Anthony Joshua im Interview: "Die Leute haben schon Millionen wie mich gesehen"

SPOX
29. März 201817:07
Anthony Joshua bereitet sich auf den Kampf gegen Joseph Parker vor.getty
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Am Samstag trifft Anthony Joshua im Fight des Jahres auf Joseph Parker (22.45 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER). In dem Vereinigungskampf der beiden noch ungeschlagenen Champions geht es um die Schwergewichtsgürtel der WBO, IBF und WBA.

Im exklusiven Interview mit DAZN spricht der Brite über seine Karriere, seine Werte und Ikonen - und die teuflische Schnelligkeit seines Gegners.

DAZN: Anthony, wie sind Sie eigentlich zum Boxen gekommen?

Anthony Joshua: Die meisten Sportarten, die ich als Kind ausprobiert habe, waren Mannschaftssportarten wie Fußball. Heute würde ich sagen, dass ich dafür nicht diszipliniert genug war: Das Problem an Teamsportarten ist, dass man sich ein- und auswechseln lassen kann. Beim Boxen habe ich im Training und in den Kämpfen dann gemerkt: Hier geht das nicht. Entweder ich hänge mich rein oder ich lasse es. Ich habe entschieden, mich reinzuhängen und habe die Disziplin lieben gelernt, die mit dem Sport einhergeht.

DAZN: Haben Sie in Ihrer Anfangszeit gemerkt, dass Sie ein besonderes Talent fürs Boxen haben?

Joshua: So etwas wie natürliches Talent gibt es selten. Und wenn man nur Talent für etwas hat, reicht das nicht. Man muss hart arbeiten. Ich glaube der Großteil meines bisherigen Erfolges kommt von meiner harten, ehrlichen Arbeit. Ich bin sehr gut darin zu beobachten und es dann nachzumachen. Ich habe die letzten zehn Jahre damit zugebracht, Kämpfer zu studieren und Kämpfer zu finden, von denen ich lernen kann. Deshalb werde ich mich immer verbessern.

Anthony Joshua über seinen schnellen Aufstieg in der Boxszene

DAZN: 2012 haben Sie die olympische Goldmedaille gewonnen. Wie haben Sie auf den Erfolg und das plötzliche Interesse über Nacht reagiert?

Joshua: Ich wollte noch größer werden. Ich verstehe die Macht der Medien. Also habe ich meine Geschichte vom Boxen erzählt. Dass es nicht nur um rohe, brutale Gewalt geht. Ich wollte nicht als diese dunkle Gestalt angesehen werden. Ich wollte den Leuten erzählen, dass es beim Boxen um mehr geht: Disziplin, eine gesunde Lebensweise, soziale Themen, da so viele Leute aus verschiedenen Umfeldern aufeinandertreffen. Ich liebe das Boxen aus diesen Gründen. Das ist es, was das Boxen für mich ausmacht und das wollte ich den Leuten vermitteln.

Anthony Joshua: Statistiken und Infos zu seiner Karriere

Anthony Joshua
Bilanz20-0-0
K.o. (Quote)20
Größe1,98 m
Gewicht113 kg
Reichweite208 cm
Alter28
NationEngland
StilLinksauslage

DAZN: Sie wirken sehr selbstbewusst im Umgang mit den Medien. Mussten Sie das trainieren?

Joshua: Ich habe eine große Familie. Wo ich aufgewachsen bin, kannte jeder jeden. Ich war immer von vielen Leuten umgeben, das war ein Segen. Ich kann mich an meine Anfänge im Amateur-Boxen erinnern: Bei den Kämpfen waren immer 15 Leute dabei. Man war nie allein, das hat geholfen. Ich war niemals jemand, der an der Seite gestanden ist und auf den Boden gekuckt hat. Ich war immer unter Leuten und war für Scherze aufgelegt, bis es an der Zeit war, an die Arbeit zu gehen.

DAZN: Ihr Aufstieg in der Boxszene ging ungewöhnlich schnell. Hatten Sie vor Ihrem ersten Weltmeisterschaftskampf vor fast genau zwei Jahren Zweifel?

Joshua: Ich erinnere mich gut. Ich hatte gerade um den britischen Titel gekämpft und ihn gewonnen, dann kam die Möglichkeit, um den Weltmeistertitel zu kämpfen. Normalerweise ist es in Großbritannien so: Man beginnt auf dem britischen Niveau, steigt dann zum europäischen Niveau auf und kämpft sich schließlich bis in die Weltklasse hoch. Wir haben das britische Level praktisch übersprungen und das europäische Level wurde gleich zum Weltlevel. Mein Coach hat mir damals gesagt: "Das ist eine Chance, die du ergreifen musst. Aber pass auf: Wenn du einmal den Schritt zum Championship-Level machst, gibt es kein Zurück." Ich habe gesagt: "Packen wir's an. Darum sind wir hier." Also haben wir seit meinem 16. Kampf um Weltmeisterschaften gekämpft.

