Außerdem gibt Schulz, der 1995 beinahe selbst den Sprung zum Schwergewichts-Weltmeister geschafft hätte, eine Prognose für den Rückkampf ab - und erklärt, warum ihn ein baldiges Karriereende Joshuas nicht überraschen würde.
Axel Schulz über ...
... den Ausgang des Kampfes: "Ich war total überrascht, auch wegen dem Gewichtsunterschied. Es waren zwar 'nur' acht Kilo, aber das ist im Boxen eine Welt. Dazu hatte Usyk zehn Zentimeter weniger Reichweite. Aber er hat genau die Schwachpunkte getroffen, die AJ gegen Ruiz gezeigt hat: Er hält nicht Stand, wenn er Gegendruck bekommt. Usyk hat es mit seiner Beweglichkeit super gemacht, immer wieder reinzuspringen und nachzusetzen. Hinten raus war es in der zwölften Runde ja noch richtig eng, Joshua wäre fast K.o. gegangen."
... Joshuas Schwächen: "Es war eine wahnsinnige Leistung, als er Klitschko ausgeknockt hat, vor allem als er nach dem Niederschlag wieder zurückkam. Aber dann hat man gegen Ruiz gesehen, dass er auch von seiner Physis her Schwachstellen hat: Bei Gegendruck knickt er ein. Wenn er erst einmal im Rückwärtsgang ist, kommt er da nicht mehr raus. Damals hat man die Blicke in seiner Ecke gesehen, als Joshua nach dem ersten und zweiten Niederschlag dachte: Ach du Scheiße, was mache ich hier überhaupt? Ich glaube, er hat sich damit überhaupt nicht beschäftigt, wie er mit einer solchen Situation umgehen wird, wenn der Kampf sich dreht. Da braucht er vielleicht jemanden. Er ist ein klasse Boxer, aber die Kleinigkeiten, die gegen einen gleichwertigen Boxer den entscheidenden Vorteil bringen, fehlen ihm. Gegen einen anderen Gegner sieht das wieder ganz anders aus, da wird er wieder glänzen."
... fehlende Konzentration bei Joshua: "Das hat man mir früher auch immer vorgeworfen, übertrieben gesagt 'wie ein Mädchen' zu boxen. Aber da steht auf der anderen Seite auch ein Boxer, der genauso trainiert und genauso gewinnen will. Beide haben bei den Olympischen Spielen 2012 eine Goldmedaille gewonnen, sie können also beide boxen. Auf Augenhöhe entscheiden Nuancen und Augenblicke, ein Kampf kann sich sehr schnell drehen. Das kann man als Außenstehender gar nicht nachvollziehen, diesen Kampf Mann gegen Mann."
... Joshuas entspannte Persönlichkeit als Nachteil: "Das ist weder Vorteil noch Nachteil, das ist seine Natur. Mir wurde auch nachgesagt, ein 'lustiger Boxer' zu sein. (lacht) Aber das ist egal, wie man privat ist. Ich habe ihn einmal in Berlin getroffen, da war er noch nicht so berühmt: ein toller Sportler. Durch den Klitschko-Sieg ist er weltweit in die Medien gerückt. Wenn er damals in der fünften Runde unten geblieben wäre, wäre es gar nicht so weit gekommen."
Schulz über Joshua: "Solche Niederlagen können dich zerstören"
... Usyks Stärken: "Die Klitschkos waren damals mit ihrer Körpergröße von fast zwei Metern ja eigentlich schon Superschwergewichtler. Jetzt ist es eine neue Generation: Usyk hat gezeigt, dass die boxerische Qualität doch siegt. Er hat wahnsinnig viel Erfahrung, nicht nur als Profi, sondern auch mit über 300 Kämpfen als Amateur. Er ist keine Eintagsfliege. Usyks Selbstbewusstsein ist der Wahnsinn: Aus dem Cruisergewicht zu kommen und den Weltmeister so schnell herauszufordern. Genauso ist er in den Kampf gegangen und hat gesagt: Ich kriege den!"
... einen möglichen Rückkampf: "Ich glaube, dass Joshua auch den Rückkampf verlieren wird. Usyk wird noch drei, vier Kilo draufpacken, noch kompakter werden und mit noch mehr Selbstbewusstsein in den Ring steigen. Vielleicht wird er durch mehr Muskelmasse aber auch ein bisschen langsamer."
... Joshuas Zukunft: "Man muss abwarten, wie lange er weitermacht. Solche Niederlagen, das kann einen schon zerstören. Als Wladimir Klitschko das erste Mal in Kiew gegen Ross Purity K.o. ging, oder später in der 2. Runde gegen Corrie Sanders, hat es ihn nach vorn gebracht: Er ist daran nicht kaputt gegangen, er hat härter trainiert als je zuvor. Das hat Wladimir stärker gemacht. Aber bei AJ kann ich mir auch vorstellen, dass er irgendwann sagt: Schluss, jetzt reicht es mir. Die Frage nach Tyson Fury stellt sich erst einmal nicht mehr. Man muss schauen, ob er überhaupt den Rückkampf annimmt."
... Usyks Zukunft: "Es gibt die Rückkampfklausel. Danach könnte er vor einem Kampf gegen Tyson Fury noch eine freiwillige Titelverteidigung einlegen, damit er wirklich im Schwergewicht angekommen ist. Gegen Deontay Wilder sähe es schon wieder ganz anders aus: Boxerisch ist er ihm durch die Rechtsauslage überlegen, von der Physis ist Wilder aber natürlich eine Kante. Außer er hat ein schweres Kostüm an, wenn er zum Ring geht. (lacht)"