Die rund 13.000 Zuschauer in Hannover sahen einen ausgeglichenen und extrem spannenden Kampf, in welchem Arthur Abraham an seine Grenzen gebracht wurde. Beim 100. WM-Kampf von Trainer Ulli Wegner, der seinen Schützling einmal mehr in den Rundenpausen mit ebenso klaren wie lauten Worten wachrüttelte, fand der Weltmeister der WBO im Super-Mittelgewicht gegen Martin Murray jedoch erst nach einiger Zeit die richtige Mischung aus Sicherheit sowie Offensive.
Vor allem über die Arbeit mit einzelnen Kombinationen und seiner Rechten punktete der gebürtige Armenier im Verlauf des Kampfes. Der Brite, wie Abraham Linksausleger, zeigte hingegen direkt, warum er als Bedrohung für den Titel galt. Er hatte im Endeffekt jedoch nicht die Mittel, um die von Abraham praktizierte Doppeldeckung dauerhaft zu knacken. Der Weltmeister erarbeitete sich dennoch erst in den letzten Runden einen Vorteil auf den Scorecards zweier Punktrichter, der den Ausschlag zu seinen Gunsten gab.
Das Duell zwischen Abraham und Murray im RE-LIVE
Das nächste Ziel des Sauerland-Aushängeschilds nach dem Sieg über Murray steht bereits fest. Im kommenden Jahr soll es für Abraham zur großen Titelvereinigung im Super-Mittelgewicht kommen. Sogar der geplante Mega-Fight gegen Felix Sturm könnte in diesem Zusammenhang endlich Realität werden. Die WBA ordnete zumindest unlängst einen Rückkampf zwischen Abrahams Erzrivalen und Fedor Chudinov um den Titel des Verbandes an. Der Russe hatte Sturm zuvor im Mai nach Punkten bezwungen. Auch ein Duell mit Jack Badou (WBC-Champion) oder James DeGeale (IBF) könnten ein Thema werden.
Die Reaktionen:
Arthur Abraham: "Ich habe hart trainiert, habe geblutet und geschwitzt, war jetzt technisch und taktisch besser. Aber ich habe nicht gegen einen Sandsack geboxt. Er ist ein Weltklasse-Kämpfer, er hat einen guten Kampf gemacht, das muss man anerkennen."
Ulli Wegner: "Der Kampf heute war ein hartes Stück Arbeit. Entscheidend war Abrahams Wille. Vor allem am Ende hat Arthur überzeugt."
SPOX-Scoreboard | 1. | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. | 11. | 12. | Score |
Abraham (GER) | 9 | 9 | 9 | 9 | 10 | 10 | 10 | 9 | 10 | 10 | 10 | 10 | 115 |
Murray (GBR) | 10 | 10 | 10 | 10 | 9 | 9 | 9 | 10 | 9 | 9 | 8 | 9 | 112 |
Die Wertungen der Punktrichter:
Rose Lacend (USA): 115:112 Abraham
Clark Sammartino (USA): 116:111 Abraham
Jerry Jakubco (USA): 112:115 Murray
Der Ringrichter: Benjy Esteves junior. Der überaus erfahrene 61-Jährige aus den Vereinigten Staaten machte über die gesamte Kampfdauer hinweg einen guten Job, auch wenn der Fight beileibe nicht einfach zu leiten war. Dennoch behielt Esteves in der ausverkauften TUI Arena die Übersicht über das Geschehen. Der New Yorker ermahnte beide Kämpfer mehrfach und sorgte somit für einen insgesamt fairen Kampf um die Krone der WBO. Zog Murray zudem in Runde elf durchaus gerechtfertigt wegen exzessiven Haltens einen Punkt ab.
Der Schlag des Kampfes: Abrahams Rechte. Auch wenn der alte und neue Champion nicht mehr ganz an die Schlaghärte vergangener Tage herankommt, so ist seine Rechte noch immer brandgefährlich. Eine Tatsache, die auch gegen Murray stets präsent war. Mit einzelnen Treffern ließ es Abraham, der über weite Strecken des Duells mit der Linken arbeitete, beim Briten klingeln und machte bei den Punktrichtern Eindruck. Eine Antwort blieb der Mann von der Insel schuldig, steckte die Treffer allerdings meist mit einem aufgesetzten Lächeln weg.