DAZN: Sie und Ihr Coach Robert McCracken scheinen bisher immer die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Welche Rolle spielt Ihr Trainer für den Erfolg?

Joshua: Wenn du irgendetwas über mein Boxen wissen willst, musst du ihn fragen. Er ist das Mastermind hinter allem. Er hat mehr Erfahrung als ich und ich vertraue seinen Ratschlägen.

Anthony Joshua über den Kampf gegen Klitschko

DAZN: Waren Sie auch vor dem Klitschko-Kampf einer Meinung?

Joshua: Einen Vereinigungskampf gegen einen der Besten aller Zeiten zu führen - dieses Angebot konnte ich nicht ablehnen. Es ging schließlich um die IBF, WBA und IBO-Titel. Eigentlich sollten wir am 10. Dezember in Manchester kämpfen. Im Nachhinein war es ein Segen, dass das nicht geklappt hat. Weil Wladimir den Kampf wegen einer Verletzung verschieben musste, konnten wir schließlich im Wembley-Stadion kämpfen. Das war Schicksal. Es wurde eine große Nacht für den Boxsport. Ich habe gewonnen, aber auch Wladimir hat an Popularität und Respekt gewonnen, weil er wie ein Champion gekämpft hat.

DAZN: Vor dem Klitschko-Kampf haben Sie trotz Ihrer Erfolge gesagt: "Ich habe noch nichts erreicht." Denken Sie immer noch so?

Joshua: Langsam aber sicher denke ich, dass ich etwas erreicht habe. Aber ich habe die Geschichte des Boxens recherchiert und muss mir eins immer vor Augen halten: Ich bin nicht der erste, der das erreicht hat. Ich bin nicht der erste Schwergewichtschampion, den dieses Land und die Welt hatte. Darum muss ich mir immer ins Gedächtnis rufen, nicht abzuheben. Die Leute haben schon Millionen wie mich gesehen. Das hilft es mir, einen klaren Kopf zu behalten.

DAZN: Viele Boxer hatten eine große Karriere, werden aber heute leicht vergessen. Kann Ihnen das auch passieren?

Joshua: Das ist das Problem am Boxen. Man wird sehr leicht wieder vergessen. Man muss glücklich sein mit dem, was man erreicht hat. Wer Bewunderung erwartet, ist fehl am Platz. Auch wenn du Blut, Schweiß und Tränen in deine Karriere investiert hat, darfst du nichts zurückerwarten. Boxen ist ein gnadenloser Sport. Die Leute sehen sich immer nach dem nächsten Champion um.

DAZN: Oft sind es Vereinigungskämpfe, an die sich die Leute noch lange zurückerinnern.

Joshua: Das stimmt, aber Vereinigungskämpfe müssen den Erwartungen gerecht werden. Es ist die eine Sache, einen tollen Kampf zu haben, in dem es um keinen Titel geht. Die Leute genießen den Kampf für den Abend, aber die Woche danach ist alles schon wieder vergessen. Wenn es aber ein Vereinigungskampf und der Kampf auch noch gut ist - das sind die Nächte, an die man sich erinnert. Darum denke ich, der Kampf gegen Vladimir Klitschko war ein Segen. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, in die Geschichtsbücher des Boxsports einzugehen.

Anthony Joshua: Das sind seine Top 5 der besten Schwergewichts-Kämpfer

PlatzNameJoshuas Meinung
1.Jack Johnson"Trotz der ethnischen Schwierigkeiten zu seiner Zeit hat Jack Johnson im Schwergewicht dominiert. Er hat alle Grenzen und Hindernisse überwunden, darum ist er meine Nummer 1."
2.Sonny Liston"Für lange Zeit war er der meistgefürchtete Boxer. Man muss Liston losgelöst von Ali sehen und anerkennen, was er erreicht hat. Er war der Mann, der Mike Tysons Charakter und Aura geprägt hat."
3.Muhammad Ali"Er hat den Sport verändert. Ali hatte etwas zu erzählen und hat seine Plattform Boxen genutzt, um über alles, was in der Welt los war, zu reden."
4.Mike Tyson

"Ich sehe Mike Tyson als einen Comic-Buch-Kämpfer an. Er hat gemein ausgesehen, hat sogar gemein gesprochen. Mike Tyson wäre in einem Comic wohl so etwas wie der Superman-Boxer."

