Die rund 45.000 Zuschauer sahen im nicht ganz ausverkauften Fußballstadion der Düsseldorfer Fortuna einen langsamen Kampf im Schwergewicht, in welchem Wladimir Klitschko überhaupt nicht in seinen Rhythmus fand. Der Titelverteidiger aus der Ukraine präsentierte sich von Beginn an unsicher und ließ sich auch von den teils unkonventionellen Offensivbemühungen seines Gegenübers, der zwischenzeitlich gar beide Hände auf den Rücken nahm, merklich irritieren.
Anders als zuletzt üblich war zudem die Führhand des Ukrainers quasi nicht existent. Etwaige Zweifel, die aufgrund des Größen- sowie Reichweitenvorteils des britischen Herausforders im Vorfeld aufgekommen waren, sollten sich über die gesamte Kampfdauer bewahrheiten.
Tyson Fury machte seine Sache hingegen vom ersten Gong an gut. Er war der aktivere Mann im Ring und punktete dabei mit seinem Jab. Am klaren Punktsieg des Briten gab es deshalb nach zwölf absolvierten Runden nichts auszusetzen.
Das Duell zwischen Klitschko und Fury im RE-LIVE
Für Klitschko war es nach 22 Siegen in Serie sowie 18 Titelverteidigungen und einer Ära von über elf Jahren die erste Niederlage. Die letzte Pleite des Ukrainers datierte zuvor aus dem Jahr 2004, als er sich überraschend dem US-Amerikaner Lamon Brewster geschlagen geben musste. Fury blieb derweil in seinem 25. Kampf ungeschlagen und lieferte seiner Frau im Anschluss an den Abend seines Lebens sogar noch im Ring ein Ständchen von Aerosmith.
Die Reaktionen:
Tyson Fury...
...über seinen Sieg: "Ich danke Gott und der Kraft von Jesus. Gott hat mir diesen Sieg geschenkt. Für mich ist heute ein Traum in Erfüllung gegangen. Sechs Monate habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet. Es ist immer schwierig im Ausland zu kämpfen - und dann auch noch über Punkte zu gewinnen, ist absoluter Wahnsinn."
...über Klitschko: "Ich möchte mich bei Wladimir für diesen großartigen Kampf bedanken. Er ist ein großer Boxer."
Reaktionen zum Fight: "Zwei Deppen, die Angst hatten"
Wladimir Klitschko: "Ich war sehr gut vorbereitet, Tyson war allerdings für seine Größe unheimlich schnell. Mir hat heute die Schnelligkeit gefehlt, die Reichweite war entscheidend. Ich konnte ihn einfach nicht erreichen, obwohl ich alles versucht habe. Am Ende wusste ich dann, dass ich hinten liege, dennoch konnte ich einfach nichts machen."
SPOX-Scoreboard | 1. | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. | 11. | 12. | Score |
Klitschko (UKR) | 10 | 9 | 9 | 10 | 9 | 9 | 9 | 9 | 10 | 9 | 9 | 10 | 112 |
Fury (GBR) | 9 | 10 | 10 | 9 | 10 | 10 | 10 | 10 | 9 | 10 | 9 | 9 | 115 |
Die Wertungen der Punktrichter:
Cesar Ramos (PUR): 112:115
Ramon Cerdan (ARG): 112:115
Raul Caiz Sr. (USA): 111:116
Der Ringrichter: Tony Weeks. Der US-Amerikaner gilt als einer der erfahrensten Referees im Boxen, musste sich allerdings dennoch hier und da auch etwas Kritik gefallen lassen. Beispielsweise beim Kampf zwischen Klitschko und Kubrat Pulev im vergangenen November machte Weeks nicht die beste Figur. In Düsseldorf konnte man dem 59-Jährigen, der seinen 566. Kampf leitete, aber keinerlei Vorwürfe machen. Weeks lieferte einen unaufgeregten sowie souveränen Auftritt ab, ohne sich dabei in den Mittelpunkt des Geschehens zu drängen. Der Punktabzug für Fury in Runde elf war darüber hinaus korrekt.
