Schenkt ihm einen Taschenrechner!

Adrian FinkBen Barthmann
04. Januar 201614:53
SPOXgetty
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Nach 15 Tagen Darts-WM ist der Ally-Pally-Wahnsinn auch schon wieder vorbei. SPOX wirft einen Blick zurück auf das Geschehen. Mit dabei: Der Back-to-Back-Weltmeister, der Sensations-Rekord, germanische Pfeilejongleure, eine Schlaftablette und verlassene Darts-Fans.

10. Mach ma' hinne! Bevor wir - ganz im Sinne des Ally Pally - nur noch am feiern sind, erst einmal das Negative vorweg. Die Darts-WM ist vorbei. Schade, war aber irgendwann eben auch fällig. Wir haben gefeiert, aufgeschrien, bei acht perfekten Darts stand die halbe Redaktion und hatte bereits die Hände auf dem Hinterkopf liegen.

Nur bei einem haben wir irgendwie gelitten. Sorry lieber Mensur, aber Darts ist Sport, der übers Tempo kommt. Ganz ehrlich. Einschlafen wollen wir nicht, wenn jemand an die Scheibe tritt. Darts - das ist Extremsport! Da kann man sein Gegenüber mit tiefem Einatmen und Ausatmen und Einatmen und Ausatmen und Einatmen und Ausatmen nicht aus der Konzentration bringen.

Wir stehen am Oche und sind nicht beim Geburtsvorbereitungskurs. Atmen ist für Anfänger. Schmeiß doch die Dinger rauf. Ok. Einatmen. Ausatmen. So schlimm war es nämlich nicht. Aber der gute Österreicher ist dann doch eben etwas langsam im Vergleich zum Rest.

Da geloben wir uns einfach Spieler, die das Ganze fix angehen. Jamie Caven gegen Ricky Evans etwa. Ganze 23 Minuten brauchte Jabba für seinen 4:0-Sieg in der ersten Runde. Noch mehr Respekt verdient er sich by the way, wenn man seine Geschichte kennt.

9. Nine-Fucking-Darter: Der Flying Scotsman schickt seinen Pfeil luftig locker aus dem Handgelenk auf die Reise. Abwarten. Die Anspannung im Ally Pally ist kaum auszuhalten. Dann die Erlösung. Er steckt in der Doppel 12. Endlich! Die Zuschauer vor Ort drehen völlig am Rand und kippen sich standesgemäß noch den ein oder anderen Pitcher in die Rübe.

Darts-Fans aller Verkleidungen würden Gary Anderson in diesem Moment am Liebsten um den Hals fallen und ihm für das lang ersehnte perfekte Spiel danken. Und womit? Mit Recht. Überhaupt hätte es keinen besseren Zeitpunkt für das Spektakel geben können. Nicht, weil sich Anderson dadurch den ersten Durchgang auf die Rechnung schreiben durfte und das wohl langweiligste WM-Halbfinale der Darts-Geschichte locker ins Ziel schipperte - dieses Match hätte der Schotte wohl auch nach dem Genuss edelsten Whiskeys spielend leicht gewonnen.

Vielmehr schließt sich ein künstlich herbei argumentierter Kreis: Anderson warf den klassischsten aller Neun-Darter - begonnen mit einer schönen onehundredandeighty, gefolgt von einer nicht weniger hübschen onehundredandeighty, garniert mit einem soliden 141er Finish über die besagte Doppel-12 - auf den Tag genau sieben Jahre nach dem allerersten bei einer PDC-WM. Und wer war das nochmal?

8. Der (fast) unschlagbare Barney: Riiiiiiiichtig, es war kein Geringerer als The Man! Cooler Typ, dieser Niederländer. Das bewies Barney dieses Jahr aufs Neue. Zurück gegen Bunting? Who cares. Zurück gegen Mighty Mike? Juckt doch einen van Barneveld nicht. Aussichtslos zurück gegen den heiß gelaufenen Bully Boy? Aussichtslos? Fehler der Redaktion.

