Der geplatzte Mega-Fight zwischen Tyson Fury und Oleksandr Usyk wirft viele Fragen auf. Ein brisantes Interview sorgt für zusätzlichen Zündstoff. Geht es in Wahrheit nur um Anthony Joshua?
Der 29. April 2023 wäre ein historischer Tag für das Schwergewichtsboxen geworden. Tyson Fury und Oleksandr Usyk hätten beim Vereinigungskampf in der Londoner Wembley-Arena den ersten Undisputed Champion seit Lennox Lewis 1999 unter sich ausgemacht. Einen Weltmeister, der die Gürtel aller wichtigen Verbände trägt.
Doch daraus wird nun nichts. Der Mega-Fight, auf den die Fans seit langer Zeit warten, ist in der vergangenen Woche geplatzt. Es folgte eine regelrechte Hasstirade von Fury gegen Usyk.
"Usyk, du kleines Scheißhaus, du kleiner Haufen Scheiße, du glubschäugige hässliche Rattensau", ätzte der 34-jährige Engländer in einer Videobotschaft: "Du warst nie Manns genug, dich mit dem Gypsy King zu messen, du Feigling."
Fury macht also den 36-jährigen Ukrainer dafür verantwortlich, dass der Kampf nicht über die Bühne gehen wird. Diese Version darf nach den Vorkommnissen der vergangenen Tage zumindest bezweifelt werden. Doch der Reihe nach.
Fury vs. Usyk: Kampf in Saudi-Arabien im Gespräch
Fakt ist: An einem Aufeinandertreffen zwischen dem ungeschlagenen WBC-Champion Fury, der unter anderem 2015 Wladimir Klitschko bezwungen hatte, und dem ebenfalls ungeschlagenen Usyk, Titelträger der Verbände WBO, IBO, IBF und WBA, wurde seit geraumer Zeit gebastelt.
Erst war ein Kampf im Dezember 2022 in Saudi-Arabien im Gespräch, dann geisterten mögliche Termine im Februar 2023 in Abu Dhabi oder Katar durch die Medien. Auf Drängen der Fury-Seite einigte man sich schließlich auf den 29. April und London als Austragungsort.
Die finanziellen Rahmenbedingungen schienen anfangs kein Problem zu sein. Von einer brüderlichen Teilung war die Rede, jede Partei sollte 50 Prozent der Millionensumme kassieren, die durch das Spektakel generiert wird.
Fury hatte gar betont, es gehe ihm nicht ums Geld, sondern ausschließlich um einen Triumph für die Ewigkeit. Er würde auf eine Gage komplett verzichten, sollten im Gegenzug die Zuschauer freien Eintritt erhalten, hatte der "Gypsy King" vollmundig verkündet.
gettyFury zu Usyk: "Nimm es oder lass es"
Doch in den folgenden Wochen bewahrheitete sich der alte Spruch, wonach Boxen in erster Linie ein Geschäft und erst in zweiter Linie ein Sport ist: Die Fury-Seite wollte mehr Geld. Usyk, sein Promoter Alexander Krassyuk und Manager Egis Klimas boten an, dass der Sieger 60 Prozent einstreichen solle.
Fury antwortete darauf am 10. März mit einer seiner aufsehenerregenden Videobotschaften bei Instagram. "Usyk, du und dein Team sind nur 30 Prozent wert. Nimm es oder lass es", sagte der 2,06-Meter-Hüne aus Manchester und forderte damit eine 70:30-Aufteilung der Kampfbörse zu seinen Gunsten: "Ab heute werde ich für jeden Tag, den du vertrödelst, ein Prozent abziehen."
Usyk stimmte zähneknirschend zu: "Gieriger Bauch, ich nehme dein Angebot an. 70:30. Aber du versprichst, der Ukraine sofort nach dem Kampf eine Million Pfund zu spenden, und für jeden Tag Verzögerung wirst du ein Prozent deiner Einnahmen an das ukrainische Volk zahlen. Deal?"
Fury von Usyks Zusage erschrocken?
Fury reagierte auf diesen Vorschlag nicht mit einer konkreten Zusage. Der Linksausleger machte sich stattdessen über Usyk lustig und nannte Klimas und Krassyuk "die schlechtesten Manager der Geschichte".
Oder war Fury vielmehr darüber erschrocken, dass Usyk dazu bereit war, selbst diese eigentlich unverschämte Offerte anzunehmen? Wollte der Engländer den Kampf eigentlich zu keinem Zeitpunkt und bereitete sich deshalb erst gar nicht darauf vor? Nicht nur die nächste Forderung der Fury-Seite, keine Rückkampfklausel im Vertrag zu verankern, lässt diese Vermutung zu.