Der Schlag des Kampfes: Furys Jab. Viel wurde im Vorfeld aufgrund der Statur und Reichweite Furys über einen erheblichen Vorteil spekuliert. Im Ring zeigte der Mann aus Manchester, warum dies der Fall war. Gegen einen ideenlosen Champion boxte der Außenseiter unkonventionell, die Führhand avancierte allerdings zu einer Konstanten, über die er sich Klitschko nicht nur vom Leib hielt, sondern gleichzeitig auch die Grundlage für die wohl mit Abstand größte Box-Sensation des 21. Jahrhunderts legte.
Das fiel auf:
- Aufgrund der Anschläge in Paris und Mali wurde die Veranstaltung in der ESPRIT Arena zum Hochsicherheitsevent hochgestuft. Ein extremes Security-Level und erheblich verstärkte Sicherheitsmaßnahmen waren die Folge. Es waren Maßnahmen, von denen die Zuschauer selbst allerdings nur wenig mitbekamen.
- Die rund 45.000 Boxfans, die dennoch den Weg in das Düsseldorfer Fußballstadion gefunden hatten, ließen sich von etwaigen Sicherheitsbedenken zudem auf keine Weise beeindrucken und sorgten für Gänsehautatmosphäre unter dem geschlossenem Dach. Ein Umstand, der natürlich wie so oft auch den mitgereisten britischen Fans geschuldet war.
- Fury setzte derweil am Kampfabend seine Psychospielchen munter fort. Zunächst musste eine Schaumstoffschicht über dem Ringboden entfernt werden, dann war das Lager des Briten mit den Tapes an Klitschkos Hand nicht einverstanden. Der Weltmeister musste im Anschluss komplett von vorne beginnen, was für eine Verspätung des Beginns sorgte.
- Auch in puncto Seilgeviert gab es eine Besonderheit. So war der Ring mit 7,32 Metern deutlich größer als etwa zuletzt beim Duell zwischen Klitschko und Bryant Jennings. Ein Element, welches dem Herausforderer durchaus zugute kam. Fury bewegte sich viel und gut, überließ die Mitte des Rings dabei allerdings zu großen Teilen dem Titelverteidiger.
- Der promovierte Sportwissenschaftler aus der Ukraine ließ sich zu Beginn merklich Zeit. Allerdings agierte Fury auch äußerst unorthodox, nahm zuweilen beide Hände hinter den Rücken und wechselte in Runde drei zum ersten Mal die Auslage. Eine Taktik, die er wiederholen sollte.
- In den ersten Runden konnte Fury deshalb seine Vorteile in Sachen Größe (206 cm zu 198 cm) und Reichweite (216 cm zu 206 cm) ausnutzen. Vor allem der Jab des Briten setzte seinem Widersacher immer wieder zu. Ein Cut sowie eine leichte Schwellung unter Klitschkos linkem Auge resultierten allerdings aus einem Kopfstoß.
- Der Ukrainer wirkte ratlos, setzte in einem äußerst langsam geführten Duell praktisch keine Akzente und verzichtete in der ersten Hälfte des Kampfes nahezu gänzlich auf eigene Schläge. Zwar legte Klitschko mit zunehmender Kampfdauer etwas zu, am Ende waren seine Bemühungen jedoch deutlich zu wenig. Selbst seine Ecke wirkte hilflos.
- Anzeichen von Müdigkeit - aufgrund vermeintlicher konditioneller Probleme - gab es beim Herausforderer zudem keine. Selbst in den späten Runden stürmte Fury nach den Pausen noch aus der eigenen Ecke. Der Außenseiter wirkte stets frischer und hungriger als Klitschko, der mit der Größe seines Gegenübers, dem in Runde elf ein Punkt wegen Schlägen auf den Hinterkopf abgezogen wurde, nie zurecht kam.
- Zwar kam der Brite am Ende doch noch ein wenig ins Wanken, hatte das Duell allerdings zuvor so provozierend lässig beherrscht, dass seinem favorisierten Gegner lediglich ein Knockout geholfen hätte. Dieser blieb jedoch aus. Auch die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Klitschko schlug nur 231 Mal, traf aber immerhin 52 Mal. Fury brachte 86 seiner 371 Versuche ins Ziel, hatte zudem bei den harten Schlägen mit 48:18 klar die Nase vorn.
- Nach zwölf absolvierten Runden war die Sensation dann perfekt, Klitschko entthront. Wie es für den 39-Jährigen weitergehen wird, ließ Klitschko im Anschluss an das Duell bereits verlauten. Einen Rückkampf soll es auf jeden Fall geben.