SPOX: Michael, zum ersten Mal sind Sie als Titelverteidiger der Gejagte bei der WM im Ally Pally. Ändert das etwas an Ihrer Herangehensweise?
Michael van Gerwen: Mir wurde häufig erzählt, dass der erste Titel der schwerste ist. Aber ganz ehrlich: Auch jetzt darf ich mir keinen Fehler erlauben, ansonsten ist die WM für mich als Champion ganz schnell vorbei. Deswegen versuche ich, mich nicht zu sehr ablenken zu lassen und mich einfach auf mein Spiel zu konzentrieren.
SPOX: Wie hat sich Ihr Leben seit dem Titelgewinn im letzten Jahr verändert?
Van Gerwen: Schon seit dem ersten WM-Finale gegen Phil Taylor 2013 bin ich in der Darts-Welt ein gefragter Mann, es war also keine ganz neue Situation für mich. Das hat mir sicherlich geholfen. Außerdem ist es ja nicht so, dass ich nicht mehr unerkannt das Haus verlassen kann. Und selbst wenn Leute auf mich zukommen und ein Bild wollen, empfinde ich das eher als Anerkennung. Das ist für mich keine Schattenseite des Ruhms, sondern gehört dazu.
SPOX: Sie können also noch ganz normal zum Bäcker gehen?
Van Gerwen: Ja, keine Sorge, ich bekomme immer noch Semmeln statt Pfeile an der Theke (lacht).
SPOX: Jeder spricht bei der anstehenden WM über das große Duell zwischen Phil Taylor und Ihnen. Fühlen Sie sich bereits als legitimer Nachfolger von The Power?
Van Gerwen: Das sollen andere Leute beurteilen. Nur eine Sache will ich betonen: Phil ist mit Abstand der beste Darts-Spieler aller Zeiten, da darf es keine zwei Meinungen geben. Er hat für uns alle den Weg geebnet, ohne einen Phil Taylor würde es einen Michael van Gerwen vielleicht nicht geben. Er hat vieles in seinem Leben geopfert, um den Sport populärer zu machen.
SPOX: Aber es gibt eine gewisse Rivalität zwischen Ihnen?
Van Gerwen: Klar, wir sind beide Winner-Typen, die immer alles geben. Ich hasse es zu verlieren, bei ihm ist es ähnlich. Wenn Sie mich also fragen, wer momentan der beste Spieler ist, gibt es für mich auch nur eine Antwort: ich natürlich. Aber seinen Status werde ich trotzdem wahrscheinlich nie erreichen. Ich muss immer schmunzeln, wenn mich Leute fragen, ob ich jemals seine Rekorde brechen werde. Das ist einfach unrealistisch.
Favoritencheck: Walking in a Taylor Wonderland?
SPOX: Ist es heutzutage schwerer, Weltmeister zu werden?
Van Gerwen: Die Leistungsdichte, gerade in der Weltspitze, ist immens, das kann man nicht mehr mit den 90er Jahren vergleichen. Das ändert aber nichts an Phils Legende. Es wäre vermessen, 16 oder gar 17 WM-Titel als Karriereziel auszugeben. Dafür spiele ich kein Darts. Geld und die ganzen Rekorde sind nette Nebeneffekte, aber ich liebe meinen Sport, das steht an erster Stelle.
SPOX: Zumindest das Karriereziel 17 perfekte Darts können Sie schon abhaken. Im WM-Halbfinale 2013 gelangen Ihnen fast zwei Nine-Darter hintereinander. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Van Gerwen: Man denkt gar nicht großartig darüber nach, was gerade passiert. Man hört irgendwo die Fans jubeln, aber ansonsten ist man im Tunnel. Ich, das Oche und das Darts-Board. Das Adrenalin ist am Anschlag, mehr geht nicht. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich die Bilder sehe. Wobei man eines nicht vergessen darf: Ich habe damals den Satz gegen James Wade verloren. Ein Nine-Darter bringt da relativ wenig. Das hört sich blöd an, ich weiß, aber nüchtern betrachtet ist es nun mal so.
SPOX: Diese Nüchternheit passt ziemlich gut zu dem Privatmenschen Michael van Gerwen, der als ruhig und zurückhaltend gilt. Die Zuschauer bekommen auf der Bühne dagegen den Vulkan Mighty Mike zu sehen. Können Sie sich diese zwei verschiedenen Persönlichkeiten erklären?
Van Gerwen: Naja, es würde komisch aussehen, wenn ich mir einen Kaffee einschenke und dann die Fäuste ballen oder einen roten Kopf bekommen würde (lacht). Aber es stimmt, ich lasse es privat eher entspannt angehen. Man muss auch abschalten können, sonst wird man verrückt. Sobald ich aber die Pfeile in der Hand nehme, erwacht etwas in mir.
SPOX: Das klingt wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde?
Van Gerwen: Zum Monster werde ich nicht, aber es ergibt keinen Sinn, die Emotionen zu unterdrücken. Die müssen raus, das wirkt nach außen vielleicht ein wenig bedrohlich, aber es pusht mich ungemein. Vielleicht sieht man daran, wie viel mir der Sport bedeutet.
SPOX: Ein englischer Journalist bezeichnete Ihren extrovertierten Jubel einmal als Bulldogge, die eine Wespe küsst.
Van Gerwen: Das ist kein schlechter Vergleich. Die kurzen, energischen Kopfstöße könnte man so deuten. Aber das hat auch mit meinem ersten Spitznamen zu tun, ich war lange als The Bulldog bekannt, bevor Mighty Mike die Runde machte.
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