Das fiel auf:
- Obwohl nach der Absage des Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und den Niederlanden auch Sicherheitsbedenken bezüglich des Kampfes in der TUI Arena laut geworden waren, ließen sich die Zuschauer nicht beirren. Die Stimmung konnte sich sehen lassen, woran vor allem die lautstarken Fans von der Insel, die bereits deutlich vor dem Main Event mit Gesängen auf sich aufmerksam machten, ihren Anteil hatten. Lediglich bei den zehn Gongschlägen für die Terroropfer von Paris und Mali war es still in der Halle.
- Auch für Abraham-Coach Ulli Wegner war der Abend etwas Besonderes. Der 73-Jährige stand zum 100. Mal bei einem WM-Kampf in der Ecke und steckte in diesen wieder sämtliche Energie. Die Trainerlegende heizte dem Weltmeister ein, wenn es nötig war und durfte sich deshalb bei seinem Jubiläum über Sieg Nummer 87 freuen.
- Dass Abrahams Gegner kein Fallobst sein würde, war klar. Für Murray war es die vierte Titelchance, jedoch die erste im Super-Mittelgewicht. Im Mittelgewicht gab es ein umstrittenes Remis gegen Felix Sturm sowie Pleiten gegen Sergio Martinez, den er am Rand einer Niederlage hatte, und Gennady Golovkin. Es folgte der Gewichtsklassenaufstieg. Ein kluger Schachzug, da für Murray so der Substanzverlust durch das Abkochen wegfiel.
- Der Brite aus St. Helens, gelegen im Nordwesten Englands, ließ direkt zu Beginn aufblitzen, warum er als ernste Bedrohung gesehen wurde. Durch Murrays Vorteile bei Körpergröße (183 zu 175 Zentimeter) sowie Reichweite (185 zu 183) musste Abraham stets auf der Hut sein. Auch die Schlagkraft des Briten konnte sich sehen lassen.
- Aufgrund Abrahams Doppeldeckung gingen viele Schläge des Briten auf die Körperregion des Weltmeisters. Ein durchaus probates Mittel - vor allem, da so zusätzlich die Kondition Abrahams in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Beinarbeit Murrays trug ihren Teil zum starken Start bei. Wegner ermahnte seinen Schützling in den Pausen gleich mehrfach.
- Beim Weltmeister, der ab Runde fünf deutlich zulegte, war erneut die Rechte das wichtigste Element. Der 35-Jährige vertraute gegen seinen zwei Jahre jüngeren Herausforderer allerdings nicht wie zu Beginn seiner Karriere nur auf die Power hinter seinen Schlägen, sondern agierte beweglicher und schlug variabler - gerade auch mit der Linken.
- In Runde acht mussten die Abraham-Fans ordentlich zittern. Nach einem knallharten rechten Haken seines Gegenübers, der direkt das Kinn traf, kamen die Knie des gebürtigen Armeniers ordentlich ins Wackeln. Den Rest der Runde klammerte Abraham und rettete sich gegen einen variabel schlagenden Murray so über die Zeit.
- Jedes Pferd dürfte sofort mit Murray die Lungen tauschen. Der Brite, der immer wieder (zu) tief in Abraham hineinging, zeigte im Verlauf des Fights praktisch keine konditionellen Probleme. Es war bereits sein fünfter Kampf im laufenden Kalenderjahr. Trotz der enormen Workrate und späten Wirkungstreffern Abrahams musste der Mann von der Insel seinem hohen Tempo kaum Tribut zollen und rackerte bis zum letzten Gong.
- Abraham drehte vor allem in den letzten drei Runden auf und ließ es bei Murray mit der Rechten ordentlich klingeln. Die Tatsache, dass der Brite zudem einen Punktabzug kassierte, spielte dem Titelverteidiger zusätzlich in die Karten. Nach zwölf Runden standen für Abraham 141 Treffer bei 555 Schlägen zu Buche, bei Murray waren es 125 bei 611.
- Am Ende stand deshalb die fünfte Verteidigung des WBO-Gürtels Abrahams, der mit der Gegnerwahl seine Ansprüche untermauerte, seit dessen erneutem Titelgewinn im März 2014 gegen Robert Stieglitz. Ein Sieg, der zudem die Hoffnungen des Wegner-Schützlings auf einen baldigen Vereinigungskampf im kommenden Jahr weiter erhöhen dürfte. Murray scheiterte trotz starker Leistung hingegen auch im vierten Anlauf auf einen WM-Titel.