Der Geist, den Klitschko rief

Anthony Joshua will Wladimir Klitschko in die Box-Rente schicken
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Am 29. April trifft Anthony Joshua im Londoner Wembley Stadium auf Wladimir Klitschko (Sa., 22.45 Uhr im LIVETICKER). Für den jungen Briten ist es nicht nur der Kampf seines Lebens, sondern auch der Lohn für einen Sieg über die Geister seiner Jugend. Vor dem Showdown der Generationen, bei dem es neben den Gürteln der WBA, IBF und IBO um die Zukunft des Boxens geht, wirft SPOX einen Blick auf den Mann, den falsche Freunde fast alles gekostet hätten.

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Es ist bereits später Abend, als eine Polizeistreife im englischen Colindale im Nordwesten Londons einen Mercedes Benz stoppt, der viel zu schnell unterwegs ist. Die Beamten nähern sich mit langsamen Schritten dem Fahrzeug. Situationen wie diese sind zwar Alltag, dennoch wissen die Polizisten nie, was sie erwartet.

Der junge Mann, der in einem Trainingsanzug der britischen Box-Mannschaft hinter dem Steuer sitzt, verhält sich ruhig. Seine Gedanken jedoch rasen. Er weiß, dass ihn die eigene Vergangenheit in diesem Moment einmal mehr eingeholt hat.

Boxen als Ausweg

Etwas mehr als sechs Jahre nach den Minuten, die Anthony Joshua heute als "endgültigen Wendepunkt in meinem Leben" bezeichnet, steht der junge Superstar aus Großbritannien erneut im Mittelpunkt. Im ausverkauften Londoner Wembley Stadium wird er am 29. April im Seilgeviert auf Wladimir Klitschko treffen.

Den Showdown der Generationen werden sich 90.000 größtenteils britische Fans vor Ort ebenso nicht entgehen lassen wie Millionen vor den heimischen Fernsehgeräten. Joshua gilt als kommender Stern am Box-Himmel, kämpft bereits in der Riege der großen Namen mit und ist Weltmeister des Verbandes IBF.

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"Er ist die Art Person, zu der du aufschauen kannst, um zu sagen: Ich will so sein wie er", sagte Promoter Eddie Hearn, der den Fight zwischen dem Youngster und dem Altmeister aus der Ukraine kurzerhand zum "größten Schwergewichtskampf seit Mike Tyson gegen Lennox Lewis 2002" ausgerufen hat, unlängst auf einer Pressekonferenz über seinen Schützling von der Insel. Wirklich falsch liegt er damit nicht.

Denn Hearn, der das Potential Joshuas bereits früh erkannt hatte, spielt dabei gar nicht unbedingt auf die boxerischen Leistungen an, so beeindruckend diese bisher auch sein mögen, sondern auf den nicht minder beeindruckenden Weg, den der 27-Jährige hinter sich hat. "Boxen hat sein Leben gerettet. Er ist das beste Beispiel dafür, was der Sport schaffen kann", schob der Mann aus Essex deshalb nach.

Selbstzerstörungskurs eines jungen Mannes

Anthony Oluwafemi Olaseni Joshua wuchs in Watford im Nordwesten von London mit zwei Schwestern sowie einem Bruder als Sohn nigerianischer Einwanderer auf. Knapp 32 Kilometer entfernt von der Millionenmetropole. Er spricht von einer erfüllten Kindheit. Doch hatte sein Leben zwischenzeitlich eine Richtung eingeschlagen, die am ehesten als Selbstzerstörungskurs eines jungen Mannes mit einem gottgegebenen Talent zu beschreiben ist.

In der Schule kam er nicht sonderlich gut klar, verließ sie vorzeitig. Er arbeitete als Maurer, wollte sich etwas aufbauen. Joshua träumte wie viele Jugendliche von Geld, schnellen Autos und Frauen. In dieser Zeit verkehrte er in einem Umfeld, das Geister heraufbeschwor, die er lange nicht loswerden sollte.

Seine Mutter, die immer wieder versuchte, ihn auf die richtige Bahn zu lenken, fand trotz der besonderen Beziehung zwischen beiden keinen Zugang zum Teenager. Joshua war in Schlägereien und Brandstiftungen verwickelt, hatte Probleme mit Drogen. Auch ein späterer Umzug nach London änderte wenig.

Einen ersten Schritt in die richtige Richtung hatte er seinem Cousin zu verdanken. Gbenga Ileyemi, der eine große Leidenschaft für das Duell Mann gegen Mann pflegt und heute wie Joshua Profi ist, brachte ihn im Alter von 18 Jahren zum Boxen. "Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen soll, dann hab ich das Boxen für mich entdeckt", blickt Joshua zurück. Lösen konnte er sich von seinen Geistern aber nicht.

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Zwischen zwei Welten

Joshua, der 2007 seinen ersten Amateurboxkampf bestritt, gelang aufgrund seiner physischen Anlagen und seines Arbeitswillens ein steiler sportlicher Aufstieg. Abseits des Rings geriet der Junge, der von Freunden aufgrund seines Mittelnamens nur Femi genannt wird, aber noch immer Probleme. Er kam mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Nachdem Joshua durch eine Verurteilung im Jahr 2009 für 13 Monate eine elektronische Fußfessel tragen musste, versetzten ihm seine Geister den härtesten Schlag.

Über 220 Gramm Cannabis fanden die Polizisten, die den jungen Briten in Colindale aufgrund überhöhter Geschwindigkeit angehalten hatten, in seiner Sporttasche auf dem Rücksitz. Die Menge sorgte dafür, dass die Anklage von einem "Besitz mit der Absicht des Verkaufs" ausging. Ein schweres Delikt, das ihm eine lange Haftstrafe von bis zu 14 Jahren hätte einbringen können. Auch seine Vorgeschichte sprach nicht für den Boxer, der zwischen zwei Welten gefangen war.