Aufgeben wird für Barney einfach nie eine erstzunehmende Option darstellen. In beeindruckender Manier ließ sich Barney nicht aus seiner stoischen Ruhe bekommen und fightete seine Gegner mit unfassbar geilen Comebacks regelrecht in Grund und Boden. Besonders vom Achtelfinal-Wahnsinn gegen den Topfavoriten wird der frisch gebackene Opa noch öfters vorm van barneveldschen Kamin erzählen.

Erst im Halbfinale blies er zu spät zur Aufholjagd. Da war die Hypothek von 0:5-Rückstand gegen den Jackpot selbst für Raymond "The Comeback" van Barneveld eine Nummer zu groß. Trotzdem durfte sich Barney völlig zurecht für seine sensationellen Auftritte von der Barney-Army und seinem Edel-Ultra Huntelaar gebührend abfeiern lassen.

7. Onehundredandeightyyyy: Abfeiern. Das ist der Hauptauftrag für die Fans bei der Darts-WM. Aber auch die betüdelsten Batmans, Schlümpfe und Troopers sind beim Zelebrieren des Geschehens auf die Unterstützung der Bühnen-Akteure angewiesen. Und Anderson und Co. ließen ihre Anhänger nicht im Regen stehen: Insgesamt schmetterten die Pfeile-Experten 654 Maximums (Obacht: Nicht[!] Maxima, da aus dem Englischen abgeleitet) auf das Board - der Rekord aus dem letzten Jahr (625) wurde mal eben pulverisiert.

Einen Bärenanteil steuerte Adrian Lewis bei, dem seine gefühlt 783 onehundredandeightyyyyyyys (der geneigte Leser möge sein Schild in die Höhe reißen) aber dennoch nicht zum Titel reichten. Der 180er-Wahnsinn - 9.21 pro Match für alle Kleinpfeilwurfstatistiknerds - ging sogar soweit, dass sich Dirk van Duijvenbode gar nicht mehr im Griff hatte und einfach nur wild aus allen Rohren feuerte. Dirk van wer? Der Mann muss jedem Darts-Fan ein Begriff sein. Warum? Nunja, nicht unbedingt, weil er besonders präzise mit Pfeilen auf ein Board werfen kann (55 der Welt), dafür aber als Adam Riese des Darts mit sensationellen Rechenkünsten glänzt. Als er in der ersten Runde gegen Barney noch 180 auf der Uhr hatte, ließ er sich nicht zweimal bitten und löschte kurzerhand das Maximum-Finish. Oh wait... Immerhin: Beim Walk on hinterlässt der Niederländer einen besseren Eindruck. Beweis gefällig?

6. Das germanische Abschneiden: Aber nicht nur bei van Dujvenbode war der Wurm drin. Auch die germanischen Pfeilejongleure warfen reihenweise Backsteine an die Wand und gingen allesamt in der ersten Runde baden. Selbst die deutsche Nachwuchshoffnung Max Hopp musste sich eingestehen, dass er (noch) kein ganzer van Barneveld ist.

Zwar ließ er seinen Gegner in bester Barney-Manier erstmal davon galoppieren, doch der 19-Jährige holte zu spät das Lasso raus und so blieb es bei der halben Barney-Imitation. Immerhin einen Quali-Sieg konnten die deutschen Fans bejubeln: Rene Eidams war zwar gegen Thanawat Geweenuntawong offenbar mehr mit der Aussprache des thailändischen Namens als mit seinem Spiel beschäftigt, für einen Erfolg der Kategorie mühevoller Arbeitssieg reichte es dennoch.

Mehr Glanz versprühte Eidams in der Hauptrunde, als er es Hopp gleich tat und im Barney-Syle auftrat. Erstmal chillen, den Gegner machen lassen und wenn der sich dann in Sicherheit wähnt, selbst die Darts in die Hand nehmen. Blöd nur, wenn der Gegner einen feuerroten Kopf bekommt und Michael van Gerwen heißt...

