SPOX: Hand aufs Herz: Wie oft gehen Sie auf die Euroleague-Homepage und schauen nach, ob Sie auf 40 Minuten hochgerechnet immer noch der zweiteffektivste Spieler in Europas Königsklasse sind?
Jamel McLean: Ich gebe es zu, ich habe mir die Statistik-Seiten ein-, zweimal angeschaut. (lacht) Im Ernst: Ich versuche, nicht zu sehr darauf zu achten. Es ist ohnehin schon eine so verrückte Saison, ich brauche nicht noch mehr Ablenkung. In der Euroleague gibt es zahllose starke Mannschaften, die zudem die unterschiedlichsten Stile spielen. Das erfordert schon die gesamte Konzentration.
SPOX: Am Donnerstag steht mit der Partie bei Galatasaray Istanbul die nächste große Aufgabe bevor. Wer war bisher Ihr schwierigster Gegenspieler?
McLean: Obwohl wir gegen Barcelona gewonnen haben, ist es immer tough, gegen Justin Doellman zu spielen. Ich kenne ihn von früher, weil er wie ich auf die Xavier University ging. Er ist ein kluger Spieler, der Basketball versteht. Manchmal sieht es so aus, als ob er nicht einmal schwitzt, weil er sich so clever bewegt. Wenn er will, entscheidet er vor einem Spielzug, was passieren wird. Will er sich in der Nähe des Korbs positionieren? Oder will er eher aus der Mitteldistanz schießen? Da kann man als Gegenspieler machen, was man will - am Ende läuft der Spielzug so, wie es Doellman möchte. Er liest das Spiel - und gegen solche Spieler ist es immer am schwierigsten.
SPOX: Sie selbst gehören ebenfalls zu den gefürchtetsten Spielern in Europa. In der BBL sind Sie nach beständig starken Leistungen favorisiert auf den MVP-Award und in der Euroleague wird auf 40 Minuten hochgerechnet niemand häufiger gefoult. Ist die hohe Anzahl an Fouls nervig - oder macht es Sie stolz?
McLean: Beides. Ich weiß, dass wir richtig aggressiv sein müssen, um uns in der europäischen Spitze festzubeißen. Daher ziehe ich zum Korb und nehme so viele Fouls auf, wie es nur geht. Und zu wissen, dass man oft nur mit Fouls gestoppt werden kann, ist definitiv ein gutes Gefühl. Andererseits bin ich nach jedem Euroleague-Spiel mit blauen Flecken übersät. Dennoch: So sehr es wehtut, genieße ich die Schmerzen. Wenn mich jemand foult, bedeutet es, dass der Gegner kein Mittel gegen mich findet. Und für meine Mannschaftskollegen bedeutet es, dass sie mit mehr Selbstvertrauen spielen können, weil wir immer in der Lage sind, von der Freiwurflinie zu einfachen Punkten zu kommen.
SPOX: Sie sprechen die Freiwürfe an. Zu Ihrer College-Zeit trafen Sie anfangs nicht einmal 50 Prozent, doch in den letzten Jahren steigerten Sie Ihre Quote stetig und stehen nun bei über 80 Prozent. Wie lässt sich das erklären?
McLean: Es war klar, dass ich daran arbeiten muss, um in den wichtigen Phasen des Spiels auf dem Court zu stehen. Ich werde sehr oft gefoult und wenn ich an die Freiwurflinie gehe, aber nicht treffe, wird ein Freiwurf für mich fast zu einem Vorteil für den Gegner. Jetzt kann mir der Coach in den letzten zwei, drei Minuten eines Spiels vertrauen, weil ich von der Linie Sicherheit ausstrahle. Ganz wichtig dafür war unser Co-Trainer Milenko Bogicevic. Er arbeitet sehr intensiv mit mir und bringt mich dazu, nicht aufgeregt beim Freiwurf zu sein, sondern einmal durchzuatmen.
SPOX: Es liegt wirklich nur an der Ruhe? Anders als Ihnen gelingt es vielen Big Men nicht, Ihre Freiwurfquote signifikant zu verbessern, obwohl sie angeblich hart trainieren.
McLean: Man sollte nicht darüber lachen, sondern sich in sie hineinversetzen. Natürlich sieht es lustig aus, wenn ein Freiwurf zu einem Air Ball wird, doch das hat häufig damit zu tun, dass großen Spielern tatsächlich der Touch, das Gefühl in den Fingerspitzen, fehlt. Es geht nicht um die technische Ausbildung oder um Trainingsfleiß. Shaq ist das beste Beispiel: Ich weiß, dass er hart daran gearbeitet hat, besser Freiwürfe zu treffen, er aber so kräftig ist, dass keine Wurftechnik funktioniert. Wenn man dann verunsichert oder unkonzentriert an die Freiwurflinie geht, können schnell Air Balls entstehen.
SPOX: Sie hingegen besitzen bei aller Physis ein gewisses Maß an Touch. Planen Sie womöglich, wie Ihr NBA-Konterpart Blake Griffin häufiger aus der Mitteldistanz zu werfen?
McLean: Definitiv. Ich möchte kein eindimensionaler oder zweidimensionaler Basketballer sein, sondern alle Facetten der Sportart beherrschen. Ich werde vielleicht nie Dreier treffen, aber wenn ich nicht gedeckt werde, möchte ich sicher den Mitteldistanzwurf nehmen. Erst das macht mein Spiel vollständig. Gerade ist es noch so, dass manchmal alle fünf Gegenspieler auf mich achten, weil sie wissen, dass ich vor allem in den Post gehe. Falls der Gegner meinen Wurf verteidigen muss, kann ich noch leichter zum Korb ziehen. Wenn ich irgendwann Vertrauen in meinen Wurf fasse, wird er eine richtige Waffe.
Seite 1: McLean über die Euroleague, das College und Blake Griffin
Seite 2: McLean über seine Entwicklung, seinen Dunk-Mentor und enge Sitze
Seite 3: McLean über Italien, den härtesten Coach und die NBA