Vor dem Rückkampf gegen Andy Ruiz (Sa., 21.15 Uhr live auf DAZN) sprach Anthony Joshua im Interview mit SPOX und DAZN über die Vorbereitung auf das Duell mit dem Destroyer und dessen Bedeutung. Außerdem erzählte der ehemalige Weltmeister im Schwergewicht über seine Anfänge im Boxen und erklärte, wie ihn "alte Typen" indirekt vom Kiffen abhielten.
Ebenfalls Thema des Gesprächs: AJ's Sieg gegen Wladimir Klitschko, sein Aufstieg zum Superstar und Vergleiche mit David Beckham.
Herr Joshua, wie sind Sie zum Boxen gekommen?
Anthony Joshua: Als ich ein Kind war, sind meine Eltern umgezogen. Für mich hieß das: raus aus meinem gewohnten Umfeld, weg von meinen vielen Freunden und rein in eine völlig neue Umgebung. Ich war es immer gewohnt, von vielen Menschen umgeben zu sein. Und plötzlich war ich wieder auf mich allein gestellt. Ich habe mich an meinen Cousin gehalten, bin viel mit ihm abgehangen. In der Zeit habe ich auch angefangen, Gewichte zu stemmen. Und ich wollte lernen zu kämpfen. Ich wollte eine dominante Person in meinem Bezirk werden. Ich war ein dürrer Bursche damals, mit 17 Jahren. Ich wollte also unbedingt breiter werden, massiver. Groß genug war ich ja schon. Also sind wir nach dem Basketballtraining ins Box-Gym.
Sie haben Basketball und auch Fußball gespielt zu dieser Zeit.
Joshua: Ja, aber das waren Mannschaftssportarten - und da habe ich eigentlich nie 100 Prozent Leistung gezeigt. Außerdem war Fußballspielen in den Sommermonaten cool, aber wenn dann die Winter kamen, wollte ich nie raus aus dem Auto. Beim Boxen war das anders: Es war ein Individualsport und genau das, was ich gebraucht habe. Ich konnte es in der Halle ausüben. Völlig egal, ob es heiß oder kalt war, die Sonne schien oder es mal wieder geregnet hat - ich hatte immer die besten Voraussetzungen, um mich nur auf mein Training zu konzentrieren.
Sie haben oft genug betont, dass das Boxen Ihr Leben gerettet hätte. Wie stehen Sie heute dazu?
Joshua: Ich habe jede Menge gelernt von diesen alten, sehr weisen Menschen. Früher habe ich jede Menge Gras geraucht und irgendwann bin ich an diesen großen, wunderschönen Häusern vorbeigefahren und dachte so zu mir: Wohnen da jetzt alte Typen drin, die morgens aufstehen und erstmal einen Joint rauchen? Wohl eher nicht. Sie haben sich gebildet, haben mir die Wichtigkeit von Bildung und Erziehung beigebracht. Und ich habe sehr viel von anderen Boxern gelernt, von Ali, von Joe Lewis. Das hat meine Einstellung schon sehr verändert und mir einen anderen Blick darauf verschafft, was die Welt so alles zu bieten hat. Das Leben habe ich über das Boxen gelernt.
AJ: "Als der Klitschko-Fight platzte, dachte ich: 'Gott sei Dank!'"
Haben Sie dieses Gefühl immer noch, wenn Sie heute in den Ring steigen?
Joshua: Als ich 2008 angefangen habe, war das Boxen praktisch tot. Es gab die schwere Finanzkrise, eine globale Rezession. Vier Jahre später, nach meinem Olympiasieg und als ich Profi wurde, gab es keine Investoren. Boxen war ihnen schlicht zu blutig, also steckten sie ihr Geld lieber in Golf oder Tennis. Also habe ich meine Geschichte nach außen getragen, die PR-Maschine angeworfen und hart gearbeitet. Ich musste meine Marke aufbauen. Und ich denke, wir haben das Boxen damit wiederbelebt. Sie wie das Boxen mich gerettet hat, habe ich das Boxen gerettet. So lange ich atme, hauche ich dem Schwergewichtsboxen Leben ein. Das Boxen und ich, wir waren gute Komplizen.