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5. Power- und machtlos? Wo wir gerade schon bei hochroten Köpfen sind, bleiben wir gleich bei Mighty Mike und den Favoritenstürzen dieser Weltmeisterschaft. Phil Taylor zeigte sich gegen Jelle Klaasen verunsichert, unruhig und nicht annähernd so cool, wie wir ihn eigentlich kennen.

Während sich das Aus von The Power aber über das gesamte Jahr 2015 irgendwie andeutete und der 55-Jährige schon selbst betonte, sich nach Scheidung und dem Tod seiner Mutter nicht in bester Verfassung zu befinden, war die Niederlage von Michael van Gerwen doch ein ordentlicher Schocker. Zwar war Barney nun nicht der kleinste Stolperstein, aber wer in der Runde davor noch beinahe den WM-Average-Rekord mit 109,71 pulverisiert, darf doch nicht im Achtelfinale ausscheiden.

Auf der anderen Seite ist das K.o.-System eben ein K.o.-System. Im Darts gibt es kein weichgespültes Hin- und Rückspiel, da heißt es eben do or die. Da kann auch ein eigentlich richtig gut aufgelegter Peter Wright mal eben 2:5 von Adrian Lewis aus dem Weg gebügelt werden oder eben ein Mighty Mike mit 3:4 an van Barneveld scheitern. Wie bereits erwähnt: Darts ist Extremsport. Aus. Dabei bleiben wir.

4. Ohne Holland fahr'n wir zur EM! Gebührender Respekt gehört ebenso den Leuten, die die Darts-WM Jahr für Jahr nicht nur sehenswert, sondern ganz besonders auch hörenswert machen. Rund 3000 Leute passen rein in den coolsten Teil des Alexandra Palace und rund 3000 Leute geben, völlig egal ob Nachmittags- oder Abendsession - alles.

Das geht vom Klassiker "Boring, boring tables" über "Stand up if you love the darts" bis hin zum "Phil Taylor Wonderland" und diversen Interpretationen des letztgenannten. Dieses Jahr wurde aber so deutsch wie selten zuvor gesungen. "Oh wie ist das schön", wenn man die erstaunlich vielen Schland-Touristen grölen hört.

Das Endgeile an der ganzen Sache: Abgesehen vom Maximiser, der allerdings das Maximisen einmal mehr anderen überließ, stehen nur ganz wenige andere Deutsche auf der Bühne und das ohnehin nicht lange. Wir Deutschen fahren da hin und tun das weder, um von Einheimischen vor dem Big Ben gestellte Familienfotos machen zu lassen, noch um uns in nicht aufzuhaltender Manier in Gruppen zusammenzurotten: "Sind se auch Deutscher?"

Wir fahren da hin, machen uns internationale Freunde und bringen sogar noch unser eigenes Liedgut mit. So kennt man uns Deutsche eigentlich gar nicht.

Da werden es uns Michael van Gerwen, Vincent van der Voort und Co. dann hoffentlich auch verzeihen, dass gelegentlich - gut, eher alle paar Minuten, wir sind schließlich schadenfroh - durch das Ally Pally hallte: "Ohne Holland fahr'n wir zur EM!"

3. Die jungen Wilden kommen! Wo wir gerade übrigens bei Vincent van der Voort waren, bleiben wir gleich mal bei den alteingesessenen Spielern der Tour. Ganz getreu dem Motto "Es gibt keine Kleinen mehr" ist auch der Dartsport in den letzten Jahren mehr und mehr zusammengerückt.

Während van der Voort noch das Vergnügen hatte, erst in der 3. Runde an Weltmeister Gary Anderson zu scheitern, war das vielen seiner Art nicht vergönnt. Robert Thornton (6), Ian White (9), Simon Whitlock (10), Brendan Dolan (18) und Justin Pipe (20) waren als Top-20-Spieler der Order of Merit schneller draußen, als sie High-Finish schreien können.