5.Evander Holyfield"Er hat das Schwergewicht dominiert und ist vor niemandem zurückgeschreckt. Mike Tyson, Lennox Lewis, Riddick Bowe - Holyfield hat gegen sie alle gekämpft."

DAZN: Sind Sie darauf versessen, unangefochtener Champion zu werden?

Joshua: Ich weiß, dass ich alle Gürtel bekommen werde. Darum würde ich nicht sage, dass ich versessen bin. Aber ich werde es auf meine Art machen. Wir arbeiten Tag und Nacht daran, unsere Marke aufzubauen und mehr Aufmerksamkeit für den Sport zu schaffen.

Anthony Joshua über seinen Kampf gegen Parker

DAZN: Die nächste Möglichkeit, einen Titel zu gewinnen, ist der Kampf gegen Joseph Parker. Wie schätzen Sie Ihren Gegner ein?

Joshua: Er ist ein fantastischer Champion. Er ist unheimlich schnell. Und er kombiniert seine Schläge gut. Darauf muss ich aufpassen: Oft ist es nicht der erste Schlag, sondern der zweite oder dritte, der gefährlich werden kann. Darum darf ich nach dem ersten Schlag auf keinen Fall abschalten und muss von Runde 1 bis 12 konzentriert bleiben. Parker weiß auch, wie er seine Gegner auf Distanz halten kann. Durch seine Herkunft hat er zudem einen gewissen Stolz. Er will der Welt beweisen, dass er ein Champion ist. Er wird auf jeden Fall bereit sein.

DAZN: Sie haben Parkers enorme Schnelligkeit angesprochen. Wie wollen Sie dagegen vorgehen?

Joshua: Antizipation. Man muss nur ein gutes Timing haben. Haben Sie schon einmal Akrobaten gesehen, die über ein schnell fahrendes Auto springen? Sie schätzen die Schnelligkeit richtig ab und springen zum richtigen Zeitpunkt. Oder wenn ein Zug auf dich zurollt: Du gehst zur Seite und der Zug fährt einfach weiter. Wenn man Schnelligkeit richtig einschätzt, bedeutet sie gar nichts. Wenn das Timing falsch ist, kann das verheerende Folgen haben. Im Kampf sind das Millimeter.

DAZN: Entscheiden diese Millimeter über Sieg oder Niederlage?

Joshua: Ja. Es ist ein Kampf des Geschicks, der Technik und der Intelligenz. Es geht nicht nur um Kraft.

Anthony Joshua über mögliche künftige Gegner

DAZN: Deontay Wilder fordert schon jetzt einen Kampf gegen Sie ein. Ist er Ihr nächster Gegner?

Joshua: Er muss realistisch sein. Mein Fokus liegt derzeit auf Joseph Parker. Wilder hat seinen Kampf gewonnen und muss sich derzeit auf niemanden konzentrieren. Wenn ich meinen Kampf beendet habe, können wir uns die Situation gemeinsam anschauen. Ich bin bereit, gegen Wilder zu kämpfen. Aber lasst mich jetzt erst einmal Parker aus dem Weg räumen. Dann können wir daran arbeiten, dass ich Champion aller Klassen bin und über Business reden. Ich bin selbstbewusst, ich glaube an mich. Wir sehen Wilder definitiv als einen möglichen Herausforderer an.

DAZN: Sind auch andere Herausforderer auf Ihrer Radar?

Joshua: Jeder in den Top Ten kommt infrage. Ich will sie alle schlagen.

DAZN: Befinden wir uns derzeit in einem goldenen Zeitalter des Boxens?

Joshua: Definitiv. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Kampf als Profi. Kein Mensch hat sich dafür interessiert. Die Boxer heutzutage haben Charakter und sind gebildet. Boxen ist heute Lifestyle mit der Message, gesund zu leben und diszipliniert zu sein. Dieses Image versuche ich zu vermitteln. Wilder und Fury geben den Leuten Entertainment. David Price, Wladimir Klitschko oder Chisora repräsentieren andere Facetten des Sports. Diese Vielfältigkeit hat uns geholfen, wieder eine goldene Ära des Boxens einzuleiten. Und nicht zuletzt natürlich die Medien, die unsere Geschichten den Massen zeigen. Das wissen wir zu schätzen.

DAZN: Können Sie auf Dauer der Dominator dieser goldenen Box-Ära sein?

Joshua: Wenn man einem ambitionierten Menschen die richtigen Mittel zur Verfügung stellt, kann er in jeder Umgebung aufblühen. Für meine ersten Profikämpfe haben wir an einem Swimmingpool trainiert. Von da aus haben wir die Welt erobert. Man braucht nicht viel, nur das richtige Herz. Ich sehe keinen Grund, warum ich nicht noch länger dominieren sollte.