Der Kampf gegen Wladimir Klitschko vor 90.000 Fans im Wembley-Stadion ging in die Geschichte ein. Wie ist Ihre Erinnerung daran?
Joshua: Eigentlich ging das schon deutlich früher los. Schon nach meinem Sieg bei Olympia 2012, als ich Profi wurde, fragten mich die Leute: 'Wann kämpfst du endlich gegen Klitschko?' Es war aber noch die Zeit von Boxern wie Tyson Fury. Die waren schon Profis, als ich erst mit dem Boxen angefangen hatte. Die hatten vier, fünf Jahre Vorsprung. Trotzdem wollte ich mir diese Gelegenheit nicht nehmen lassen. Eigentlich sollten wir schon früher in Manchester gegeneinander antreten, Klitschkos Fußverletzung ließ den Kampf aber platzen. Ich war ziemlich froh darüber und dachte: 'Na Gott sei Dank!' Das wäre erst mein 18. Fight gewesen, nach vier Jahren im Business und dann gleich gegen Klitschko, einen der Größten aller Zeiten.
gettyJoshua über den Kampf gegen Wladimir Klitschko
Kurze Zeit später war es dann aber doch so weit ...
Joshua: Das gehört irgendwie auch zu meiner Karriere: Es ging alles so schnell und manchmal habe ich wohl gar nicht erst verstanden, was das alles bedeutet. Mein Coach war überzeugt davon, dass ich das drauf habe - das hat mir schon gereicht. Ein gewisses Selbstvertrauen und dieses Feuer, um die Aufgabe anzugehen. Aber das war ein Riesending, es hat dem Schwergewichtsboxen neues Leben eingehaucht. Schon die Vorbereitung darauf war anders. Klitschko ist ein schlauer Typ, intelligent und gut erzogen. Wir sind durch die Länder getingelt, haben neue Fernsehsender an Land gezogen. Es verlief alles ruhig und gesittet und sehr respektvoll ab. Aber dann kam der Fight, dann war Schluss mit Nettigkeiten. Klitschko war immer auch eines meiner Idole, der Sieg über ihn ein Wendepunkt in meiner Karriere.
Wie war es für Sie, so schnell zu einem echten Star aufzusteigen?
Joshua: Der Klitschko-Kampf war die Spitze - aber auf dem Weg dorthin musste ich erst etliche andere Boxer hinter mir lassen. Viele dieser Kontrahenten, mit denen ich in meinen Anfangsjahren noch geboxt habe, mussten schlicht aufhören. Weil der Sport einfach so tough ist. Das hat den Weg geebnet für mich, der die Lücken dieser Jungs ausgefüllt hat. Der Schlüssel war die Konstanz. Ich bin nicht sehr speziell als Boxer, ich habe kein überbordendes Ego. Aber ich bin konstant geblieben über die Jahre.
Sie sind sehr geschäftstüchtig und werden deshalb auch immer wieder mit David Beckham verglichen, der eine Art Vorreiter in der Selbstvermarktung war und ist. Mögen Sie den Vergleich?
Joshua: David Beckham ist eine Legende, die Mädels stehen auf ihn. Der Vergleich mit ihm schmeichelt meinem Ego schon sehr, das gebe ich zu. David ist eine Ikone, er wurde größer als sein Sport.
Wie stehen Sie zum Boxen als großes Geschäft?
Joshua: Mir war es immer wichtig, mit den richtigen Leuten zusammenzuarbeiten. Mit einem Familienbetrieb, denn eines ist klar: Wenn da dein Name davor steht, dann ist das das Wichtigste überhaupt. Es geht um Reputation. Ist dein Name einmal verbrannt, dann war es das. Diese ältere Generation von Boxpromotern hatte einen anderen Ansatz. Aber ich wollte nie jemandem gehören. Ich wollte nicht im Keller eines Typen sitzen und der sagt über mich: 'Jaja, Anthony Joshua gehört mir.' Ich wollte keine Ownership, sondern immer eine Partnership. Ich musste vieles erst einmal verstehen, ausprobieren und mir dann nach und nach die richtigen Leute zusammensuchen. Einige konnten den Schritt in den Profibereich nach meinem Olympiasieg nicht nachvollziehen. Ich sollte doch eher die Welle weiterreiten. Aber ich wollte keine Welle reiten - ich wollte und will meinen Stempel aufdrücken, ein Erbe hinterlassen.
