erfolg ohne Arbeit möglich ist. Natürlich verfügen wir über gute Nachwuchsspieler, doch der Sprung zum Profi ist nicht leicht, weshalb es unklug ist, direkt in die NBA zu gehen. Für viele wäre es besser, erst ins europäische Ausland zu wechseln. Wie Nemanja Nedovic, der bei Roter Stern Belgrad einer meiner Spieler war. Als er im Sommer gedraftet wurde, hat sich jeder gefreut: er selbst, die Familie, ganz Serbien. Jetzt spielt er in der D-League. Divac, Drazen Petrovic, Arvydas Sabonis oder Peja Stojakovic waren nicht zufällig große Stars in Europa, bevor sie in die NBA gingen und sich dort durchsetzten. Selbst Dirk Nowitzki behauptete sich erst in der Bundesliga. Die Jungen unterschätzen, wie wichtig es ist, vorher Enttäuschungen zu erleben, daraus Stärke zu ziehen und daran zu wachsen. Erst dann ist man bereit für die NBA. Es gibt einem das nötige Selbstvertrauen zu wissen, dass man vor dem ersten Trainingstag beim NBA-Team in den Locker Room gehen und den Mitspielern sagen kann: "Ich habe zuhause die Landes-Meisterschaft, die Euroleague und mit meiner Nationalmannschaft die Goldmedaille gewonnen. Und du?"
SPOX: Entsprechend gefallen dürfte es Ihnen, dass Tibor Pleiß in die spanische Liga wechselte, um sich so auf die NBA vorzubereiten.
Pesic: Exakt, Tibor macht es genau richtig. Er arbeitet immer hart an sich - und er zeigt Geduld. Sein erstes Jahr bei Laboral lief nicht so gut, er spielte nur durchwachsen und die Coaches trauten ihm nicht so viel zu. Dennoch kämpfte er sich durch und ist inzwischen eine der ersten Optionen bei einem Euroleague-Klub und blüht richtig auf. Er hat sich sehr gut auf die NBA vorbereitet.
SPOX: In Spanien, der zweitbesten Liga hinter der NBA, wurde Pleiß bereits viermal zum Spieler der Woche gewählt. Finden Sie es sehr schade, dass er dem Werben der Bayern im Sommer nicht erlag?
Pesic: Nein, wir haben nicht mit ihm gesprochen. Das ist nur Spekulation. Wobei ich sicher bin, dass er sich genauso gut entwickelt hätte, wenn er zu uns gekommen wäre.
SPOX: Was war mit Elias Harris? Sein Name wurde vor der Saison bei den Bayern diskutiert, er unterschrieb im Dezember allerdings in Bamberg.
Pesic: Grundsätzlich ist jeder deutsche Spieler interessant, allerdings haben wir auf seiner Position derzeit genug Spieler. Seine Entscheidung, in die Bundesliga zu wechseln, finde ich perspektivisch sehr gut. So kann er in seiner Heimat Einsatzzeiten bekommen und unter den besten Rahmenbedingungen trainieren. In der NBA wäre er nicht so gut aufgehoben.
SPOX: Wann ist der FC Bayern soweit, einen europäischen Superstar zu verpflichten?
Pesic: Ich schließe es nicht aus, aber womöglich würde es zu früh kommen. Noch ist die Zeit nicht gekommen. Wir können einfach nicht dasselbe bezahlen wie die Spitzenmannschaften der Euroleague, jetzt mischt zusätzlich Fenerbahce groß mit. Auch Klubs wie Valencia oder Khimki Moskau, die nicht einmal in der Euroleague spielen, können sich teurere Spieler leisten. Selbst serbische Teams besitzen bessere Chancen, europäische Top-Talente zu bekommen, weil es dort die sogenannte "Sportsteuer" gibt: Wenn ein Spieler 100.000 Euro netto verdient, kostet er den Verein dank der Sportsteuer nur 120.000 Euro - in Deutschland wären das 200.000 Euro oder mehr.
Seite 1: Pesic über die Globalisierung des Basketball und Tibor Pleiß
Seite 2: Pesic über den deutschen Basketball und ein Nowitzki-Comeback beim DBB
SPOX: Wie ist der deutsche Basketball insgesamt aufgestellt?
Pesic: Es geht langsam und sicher voran. Mir gefällt, dass ein neues Selbstbewusstsein entsteht und mehr über Basketball berichtet wird. Früher gab es nicht so viele Portale wie SPOX, das sich sehr für unsere Sportart engagiert und das ich sehr viel lese. Die Rahmenbedingungen stimmen: Es werden neue Hallen gebaut und im Ticketing, Marketing und Sponsoring sind wir europaweit ganz vorne dabei. Die BBL ist stabil. Wobei wir weiter dranbleiben und uns vor allem basketballerisch verbessern müssen. Das Niveau der Spiele und die Qualität der Spieler sind verbesserungsbedürftig.
SPOX: Immer wieder kommt Kritik auf, dass deutsche Spieler im Training zu wenig investieren.
Pesic: Deutsche Spieler müssen lernen, zwischen "Basketball spielen" und "Basketball trainieren" zu unterscheiden. Das war immer schon eine Schwäche in Deutschland. Sie dachten lange, dass sie nur in die Halle gehen, um Spaß zu haben. Dabei vergaßen sie, dass ein Spiel nur Spaß macht, wenn vorher hart gearbeitet wird. Vor allem im individuellen Bereich war es im europäischen Vergleich auffällig. Daher müssen die deutschen Spieler ihre Denkweise ändern und den Spaß in der täglichen Trainingsarbeit entdecken. Ich sehe allerdings viele gute Anzeichen, dass es besser wird. Dass deutsche Spieler in ihren Klubs immer mehr in die Verantwortung genommen werden, hilft.