Er bekannte sich im Juli 2011 vor dem Wood Green Crown Court in London schuldig. Nur eineinhalb Jahre vor den Olympischen Spielen in seiner Heimat schien er seine Chance auf ein neues Leben endgültig weggeworfen zu haben.

"Ich bin nicht sonderlich stolz, dass ich in meinem Leben diese Dinge getan habe. Aber es gibt keinen Weg, dass dies jemals wieder passieren wird. Auf gewisse Weise bin ich sogar froh. Es hat mich aufgeweckt", erklärte Joshua. All die Jahre später weiß er, dass das Glück, das er damals hatte, nicht selbstverständlich war.

Vertrauen in einen jungen Menschen

Die Menschen, die über sein Schicksal urteilen mussten, sahen etwas in ihm, das über den kriminellen Jugendlichen hinausging. Der Richter verurteilte Joshua zu zwölf Monaten gemeinnütziger Arbeit und 100 Sozialstunden. Auch die Verantwortlichen der britischen Nationalmannschaft gaben ihm nach einer vorläufigen Suspendierung eine allerletzte Chance. Joshua zahlte das Vertrauen zurück.

Er gewann im Jahr 2011 Silber im Schwergewicht bei den Weltmeisterschaften in Baku und bei den Spielen im Folgejahr die Goldmedaille. Danach wechselte er nach langer Überlegung in das Profi-Lager und erarbeitete sich in den vergangenen knapp vier Jahren dort eine perfekte Bilanz von 18 Siegen in 18 Kämpfen. Jeder einzelne Fight endete vorzeitig durch Knockout. Inzwischen ist Joshua der athletischste Boxer im Schwergewicht, läuft die 100 Meter in weit unter elf Sekunden. Zudem verfügt er bei einer Körpergröße von 198 Zentimetern über eine Reichweite von 208 Zentimetern. Er hat einen soliden Jab und eine schier ungeheure Power in seiner Rechten sowie ein Auge für das Geschehen im Ring.

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Durch den Gewinn des IBF-Gürtels im April 2016 trug er sich sogar in die Geschichtsbücher ein. Joshua wurde zum fünftschnellsten Weltmeister aller Zeiten. Nur zweieinhalb Jahre nach seinem Debüt als professioneller Boxer durfte er sich das erste große Gold um die Hüften schnallen. Sein Idol Muhammad Ali brauchte knapp ein Jahr länger. Auch wenn sich der Wert eines solchen Vergleichs natürlich in Grenzen hält, so verdeutlicht er doch den schnellen Aufstieg, den Joshua hinter sich hat.

Die Zukunft eines ganzen Sports?

"Man muss ihn einfach mögen. Er hat sein Leben zum Guten gewendet, Gold bei Olympia gewonnen und lebt mit seiner Mutter im Norden von London. Er hat zwar schon sehr viel Geld verdient, aber er will der bleiben, der er ist. Er hat sein Leben dem Sport verschrieben", lobte Hearn den Werdegang seines Boxers.

Dem 37-Jährigen ist natürlich längst klar, dass er auf einer Goldgrube sitzt. Joshua ist das perfekte Vorbild und extrem gut vermarktbar: Er ist geläutert durch das Boxen, kann sich ausdrücken, benehmen und bringt nebenbei mit dem natürlichen Charme seines Lausbuben-Lächelns sowie einem guten Aussehen alles mit, um das Aushängeschild einer neuen Ära zu werden.

Ein Potential, das auch sein Gegner und Förderer Klitschko früh aufgefallen war. "Als ich ihn bei den Olympischen Spielen zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Er wird mal in meine Fußstapfen treten", erklärte der 41-Jährige nach der Verkündung des Duells gegen Joshua und outete sich direkt als "Fan" des Youngsters.

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Der 14 Jahre jüngere Brite hat dem ehemaligen Weltmeister aus der Ukraine viel zu verdanken und mindestens genauso viel vom Routinier gelernt. Bevor der jüngere der Klitschko-Brüder im Jahr 2014 gegen Kubrat Pulev in den Ring stieg, holte er ihn als Sparringspartner in sein Trainingscamp. Für Klitschko war es die ideale Vorbereitung auf einen klaren Knockout-Sieg, für Joshua deutlich mehr.

Endlich angekommen

"Ich habe Klitschko sehr genau bei seinem Training beobachtet", schilderte der Brite den Erfahrungsgewinn aus der Arbeit mit Klitschko gegenüber RTL. Er habe gesehen "wie er schlägt, wie er ausweicht und wie er sich verteidigt. Wenn ich gegen ihn antreten muss, weiß ich nun, wie genau ich mich verhalten muss." Für Joshua, der sich im English Institute of Sport in Sheffield mit Trainer Robert McCracken vorbereitete, war es ein Augenöffner: "Ich habe gemerkt, dass ich da hingehöre."

Auch Klitschko blieb die Begegnung in Erinnerung. "Er war anders als viele andere, still und hat viel beobachtet", erinnerte sich Klitschko, der einige Trainingspartner kommen und gehen sah. Entsprechend groß ist der Respekt. "Wenn du gewinnst, werde ich dir gratulieren. Wenn du verlierst, werde ich dir helfen, wieder aufzustehen", erklärte der Ukrainer bei einem Pressetermin.

"Hier stehen zwei Männer am Scheideweg", stellte Joshua, der Fan von Mike Tyson ist, gegenüber der Sport Bild klar. "Ich kann mit einem Sieg eine neue Ära beginnen. Ich kann ihn zur Seite stoßen und meinen Weg zum Thron ebnen."

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