Wie bereiten Sie sich nun auf den Fight gegen Andy Ruiz vor?
Joshua: Da müsste ich jetzt ja einige Geheimnisse verraten ... Ich sage es mal so: Ich bereite mich fleißig vor und ich vertraue meinen eigenen Instinkten.
Haben Sie sich denn eine andere Taktik überlegt?
Joshua: Ich hatte jetzt mehr Zeit als beim letzten Mal, als er ja nur für Jarrel Miller eingesprungen war, um ich auf den Kampf vorzubereiten. Ruiz ist kleiner als ich, er wird also immer wieder kurz rein- und dann wieder rausgehen. So ist das immer, wenn ein größerer gegen einen kleineren Boxer kämpft. Aber es wird nicht die Taktik sein, die den Kampf entscheidet. Es sind die kleinen Dinge, auf die es ankommt: Disziplin, Widerstandsfähigkeit.
gettyJoshua: "Seitdem muss ich mit diesen Dämonen leben"
Was bedeutet dieser Kampf für Sie?
Joshua: Wie sagt man so schön: 'Halte mich einmal zum Narren, dann schäm' dich. Halte mich ein zweites Mal zum Narren: Schande über mich!' Es ist mir einmal passiert - und es wird mir kein zweites Mal passieren.
Sie wirken in diesen Tagen vor dem Kampf sehr ernst.
Joshua: Die Leute sollten sich daran erinnern: Ich habe den ersten Kampf verloren, seitdem muss ich mit diesen Dämonen leben. Das ist nicht witzig. Ich weiß, warum ich verloren habe und dass ich es jetzt reparieren muss. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, es wird eine harte Prüfung für mich. Ich muss ihn niederschlagen.
Glauben Sie, dass ihr Gegner nach den großen Schlagzeilen, dem Rummel, dem plötzlichen Ruhm und dem vielen Geld nun nicht mehr ganz so fokussiert sein wird?
Joshua: Er hat sich das alles verdient, er hat Geschichte geschrieben. Dieselben Fragen wurden mir nach dem Klitschko-Fight gestellt. Ich wurde jedenfalls nicht abgelenkt vom Ruhm. Die Versuchung mag da sein, aber am Ende bringen einen andere Dinge nach oben und nicht die kurzzeitige Berühmtheit oder der flüchtige Erfolg. Beim Boxen ist das alles ein bisschen anders. Basketballer verlieren, dann gewinnen sie wieder. Im Tennis oder beim Fußball genauso, alles toll. Aber eine Niederlage beim Boxen steht für immer in den Geschichtsbüchern. Als Boxer solltest du dich also besser fern halten von allem, was dich irgendwie ablenken könnte. Ruiz ist ein guter Fighter, er tut dem Schwergewichtsboxen gut. Aber um ganz oben zu bleiben gilt: Genieße den Moment, aber lass diesen Moment nicht deine ganze Geschichte schreiben.
Wie ist es für Sie, wieder in Sheffield zu trainieren?
Joshua: Todlangweilig, als hätte jemand mit einem Messer meine Lebensader durchtrennt. Aber ich bin hier, um eine Energie und ein paar Vibes zu erzeugen. Darum geht es beim Boxen. Nicht einfach nur, sich fast zu Tode zu trainieren. Es geht um Rhythmus, Spirit, Instinkt, Skills. Das will ich von London mit nach Sheffield bringen.
Warum werden Sie nach dem Rückkampf wieder ganz oben sein?
Joshua: Weil ich an mich glaube, es ist wie die selbsterfüllende Prophezeiung. Ich war schon einmal dort und weiß deshalb, dass ich es erneut schaffen kann. Und wie schon gesagt: Ich werde dieselben Fehler nicht ein zweites Mal begehen. Ich habe auch früher schon Kämpfe verloren, daraus aber immer die richtigen Schlüsse gezogen.
gettyAnthony Joshua im Steckbrief
Geburtstag | 15. Oktober 1989 |
Geburtsort | Watford, England |
Körpergröße | 1,98 Meter |
Stil | Linksauslage |
Bilanz | 23 Kämpfe - 22 Siege - 21 K.o.-Siege, 1 Niederlage |