SPOX: Besonders in die Verantwortung genommen wird Heiko Schaffartzik, Leistungsträger bei den Bayern und Kapitän des DBB-Teams. Trotz teils starker Leistungen bei der EM wurde er nach dem frühen Ausscheiden kritisiert. Zu Unrecht?
Pesic: Ich kenne Heiko, seit er bei TuS Lichterfelde angefangen hat. Er ist eine Persönlichkeit und besitzt eine eigene Meinung. Das soll auch so sein. Deshalb machte ich ihn 2012 zum DBB-Kapitän. Ich finde es gut, wenn Spieler mal ansprechen, wenn sie etwas anders sehen als der Vorgesetzte. Ich finde es super, wenn er sagt: "Sorry Coach, das ist nicht der Punkt." Er bekam von mir die Carte Blanche und darf alles sagen, was er will. Das muss er, um der Verantwortung gerecht zu werden. Und er kommt ihr nicht nach, indem er nur den letzten Wurf nimmt. Ein Führungsspieler muss sich in allem einbringen, in der Taktik, bei der Trainingsgestaltung, bei der Organisation von Auswärtsreisen. Ich besitze großen Respekt vor ihm. Gleichzeitig weiß ich, dass ich immer Probleme mit Heiko haben werde. Aber er weiß gleichzeitig, dass er immer Probleme mit mir haben wird. (lacht)
SPOX: Nach gesundheitlichen und privaten Rückschlägen gelang Schaffartzik erst 2009, mit 25 Jahren, der Durchbruch. Was wäre möglich gewesen?
Pesic: In meinen Augen hat Heiko das Optimale herausgeholt. Was wir nie vergessen dürfen: Heiko hatte Talent, doch er war nie der nächste Dirk Nowitzki oder Detlef Schrempf. In seiner Generation waren andere die Überflieger - nur wo sind sie hin? Sie spielen nicht für ein Spitzenteam in der BBL, nicht in der Euroleague und sie sind auch nicht Kapitän der Nationalmannschaft. Im Gegensatz zu den Übertalenten steckte Heiko alles weg. Viele unterschätzen, was für ein großer Kämpfer er ist. Er schuftet und bildet sich mit seinen 30 Jahren so fort, als ob er 20 wäre.
SPOX: Wer Schaffartzik in dieser Saison sieht, könnte glauben, dass das EM-Aus fast spurlos an ihm vorbeiging. War das so?
Pesic: Nein, vor allem die ersten Wochen waren nicht leicht. Während der EM litt ich vor dem Laptop und vor dem Fernseher mit, allerdings wurde es danach noch schlimmer. Heiko, Robin Benzing und Lucca Staiger waren mental kaputt. Sie hatten sich so viel vorgenommen. Selbst mit meiner Erfahrung war es schwierig, mit der Situation umzugehen und sie bei aller Enttäuschung langsam an die neue Mannschaft und das neue Spielsystem heranzuführen. Mittlerweile glaube ich aber, dass sie gestärkt hervorgegangen sind.
SPOX:SPOX-Kommentator Frank Buschmann sagte nach der EM: "Wer Svetislav Pesic kennt, weiß, dass er gerne mit jungen, unfertigen Spielern arbeitet. Und wer ihn noch besser kennt, weiß, dass er es geil gefunden hätte, mit dieser Mannschaft bei der EM anzutreten." Stimmt das?
Pesic: Jetzt ist es schon wieder etwas anderes, ich bin nur auf die Bayern konzentriert. Bei der EuroBasket, als ich die Live-Übertragung in der ARD und auf SPOX verfolgt hatte, hat es einen aber natürlich gereizt. Ob wir alle Spiele gewonnen hätten, weiß ich nicht. Doch in einigen Momenten habe ich mich schon richtig geärgert. Ich sage nicht, dass meine Art des Basketballs automatisch der bessere gewesen wäre, allerdings kam da einfach der Trainer in mir durch.
SPOX: Wie sehen Sie die Perspektiven des DBB-Teams, nachdem die Wild Cards für die WM 2014 anderweitig vergeben wurden?
Pesic: Viel wichtiger als die WM 2014 ist die EM 2015 in der Ukraine. Das wird die Stunde der Wahrheit. Wenn Dennis Schröder und Harris zusagen, an der EM-Quali in diesem Sommer teilzunehmen, besitzt Deutschland eine talentierte Mannschaft - die nicht so unerfahren ist, wie es immer heißt. Die meisten Spieler nahmen bereits an einem oder mehreren Großturnieren teil. Wenn der richtige Mix gefunden wird, mache ich mir nur wenig Sorgen.
SPOX: Was halten Sie von der Idee des DBB, Dirk Nowitzki unbedingt zu einem Comeback bewegen zu wollen? Würden dadurch nicht die anderen blockiert oder gehemmt werden?
Pesic: Wenn Dirk spielen möchte, würde ich mich natürlich auch freuen. Ich denke nur, dass es unrealistisch ist. Wir sollten lieber mit solchen Spekulationen aufhören und sehen, wie Dirk dem Team und dem deutschen Basketball als Botschafter helfen kann. Wenn er Zeit hat, kann er vielleicht während der Vorbereitung bei der Mannschaft dabei sein und den jungen Spielern als Mentor seine Erfahrung vermitteln. Das ist realistisch und wäre schon super. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich freuen würde, im Sommer dem DBB helfen zu können, ohne selbst den kompletten Sommer opfern zu müssen. Sollte das gewünscht sein, muss man auf ihn zugehen und ihm sagen, was man will.
Seite 1: Pesic über die Globalisierung des Basketball und Tibor Pleiß
Seite 2: Pesic über den deutschen Basketball und ein Nowitzki-Comeback beim DBB