Dann wäre da natürlich noch Jelle Klaasen, der Phil Taylor stürzte und somit einen Schlussstrich unter das schwache Jahr von The Power zog. Oder Michael Smith, gerade 25 Jahre alt, der als Nummer acht der Welt dem einen oder anderen Konkurrenten eine Geschichte mehr für die Enkelkinder am heimischen Kamin verschaffte.

Allerdings: In der ersten Runde war sogar Smith mal der ältere Spieler. Gegen Jeffrey De Zwaan musste er über das Sudden-Death-Leg gehen. Schade eigentlich, denn vom 19-jährigen Niederländer hätten wir gerne mehr gesehen. Gleiches gilt übrigens für den ebenfalls erst 19-jährigen Hopp. Nächstes Jahr dann. Oder Übernächstes. Die Zeit ist eben nicht knapp.

2. Verlassen, einsam - Darts-Fan? Viel Zeit hat dagegen wohl der gemeine Zuschauer nicht mehr. Nicht, dass die Zielgruppe so alt wäre, das wollen wir hier gar nicht erst andeuten. Den größten Marktanteil hat Darts bei den 19 bis 49-Jährigen, aber darum geht es uns gar nicht. Die Zeit bei der Partnerinnensuche scheint allerdings knapp zu werden.

Anders können wir uns die geschaltete Werbung in Zeiten der Zielgruppenoptimierung gar nicht erklären. Egal ob eDarling, Elitepartner oder Parship, der übertragende Sender zeigte mehr als deutlich, wie er den Darts-Fan so einschätzt. Allerdings steht er damit bei weitem nicht alleine da. Wer die einschlägigen Darts-Seiten im Internet besucht, stellt fest: Wir Darts-Fans sind dick, einsam, verlassen und sozial absolut unfähig.

Da wäre Werbung für das beste Abnehmprogramm, noch mehr Dating-Seiten, Verwaltung für das nächste IT-Projekt, die besten - natürlich süchtig machenden - Online-Spiele und mehr als einen Lieferservice. Lieferservice asiatisch darf hierbei auf einer Seite sogar mehrdeutig gesehen werden.

Das aber nur am Rande. Denn mal ehrlich. Die Werbung haben wir ohnehin alle ausgemacht. Wir mussten uns schließlich in den Unterbrechungen um die Essensbestellung kümmern und haben mindestens drei Minuten von Fernseher zu Wohnungstür gebraucht.

1. Gary, Gary Anderson: Ein Mathe-Professor wird er wohl nicht mehr der gute alte Gary. Muss er aber auch nicht. Pfeile werfen kann er nämlich ganz ordentlich - zum Glück. Bis zum Finale gönnte der jetzt zweimalige Weltmeister seinen Kontrahenten nur zwei Satz-Gewinne. Respekt hierfür.

Kein Wunder, dass er seinen Schwierigkeitsgrad erhöhte und sich im Halbfinale absichtlich verrechnete. Trotzdem bügelte er Jelle Klaasen mit 6:0 nieder. Was macht ein wahrer Champion in solch einer langweiligen Situation? Klar, den Schwierigkeitsgrad abermals erhöhen.

Im Finale checkte der Schotte dementsprechend erst das Madhouse als die Doppel-Sechs von Nöten gewesen wäre und überwarf sich später kurzerhand bei 86 Punkten Rest. Shit happens. Immerhin wurde Andersons lauter Hilferuf nach ernsthafter Gegenwehr endlich erhört: Fünf Sätze schnappte sich der Jackpot.

Jetzt aber nicht übertreiben! The Flying Scotsman nahm die Zügel wieder enger in die Hand und putzte Lewis mit seinem zweiten Championshipdart von der Bühne. Da wird er es verkraften, dass es mit der akademischen Laufbahn so schnell nicht klappen wird. Sowieso: Der Typ ist viel zu sympathisch, um sich an einer Uni zu verschwenden.

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