Ebenfalls Thema des Gesprächs: AJ's Sieg gegen Wladimir Klitschko, sein Aufstieg zum Superstar und Vergleiche mit David Beckham.
Herr Joshua, wie sind Sie zum Boxen gekommen?
Anthony Joshua: Als ich ein Kind war, sind meine Eltern umgezogen. Für mich hieß das: raus aus meinem gewohnten Umfeld, weg von meinen vielen Freunden und rein in eine völlig neue Umgebung. Ich war es immer gewohnt, von vielen Menschen umgeben zu sein. Und plötzlich war ich wieder auf mich allein gestellt. Ich habe mich an meinen Cousin gehalten, bin viel mit ihm abgehangen. In der Zeit habe ich auch angefangen, Gewichte zu stemmen. Und ich wollte lernen zu kämpfen. Ich wollte eine dominante Person in meinem Bezirk werden. Ich war ein dürrer Bursche damals, mit 17 Jahren. Ich wollte also unbedingt breiter werden, massiver. Groß genug war ich ja schon. Also sind wir nach dem Basketballtraining ins Box-Gym.
Sie haben Basketball und auch Fußball gespielt zu dieser Zeit.
Joshua: Ja, aber das waren Mannschaftssportarten - und da habe ich eigentlich nie 100 Prozent Leistung gezeigt. Außerdem war Fußballspielen in den Sommermonaten cool, aber wenn dann die Winter kamen, wollte ich nie raus aus dem Auto. Beim Boxen war das anders: Es war ein Individualsport und genau das, was ich gebraucht habe. Ich konnte es in der Halle ausüben. Völlig egal, ob es heiß oder kalt war, die Sonne schien oder es mal wieder geregnet hat - ich hatte immer die besten Voraussetzungen, um mich nur auf mein Training zu konzentrieren.
Sie haben oft genug betont, dass das Boxen Ihr Leben gerettet hätte. Wie stehen Sie heute dazu?
Joshua: Ich habe jede Menge gelernt von diesen alten, sehr weisen Menschen. Früher habe ich jede Menge Gras geraucht und irgendwann bin ich an diesen großen, wunderschönen Häusern vorbeigefahren und dachte so zu mir: Wohnen da jetzt alte Typen drin, die morgens aufstehen und erstmal einen Joint rauchen? Wohl eher nicht. Sie haben sich gebildet, haben mir die Wichtigkeit von Bildung und Erziehung beigebracht. Und ich habe sehr viel von anderen Boxern gelernt, von Ali, von Joe Lewis. Das hat meine Einstellung schon sehr verändert und mir einen anderen Blick darauf verschafft, was die Welt so alles zu bieten hat. Das Leben habe ich über das Boxen gelernt.
AJ: "Als der Klitschko-Fight platzte, dachte ich: 'Gott sei Dank!'"
Haben Sie dieses Gefühl immer noch, wenn Sie heute in den Ring steigen?
Joshua: Als ich 2008 angefangen habe, war das Boxen praktisch tot. Es gab die schwere Finanzkrise, eine globale Rezession. Vier Jahre später, nach meinem Olympiasieg und als ich Profi wurde, gab es keine Investoren. Boxen war ihnen schlicht zu blutig, also steckten sie ihr Geld lieber in Golf oder Tennis. Also habe ich meine Geschichte nach außen getragen, die PR-Maschine angeworfen und hart gearbeitet. Ich musste meine Marke aufbauen. Und ich denke, wir haben das Boxen damit wiederbelebt. Sie wie das Boxen mich gerettet hat, habe ich das Boxen gerettet. So lange ich atme, hauche ich dem Schwergewichtsboxen Leben ein. Das Boxen und ich, wir waren gute Komplizen.
Der Kampf gegen Wladimir Klitschko vor 90.000 Fans im Wembley-Stadion ging in die Geschichte ein. Wie ist Ihre Erinnerung daran?
Joshua: Eigentlich ging das schon deutlich früher los. Schon nach meinem Sieg bei Olympia 2012, als ich Profi wurde, fragten mich die Leute: 'Wann kämpfst du endlich gegen Klitschko?' Es war aber noch die Zeit von Boxern wie Tyson Fury. Die waren schon Profis, als ich erst mit dem Boxen angefangen hatte. Die hatten vier, fünf Jahre Vorsprung. Trotzdem wollte ich mir diese Gelegenheit nicht nehmen lassen. Eigentlich sollten wir schon früher in Manchester gegeneinander antreten, Klitschkos Fußverletzung ließ den Kampf aber platzen. Ich war ziemlich froh darüber und dachte: 'Na Gott sei Dank!' Das wäre erst mein 18. Fight gewesen, nach vier Jahren im Business und dann gleich gegen Klitschko, einen der Größten aller Zeiten.
Joshua über den Kampf gegen Wladimir Klitschko
Kurze Zeit später war es dann aber doch so weit ...
Joshua: Das gehört irgendwie auch zu meiner Karriere: Es ging alles so schnell und manchmal habe ich wohl gar nicht erst verstanden, was das alles bedeutet. Mein Coach war überzeugt davon, dass ich das drauf habe - das hat mir schon gereicht. Ein gewisses Selbstvertrauen und dieses Feuer, um die Aufgabe anzugehen. Aber das war ein Riesending, es hat dem Schwergewichtsboxen neues Leben eingehaucht. Schon die Vorbereitung darauf war anders. Klitschko ist ein schlauer Typ, intelligent und gut erzogen. Wir sind durch die Länder getingelt, haben neue Fernsehsender an Land gezogen. Es verlief alles ruhig und gesittet und sehr respektvoll ab. Aber dann kam der Fight, dann war Schluss mit Nettigkeiten. Klitschko war immer auch eines meiner Idole, der Sieg über ihn ein Wendepunkt in meiner Karriere.
Wie war es für Sie, so schnell zu einem echten Star aufzusteigen?
Joshua: Der Klitschko-Kampf war die Spitze - aber auf dem Weg dorthin musste ich erst etliche andere Boxer hinter mir lassen. Viele dieser Kontrahenten, mit denen ich in meinen Anfangsjahren noch geboxt habe, mussten schlicht aufhören. Weil der Sport einfach so tough ist. Das hat den Weg geebnet für mich, der die Lücken dieser Jungs ausgefüllt hat. Der Schlüssel war die Konstanz. Ich bin nicht sehr speziell als Boxer, ich habe kein überbordendes Ego. Aber ich bin konstant geblieben über die Jahre.