Gary Anderson stand zuletzt dreimal in Folge im Finale der Darts-WM - und zählt deswegen auch in diesem Jahr zu den Mitfavoriten auf den Titel im Ally Pally (Ab Donnerstag live auf DAZN). Im Interview spricht der Schotte über Abstand vom Darts im Privatleben, seine Verantwortung gegenüber jungen Spielern und seine Gedanken zum Karriereende von Phil Taylor.
SPOX: Herr Anderson, Ihre Frau Rachel hat im Oktober Ihre Tochter Cheylea zur Welt gebracht. Wie geht es der Familie?
Gary Anderson: Es geht uns allen gut. Mein Sohn Tai ist sehr stolz darauf, eine kleine Schwester zu haben. Wir haben drei Jungs, deswegen war es schön, dass wir ein kleines Mädchen bekommen haben. Natürlich bekommen wir weniger Schlaf in der Nacht, es ist viel Arbeit, aber es fühlt sich sehr gut an.
SPOX: Wie beeinflusst es Ihren Trainingsablauf, wieder ein kleines Baby zu haben?
Anderson: Kein Schlaf, kein Training. (lacht) Ich habe im Herbst über zwei Monate hinweg tatsächlich ziemlich wenig Zeit gehabt, um zu trainieren. Ich habe mich um sehr viele Dinge zu Hause gekümmert und Vorbereitungen für das Baby getroffen. In dieser Zeit habe ich Darts ein bisschen zur Seite geschoben. Aber uns geht es gut. Deswegen hatte ich zuletzt auch wieder die Möglichkeit, mich auf die WM vorzubereiten.
SPOX: Sie sind ohnehin dafür bekannt, nicht unbedingt der trainingsfleißigste Spieler auf der Tour zu sein...
Anderson: Das stimmt.
SPOX: Wie schaffen Sie es trotzdem, Ihr Niveau seit Jahren so hoch zu halten und mit den Besten mitzuhalten?
Anderson: Ich war nie jemand, der gerne und viel trainiert hat. Ich habe das Glück, ein großes Talent und einen natürlichen, guten Wurf zu haben. Aber es geht auch nicht ganz ohne Training. Deswegen habe ich in den letzten Wochen auch wieder ein Dartboard aufgehängt, um für das Turnier in die bestmögliche Form zu kommen. Doch ich habe die Zeit definitiv genossen, in der ich nicht so getrieben war.
SPOX: Was genießen Sie daran am meisten?
Anderson: Ich liebe es einfach, zu Hause bei meiner Familie zu sein. Das ist mein größtes Hobby. Die Kinder zu sehen und Zeit mit ihnen zu verbringen. Du bist so viel unterwegs. Als ich Weltmeister war, war ich innerhalb von drei Jahren nur 97 Tage zu Hause. Das müssen Sie sich einmal vorstellen.
spoxSPOX: Sie haben im Oktober bei den German Darts Masters in Düsseldorf gegen Max Hopp gespielt. Er ist seit Jahren eine der größten Darts-Hoffnungen in Deutschland. Wie sehen Sie seine Entwicklung?
Anderson: Er ist noch sehr jung, aber ich habe einen guten Eindruck von ihm. Er ist ein netter Junge, er redet mit den Leuten, ist nicht arrogant. Er muss aber noch viel dazulernen. In den nächsten Jahren wird sehr viel Druck auf seinen Schultern lasten. Doch es dauert ein bisschen, bis du ein richtig guter Dartsspieler wirst. Je älter er wird, je weiser er wird, je selbstbewusster er wird, desto besser und konstanter wird er werden. Ich halte ihn für ein großes Talent.
SPOX: Sehen Sie sich und die anderen erfahrenen Spieler in der Verantwortung, den jungen Spielern etwas mit auf den Weg zu geben?
Anderson: Ich bin davon überzeugt, dass es am besten und am nachhaltigsten ist, wenn jeder seinen eigenen Weg findet. Sie können aus jedem Sieg und jeder Niederlage etwas lernen, wenn sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Auch wir älteren Spieler sind immer noch in diesem Prozess. Ich lerne auch nach über 20 Jahren in jedem Match noch etwas Neues. Jeder Gegner ist anders und bringt dich in irgendeiner Weise weiter. Diese Erfahrungen helfen jedem, den Jungen und den Älteren.
SPOX: Sie haben in diesem Jahr neben drei Pro-Tour-Events zwei Turniere auf der World Series (in Dubai und Perth) gewonnen. Schon in der letzten Saison haben Sie auf der World Series sehr starke Leistungen gezeigt. Was ist für Sie der Reiz dieser Turnierserie?
Anderson: Die besten Spieler der Welt sind dabei und es ist mit langen, anstrengenden Reisen verbunden. Aber sie lohnen sich auch, denn man sieht Städte wie Dubai oder Shanghai, man reist nach Neuseeland oder Australien. Wir haben das Glück, an all diese Orte reisen zu dürfen, um Darts zu spielen. Das ist schon etwas Besonderes. Ich sehe es so: Ich habe den richtigen Strohhalm gezogen.
SPOX: Aber sehen Sie auch wirklich etwas von diesen Städten und Ländern oder beschränkt es sich unter dem Strich nicht doch hauptsächlich auf Hotels und Taxis?
Anderson: Tatsächlich sind es hauptsächlich Hotels und Dartboards, das ist klar. Wir haben allerdings auch immer einen freien Tag und dann versuche ich, das Beste herauszuholen. Aber Sie haben schon Recht, dass es wenig ist. Leute sagen zu einem: "Großartig, du bereist Australien." Ja, das stimmt, aber wir sehen es für einen Tag und dann kümmern wir uns um die Presse, Fototermine, Training, dann geht das Turnier los, ist auch schon wieder vorbei und wir müssen an den nächsten Ort reisen.