"Ich denke, sie sind gar nicht im Trainingslager - was heißt, dass sie sich dazu entschieden haben, nicht zu kämpfen", vermutete Usyk-Promoter Krassyuk gegenüber iD Boxing: "Selbst wenn wir ihm 90:10 geboten hätten, hätte er abgelehnt. Selbst wenn Usyk gar nichts bekommen würde, wäre das für Tyson immer noch nicht genug. Das ist der Punkt."
Brisantes Interview von Furys Trainer Steward
Zusätzliche Brisanz brachte nun ein Interview von Furys Trainer SugarHill Steward bei iFL TV in die Angelegenheit. Zuvor waren Aufnahmen veröffentlicht worden, die den US-Amerikaner mit dem Weltmeister beim Training zeigen und suggerieren sollten, Fury würde sich für den Fight gegen Usyk wappnen.
Doch Steward selbst spielte bei dieser Scharade nicht mit. "Es war der perfekte Zeitpunkt, um zu sagen, dass ich da bin und der Kampf deswegen stattfinden würde. Aber ich coache hier nicht Tyson, wir haben kein Pratzentraining gemacht. Wir haben nichts für Usyk trainiert", verriet er.
Er sei, betonte der Neffe der verstorbenen Trainerlegende Emanuel Steward, lediglich nach England geflogen, um Lawrence Okolie auf dessen Kampf am 25. März gegen David Light vorzubereiten: "Mein Flug zurück in die USA geht am 28. März, Sie können gerne bei der Airline nachfragen. Ich kam hier für Lawrence her."
Warum Steward dann überhaupt in Furys Gym war? "Okolies Kampf ist in Manchester, nicht weit von hier. Wir sind in Furys Gym gefahren, um Okolie weiter vorzubereiten", so der frühere Polizist.
gettyFury vs. Usyk: Alles nur ein riesiger Bluff?
Also war tatsächlich alles nur ein riesiger Bluff von Fury? Einiges deutet darauf hin, auch wenn sein Promoter Frank Warren die Sachlage anders darstellt. Der behauptete im Gespräch mit dem Portal Seconds Out, der Vereinigungskampf sei an Usyk gescheitert.
"Man kann es drehen und wenden, wie man möchte. Man kann mich und Tyson beschimpfen, aber sie sind ausgestiegen", meinte Warren und nannte Usyk einen "Heuchler".
Tommy Fury, Tysons Halbbruder, machte derweil etwas kryptische Andeutungen. "Im Boxsport gibt es eine Menge Politik, aber folgendes weiß ich aus erster Hand", betonte der 23-Jährige in der Sendung Soccer AM: "Der Grund, warum dieser Kampf nicht zustande kommt, ist nicht Tyson. Er will kämpfen."
Tyson Fury wartet womöglich nur auf Anthony Joshua
Die Personen hinter besagter Politik könnten derweil einen anderen Fight im Sinn haben, der noch mehr Geld verspricht. Die seit einiger Zeit kursierenden Gerüchte, Fury wolle lediglich das am 1. April stattfindende Duell zwischen dem Engländer Anthony Joshua und dem US-Amerikaner Jermaine Franklin abwarten, um dann gegen AJ in den Ring zu steigen, wurden nämlich von Eddie Hearn befeuert.
"Wenn sie keinen Deal hinbekommen, setze ich mich mit Frank Warren zusammen und wir machen Fury gegen Joshua perfekt. Die Voraussetzung ist natürlich ein Sieg von Joshua gegen Franklin", sagte AJs Promoter der englischen Zeitung Daily Mail und ergänzte vielsagend: "Wir haben alle Bedingungen geklärt und finanziell ist der Kampf Joshua gegen Fury etwa doppelt so groß wie Fury gegen Usyk."
Fury habe keine Angst vor einem Duell mit Usyk, so Hearn: "Aber er ist trotz allem ein kluger Kerl. Er weiß, wie schwierig es gegen Usyk wäre. Ich glaube, Fury hat niemals damit gerechnet, dass Usyk die fast schon erpresserische 70:30-Börsenaufteilung akzeptieren würde. Also nennen Sie es clever, nennen Sie es einen doppelten Bluff, wie auch immer."
Es wäre der erste Kampf zwischen Fury und Joshua, eindeutig aber nicht der zwischen den aktuell besten Schwergewichtlern - schließlich unterlag AJ zuletzt zweimal in Folge gegen Usyk. Aber es wäre wohl das beste Geschäft ...
Tyson Fury vs. Oleksandr Usyk: Die Weltmeister im Vergleich
Tyson Fury | Oleksandr Usyk | |
Alter | 34 | 36 |
Nationalität | Großbritannien | Ukraine |
Größe | 206cm | 191cm |
Spannweite | 216cm | 198cm |
Kampfstatistik | 33-0-1 | 20-0-0 |
KOs | 70,59% | 65% |
Titel | WBC | IBF, WBO, WBA |