SPOX: Unter anderem hat die World Series in diesem Jahr auch in Düsseldorf und damit erstmals in Deutschland Halt gemacht.
Anderson: Darts wächst und wächst in ganz Europa. Es ist kein Vergleich mehr zu den Jahren, als wir angefangen haben. Im nächsten Jahr finden 13 European Tour Events auf dem ganzen Kontinent statt. Das zeigt das enorme Wachstum unserer Sportart. Und Deutschland ist dafür ein wichtiger Motor. Die Leute lieben Darts, die Begeisterung geht durch die Decke. Das hilft der Popularität des Sports für das Land und bringt die Youngsters an die Boards. Deutschland hat eine goldene Zukunft im Darts.
SPOX: Bei den World Series Finals in Glasgow sind Sie in diesem Jahr bis ins Finale gekommen, haben dort gegen Michael van Gerwen verloren. Dennoch hat man das Gefühl, dass Sie in Schottland besonders gute Leistungen zeigen...
Anderson: Oh ja, das ist auch so. Es ist immer wunderbar, nach Schottland zurückzukommen. Wir haben nicht so viele TV-Turniere, deswegen genieße ich die wenigen Abende in meinem Heimatland umso mehr. Auch die Premiere-League-Nächte in Glasgow und Aberdeen sind fantastisch. Der Support, den ich dort bekomme, ist etwas ganz Besonderes.
SPOX: Sie haben in dieser Saison Ihre Teilnahme am World Grand Prix in Dublin wegen der Geburt Ihrer Tochter abgesagt. Bei dem Turnier war kein einziger Engländer im Halbfinale. Sehen Sie das als Folge der Entwicklung, dass Darts in Europa und in der ganzen Welt populärer wird?
Anderson: Ich habe das Turnier ehrlich gesagt nicht verfolgt. Ich habe nur mitbekommen, dass Daryl Gurney es gewonnen hat. Ich schaue nie Darts, wenn ich zu Hause bin. Dort bin ich Privatmensch. Und in dem Fall hatte ich sowieso Besseres zu tun. (grinst) Es war schon ein ungewöhnlicher Turnierverlauf. Michael van Gerwen hat gegen John Henderson verloren und auch ein paar andere große Namen waren sehr früh ausgeschieden. Es ist ein wirklich schwieriges Turnier, denn niemand spielt regelmäßig im Double-Start-Modus. Und wenn dann auch noch die kurze Distanz dazu kommt, können kleinere Namen auch mal eine Überraschung schaffen. Das war in Dublin in diesem Jahr der Fall und das macht das Turnier aus. Aber Sie können das auf jeden Fall auch mit der breiter werdenden Spitze erklären.
SPOX: Mit der WM im Ally Pally steht nun das große Highlight des Darts-Jahres an. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, Ihren dritten WM-Titel zu gewinnen?
Anderson: Ich bin auch mit dem letzten Jahr sehr zufrieden. Ich war nun dreimal in Folge im Finale. Wenn ich das erneut schaffe, dann klopfe ich mir selbst auf die Schulter, denn das ist alles andere als selbstverständlich. Ich habe definitiv immer noch die Qualität. Es hängt aber immer von vielen Faktoren ab: wie die letzten Trainingswochen laufen, wie man ins Turnier kommt, ob zu Hause alles in Ordnung ist und man sich deswegen optimal auf den Sport konzentrieren kann.
SPOX: Was macht die WM für Sie aus?
Anderson: Es ist die Weltmeisterschaft. Diese Tage sind es, auf die jeder Spieler hinarbeitet, dieses Turnier ist es, auf das die ganze Welt blickt. Es gibt viele Turniere im Jahr, bei denen du startest und dir denkst: "Ob ich gewinne oder ob ich verliere, ist nicht so wichtig." Aber bei der WM denkt niemand so. Jeder will das Turnier gewinnen.
SPOX: In diesem Jahr ist die WM noch ein bisschen spezieller als sowieso schon...
Anderson: Es ist Phil Taylors letzte WM.
SPOX: Genau. Wie fühlt es sich für Sie an, dass er nach dem Turnier seine Karriere beenden wird?
Anderson: Ich bin froh. Taylor hat mich eine Menge Geld gekostet. (lacht) Nein, es ist wirklich ein riesiger Einschnitt. Phil war ein absoluter Diamant für diesen Sport. Ohne Phil wäre Darts nichts, durch ihn ist der Sport auf der ganzen Welt durch die Decke gegangen. Youngsters haben eine Zukunft im Darts - nur wegen Phil Taylor. Deswegen verdanken wir alle ihm sehr viel.
SPOX: Würden Sie bei seiner letzten WM gerne gegen ihn spielen?
Anderson: Ich würde es lieben, ein letztes Mal im Ally Pally gegen ihn zu spielen.
SPOX: Aber wäre das nicht seltsam?
Anderson: Nein, ich denke nicht. Wir werden immer noch Exhibitions gemeinsam spielen. Es ist nicht so, dass ich ihn nie wieder sehen werde. Wenn wir in der WM aufeinander treffen und es vielleicht sogar hitzig wird, könnten wir eine Woche später woanders zusammen arbeiten und eine gute Zeit miteinander haben. Aber logischerweise wird es seltsam sein, ihn im nächsten Jahr bei den TV-Turnieren nicht auf der Bühne zu sehen.